Die Geschichte der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland ist auch eine Geschichte gewaltsamer Auseinandersetzungen und es ist eine lange Geschichte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderte sich das Verhältnis der Nachbarländer jedoch grundlegend. Die heute viel beschworene Freundschaft war jedoch auch immer geprägt von politischer wie wirtschaftlicher Rivalität. Gewiss, der Mythos der "Erbfeindschaft" konnte überwunden werden, ebenso der destabilisierende und kriegsträchtige machtpolitische Konflikt zwischen den Nachbarn am Rhein. Dies gelang nicht zuletzt dank der zunehmend tiefen Einbettung der bilateralen Beziehungen in die entstehenden Strukturen europäischer Integration. Die gleichberechtigte Einbindung der jungen Bundesrepublik in den Rahmen der Montanunion und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bildete die historisch erfolgreiche Alternative zu einem französischen Streben nach Dominanz im Verhältnis zum ehemaligen Kriegsgegner. Die Suche nach einer starken machtpolitischen Asymmetrie im Verhältnis zum potentiellen Rivalen jenseits des Rheins prägte nicht nur die französische Deutschlandpolitik nach dem Ersten Weltkrieg, sondern auch während der ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ein "Gleichgewicht der Ungleichgewichte"
Die innovative französische Antwort auf den – von den USA im Kontext des entstehenden Ost-West-Konflikts betriebenen – wirtschaftlichen Wiederaufstieg und die militärische Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik bestand in der Kontrolle Westdeutschlands durch seine europäische Einbindung. Für die Bundesrepublik bedeutete diese Wiederaufnahme in die europäische Staatenwelt einen Statusgewinn und war ein Garant dafür, dass das wiedererstarkende Deutschland keine Gegenkoalitionen zur Einhegung seiner Macht heraufbeschwören würde. Diese Einbindung und Selbsteinbindung Deutschlands wurde in der Literatur auch als die Suche nach einem "integrativen Gleichgewicht" (Werner Link) interpretiert. Dieser Begriff soll darauf verweisen, dass machtpolitische Gleichgewichtsmotive auch in den integrativen Strukturen der Europäischen Gemeinschaften nicht einfach verschwunden sind.
In den Anfangsjahren der europäischen Integrationsgeschichte nach 1950 konnte Frankreich der Bundesrepublik das Angebot einer gleichberechtigten europäischen Einbindung vor dem Hintergrund seiner eigenen überlegenen machtpolitischen Position unterbreiten. In der jungen Sechsergemeinschaft der Montanunion und EWG besaß Frankreich, insbesondere unter General de Gaulle, eine Führungsrolle, die auf einer asymmetrischen Machtbeziehung gegenüber der Bundesrepublik beruhte. Dies sollte sich jedoch schon in den 1960er Jahren ändern. Das "Wirtschaftswunderland" Bundesrepublik konnte seine wiedergewonnene wirtschaftliche Stärke erstmals 1968 im Kontext internationaler Währungsdiplomatie in außenpolitischen Einfluss ummünzen. Zum ersten Mal zeigte sich ein deutlich selbstbewussteres Auftreten der jungen Bundesrepublik, gestützt auf seine im Vergleich zum Nachbarn überlegene Wirtschaftskraft und eine stabilere Währung.
Die Asymmetrie zwischen Siegermacht und Besiegtem nach dem Zweiten Weltkrieg wich einer zunehmenden Symmetrie oder, in den Worten von Stanley Hoffmann, einem "Gleichgewicht der Ungleichgewichte". Frankreich überragte die Bundesrepublik im Hinblick auf seinen außenpolitischen Rang und eine aktivere Außenpolitik, gestützt auf seinen Status als Siegermacht im Zweiten Weltkrieg, seine atomare Bewaffnung, eine außenpolitische Einflusssphäre im frankophonen Afrika sowie seinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik ihrerseits glänzte durch ihre zunehmend überlegene Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit, die sich in Erfolgen ihres exportorientierten Wirtschaftsmodells niederschlugen. Die eigenständigere Außenpolitik der sozialliberalen Brandt-Scheel-Regierung im Rahmen ihrer neuen Ostpolitik weckte Misstrauen in Paris.
Die wesentliche Machtressource der alten Bundesrepublik blieb jedoch ihre Wirtschaftsleistung und ihre solide Währung. Seit Beginn der währungspolitischen Kooperation in der Europäischen Gemeinschaft spielte die Deutsche Mark die Rolle des Stabilitätsankers im europäischen Währungsverbund, bis dieser durch die Währungsunion und die Aufgabe der nationalen Währungen zugunsten des Euros abgelöst wurde.
Der zentrale Grund dafür, dass Frankreich Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre eine gemeinsame Währung zu einem Kernanliegen seiner Europapolitik machte, lag in der machtpolitischen Asymmetrie zur Bundesrepublik. Paris wollte die Dominanz der Bundesbank und damit der deutschen Geldpolitik in Europa zugunsten einer symmetrischen Verteilung von Macht und Entscheidungsrechten im Rahmen des Europäischen Zentralbanksystems überwinden. Machtpolitische Motive besaßen mithin eine höhere Bedeutung als wirtschaftliche Interessenkalküle.
Die Belastungsprobe der Wiedervereinigung
Eine zentrale, letztlich erfolgreich bewältigte Belastungsprobe für die deutsch-französischen Beziehungen brachte die deutsche Wiedervereinigung von 1990 mit sich. Sie stellte das seit Ende der 1960er Jahre bestehende "Gleichgewicht zwischen der Bombe und der Mark" in Frage, wie Dominique Moïsi es einmal bezeichnete. In der Wahrnehmung der stark in machtpolitischen Gleichgewichtskategorien denkenden französischen politischen Klasse konnte das absehbar größere wirtschaftliche Gewicht eines auch außenpolitisch und potentiell militärisch aktiveren, wiedervereinigten Deutschlands nicht mehr in demselben Maße wie in der Vergangenheit mit einem überlegenen außenpolitischen Status und Rang Frankreichs aufgewogen werden. Dabei wurde die Reichweite des vereinigungsbedingten relativen Macht- und Einflussgewinns Deutschlands von einer verunsicherten französischen Elite häufig deutlich überschätzt. Ebenso wurde von französischen Eliten übersehen, wie sehr die Bundesrepublik ihre Rolle als "Zivilmacht" (Hanns W. Maull) in den internationalen Beziehungen verinnerlicht hatte, so dass eine grundlegende außenpolitische Umorientierung hin zu einer "normalisierten" europäischen Großmachtpolitik ausblieb.
Die finanziellen und wirtschaftlichen Folgen der deutschen Wiedervereinigung zehrten lange Jahre an den Machtressourcen der Bundesrepublik und engten deren außen- und europapolitische Handlungsspielräume ein. Aber das Ende des Ost-West-Konflikts veränderte auch Frankreichs machtpolitische Stellung im internationalen System: Seine Siegermachtrechte gegenüber Deutschland fanden ein Ende, die außenpolitische Bedeutung des Atomwaffenbesitzes schwand in einer Welt, die weniger durch atomare Abschreckung als durch "heiße" Konflikte unter Einsatz konventioneller Waffen geprägt ist, und auch die afrikanische Einflusssphäre Frankreichs verlor an außenpolitischer Bedeutung.
Fragen der Symmetrie bzw. Asymmetrie führten im Jahr 2000 zu einer ernsten deutsch-französischen Belastungsprobe im Kontext der Verhandlungen zum Vertrag von Nizza über institutionelle Reformen der Europäischen Union. Kern des Problems war eine Reform der Stimmengewichtung im Rat der EU. Deutschland wie Frankreich hatten ein machtpolitisches Interesse an einer Aufwertung des Gewichts der großen gegenüber den kleinen Mitgliedsländern, deren Stimmengewicht im Rat durch die Osterweiterung deutlich wachsen sollte. Allerdings warf diese Stimmenneugewichtung im Ratssystem auch notwendigerweise die Frage einer Änderung der Stimmenparität zwischen Deutschland und Frankreich auf. Deutschland forderte eine angemessene Berücksichtigung seiner höheren Bevölkerungszahl im Institutionensystem der EU. Für Staatspräsident Chirac war diese Stimmenparität – und damit die Symmetrie der institutionellen Einflusschancen beider Regierungen in der EU – aber die Lehre aus einer blutigen Geschichte und das Fundament des modernen Europas. Chirac konnte damals zwar die Stimmenparität verteidigen. Er akzeptierte aber später die doppelte Mehrheitsregel (55 Prozent der Mitgliedstaaten und 65 Prozent der Unionsbevölkerung) in Fällen qualifizierter Mehrheitsabstimmungen im Rat, wie sie im Vertrag von Lissabon verankert ist. Damit ist die deutsch-französische Parität im Rat zumindest formal gesehen Geschichte und Deutschland der Hauptgewinner dieser Ratsreform.
Die Rückkehr der Symmetrie-Frage
Das seit rund einem Jahrzehnt zu beobachtende wirtschaftliche Auseinanderdriften Deutschlands und Frankreichs, insbesondere nach den erfolgreichen Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Koalition ("Agenda 2010"), hat dem Thema deutsch-französischer Symmetrien und Asymmetrien neue Aktualität verliehen. Verstärkt wurde diese durch die Schlüsselrolle der Bundesrepublik bei der Bewältigung der Eurozonenkrise, die in Frankreich die Perzeption einer Juniorpartnerrolle im Verhältnis zur Bundesrepublik entstehen ließ.
Wie stets seit dem Zweiten Weltkrieg, so besteht auch heute eine Art Asymmetrie in der Wahrnehmung des deutsch-französischen Machtverhältnisses. Auf französischer Seite wird diesem Thema eine ungleich höhere Bedeutung beigemessen als diesseits des Rheins. Einer gewissen Obsession französischer (außenpolitischer) Eliten im Hinblick auf den französischen "Rang" in der Weltpolitik und bezüglich der Symmetrie in den Beziehungen zum deutschen Nachbarn stand diesseits des Rheins lange Zeit eine Art deutscher "Machtvergessenheit" (Hans-Peter Schwarz) gegenüber. Diese erklärt sich aus einem weniger ausgeprägten Denken in realistischen oder geopolitischen Machtkategorien und einer im Vergleich zu Frankreich geringen Bedeutung der Außenpolitik für die nationale Identitätskonstruktion.
Deutschland bildet für innerfranzösische Reform- und Selbstverständnisdebatten ungleich häufiger einen zentralen externen Bezugspunkt als dies umgekehrt der Fall ist. Die aktuelle Diskussion um den Vorbildcharakter Deutschlands für französische Anstrengungen zur Wiederherstellung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit erinnert an die ähnlich gelagerte "Modell-Deutschland"-Diskussion in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Damals war es der Bundesrepublik besser als Frankreich gelungen, die wirtschaftlichen Folgen der Ölkrise 1973/74 zu überwinden, die sich in Form von Inflation und einer wirtschaftlichen Rezession niederschlugen. Und damals schon beschäftigten sich politische und wirtschaftliche Eliten in Frankreich intensiv mit den Ursachen des erfolgreicheren wirtschaftlichen Anpassungsprozesses in Deutschland.
Das an einer Vielzahl von Indikatoren (Exportkraft, Bedeutung der Industrie, öffentliche Defizite und Verschuldung, Lohnstückkostenentwicklung, Wachstumsraten) ablesbare wachsende wirtschaftliche Gefälle zwischen Deutschland und Frankreich birgt Gefahren für die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen. Mittelfristig wird Frankreich sein Gewicht in der Europäischen Union und eine mit der Bundesrepublik gleichberechtigte Führungsrolle nur behaupten können, wenn es intern die dafür notwendigen und schmerzhaften Anpassungsleistungen erbringt. "Wenn sich das Ungleichgewicht (zwischen Frankreich und Deutschland, Anm. Joachim Schild) verschärft", so der französische Außenminister Laurent Fabius, "dann würde dies natürlich zu einem wirklichen Problem." (Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21.11.2012)