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Spanien, Portugal und der Maghreb: Alte Konflikte und erneuerte Energie-Partnerschaften euro|topics: Europa und der Krieg

Brigitte Kramer Tilo Wagner

/ 6 Minuten zu lesen

Spanien und Portugal sind von der Energiekrise im Zuge des Kriegs gegen die Ukraine wenig betroffen. Stattdessen konkurrieren beide Länder um wichtige Rollen im gesamteuropäischen Energiehaushalt.

Die Sines-Raffinerie des Öl- und Gasunternehmens Galp, welche sich östlich der Hafenstadt Sines befindet. (© picture-alliance, MAXPPP)

Spanien: Aufstieg zum wichtigsten Gaslieferanten Westeuropas?

Woher kommt das Gas in Spanien?

Spanien hat seit jeher eine geringe Abhängigkeit von russischem Gas, denn es bezieht Erdgas aus 14 verschiedenen Quellen. Nur sieben Prozent seiner gesamten Erdgaseinfuhren stammen aus Russland. Spanien hat selbst natürliche Gasreserven, die bei jetzigem Verbrauch etwa 40 Jahre reichen würden. Die Gewinnung von fossilen Brennstoffen und Fracking sind aber im spanischen Gesetz zum Klimawandel verboten. Deswegen wird Gas importiert, vor allem aus Algerien: hier gibt es zwei Leitungen, eine führt durch Marokko (GME), die andere direkt von Algerien durchs Mittelmeer (Medgaz).

Die Lage im Maghreb, besonders die Beziehung zwischen Marokko und Algerien, ist allerdings Externer Link: angespannt. Eine Folge dieses Konflikts war die Schließung der aus Algerien durch Marokko führenden Gaspipeline durch die algerische Regierung im Herbst 2021. Das bedeutete, dass die spanischen Importe von algerischem Gas zwischen Januar und Juli 2022 um 42 Prozent gesunken sind. Sie wurden vor allem durch verflüssigtes Gas aus den Vereinigten Staaten ersetzt.

Die größte überregionale spanische Tageszeitung El País schreibt dazu am 15. August:
"Dies ist keine kleine Krise für Spanien. Die spanische Regierung hat völlig Recht, wenn sie an den freundschaftlichen Beziehungen zu Algerien festhält. ... Im Moment ist es eine gute Nachricht, dass Algerien die Migrationsströme nicht als Waffe einsetzt, wie es andere Länder wie die Türkei und Marokko getan haben. Es wird nicht leicht sein, das Gleichgewicht in den Beziehungen zu zwei Nachbarländern wiederherzustellen, die für Spanien so strategisch wichtig sind. … In den Beziehungen Europas zum Maghreb hat Spanien weiterhin eine unausweichliche Verpflichtung und Verantwortung."

Spanien und Algerien haben sich schließlich geeinigt und eine Vereinbarung über weitere Lieferungen von Gas über zwei Hauptkanäle getroffen: 25 Prozent werden über die Medgaz-Pipeline und die übrigen 75 Prozent über Schiffe in Form von verflüssigtem Gas geliefert. Durch den Streit hat sich aber die Versorgungslage verändert, wovon vor allem die USA profitieren: Sie haben Algerien überholt und sind nun mit 32,9 Prozent Spaniens wichtigster Gaslieferant - sie liefern LNG aus Fracking. Auf Algerien entfallen nur noch 23,2 Prozent. Noch im vergangenen Jahr hatte der Maghreb-Staat Spanien mit rund 50 Prozent des benötigten Gases versorgt.

Export nach Frankreich

Spanien importiert Gas aber nicht nur für den Eigenbedarf, sondern exportiert es auch nach Frankreich weiter. Dafür wurde 2012 ein neuer unterirdischer Gasspeicher in Yela im Norden des Landes eingeweiht. Insgesamt verfügt Spanien über drei Gasspeicher, die in einer Notsituation mindestens 20 Tage lang liefern können. Sie sind Stand 28. November 2022 zu 97 Prozent gefüllt . Spanien hat eine Exportkapazität von 20 Milliarden Kubikmetern im Jahr , von denen sieben Milliarden über zwei terrestrische Verbindungsleitungen an der Atlantikküste und durch die Pyrenäen nach Frankreich geleitet werden. Beide Verbindungen befördern bisher weniger Gas, als sie könnten. Allerdings konnte die Menge seit dem 1. November 2022 immerhin um 18 Prozent erhöht werden, indem die Kapazität der Kompressorstation in Irun ausgebaut wurde .

Gas-Pipelines in Spanien

Die Gas-Pipelines in Spanien verlaufen im Allgemeinen von Süden nach Norden. So gelangt in den Speicher im Norden Gas aus Algerien und aus den Regasifizierungsanlagen im Süden Spaniens sowie der Ostküste des Landes. Im Sommer wird das Gas dort komprimiert und in ein unterirdisches Areal von etwa 14 Quadratkilometern injiziert. Wenn der Winter kommt, kehrt sich der Prozess um: Das Gas wird wieder verdampft und über Pipelines an Haushalte und Unternehmen in Spanien verteilt. Es wird aber auch über die zwei terrestrischen Verbindungen nach Frankreich oder verflüssigt in LNG-Tankern in andere Länder exportiert, vor allem von Barcelona aus.

Drehscheibe für Gas

Spanien hat also eine leistungsfähige Gasinfrastruktur und hofft seit dem Beginn des russischen Kriegs gegen die gesamte Ukraine zu einer Gas-Drehscheibe für Europa zu werden. Vor allem seine große Kapazität zur Wiederverdampfung von verflüssigtem Gas (Spanien: 6 Anlagen, Italien: 3, Frankreich: 2, Portugal: 1) ist dabei entscheidend. Das wiederverdampfte LNG aus den USA und aus Algerien könnte in der geplanten Pipeline zwischen Barcelona und Marseille (Barmar) nach Norden geliefert werden, in verflüssigter Form auch per Schiff in andere Mittelmeerländer. Ende 2022 soll eine siebte Anlage an der nordspanischen Biskaya-Küste dazukommen, wo dann vom Hafen in Gijón aus verflüssigtes Gas nach Europa verschifft werden kann.

Für La Vanguardia sind dies bedeutungsvolle Entwicklungen, wie die Zeitung am 12. März 2022 schreibt:
"Seit dem Ausbruch der russischen Aggression gegen die Ukraine zeigt sich, dass die Zeit für Spanien gekommen ist, nach der politischen Integration [in die EU] von 1986 und der wirtschaftlichen Integration von 2002. Wir können nach einer dritten Integration eine führende Rolle spielen. ... Die Iberische Halbinsel hat endlich die große geopolitische Rolle gefunden, die sie seit Jahrzehnten anstrebt. Wir bieten nicht nur Sonne und Strand für den Rest der Europäer, sondern sind auch in der Lage, eine großartige Plattform für die Erneuerung des europäischen Projekts zu bilden."

Portugal: Vorreiter bei grünem Wasserstoff?

Nicht nur Spanien hofft, eine neue Vorreiterrolle in der europäischen Energiepolitik zu erreichen: Auch Nachbarland Portugal hat große Pläne.

Der Tiefseehafen Sines, rund 100 Kilometer südlich von Lissabon, ist zum Ankerpunkt der portugiesischen Energie-Strategie geworden. Im April 2022 verkündete die sozialistische Regierung ein groß angelegtes Projekt: Sines soll bis 2030 eine Produktionskapazität von einem Gigawatt Grünem Wasserstoff erreichen – das entspräche 20 Prozent der maximalen Kapazität, die Deutschland bis dahin produzieren will. Der Umbau eines ehemaligen Kohlekraftwerks zu einer Wasserstoff-Produktionsstätte soll in Kürze beginnen. Premier António Costa warb Ende Mai in Público für seine Strategie: "Mit unseren natürlichen Bedingungen, mit den starken privaten Investitionen, die bereits geplant sind, und mit der Verstärkung der Gasverbindungen über Land, die das Potenzial unserer Häfen ergänzen, werden wir einer der führenden Exporteure von Grünem Wasserstoff in Europa sein."

Sines kann tatsächlich mit guten Bedingungen für die Produktion und für den Transport von Grünem Wasserstoff aufwarten. Der Preis für Strom aus Solarenergie, der bei der Elektrolyse von Wasser und der damit verbundenen Herauslösung des Wasserstoffs notwendig wird, ist in Portugal so niedrig wie in kaum einem anderen EU-Land. Dank seiner geographischen Lage liegt Sines an den maritimen Routen zwischen Mittelmeer und Atlantik und kann in Zukunft auch Schiffe mit Grünem Wasserstoff bzw. Ammoniak versorgen. Und in Sines beginnt die Pipeline, die Portugal mit Erdgas versorgt und außerdem modernisiert und ans spanische Netz angebunden werden soll, um in Zukunft Grünen Wasserstoff transportieren zu können.

Das Projekt wird in Portugal breit diskutiert. Umweltexperten haben frühzeitig darauf hingewiesen , dass die energieintensive Produktion von Grünem Wasserstoff Auswirkungen auf den Strompreis in Portugal haben kann: Ein Preisanstieg würde insbesondere die Konsumenten treffen.

Die Debatte um den Grünen Wasserstoff aus Sines hat insbesondere in der aktuellen Energiekrise an Fahrt aufgenommen. Allerdings ist die Einigung von Ende Oktober zwischen Frankreich, Spanien und Portugal auf die Meerespipeline Barmar zwischen Barcelona und Marseille – anstelle der Midcat-Pipeline über die Pyrenäen – aus portugiesischer Sicht ein zweischneidiges Schwert. Kritiker bemängeln vor allem, dass die neue Gasleitung über Barcelona auch eine Absage an den Standort Sines als Produzent für Grünen Wasserstoff sei. Außerdem würde der Export von Ökostrom aus Portugal ausgebremst, wenn nur eine von drei angedachten neuen Stromverbindungen zwischen Spanien und Frankreich gebaut würde. "Besser als gar nichts", urteilt die Wirtschaftszeitung Economia Online. "Zumal es einen Versuch gibt, den in Portugal geplanten Investitionen in Grünen Wasserstoff einen europäischen Markt zu geben. Und dennoch: António Costa scheint lächelnd einen großen politischen Misserfolg zu verkaufen."

In der auflagenstärksten Wochenzeitung Expresso wird Barmar auf einer Meinungsseite kontrovers diskutiert. Der Energieexperte Pedro Sampaio Nunes schreibt dort, Barmar bedeute "eine Situation zu lösen, die mit dem [gescheiterten Midcat-]Abkommen von 2014 blockiert wurde, eine Alternative zu Projekten zu finden, die durch Umwelteinwände verhindert wurden, und es bedeutet eine Stärkung der Sicherheitsbedingungen durch eine stärkere Verknüpfung der europäischen Marktnetze." Dagegen gibt die EU-Abgeordneter der liberal-konservativen Oppositionspartei PSD, Maria da Graça Carvalho, zu bedenken: "Wir haben keine Garantie dafür, dass Sines jetzt nicht untergebuttert wird."

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ist euro|topics-Korrespondentin in Spanien. Sie ist in München geboren und Absolventin der Deutschen Journalistenschule. Seit Mitte der 1990er Jahre lebt sie in Spanien, zunächst mit einem Stipendium des Süddeutschen Verlages, dann als freischaffende Autorin für Magazine und Tageszeitungen (mare, Neue Zürcher Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Der Standard). Mittlerweile ist sie vor allem für die Hörfunksender der ARD tätig, für die sie bevorzugt lange Formate mit Hintergrundinformationen zu Umwelt und Sozialem produziert. Einige ihrer Reisereportagen und Radiofeatures aus dem mediterranen Raum wurden ausgezeichnet.

ist euro|topics-Korrespondent in Portugal. Er studierte Geschichte, Volkswirtschaftslehre, Spanisch, Portugiesisch und Arabisch in Mainz, Madrid, Beirut und Berlin. Er arbeitet als Freier Korrespondent für den Deutschlandfunk und andere deutschsprachige Medien in Portugal.