Seit dem Ende der Kolonialzeit in den 60er Jahren pflegt Frankreich ein besonderes Verhältnis zu seinem ehemaligen kolonialen Machtbereich auf dem afrikanischen Kontinent: Äquatorial-Guinea, Benin, Burkina Faso, Burundi, Dschibuti, Togo, dem Tschad und vor allem Algerien, Gabun, Zentralafrika, Nigeria, der Elfenbeinküste, Kamerun, der Republik Kongo, der Demokratischen Republik Kongo, dem Senegal und Mali. Die Politik von Paris gegenüber diesen Ländern, die seit einem halben Jahrhundert mit dem Begriff der "Françafrique" beschrieben wird, wird in der französischen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Unter diesem Begriff, der lautmalerisch die enge Beziehung zwischen Frankreich (France) und Afrika (Afrique) wiedergibt, versteht man vielmehr als klassische diplomatische Beziehungen. Häufig ist damit die Beteiligung an Wahlfälschungen, an Putsch(versuchen) zur Unterstützung befreundeter politischer Regime oder gar an militärischen Geheimoperationen gegen missliebige Regierungen afrikanischer Staaten gemeint.
Zumindest rhetorisch distanzierten sich diverse französische Regierungen von diesem Konzept der außenpolitischen Beziehungen zu den obengenannten Staaten. Seit den 1980er-Jahren äußerten zahlreiche Präsidentschaftskandidaten die Absicht, "Françafrique" nicht weiter verfolgen zu wollen. Doch bislang fand kein wirkliches Umdenken statt. Auch während der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys wurde ein grundlegender Wandel der französischen Afrikapolitik nicht herbeigeführt. Im Wahlkampf 2012 setzte sich dann auch Präsidentschaftskandidat François Hollande für das Ende der "Françafrique" ein. Die ersten diplomatischen Schritte des mittlerweile gewählten Präsidenten auf der afrikanischen Bühne, sei es im Senegal, anlässlich des Gipfeltreffens der Frankophonie im Kongo oder in Mali, scheinen jedoch in Kontinuität zur bisherigen "Françafrique" zu stehen. Angesichts dessen ist es fraglich, ob eine Abkehr tatsächlich erfolgen wird.
Ein vielfältiges Netzwerk im Dienste französischer Interessen
Idee und politische Praxis der "Françafrique" gehen auf die Zeit der Präsidentschaft Charles de Gaulles zurück und wurden von ihm befördert. In seinen Augen musste die traditionelle französische Einflusssphäre trotz Entkolonialisierung aufrechterhalten werden, um weiterhin den wirtschaftlichen Interessen Frankreichs zu dienen. Der Zugang zu Energieressourcen im ehemaligen kolonialen Machtbereich, der beispielhaft für die französischen Interessen in Afrika ist, galt als Garant für die energiepolitische Unabhängigkeit und somit den machtpolitischen Einfluss Frankreichs auf internationaler Ebene.
Im Jahr 1962 beauftragte Präsident Charles de Gaulle den Export-Mittelständler Jacques Foccart mit dem Aufbau der "Françafrique". Foccart steuerte bis 1974 die Afrikapolitik im Elysée-Palast und wurde vom ehemaligen Außenminister Michel Jobert (1969–1974) sogar als "Afrika-Minister" bezeichnet.
Foccart rief im Zuge des Evian-Abkommens zur Unabhängigkeit Algeriens einen Arbeitsstab ins Leben, der ausschließlich Afrika gewidmet war. Diesem gehörten über 100 Mitarbeiter an, die nicht den traditionellen diplomatischen Abteilungen entstammten. Zudem unterlag der Arbeitsstab keinerlei parlamentarischer Kontrolle. In einigen afrikanischen Staaten baute Foccart zudem ein breit angelegtes Netzwerk politischer und wirtschaftlicher Kontakte auf. Zu diesem Zweck gaben ihm die amtierenden Regierungen dieser Länder besondere Rückendeckung: Im Austausch für militärischen Schutz vor Putschversuchen und gegen Provisionen in Millionenhöhe gewährleisteten sie den Zugang französischer Unternehmen zu strategischen Ressourcen. Bei der Implementierung der "Françafrique" wurde Paris in den betreffenden schwarzafrikanischen Hauptstädten von zahlreichen Vertretern aller politischen und wirtschaftlichen Ebenen unterstützt. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ebenen und Partnern steuerten die jeweiligen Botschaften, die dafür eng mit den französischen Nachrichtendiensten kooperierten.
Die Militärkooperation mit den postkolonialen Regierungen, deren Kostenaufwand umgerechnet jährlich 100 Millionen Euro betrug, sollte die amtierenden afrikanischen Präsidenten vor Außenangriffen schützen und so der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen Frankreichs dienen. Lange geheim gehaltene, erst in den 1980er-Jahren enthüllte Strategiepapiere sahen militärische Interventionen Frankreichs auch für den Fall vor, dass die Stabilität innenpolitisch durch Aufstände gefährdet würde: Bilaterale Verteidigungsabkommen wurden mit folgenden Staaten geschlossen: Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Komoren, Elfenbeinküste, Dschibuti, Gabun, Kuwait, Senegal und Togo. 2008 wurden die Verträge verlängert und sind daher auch heute noch gültig. Als Gegenleistung erhielt Frankreich vorrangigen Zugang zu strategischen Rohstoffen, etwa Diamanten, Erze, Uran sowie Gas- und Ölvorkommen. Die Intervention in der Elfenbeinküste zugunsten des neu gewählten Präsidenten Alassane Ouattara im Jahr 2011 oder die Militärintervention in Mali zu Beginn des Jahres 2013 als Reaktion auf die Bitte von Präsident Traoré legen in dieser Hinsicht eine weitgehende Kontinuität mit den Zielen der "Françafrique" nahe.
Eine schwer aufzulösende Vernetzung
Die diplomatischen Missstände unter französischer Beteiligung in den afrikanischen Staaten kamen schließlich mit dem sogenannten "Bokassa-Skandal" ans Tageslicht. Präsident Valéry Giscard d’Estaing soll in seiner Amtszeit (1974–1981) Diamanten vom zentralafrikanischen Präsidenten Jean-Bédel Bokassa geschenkt bekommen haben. Die damals aufsehenerregende Affäre wirkte sich negativ auf die Popularitätswerte von Giscard d’Estaing im Präsidentschaftswahlkampf von 1981 aus.
Gegen alle Erwartungen brachte der anschließende Machtwechsel in Paris allerdings keinen wesentlichen Wandel in der französischen Afrikapolitik. In einer Rede vom 22. Juni 1983 in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, erklärte der sozialistische Präsident François Mitterrand (1981–1995), die Handlungsweise der französischen Afrikapolitik sei zwar nun eine andere, an ihrer Zielsetzung habe sich aber nichts geändert. In diesem Zusammenhang wurde der von der Notwendigkeit einer Neuausrichtung überzeugte Minister für Entwicklung und Zusammenarbeit, Jean-Pierre Cot, 1983 zum Rücktritt gezwungen. Er wurde durch Christian Nucci im Amt ersetzt, dem später eine fragwürdige Finanzierung seines Parlamentswahlkampfes in den 80er-Jahren aus Afrika nachgewiesen worden ist.
Im Mai 1995 deutete die Wahl Jacques Chiracs zunächst auf eine weniger patriarchale Haltung gegenüber afrikanischen Staaten hin. So trat Chirac für eine Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein und rationalisierte die Kooperationsstrukturen durch eine ressortübergreifende Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit. Allerdings sollen 1997 mit Genehmigung des Elysée-Palastes und des Ölkonzerns Elf Aquitaine Waffen an die Unterstützer des zu Beginn der 1990er-Jahre gestürzten Diktators der Demokratischen Republik Kongo, Sassou Nguesso, geliefert worden sein. Dessen Angriffe waren gegen den amtierenden und demokratisch gewählten Präsidenten Pascal Lissouba gerichtet.
Auch Nicolas Sarkozy hatte 2006 als Präsidentschaftskandidat ein "neues, (...) ausgewogenes Verhältnis" mit den afrikanischen Partnerstaaten versprochen. Das im Jahr 2008 veröffentlichte Weißbuch zur Verteidigungspolitik zeugt zudem von der Absicht, einen Wandel durch mehr Transparenz und Demokratieförderung einzuleiten. Allerdings standen im Jahr 2010 auf einem Frankreich-Afrika-Gipfel erneut Wirtschaftspolitik und "Stabilität" im Fokus – Themen, die als Voraussetzung für Entwicklung in Afrika angesehen wurden.
Erfolgt dennoch ein Wandel?
Malis Präsident Dioncounda Traore verleiht seinem französischen Amtskollegen François Hollande einen Orden seines Landes in der malischen Botschaft in Paris im Juli 2013. (© dpa)
Malis Präsident Dioncounda Traore verleiht seinem französischen Amtskollegen François Hollande einen Orden seines Landes in der malischen Botschaft in Paris im Juli 2013. (© dpa)
In seinem Wahlprogramm hatte François Hollande im Jahr 2012 die Notwendigkeit betont, mit der Tradition der "Françafrique" abzuschließen. Die ersten Monate seiner Amtszeit boten dem neuen Staatspräsidenten zumindest rhetorisch die Möglichkeit, mit der Afrikapolitik seines Amtsvorgängers abzurechnen. Es ist kein Zufall, dass Hollandes erste Afrikareise als Staatspräsident in den Senegal führte, wo Nicolas Sarkozy 2007 eine Rede gehalten hatte, die von Afrikanern als beleidigende Provokation empfunden worden war. Sarkozy hatte behauptet, dass die Afrikaner "nicht wirklich in die Geschichte eingetreten" seien. François Hollande hingegen unterstrich seine Bereitschaft zur Politikänderung auch dadurch, dass er die Diplomatin Hélène Le Gal zur Afrika-Beraterin ("Madame Afrique") ernannte, eine ehemalige stellvertretende Leiterin des Referats Zentralafrika im französischen Außenministerium. Damit scheint die französische Exekutive dem Verhältnis zu afrikanischen Partnerstaaten neue Impulse geben zu wollen.
Rhetorisches Geschick und Personalwechsel allein werden jedoch nicht ausreichen, um innerhalb einer Amtszeit ein strukturell tief verankertes System umzubauen. Auch der erhebliche Prestigeverlust Frankreichs in vielen Ländern Afrikas steht einem Wandel eher entgegen. Nicht zuletzt bestehen die durch die "Françafrique" aufgebauten Netzwerke weiterhin. Angesichts der wirtschaftlichen Konkurrenz in Afrika durch China oder die Vereinigten Staaten wird sich Frankreich auf wirtschaftlichem wie auf politisch-militärischem Terrain verstärkt engagieren müssen. Das am 29. April 2013 veröffentlichte Weißbuch zur Verteidigungspolitik verweist wiederum auf die strategische Bedeutung des afrikanischen Kontinents für Paris.
Frankreich muss den afrikanischen Herausforderungen nicht nur gerecht werden, weil diese über kurz oder lang direkte Auswirkungen auf die französische Stabilität haben werden. Passivität würde die Gefahr mit sich bringen, dass die (Noch-)Partner von heute Frankreich den Rücken zuwenden. Der gegenwärtige Mali-Einsatz sowie das Eingreifen im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste 2010 zeigen den französischen Willen, in Afrika weiterhin eine im weitesten Sinne konstruktive Rolle zu spielen. In Mali ging es wohl darum, die Auswirkungen der potenziellen Destabilisierung einer ganzen Region zu mindern und damit den Zugang zu den geostrategischen Ressourcen (Öl, Gas und Gold) zu sichern. Auch wenn der politische Wille der sozialistischen Regierung offenkundig ist, "Françafrique" ein Ende zu setzen, bleibt fraglich, ob Hollande tatsächlich in der Lage ist, auf diese Untergrunddiplomatie zu verzichten.