Die Suche nach Raum ist für Paris ein treibendes Element ihrer permanenten Veränderung. Viele ihrer stadtgeschichtlichen Entwicklungen gleichen denen anderer Metropolen Europas, einige sind jedoch sehr spezifisch und machen heute die Besonderheit der Stadt aus. Diese Suche hat sich in der Entwicklungsgeschichte von Paris nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verändert. Anfänglich war sie durch Zuzug und Enge motiviert. Heute spielen Faktoren eine Rolle wie ein ständig steigender individueller Raumbedarf, soziale Faktoren, bessere infrastrukturelle Möglichkeiten und zunehmende Globalisierung.
Die Geburt des modernen Paris
Paris war zu allen Zeiten auf der Suche nach Expansion. Die Stadt entwickelte sich stetig: Angefangen mit der Gründung der Siedlung Lutetia auf einer kleinen Insel, der heutigen Ile de la cité, mitten im Morast (Marais) der Seine, über die römische Erweiterung auf dem linken Seineufer (Quartier Latin) und ihrer Blüte im 14. Jahrhundert. Unter der prunkvollen Herrschaft der Bourbonen, der Zeit des "Ancien Regime", veränderte Paris sich weiter, bis Revolution und Krieg im 18. Jahrhundert das Wachstum der Stadt erneut beeinflussten.
Am Vorabend der Moderne, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, muss man sich Paris als eine in großen Teilen rückständige und baulich marode Stadt vorstellen, in der mangelnde Hygiene aufgrund fehlender Infrastruktur zu Krankheiten führt und Kriminalität in den schwer kontrollierbaren Vierteln des mittelalterlichen Stadtkerns blüht. Neue Zuwanderer aus der Provinz sowie die beginnende Industrialisierung von Paris spitzten die prekäre soziale Lage der Stadt weiter zu. Die angespannte Situation fand in der Revolution von 1848 einen Höhepunkt, in deren Folge der neue Monarch Napoleon III. seinen Präfekten, den Baron Haussmann, mit der Modernisierung der Stadt beauftragte.
Die Aufgabe war gewaltig, sollte doch die Stadt mit einem Netz neuer Achsen und Plätzen luftiger und besser kontrollierbar werden. Abwassersysteme sollten ein gesundes Stadtklima schaffen und es sollte neuer Wohnraum und eine moderne Infrastruktur entstehen, die dem Bedürfnis der Menschen nach mehr Lebensqualität Rechnung tragen. Die vorgesehenen Umbau-Maßnahmen bündelten sich im sogenannten "Haussmann-Plan", in Zuge dessen in weniger als 20 Jahren beinahe 60 Prozent der damaligen Stadtfläche verändert wurden. 18.000 Gebäude wurden für den Bau neuer Achsen abgebrochen und Paris durch Eingemeindungen auf seine heutige Größe erweitert. Doch nicht nur humanitäre Gründe waren Anlass für diesen Umbau, auch die Erfahrungen mit Aufständen und Barrikadenkämpfen während der Revolution und deren künftiges Verhindern motivierten den Monarchen. Denn geradlinige Achsen machten die Stadt militärisch beherrschbarer und erschwerten den Barrikadenbau.
Die Maßnahmen des haussmannschen Plans prägen bis heute das Gesicht der Stadt, unter anderem mit so prominenten Orten wie der Avenue des Champs-Elysées und dem Place de l’Etoile, aber auch mit neuen Grünflächen wie dem Parc des Buttes-Chaumont im Nordosten der Stadt.
Visionen und Utopien der Moderne
Trotz aller Bemühungen, die wohnräumliche Situation in Paris quantitativ nachhaltig zu verbessern, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem die Nachfrage nach höherer Wohnqualität zu einem zentralen Thema bei der Suche nach Raum.
Neue Leitsätze der Stadtentwicklung wurden 1933 anlässlich des internationalen Kongresses für neues Bauen in der Charta von Athen formuliert, die den Forderungen nach Raum, Licht und den Prinzipien einer funktionalen Stadt Rechnung tragen. Gerade der Wunsch nach funktionaler Aufteilung des Stadtraums in Wohnen, Arbeiten und Erholung und deren autogerechte Verbindung war nachhaltig für spätere Entwicklungen in ganz Europa.
Federführend bei der Anwendung dieser Prinzipien war der Schweizer Architekt Le Corbusier, der mit dem sogenannten "Plan Voisin" radikale Ideen für Paris entwickelt hat.
Seine Vision sah vor, neuen und qualitativ hochwertigen Raum durch eine "Auflockerung" der bestehenden Stadt zu schaffen – durch Flächenabriss bei gleichzeitiger Verdichtung durch den Bau von achtzehn 60-geschossigen Hochhäusern nördlich des Louvre.
Doch wurden diese Planspiele niemals umgesetzt und sollten wohl schon damals einen eher anschaulichen Charakter haben.
Nachkriegszeit und Neuordnung
Paris erlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs ohne größere Zerstörungen. Der wirtschaftliche Wiederaufbau in der Nachkriegszeit barg nun die Möglichkeit, die Wünsche nach Entflechtung von Arbeiten und Wohnen sowie einer autogerechten Moderne im großen Maßstab umzusetzen. Zudem begann Paris durch Zuwanderung auch aus den ehemaligen Kolonien stark zu wachsen, so dass die Suche nach Raum erneut Priorität der Stadtplanung wurde.
1969 wurden mit Cergy-Pontoise und Evry die ersten sogenannten "villes nouvelles" entwickelt und gebaut, außerhalb liegende Satellitenstädte, ganz im Sinne der Prinzipien der Charta von Athen von 1933. Die Projekte waren während der Amtszeit von Präsident Charles De Gaulle (1959-1969) vorbereitet worden. Sie sollen jenseits der Stadtgrenzen für ein geplantes Wachstum sorgen, das man auf insgesamt 15 Millionen Einwohner im Jahr 2000 schätzte. Es wurden mit 12 Millionen etwas weniger, doch die beiden Städte zählen heute zu den attraktiven Subzentren vor den Toren der Stadt mit eigenem Arbeitsmarkt und wachsender Einwohnerzahl. Die Strategie, Raum außerhalb der Stadt zu suchen, änderte sich in den 1970er Jahren hin zu einer nunmehr gezielten Verdichtung der Innenstadt durch Abriss und Neubau. Quartiere wie das Beaugrenelle mit seinen Hochhäusern direkt am Seineufer oder der Tour Montparnasse zeugen davon. Unter Staatspräsident Georges Pompidou (1969-1974) verdeutlichten der Bau des unterirdischen Shoppingcenters Les Halles oder des in seiner Form einzigartigen Kulturzentrums Centre Pompidou eine Neuorientierung, weg vom Primat der Schaffung privaten Wohnraums hin zur Schaffung öffentlichen Raums.
Suche im Geiste der Wiederentdeckung der Stadt
Ein Abflachen des Wachstums der Pariser Stadtbevölkerung zu Beginn der 1980er Jahre und die einsetzende Rückbesinnung auf die Tradition der Stadt führten vermehrt zu der Frage nach der architektonischen Qualität des gebauten Raums. Die Postmoderne erlebte gerade in den Satellitenstädten auf ihrer Suche nach Raum und urbaner Identität eine spektakuläre Umsetzung. In Noisy le Grand, einem gesichtslosen Vorort östlich von Paris, entstanden im Geiste der Zeit beispielsweise palastartige Sozialwohnungsbauten mit so klangvollen Namen wie "Palacio d’Abraxas" von Ricardo Bofill. Zitate von Säulen und Rundbögen bilden den Rahmen eines schönen, neuen Alltages nach Wunsch der Planer.
Nun mischte sich auch die Politik in die stadtkulturelle Diskussion ein und entwickelte Paris unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand (1981-1995) mit den unterschiedlichsten Projekten auf Staatskosten weiter. Mit dem Bau der Opera Bastille und dem Umbau des Louvre mit der bekannten Pyramide knüpfte der Sozialist Mitterrand an die Tradition der Herrscher Frankreichs an, sich bleibende Denkmäler zu setzen. Indes blieb zum Ende des 20. Jahrhunderts die Suche nach Raum auf die letzten infrastrukturell genutzten Flächen der Innenstadt begrenzt, beispielsweise durch die Auslagerung des Güterbahnhofs Gare d’Austerlitz.
Nach den Kahlschlägen vergangener Jahrzehnte kam es nun zu einer behutsamen strategischen Verdichtung der Innenstadt. Anschaulich wird dies zum Beispiel durch den Bau einzelner, architektonisch hochwertiger Kultureinrichtungen wie dem Institut du Monde Arabe anstelle von flächendeckenden Großbauten.