In der Zeit nach dem 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine, hat sich Europa spürbar verändert. "Die demokratische Welt hat nicht nur standgehalten, sie hat sich in beispielloser Weise geeint", stellt das russische Exilmedium Moscow Times am 20. Dezember 2022 fest. Ähnlich urteilt die rumänische Wochenzeitung Revista22 am selben Tag: "Die größte Überraschung war die
Nach wie vor scheint, das legen zumindest aktuelle Umfragen
Euroskeptische Parteien in Europa - Überblick
Der Euroskeptizismus ist ein relativ unscharfer Begriff, der eine kritische bis ablehnende Haltung gegenüber der EU und ihren Institutionen bezeichnet. Er beruft sich dabei auf den Vorrang nationaler Souveränität und Identität.
In Großbritannien gipfelte die EU-Ablehnung von Ukip und vielen Tories nach einem Referendum im Brexit. Bis auf die PiS, Geert Wilders’ PVV und die britischen Konservativen pflegten oder pflegen alle genannten Parteien gute bis sehr gute Beziehungen zu Putins Russland.
Seit der Corona-Pandemie und spätestens seit dem Krieg gegen die Ukraine haben EU-skeptische Positionen in Europa teilweise an Attraktivität verloren: Die Mehrheit der Briten glaubt inzwischen, dass der Brexit falsch war.
Ungarn: Überzeugte EU-Querulanten
Seit dem Beginn des Krieges haben sich die Differenzen zwischen Ungarn und der Europäischen Union verschärft. Schon die früheren Orbán-Regierungen sahen die Kritik an der ungarischen Rechtsstaatlichkeit
Im Bezug auf den Krieg übt die ungarische Regierung noch schärfere Kritik an der Europäischen Union, die sich ihrer Meinung nach aufgrund der Waffenlieferungen bereits indirekt im Krieg mit Russland befindet. Ungarn fordert eine Waffenruhe und Friedensverhandlungen, es liefert keine Waffen an die Ukraine. Gegen die EU-Sanktionen gegen Russland hat die Regierung zwar kein Veto eingelegt (Ausnahme: Patriarch Kyrill
In den regierungsnahen Medien werden ab und zu Meinungen veröffentlicht, die nicht nur die EU, sondern auch die Nato im Visier haben. Das Flaggschiff der regierungsnahen Medien, die Tageszeitung Magyar Nemzet, schreibt am 17. Februar: "Die Nato ist keine Garantie für unsere Sicherheit, sondern eine Gefahr für Ungarn, auch für das gesamte Europa. … Nach dem Zusammenbruch des Roten Reiches wurde ihre Haupttätigkeit eindeutig die Vertretung der globalen wirtschaftlichen und politischen Interessen der Vereinigten Staaten. … Dies zeigt sich unter anderem in der aggressiven Expansion nach Osten nach 1990, die euphemistisch als ‘Erweiterung’ bezeichnet wird."
Kritik an Orbán nicht nur von der Opposition
In der regierungskritischen Öffentlichkeit wird Orbáns Politik als grundlegend falsch gesehen. Die größte oppositionelle Zeitung Népszava zeigt sich am 3. März genervt von der vorherrschenden Rhetorik: "Stellen wir uns mal vor, was passieren würde, wenn der ‘kriegsfreundliche’ Westen der russischen Erpressung nachgeben und die Souveränität der Ukraine opfern würde. Besonders viel Fantasie braucht man nicht, man muss einfach in den Geschichtsbüchern nachlesen. Wahrscheinlich zögert der Westen, mit Putin zu verhandeln, bevor er sich aus den besetzten Gebieten zurückzieht, weil er 1938 schon einmal naiv so einen Fehler gemacht hatte."
Slowakei: Staat versus Bevölkerung?
Die Slowakei mit ihrer aktuell pro-europäischen Regierung gehörte von Beginn des russischen Überfalls an zu den besonders engen Partnern der Ukraine, militärisch und humanitär. Auch in der Presse war die Unterstützung für Kyjiw groß. Am 25. Februar 2022 forderte die unabhängige Tageszeitung Denník N die Slowaken auf, sich auf harte Zeiten einzustellen: "Sanktionen werden ganz Europa schaden, aber wir können zur Niederlage Putins beitragen, indem wir geduldig ihre Folgen ertragen. Die Welt, in der wir uns vor allem mit Gedanken darüber beschäftigen konnten, wie wir unser Leben verbessern und wo wir im Sommer Urlaub machen können, ist vorbei. Wenn Frieden in unser Leben zurückkehren soll, müssen wir verstehen, dass das ohne Opfer - hoffentlich nur materielle - nicht funktionieren wird."
Wenige Wochen nach Beginn der Aggression stimmte die Slowakei als Nato-Mitglied zur Stärkung des Ostflügels der Präsenz von Nato-Truppen auf ihrem Territorium zu.
Nach Polen hat die Slowakei zudem als zweites Nato-Land im März 2023 die Lieferung von ausgemusterten MiG-29-Kampfflugzeugen sowjetischer Herkunft angekündigt und inzwischen geliefert.
Keine Einigkeit bei den Bürgern
Schaut man in die Bevölkerung, ergibt sich in der Haltung zur Ukraine ein gemischtes Bild. Gab es zu Beginn des Krieges enorm viel ehrenamtlich organisierte Hilfe für ukrainische Flüchtlinge, scheint sich die spontane Solidarität im Dezember verflüchtigt zu haben. Die slowakische NGO Globsec kam bei einer Umfrage im Dezember 2022 zu dem Ergebnis, dass die Slowaken unter den Visegrád-Ländern die größte Abneigung gegen ukrainische Flüchtlinge haben. 52 Prozent glaubten demnach, dass sich ihretwegen die wirtschaftliche Situation der Slowakei verschlechtere (Vergleich: in Polen galt das für 11 Prozent, in Ungarn für 15 Prozent und in Tschechien für 25 Prozent der Befragten). Des Weiteren sahen 84 Prozent der Polen und 72 Prozent der Tschechen Russland für den Beginn des Krieges verantwortlich, in Ungarn und der Slowakei glaubten dies nur 43 Prozent. In der Slowakei machten entsprechend bis zu 39 Prozent die USA und die Nato für den Krieg in der Ukraine verantwortlich.
Kurz vor dem Krieg im Januar/Februar 2022, als es um ein Abkommen über eine militärische Zusammenarbeit zwischen der Slowakei und den USA ging, ergab eine Umfrage der slowakischen Agentur Focus, dass 34,7 Prozent der Befragten Russland für die wachsenden Spannungen um die Ukraine verantwortlich machten, aber 44,1 Prozent die USA und die Nato. Je älter die Befragten waren und je ländlicher sie wohnten, desto verdächtiger war ihnen der Westen.
Rolle rückwärts mit Robert Fico?
Die für Ende September 2023 geplanten Externer Link: Neuwahlen könnten angesichts des großen pro-russischen Wählerpotenzials zu einem Comeback des dreimaligen früheren Premiers Externer Link: Robert Fico und seiner linkspopulistischen, euro-skeptischen Partei Smer-SD führen und damit zu einem jähen Wechsel in der slowakischen Ukrainepolitik.
Fico musste 2018 im Zusammenhang mit dem Externer Link: Mord an Ján Kuciak und Martina Kušnírová zurücktreten. Das liberale Onlineportal Aktuality.sk warnt am 22. Dezember 2022:
"Einst präsentierte sich Fico als proeuropäischer Politiker, der uns im harten Kern der EU haben will, der weiß, wie wichtig unsere Teilnahme in der Nato ist. ... Heute ist er der Führer der russischen fünften Kolonne in der Slowakei. Sollte Fico zu einem Zeitpunkt zurückkehren, an dem die Ukraine die Hilfe eines vereinten Europas und der Nato benötigt, würde das ernsthafte Probleme verursachen. Fico ist keine Garantie mehr für unsere prowestliche außenpolitische Ausrichtung und wird sogar zu einer Sicherheitsbedrohung für die Slowakei."
Bulgarien: Russlandnähe ohne EU-Skepsis
Bulgarien befindet sich nach fünf Wahlen innerhalb von zwei Jahren in einer politischen Externer Link: Pattsituation. Die Externer Link: Anti-Korruptions-Regierung von Kiril Petkow vom November 2021 zerbrach bereits im Juni 2022, bei den Externer Link: Neuwahlen im Oktober setzte sich dann mit minimalem Vorsprung wiederum die rechtskonservative Gerb des langjährigen früheren Premiers Externer Link: Bojko Borissow durch. Beide Parteien sind pro-europäisch, wie auch der überwiegende Teil der Bevölkerung (45 Prozent Zustimmung zur EU vs. 18 Prozent Ablehnung).
Die Bevölkerung erscheint in Bezug auf die Ukraine ähnlich geteilt wie in der Slowakei: Während die große Mehrheit der Bulgaren humanitäre Unterstützung befürwortet, sind 57 Prozent gegen Waffenlieferungen und 41 Prozent gegen Sanktionen gegen Russland.
Russland steht neben seinen guten Verbindungen zu den genannten Teilen der bulgarischen Politik immer wieder im Verdacht, über Korruption, etwa im Energiesektor
Großbritannien: Proeuropäisch ohne die EU?
Großbritannien befindet sich nach dem Brexit in einer Sonderstellung innerhalb Europas. Während dieExterner Link: atlantische, pro-ukrainische Haltung des Vereinigten Königreichs nie zur Debatte stand, ist das Verhältnis zu Brüssel nicht unbedingt einfacher geworden. Das Tauziehen um das Externer Link: Nordirland-Protokoll beschädigte die Beziehungen nach dem Beginn des Krieges weiter. Auch auf persönlicher Ebene klappte es nicht: Die meisten EU-Regierungen und EU-Institutionen trauten dem früheren Premier und Brexit-Verfechter Externer Link: Boris Johnson nicht. Im Februar dieses Jahres erklärte dieser, Großbritannien habe dank des Brexit die Möglichkeit gehabt, Kyjiw viel schneller und umfassender zu unterstützen als die EU, die sich erstmal einigen musste.
Dennoch führte der Ukraine-Krieg zu einer Annäherung zwischen Großbritannien und dem Rest Europas. Die gemeinsam empfundene Bedrohung durch Russland drängte einige Konfliktpunkte zwischen London und Brüssel in den Hintergrund. Dazu kam die Amtsübernahme durch Rishi Sunak als neuer Premier am 25. Oktober 2022, der eine spürbare Entspannung der Beziehungen folgte. So schreibt die linke Tageszeitung The Guardian im November: "Es ist noch zu früh, um von einem Wendepunkt zu sprechen, aber es besteht zumindest die Chance, dass wir auf das Jahr 2022 als das Jahr zurückblicken werden, in dem die Briten und die anderen Europäer endlich einer Abwärtsspirale entkommen sind, die seit dem Brexit-Referendum nicht nur die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vergiftet hat, sondern auch die bilateralen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und vielen EU-Ländern. Es wird vielleicht nicht besser, aber zumindest wird es vorerst nicht noch schlechter."
Das Tauwetter gipfelte am 27. Februar im Externer Link: Windsor-Abkommen, das den Streit um das Nordirland-Protokoll beilegen soll. Die konservative Tageszeitung Daily Telegraph, bis dato Sprachrohr der Brexiteers, kommentiert: "Rishi Sunak konnte das neue Brexit-Abkommen vor allem deshalb durchsetzen, weil er nicht Boris Johnson war. … Die EU wusste, dass das Abkommen bei den Tory-Brexiteers auf wenig Gegenliebe stoßen würde, und wollte Sunak helfen, es durchzubringen."
Aktuelle Umfragen legen nahe, dass ablehnende Haltungen gegenüber der EU in der Bevölkerung weiter abnehmen: Nicht nur empfinden viele den Brexit inzwischen als Fehler; auch die Wählergunst schlägt nach Jahren konservativer Regierung in Richtung der Labour-Partei aus
Italien: Westorientierung und Souveränismus?
Den Wahlsieg Giorgia Melonis und ihrer postfaschistischen Fratelli d'Italia (FdI) bei der italienischen Parlamentswahl 2022 kann man kaum anders als fulminant nennen: Von unter fünf Prozent zum eindeutigen Wahlgewinner mit 26 Prozent Stimmanteil.
Öl ins Feuer der Befürchtungen gießt im Oktober Silvio Berlusconi, der sich seiner Freundschaft mit Wladimir Putin rühmt.
Sorgen unbegründet?
In den folgenden Wochen und Monaten überrascht Meloni jedoch: Ihren ersten Auslandsbesuch absolviert sie in Brüssel. Die linksliberale Tageszeitung La Repubblica kommentiert am 4. November: "Es ist eine symbolische Geste. Aber es ist eine wichtige Geste, weil sie auf eine politische Priorität hinweist. Sie reiste nicht nach Kyjiw, wohin sie ebenfalls eingeladen worden war. Sie ist nicht nach Warschau gereist, wo ihre europaskeptischen Parteifreunde regieren."
Auch die Befürchtungen über einen Putin-freundlichen Kurs Italiens kann Meloni ausräumen: Sie bekennt sich klar zur Unterstützung der Ukraine, sichert Anfang Dezember weitere Waffenlieferungen an Kyjiw für ein weiteres Jahr per Dekret ab
Allgemeines Misstrauen bleibt
Dennoch bleibt die Frage, in welche Richtung sich Giorgia Meloni und ihre Partei langfristig entwickeln werden: Werden sie den gemäßigten Kurs, zumindest auf europäischer Ebene, weiterführen und sich Europas Konservativen annähern, oder hält sich Meloni nur strategisch bedeckt