Die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg war zugleich das Ende des Kaiserreiches: Wilhelm II. dankte ab, in den Wirren der darauffolgenden Revolution wird die Republik ausgerufen. Zunächst steht die Frage nach dem zukünftigen System – parlamentarische Demokratie oder Rätesystem – zur Diskussion. Im August 1919 tritt die Weimarer Verfassung in Kraft.
Einleitung
Der Anfang vom Ende des Deutschen Kaiserreichs lässt sich auf den 29. September 1918 datieren. Denn an diesem Tag trat in Berlin der "Kronrat" zusammen, dem neben Kaiser Wilhelm II. der Chef der Obersten Heeresleitung (OHL), Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, seine rechte Hand, General Erich Ludendorff, Reichskanzler Graf von Hertling und der Staatssekretär des Äußeren, Admiral Paul von Hintze, angehörten. Dieses Gremium beriet über die Konsequenzen aus der Tatsache, dass der Weltkrieg wegen der personellen und materiellen Übermacht der Gegner endgültig verloren war, und beschloss einschneidende Maßnahmen.
Revolution von oben
Eine schnelle "Revolution von oben" – so berichtet Hintze – sollte ein "Chaos" und eine "Revolution von unten" (wie in Russland) verhindern. Das bedeutete, dass erstmals eine vom Reichstag (dem nach dem allgemeinen Männerwahlrecht gewählten Parlament) getragene Reichsregierung ins Auge gefasst wurde. Ferner beschloss man die "sofortige" Übermittlung eines Waffenstillstandsangebotes an die alliierten Kriegsgegner durch die neue Regierung.
Welche Hintergedanken vor allem die OHL dabei hegte, äußerte Ludendorff am 1. Oktober 1918 gegenüber seinen Stabsoffizieren: "Ich habe aber Seine Majestät gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit gekommen sind. [...] Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben."
Gemeint waren – nach der Spaltung der Sozialdemokratie in die linke "Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (USPD) und die gemäßigte "Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands" (MSPD) 1916 – die MSPD, die linksliberale "Fortschrittliche Volkspartei" und die katholische "Zentrumspartei", die im Reichstag eine oppositionelle Mehrheit bildeten ("Mehrheitsparteien"). Sie hatten seit vielen Jahren eine Demokratisierung des obrigkeitsstaatlichen Kaiserreiches gefordert; den Krieg hatten sie mitgetragen, sich aber seit 1917 gemeinsam für einen ehrenvollen "Verständigungsfrieden" ohne Gebietsverluste und Entschädigungen ausgesprochen.
Anfänge der parlamentarischen Regierung
Der kaiserliche Parlamentarisierungserlass vom 30. September 1918 stieß bei den Mehrheitsparteien auf ein positives Echo, zumal sie den designierten neuen Reichskanzler Prinz Max von Baden – ein Cousin des Kaisers – wegen seiner sozialen und liberalen Gesinnung akzeptieren konnten. Am 1. Oktober bekam Prinz Max, tags darauf auch die Führer der Reichstagsfraktionen einen ungeschminkten militärischen Lagebericht. Sie waren entsetzt; die Regierungsbildung geriet vorübergehend ins Stocken. Aber am 3. Oktober 1918 erhielt das Kaiserreich die erste parlamentarische Regierung seiner Geschichte. MSPD und Fortschrittspartei stellten je zwei Staatssekretäre, das Zentrum drei.
Waffenstillstandsgesuch
Noch am selben Tag musste Prinz Max in einer diplomatischen Note den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson bitten, alle kriegführenden Staaten zu Friedensverhandlungen einzuladen. Als Grundlage sollten die "14 Punkte" dienen, ein Friedensprogramm, das Wilson seit Anfang des Jahres immer wieder verkündet und weiterentwickelt hatte; es beruhte auf den Grundsätzen "Herrschaft des Rechts und der Demokratie überall", "Selbstbestimmungsrecht der Völker" sowie "unparteiische Gerechtigkeit und Gleichberechtigung" im Leben der Völker. Der entscheidende, kapitulationsähnliche Satz der deutschen Note lautete: "Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deutsche Regierung, den sofortigen Abschluss eines Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft herbeizuführen." Damit hatte die OHL ihr Ziel, sich aus der Verantwortung für den verlorenen Krieg zu stehlen, erreicht.
Schlagartig löste sich der von der kaiserlichen Propaganda unermüdlich versprochene "Siegfrieden" in nichts auf. Mit der schmerzlichen Erkenntnis, dass alle Anstrengungen, Entbehrungen und Opfer vergeblich gewesen waren, entstand aus der physischen und psychischen Kriegsmüdigkeit großer Teile der Bevölkerung ein rasch um sich greifender Friedenswille. Anders als die zu zähen Verhandlungen bereite Regierung kannten die friedensbewegten Massen nur ein Ziel: die sofortige Beendigung des Krieges ohne weiteres Blutvergießen. Sie politisierten und radikalisierten sich, je länger der ersehnte Friedensschluss auf sich warten ließ.
Denn zunächst kam es zu einem wochenlangen Notenwechsel mit Präsident Wilson. Dieser stellte schließlich am 23. Oktober 1918 zwei Vorbedingungen: Entwaffnung (die Waffenruhe müsse "eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten seitens Deutschlands unmöglich machen") und Demokratisierung (der König von Preußen dürfe nicht mehr die Macht besitzen, "die Politik des Reiches unter seiner Kontrolle zu halten"). Jetzt mischte sich die OHL doch wieder in die Politik ein: Wilsons Forderungen seien unannehmbar, es gelte "Widerstand mit den äußersten Kräften" zu leisten – was sie kurz zuvor noch für unmöglich erklärt hatte. Prinz Max sorgte dafür, dass Wilhelm II. Ludendorff am 26. Oktober entließ und durch den politisch unauffälligen General Groener ersetzte; Hindenburg blieb im Amt.
Durch die Wilson-Note vom 23. Oktober entstand der Eindruck, dass Wilhelm II. einem schnellen Friedensschluss im Wege stand. "Der Kaiser muss weg!" lautete jetzt eine immer populärer werdende öffentliche Forderung. Auch namhafte Unternehmer wie Robert Bosch, die eine revolutionäre Erhebung fürchteten, sprachen sich nun dafür aus, den Monarchen, notfalls auch die Monarchie zu opfern.
Oktoberverfassung
In diesen kritischen Wochen versäumte es der Reichstag, sich zum Zentrum der politischen Diskussion über Frieden und Demokratie zu machen – nach der Regierungserklärung des Prinzen Max am 5. Oktober vertagte er sich und überließ dem Kanzler und seinen Staatssekretären alles Weitere. Erst am 22. Oktober trat er wieder zusammen, um eine Verfassungsreform zu beraten. Die wichtigsten Veränderungen lauteten:
Kriegserklärungen und Friedensverträge bedurften der Zustimmung des Reichstages.
Regierungsmitglieder durften dem Reichstag angehören.
Der Reichskanzler und die Staatssekretäre benötigten das Vertrauen des Reichstages. Sie waren dem Reichstag und dem Bundesrat (der Vertretung der Einzelstaaten, vor allem der Landesfürsten) für ihre Amtsführung verantwortlich.
Der Reichskanzler trug die Verantwortung für alle politischen Handlungen des Kaisers.
Mit dem In-Kraft-Treten der Reform am 28. Oktober 1918 verwandelte sich die Verfassung des Kaiserreichs, das die deutschen Fürsten "von Gottes Gnaden" ohne das Volk 1871 gegründet hatten, von einer obrigkeitsstaatlichen in eine parlamentarisch-demokratische Monarchie. Die Mehrheitsparteien waren mit dem Erreichten durchaus zufrieden. Sie wünschten jetzt eine ruhige demokratische Entwicklung, um das Problem des Friedensschlusses zu lösen.
Revolution von unten
Dazu kam es jedoch nicht mehr – zum einen, weil die immer weiter anschwellende "Friedensbewegung" bereits die Abdankung des Kaisers forderte; zum anderen, weil der Monarch und das Militär mit provozierenden Aktionen demonstrierten, dass sie nicht gewillt waren, die neue demokratische Ordnung zu respektieren und mit Regierung und Parlament loyal zusammenzuarbeiten. Am 29. Oktober 1918 reiste Wilhelm II. ohne Rücksprache mit dem Reichskanzler nach Spa ins Hauptquartier der OHL. Dieser Schritt wirkte freilich wie eine Flucht aus Berlin und fügte dem Ansehen der Hohenzollernmonarchie schweren Schaden zu.
Matrosenrevolte
Seit dem Beginn der Verfassungsberatungen im Reichstag am 22. Oktober bereitete die Seekriegsleitung ohne Wissen der Reichsregierung einen Angriff auf die britische Flotte im Ärmelkanal vor. "Wenn auch nicht zu erwarten ist, dass hierdurch der Lauf der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt, so ist es doch aus moralischen Gesichtspunkten Ehren- und Existenzfrage der Marine, im letzten Kampf ihr Äußerstes getan zu haben," heißt es in der Eintragung im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung vom 25. Oktober 1918.
Die Matrosen erkannten rasch, dass sie von der Admiralität unmittelbar vor dem Ende des Krieges noch auf eine sinnlose "Todesfahrt" geschickt werden sollten. Am 29./30. Oktober löschten sie auf mehreren vor Wilhelmshaven liegenden Schlachtschiffen das Feuer unter den Kesseln und zerstörten die Ankerlichtmaschinen. Die Seekriegsleitung musste ihren Angriffsplan fallen lassen. Als sie mehr als 1000 Meuterer verhaften und in Wilhelmshavener und Kieler Militärgefängnisse bringen ließ, wo ihnen das Kriegsgericht und die Todesstrafe drohten, eskalierte die Entwicklung.
Am Morgen des 4. November wählten die Mannschaften Soldatenräte, bewaffneten sich und entwaffneten ihre Offiziere. Der Kieler Militärgouverneur wurde gezwungen, die gefangenen Meuterer freizulassen. Matrosen und Marinesoldaten besetzten die wichtigsten militärischen und zivilen Dienststellen. Als die Aufständischen am Abend bereits die ganze Stadt kontrollierten, erhielten sie Unterstützung von den solidarisch in Streik getretenen Werft- und Industriearbeitern. Jetzt schalteten sich die Kieler MSPD und die USPD ein. In der Nacht organisierten sie gemeinsam einen "Provisorischen Zentralen Arbeiter- und Soldatenrat" als neues Machtzentrum. Aus Berlin traf der MSPD-Abgeordnete Gustav Noske ein. Er wurde begeistert begrüßt und übernahm die politische und militärische Leitung in Kiel.
Aber die Angst, von heranrückenden Truppen eingeschlossen zu werden, und die Sorge um die in Wilhelmshaven noch inhaftierten Kameraden trugen die Matrosenbewegung über Kiel hinaus. Innerhalb weniger Tage lösten reisende Matrosengruppen in den militärischen Einrichtungen der norddeutschen Hafenstädte und weiterer Städte des Binnenlandes eine revolutionäre Welle aus, die sich von selbst und unwiderstehlich in alle Himmelsrichtungen fortpflanzte. Im Prinzip spielte sich überall dasselbe ab wie in Kiel: "Die "Kaserne" revolutionierte die "Fabrik" (Ulrich Kluge), Soldatenräte und Arbeiterräte übernahmen die Macht, MSPD und USPD setzten sich an die Spitze der Rätebewegung, um sie in geordnete Bahnen zu lenken. Es gab kaum Blutvergießen – nur selten erhob sich noch eine Stimme oder regte sich eine Hand für die Rettung der alten Ordnung. Die Monarchie begann zu zerbrechen: Am späten Abend des 7. November rief der bayerische USPD-Führer Kurt Eisner in München die Republik aus; am 8. dankte der Wittelsbacher König Ludwig III. ab. Ähnlich erging es in den nächsten Tagen den übrigen Fürstenhäusern. Die Friedensbewegung hatte sich in eine "Volksbewegung gegen den Militär- und Obrigkeitsstaat" (Helmut Heiber) verwandelt.
Revolution in Berlin
Vor diesem Hintergrund forderte die MSPD am 7. November ultimativ einen stärkeren Einfluss im Kabinett, eine parlamentarische Regierung auch in Preußen und "den sofortigen Rücktritt des Kaisers und Kronprinzen". "Jetzt heißt's, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, sonst gibt's doch anarchische Zustände im Reich" – so beurteilte der MSPD-Fraktionsvorsitzende Philipp Scheidemann die Lage.
Denn inzwischen bereiteten sich Berliner Linksradikale auf die Revolution vor: Teile des linken Flügels der USPD, namentlich die "Spartakusgruppe" (in Berlin annähernd 100, reichsweit 2000 bis 3000 Anhänger der russischen Revolution, geführt von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht) sowie die "Revolutionären Obleute" (80 bis 100 bei den Berliner Arbeitern angesehene linksradikale Gewerkschaftsfunktionäre). Wie überall musste die Haltung der Soldaten den Ausschlag geben; aber anders als in den übrigen Städten ging es in der Hauptstadt in erster Linie um die Kontrolle über die Reichspolitik.
Am 9. November begann die Revolution mit einem Generalstreik der größeren Betriebe, ausgerufen von den Revolutio-nären Obleuten und der Spartakusgruppe, mitgetragen von der MSPD und den ihr nahestehenden Gewerkschaften, unterstützt von den zunehmend MSPD-orientierten Soldaten.
Arbeiter- und Soldatenräte wurden gebildet, das Polizeipräsidium und andere strategisch wichtige Gebäude besetzt. Die Straßen der Innenstadt füllten sich mit endlosen Demonstrationszügen. Da die MSPD jetzt fürchtete, ihren Einfluss auf die revolutionäre Bewegung zu verlieren, erklärte sie ihren Austritt aus der Reichsregierung.
Abdankung der Hohenzollern
Zur selben Zeit versuchte Prinz Max die Monarchie zu retten. Vergeblich beschwor er den Kaiser in Spa telefonisch und telegrafisch zur Übergabe des Throns an einen "Regenten" (das heißt einen verfassungsmäßigen Vertreter), der Friedrich Ebert zum Reichskanzler ernennen und eine "verfassunggebende deutsche Nationalversammlung" wählen lassen sollte. Gegen 11.30 Uhr sah der Kanzler keine andere Möglichkeit mehr, als eigenmächtig den Verzicht von Kaiser und Kronprinz auf den deutschen Kaiserthron und den preußischen Königsthron bekannt zu geben.
Gegen zwölf Uhr erschien die MSPD-Führung in der Reichskanzlei; der Parteivorsitzende Friedrich Ebert forderte Prinz Max zur Übergabe der Regierungsgeschäfte auf. Nach einer kurzen Kabinettsberatung "übertrug" der Kanzler sein Amt auf Ebert.
Der neue Regierungschef ließ die Oktoberregierung weitgehend unverändert, stellte aber dem preußischen Kriegsminister und dem für Berlin zuständigen Militärbefehlshaber sozialdemokratische Kontrolleure an die Seite. Ebert wandte sich sogleich mit mehreren Aufrufen an die Öffentlichkeit, in denen er versprach, eine "Volksregierung" zu bilden, Frieden zu schließen und die Freiheit zu sichern. Er beschwor die Bürger, die Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen, die Straßen zu verlassen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Eine verfassunggebende Nationalversammlung sei zu wählen – erstmals unter Beteiligung der Frauen. Die Soldaten sollten so rasch wie möglich zu ihrer Familie und zur Erwerbsarbeit zurückkehren. Das Eigentum müsse vor "willkürlichen Eingriffen" geschützt werden.
Ausrufung der Republik
Aber die Massen erwarteten eine klarere politische Orientierung. Gegen zwei Uhr nachmittags wurde Philipp Scheidemann von Parteifreunden genötigt, an ein Fenster des Reichstags zu treten und zu der versammelten Menge zu sprechen. Er ließ sich spontan dazu hinreißen, nicht nur das Ende der Hohenzollernherrschaft und des "Militarismus" zu verkünden, sondern auch die "deutsche Republik" auszurufen. Reichskanzler Ebert werde eine Regierung aller sozialistischen Parteien bilden. Die Menge reagierte begeistert, Ebert jedoch war entsetzt: "Du hast kein Recht, die Republik auszurufen! Was aus Deutschland wird, ob Republik oder was sonst, entscheidet eine Konstituante (verfassunggebende Nationalversammlung – Anm.d.Red.)!", schrie er seinen Parteifreund an.
Nur zwei Stunden später proklamierte der "Spartakus"-Führer Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Stadtschlosses aus die "freie sozialistische Republik Deutschland". Er erklärte die "Herrschaft des Kapitalismus" für gebrochen und propagierte eine "neue staatliche Ordnung des Proletariats" mit dem Ziel der "Vollendung der Weltrevolution".
Um die Linksradikalen durch ein rasches Regierungsbündnis zwischen MSPD und USPD auszumanövrieren, machte Ebert der USPD-Führung erhebliche Zugeständnisse: Grundsatzentscheidungen sollte eine Vollversammlung der deutschen Arbeiter- und Soldatenräte treffen, die verfassunggebende Nationalversammlung vorläufig zurückgestellt werden. Auf dieser Basis wurde am Vormittag des 10. November ein neues, von beiden sozialdemokratischen Parteien paritätisch besetztes "entscheidendes Kabinett" gebildet, dem die bisherigen Fachminister als "Gehilfen" unterstanden.
Am selben Morgen übertrug Kaiser Wilhelm II. in Spa Hindenburg das militärische Oberkommando und reiste nach Holland ins Exil. Ludendorff floh, verkleidet und mit falschen Papieren, nach Schweden.
Rat der Volksbeauftragten
Am Nachmittag nahm eine Versammlung von 3000 in den Berliner Betrieben und Kasernen gewählten, mehrheitlich MSPD-orientierten Vertretern der Arbeiter und Soldaten die Einigung zwischen USPD und MSPD begeistert auf. Störversuche der Spartakusgruppe blieben erfolglos. Die neue Regierung wurde "bestätigt" und "Rat der Volksbeauftragten" genannt. Die MSPD hielt die wichtigsten Ressorts – vor allem Inneres und Militär (Ebert) – in ihren Händen. Zwar erreichte die USPD-Linke die Wahl eines "Vollzugsrates des Arbeiter- und Soldatenrates Groß-Berlin", der die Volksbeauftragten kontrollieren sollte. Die 24 Mitglieder standen jedoch mehrheitlich der MSPD nahe. Otto Wels (MSPD) wurde Stadtkommandant, Emil Eichhorn (USPD) Polizeipräsident von Berlin.
Am Abend des 10. November hatte sich die breite Mehrheit der gemäßigten Sozialisten gegen die linksradikale Minderheit durchgesetzt.
Waffenstillstandsunterzeichnung
Währenddessen leistete der Kern des deutschen Heeres an der zurückweichenden Westfront noch immer zähen Widerstand. Am 5. November 1918 erklärten die Alliierten ihre Bereitschaft zu Waffenstillstandsverhandlungen. Drei Tage später nahm die noch von Prinz Max entsandte, von Staatssekretär Matthias Erzberger (Zentrum) geleitete deutsche Delegation im Hauptquartier des alliierten Oberkommandierenden, Marschall Foch, im Wald von Compiègne nordöstlich von Paris die harten Waffenstillstandsbedingungen entgegen:
Rückzug des Westheeres hinter den Rhein innerhalb von 15 Tagen,
Besetzung der linksrheinischen deutschen Gebiete sowie dreier Brückenköpfe bei Köln, Mainz und Koblenz durch alliierte Truppen innerhalb von 25 Tagen,
Aufrechterhaltung der Seeblockade bis zum Friedensvertrag,
Übergabe des schweren Kriegsgerätes, der U-Boote und der Hochseeflotte,
Ablieferung von 5.000 Lokomotiven, 150.000 Waggons und 5.000 LKW als erste Reparationsleistungen,
Freilassung der alliierten Kriegsgefangenen,
Aufhebung der Friedensverträge mit Rumänien und Russland,
Rückzug des Ostheeres auf Abruf hinter die deutsche Grenze von 1914; vorläufige Stationierung deutscher Truppen im Baltikum, um die Ausbreitung des russischen Kommunismus zu verhindern.
Erzbergers Hoffnung, als demokratischer Zivilist und Friedenspolitiker könne er bessere Bedingungen aushandeln als ein kaiserlicher General, wurde bitter enttäuscht. Marschall Foch gewährte lediglich eine geringfügige Verlängerung der Rückzugsfrist. OHL-Chef Hindenburg riet dringend zur Annahme des Waffenstillstandes.
Als dieser am 11. November 1918 um 11 Uhr die Kampfhandlungen beendete, hatte der Erste Weltkrieg insgesamt ca. zehn Millionen Tote und 20 Millionen Verwundete gefordert. Etwa 1,8 Millionen deutsche Soldaten waren gefallen, 4,2 Millionen waren verwundet und oftmals verstümmelt worden, mehr als 600.000 befanden sich in Kriegsgefangenschaft.
Rätesystem oder Parlamentarismus?
In ganz Deutschland hatte sich über private und staatliche Betriebe und über Regierungen, Verwaltungen und Militärbehörden aller Ebenen ein locker geknüpftes Netz aus revolutionären Gremien gelegt; es reichte vom Rat der Volksbeauftragten über die Revolutionsregierungen in den Bundesstaaten bis zu den regionalen und lokalen Arbeiter- und Soldatenräten. Dieses revolutionäre Netzwerk stützte sich auf die bewaffnete Macht der Soldaten, die Streikmacht der Arbeiter und die Demonstrationsmacht der Massen.
In diesem provisorischen Gebilde aus alten und neuen Strukturen dominierte die MSPD. Hinter ihr standen die meisten Arbeiterräte und fast alle Soldatenräte. Ihr Parteiapparat bildete in Verbindung mit den Gewerkschaftsorganisationen ein eigenes, ausgedehntes Kommunikations- und Kooperationsnetz. Durch die Zusammenarbeit mit der USPD – in ländlichen Städten auch mit bürgerlichen Katholiken und Liberalen – hatte die MSPD die Linksradikalen fast völlig aus den Räten heraushalten können. Außerdem hielt sie eine strategische Schlüsselstellung in Händen: "Durch das Aufeinandertreffen der beiden Bewegungen – quasi-legale Machtüberleitung "von oben", revolutionäre Machtbildung "von unten" – kam Friedrich Ebert, der Führer der Mehrheitssozialisten, in eine Doppelstellung und -funktion hinein [...]. Er war noch ernannter Reichskanzler und damit von der alten Ordnung beglaubigter Macht- und Entscheidungsträger, gewissermaßen eine Brücke der Legalität; zugleich stützte er sich als Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten auf die revolutionäre Legitimität und stand ihr gegenüber in Verantwortung." (Ernst-Wolfgang Böckenförde).
Der von Ebert geleitete Rat der Volksbeauftragten stand vor gewaltigen Aufgaben: Acht Millionen Soldaten mussten demobilisiert und wieder in den Wirtschaftsprozess eingegliedert werden; davon waren drei Millionen in kürzester Frist über den Rhein ins Reich zurückzuführen. In Anbetracht des bevorstehenden Winters musste die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Heizmaterial (Kohle) gewährleistet werden. Und nicht zuletzt war ein Mindestmaß an innerer und äußerer Sicherheit aufrechtzuerhalten und insbesondere die Einheit des Reiches in Süd- und Westdeutschland gegen separatistische Tendenzen, im östlichen Grenzgebiet gegen polnische Expansionsbestrebungen zu behaupten.
Vertagung der Sozialisierung
In Anbetracht der schwierigen Umstände wurden diese Probleme erstaunlich gut gemeistert. Dies war allerdings nur mit einem Heer qualifizierter Fachleute möglich, über das MSPD und USPD nicht selbst verfügten. Die Volksbeauftragten waren daher auf die wilhelminischen Unternehmer und Großagrarier, Offiziere, höheren Regierungs- und Verwaltungsbeamten, Richter, Staatsanwälte und Polizeiführer angewiesen. Ebendiese monarchistischen Eliten hätte man jedoch enteignen bzw. aus ihren Positionen entfernen müssen, um die Republikanisierung und Demokratisierung dauerhaft abzusichern. In diesem Dilemma gaben die regierenden Sozialdemokraten der Lösung der dringendsten Aufgaben den Vorrang, zumal die Frage der Überführung von Schlüsselindustrien (Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung, Energiewirtschaft) in Formen von Gemeineigentum ("Sozialisierung") zwischen ihnen umstritten war. Die MSPD-Volksbeauftragten sahen sich in erster Linie als "Konkursverwalter" (Ebert) des Kaiserreiches; verfassungsrechtliche Entscheidungen – Rätesystem oder parlamentarische Demokratie, Privatwirtschaft oder Sozialisierung – durften nach ihrer Überzeugung nicht durch spontan gebildete Arbeiter- und Soldatenräte, sondern nur durch eine vom Volk gewählte Nationalversammlung getroffen werden. Demgegenüber drängten die USPD-Volksbeauftragten auf eine schnelle Sozialisierung; eine Nationalversammlung sollte nach ihren Vorstellungen erst später gewählt und (auf noch zu klärende Weise) mit dem Rätesystem verbunden werden. Beide Linksparteien waren sich jedoch einig, über die Frage der Nationalversammlung möglichst bald einen Beschluss durch einen Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte herbeizuführen.
Machterhalt der wilhelminischen Eliten
So bewirkte die Entwicklung zwischen November 1918 und Januar 1919 ein Abbremsen der Revolution – die Umwälzung blieb letztlich auf den politischen Bereich beschränkt. Eine Demokratisierung des öffentlichen Dienstes, der Wirtschaft und wichtiger gesellschaftlicher Einrichtungen fand nicht statt. Seit Eberts Aufrufen vom 9. November arbeiteten die Regierungs-, Verwaltungs- und Justizbehörden ohne wirksame Kontrolle weiter; selbst betont antidemokratische Beamte wurden nicht entlassen. Gymnasien und Universitäten – Hochburgen des Monarchismus, Nationalismus und Antisemitismus – blieben unreformiert. Allerdings mussten die evangelischen Landeskirchen, deren Pfarrer sich (besonders in Preußen) überwiegend kritiklos mit Kaiser und Reich identifiziert hatten, auf das landesherrliche Kirchenregiment (das heißt auf die Stellung des Landesfürsten als Kirchenoberhaupt) verzichten, das dem Protestantismus eine privilegierte Stellung gegenüber dem Katholizismus gesichert hatte.
Generalität und Offizierskorps behielten ihre Stellung. Noch am Abend des 10. November 1918 unterstellte sich die OHL in einem Telefongespräch (bekannt als "Ebert-Groener-Bündnis") dem Rat der Volksbeauftragten, um ihrer Auflösung zu entgehen und ihre Autorität gegenüber den Soldaten zu festigen. Zwar wurden die kaiserlichen Militärs für die Demobilisierung noch gebraucht, aber die Volksbeauftragten versäumten es, der OHL gegenüber selbstbewusst aufzutreten und deren Befugnisse auf das Nötigste zu beschränken. Der Versuch, das kaiserliche Militär durch eine "Freiwillige Volkswehr" zu ersetzen, scheiterte, weil nur noch wenige republikanisch und demokratisch gesinnte Weltkriegssoldaten zum Wehrdienst bereit waren. So blieb die alte Armee bestehen. Im Zuge der Demobilisierung schmolz sie unter der Regie der OHL bis zum Sommer 1919 auf einen Kern von etwa 150000 Soldaten zusammen, die der Republik und der Demokratie fast ausnahmslos fern standen.
Auch die ostelbischen adligen und bürgerlichen Großgrundbesitzer, die im Kaiserreich den Großteil des höheren Offizierskorps stellten und das Rückgrat der Monarchie bildeten, kamen ungeschoren davon. Sie durch Enteignung zu entmachten, wurde von keiner gesellschaftlichen Gruppe gefordert.
Verzicht auf Sozialisierung – der Stinnes-Legien-Pakt
Schon früh wurden die Weichen so gestellt, dass die rheinisch-westfälischen Schwerindustriellen – auch sie Säulen des kaiserlichen Obrigkeitsstaates – von Enteignungen verschont blieben. Am 15. November 1918 schlossen der Vorsitzende der Unternehmerverbände Hugo Stinnes und der (der MSPD angehörende) Gewerkschaftsvorsitzende Carl Legien ein Abkommen, in dem sie folgendes vereinbarten:
die Anerkennung der Gewerkschaften als "berufene Vertretung der Arbeiterschaft" und das Prinzip der kollektiven Tarifverträge,
den Acht-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich,
Arbeiterausschüsse und paritätische Schlichtungsausschüsse in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten,
die Wiedereinstellung der demobilisierten Soldaten,
sowie einen paritätisch besetzten "Zentralausschuss" (Zentralarbeitsgemeinschaft/ZAG) zur Durchführung des Abkommens und zur "Entscheidung grundsätzlicher Fragen".
Erstmals wurden die Gewerkschaften von den Unternehmern als gleichberechtigte Vertragspartner anerkannt. Auch war die damals geschaffene Tarifautonomie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen ein bedeutender sozialpolitischer Erfolg, der noch heute einen Eckpfeiler des Sozialstaates der Bundesrepublik bildet. Das geschickte Angebot der Unternehmer – "Sozialpolitik gegen Verzicht auf Sozialisierung" (Eberhard Kolb) – stieß bei den Gewerkschaftsführern auf Zustimmung, weil diese die spontane Rätebewegung in den Betrieben als lästige Konkurrenz empfanden. Die Volksbeauftragten einigten sich zwar am 18. Dezember auf den Kompromiss, Industriezweige, die dafür "reif" waren, zu sozialisieren, sobald eine Expertenkommission aus Wirtschaftswissenschaftlern, Unternehmern und Arbeitervertretern die notwendigen Einzelheiten ausgearbeitet hätte. Aber dieser Beschluss lief auf eine Vertagung der Sache hinaus.
Ebenfalls am 15. November 1918 beriefen die Volksbeauftragten Hugo Preuß, einen angesehenen linksliberalen Staatsrechtslehrer und bekannten Kritiker des kaiserlichen Obrigkeitsstaates, zum Staatssekretär des Innern und erteilten ihm den Auftrag, eine neue Reichsverfassung zu entwerfen. Preuß Ernennung signalisierte, dass die MSPD ihre Zusammenarbeit mit dem liberalen Bürgertum und dem politischen Katholizismus fortsetzen wollte.
Grundsatzentscheidungen im Reichsrätekongress
Vom 16. bis zum 21. Dezember 1918 tagte im preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin der "Erste Allgemeine Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands". Reichsweit war auf je 200000 Einwohner bzw. je 100000 Soldaten ein Delegierter gewählt worden. Der Kongress führte eine Grundsatzdebatte über die Vor- und Nachteile des Rätesystems und der parlamentarischen Demokratie sowie über den richtigen Zeitpunkt der Wahl einer verfassunggebenden Nationalversammlung. Er fasste – jeweils mit großer Mehrheit – richtungweisende Beschlüsse:
Abgelehnt wurde der Antrag der USPD, am "Rätesystem als Grundlage der Verfassung einer sozialistischen Republik" festzuhalten und den Räten die "höchste gesetzgebende und Vollzugsgewalt" zuzugestehen.
Angenommen wurde der Antrag der MSPD, bis zur Regelung durch die Nationalversammlung die gesetzgebende und vollziehende Gewalt dem Rat der Volksbeauftragten zu übertragen und diesen nicht mehr durch den Berliner Vollzugsrat, sondern durch einen vom Kongress zu wählenden "Zentralrat der Deutschen Sozialistischen Republik" zu kontrollieren. In diesem Gremium war dann nur die MSPD vertreten – die USPD boykottierte die Wahl, weil der Zentralrat keine Gesetzgebungsbefugnis erhielt. Das Ende der Zusammenarbeit zwischen den beiden Linksparteien kündigte sich an.
Die Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung wurden auf den frühestmöglichen Termin (19. Januar 1919) festgesetzt.
Damit hatte sich erwartungsgemäß die politische Linie der MSPD durchgesetzt. Denn von den 514 Delegierten des Reichsrätekongresses stellte sie rund 300, die USPD etwa 100 (darunter 10 Spartakisten); die übrigen waren Linksliberale, Parteilose oder Vertreter unabhängiger revolutionärer Gruppen.
Umso mehr überraschten zwei weitere Beschlüsse: Die Volksbeauftragten wurden angewiesen, "mit der Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen". Auch sollten sie die militärische Kommandogewalt (unter der Kontrolle des Vollzugsrates) selbst übernehmen und für die "Zertrümmerung des Militarismus" und die "Abschaffung des Kadavergehorsams" sorgen. Offenbar existierte in der starken demokratisch-sozialistischen Massenbewegung ein parteiübergreifender Konsens über eine sofortige (!) strukturelle Demokratisierung von Heer, Verwaltung und Wirtschaft.
Doch die Mehrheitssozialdemokraten blieben ihrer Devise, dass man der Nationalversammlung nicht vorgreifen dürfe, treu und verschleppten die Reformbeschlüsse des Rätekongresses. Mit dieser Politik enttäuschten sie Teile ihrer Anhängerschaft und brachten die radikale Linke noch mehr gegen sich auf. Daher waren sie, um die Macht zu behaupten, immer stärker auf die alten Mächte angewiesen – vor allem auf das Militär. In der Folge kam es zum Blutvergießen und zum Bruch zwischen USPD und MSPD.
Weihnachtskämpfe
Seit Mitte Dezember schwelte ein Streit um die "Volksmarinedivision", die nach dem 9. November 1918 zum Schutz des Berliner Regierungsviertels aus etwa 1000 Kieler Matrosen aufgestellt und im Schloss einquartiert worden war. Mittlerweile stand sie der USPD und dem "Spartakusbund" nahe. Da sie sich nicht korrekt verhielt – im Schloss verschwanden Kunstschätze –, sollte die Volksmarinedivision nach dem Willen der Volksbeauftragten ein neues Quartier beziehen. Die Matrosen ließen es auf eine Machtprobe ankommen: Sie setzten am 23. Dezember die Volksbeauftragten in der Reichskanzlei fest und entführten den Stadtkommandanten Otto Wels in den Marstall, wo er misshandelt wurde.
Daraufhin rief Friedrich Ebert über eine nicht überwachte Telefonleitung OHL-Truppen zu Hilfe, die sich am nächsten Tag bei einem Feuergefecht mit der Volksmarinedivision als bürgerkriegsuntauglich erwiesen: Als ihnen auch die Sicherheitswehr des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD), bewaffnete Arbeiter und eine unbewaffnete Volksmenge gegenüberstanden, zogen sie sich zurück. Ebert erlitt eine Niederlage: Wels kam frei, musste aber als Stadtkommandant zurücktreten; Schloss und Marstall wurden geräumt, aber die Volksmarinedivision blieb vorerst bestehen. Aus Protest gegen den Militäreinsatz beendete die USPD am 29. Dezember 1918 ihre Zusammenarbeit mit der MSPD und schied aus den Revolutionsregierungen aus. Im Rat der Volksbeauftragten wurden die USPD-Mitglieder durch Mehrheitssozialdemokraten (Militär: Gustav Noske, Arbeit und Soziales: Rudolf Wissell) ersetzt. Die Weihnachtskämpfe und der Bruch zwischen den beiden Linksparteien signalisierten den Eintritt der Revolution in eine zweite, weitaus radikalere Phase.
Bereits seit Mitte November hatte die OHL parallel zur Demobilisierung des Heeres die Bildung von "Freikorps" durch ausgesuchte Offiziere gefördert. In diesen (meist von Großagrariern und Industriellen finanzierten) militärischen Freiwilligenverbänden sammelten sich antirevolutionär, monarchistisch und nationalistisch eingestellte Weltkriegssoldaten, die nur das Kriegshandwerk gelernt hatten, keinen Rückweg in eine zivile Existenz mehr fanden und gegen den "Bolschewismus" kämpfen wollten. Als Reaktion auf die Weihnachtskämpfe ließen jetzt auch die Volksbeauftragten, in Zusammenarbeit mit der OHL, überall Freikorps anwerben. Sie waren nicht nur für die Sicherung der östlichen Grenzgebiete und (entsprechend dem Waffenstillstandsabkommen) den Schutz des Baltikums vor der Roten Armee, sondern auch für den Einsatz im Innern vorgesehen. Bis März 1919 entstanden etwa 100 Freikorps unterschiedlicher Stärke mit einer Gesamtzahl von 250000 Mann. Die Freikorpssoldaten fühlten sich jedoch nicht der Republik und der Demokratie, sondern allein ihren Kommandeuren und dem Staat als solchem verpflichtet.
Gründung der KPD
Durch den Rätekongress und die Weihnachtskämpfe verschärften sich auch die Spannungen zwischen den verschiedenen Flügeln der USPD. Am 30. Dezember 1918 gründete der "Spartakusbund" zusammen mit Hamburger und Bremer Linksradikalen die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD), die von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geführt wurde. Rosa Luxemburg versuchte die KPD von Lenins Parteidiktatur in Russland abzugrenzen und auf eine Doppelstrategie einzuschwören: "Der Sozialismus wird nicht gemacht und kann nicht gemacht werden durch Dekrete [...]. Der Sozialismus muss durch die Massen, durch jeden Proletarier (das heißt besitzlosen Arbeiter – Anm. d. Red.) gemacht werden. [...] Wir wollen innerhalb der Nationalversammlung ein siegreiches Zeichen aufpflanzen, gestützt auf die Aktion von außen." Der Gründungsparteitag beschloss jedoch, die Wahl der Nationalversammlung zu boykottieren – diese sei nur ein "Organ der Bourgeoisie" (das heißt des kapitalbesitzenden Bürgertums).
Januaraufstand
Den Weihnachtskämpfen folgte unausweichlich die nächste Machtprobe: Ein Berliner Polizeipräsident, der Aufständischen half, statt die Regierung zu schützen, war nicht tragbar – am 4. Januar 1919 wurde Eichhorn entlassen. USPD, Revolutionäre Obleute und KPD riefen sofort zu einer Protestdemonstration auf, die am Folgetag großen Zulauf fand und unerwartet außer Kontrolle geriet. Bewaffnete Demonstranten besetzten das Berliner Zeitungsviertel. In völliger Fehleinschätzung der Lage ließen sich die Führer der drei linksradikalen Gruppen zu dem Beschluss hinreißen, den Aufstand bis zum "Sturz der Regierung Ebert-Scheidemann" fortzusetzen – sie wollten die Wahl der Nationalversammlung verhindern und die Revolution fortsetzen.
Die Volksbeauftragten hatten sich rechtzeitig an den Stadtrand zurückgezogen. Mit den Worten: "Meinetwegen! Einer muss der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!" übernahm Gustav Noske den Auftrag, in der Umgebung Berlins Freiwilligenverbände aufzustellen. Als Verhandlungen mit den Aufständischen scheiterten, ließ er am 11./12. Januar das Berliner Zeitungsviertel beschießen und stürmen. Es gab zahlreiche Tote und Verletzte. Obwohl die Ordnung bereits am 13. Januar wiederhergestellt war, beorderte Noske zusätzliche Freikorps der OHL nach Berlin. Zu diesen gehörte eine Gruppe von Offizieren um den Hauptmann Waldemar Pabst, die am 15. Januar 1919 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in ihre Gewalt brachte und brutal ermordete. Die Täter gingen vor dem Militärgericht straffrei aus bzw. entzogen sich ihrer geringen Freiheitsstrafe durch die Flucht.
Vom Verlust seiner beiden fähigsten Köpfe konnte sich der deutsche Kommunismus nie mehr erholen. Die KPD machte die MSPD für die Bluttat politisch verantwortlich; umgekehrt warf die MSPD der KPD vor, sie durch ihren sinnlosen Putschismus zum Militäreinsatz gezwungen zu haben. Aus Gegnerschaft wurde erbitterte Feindschaft. Nach der blutigen Niederwerfung des Januaraufstandes radikalisierte sich auch die USPD.
Parlamentarische Demokratie
Am 19. Januar 1919 wurde die verfassunggebende Nationalversammlung gewählt. Nach dem reinen Verhältniswahlrecht entfiel auf je 150.000 Stimmen ein Mandat. Durch Senkung des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre und Einführung des Frauenwahlrechts stieg die Zahl der Wahlberechtigten auf 36,7 Millionen (mehr als doppelt so viele wie bei den letzten Reichstagswahlen 1912). Im Hinblick auf die Verfassungsentwicklung war das Abschneiden der bürgerlichen Parteien, die sich im November/Dezember 1918 neu formiert hatten, von besonderem Interesse. Zwischen den Parteien des Kaiserreiches und der Republik gab es eine bemerkenswerte Kontinuität.
Bürgerliche Parteien
Im Lager des bürgerlichen Liberalismus setzte sich die überkommene Spaltung fort. Die "Deutsche Demokratische Partei" (DDP) ging aus der "Fortschrittlichen Volkspartei" und dem linken Flügel der "Nationalliberalen Partei" hervor. Sie wurde getragen von eher linksliberal eingestellten Bildungsbürgern, leitenden Angestellten und Beamten, vorwiegend der Chemie- und der Elektroindustrie zugehörigen Industriellen, Mittelständlern und liberalen Juden. Die DDP war für die parlamentarisch-demokratische Republik und sagte deren "bolschewistischen" und "reaktionären" Gegnern den Kampf an. Für Sozialisierungen zeigte sich nur ein Teil ihrer Mitglieder und Anhänger aufgeschlossen. Dagegen führte die "Deutsche Volkspartei" (DVP) die Tradition des rechten Flügels der Natio-nalliberalen fort. Sie vertrat vor allem die wirtschaftsliberal, monarchistisch und antirevolutionär gesinnten Teile des Bildungsbürgertums, der Industrie (besonders der Schwerindus-trie) und des Mittelstandes.
Die "Deutsche Zentrumspartei" blieb eine Konfessionspartei für die Katholiken aller Gesellschaftsschichten, von adligen Großgrundbesitzern bis zu christlichen Gewerkschaftsangehörigen. Die Zusammenarbeit mit der "atheistischen" MSPD und der liberalen DDP auf dem Boden der Republik wurde besonders von dem durch die Revolution gestärkten Arbeitnehmerflügel des Zentrums getragen; der monarchistische Flügel sah in der Kooperation nur das kleinere Übel im Vergleich zu einer revolutionären Räterepublik. Die Sozialisierungsfrage war innerparteilich umstritten. Der bayerische Landesverband machte sich im November 1918 als "Bayerische Volkspartei" (BVP) selbstständig. Sie war dem Königshaus Wittelsbach verbunden, trat betont föderalistisch und antisozialistisch auf, bildete aber auf Reichsebene eine Fraktionsgemeinschaft mit dem Zentrum.
In der "Deutschnationalen Volkspartei" (DNVP) sammelten sich Anhänger der "Deutschkonservativen Partei", der "Reichspartei" und der 1917 gegründeten, 1918 gescheiterten imperialistischen "Vaterlandspartei". In erster Linie waren es Offiziere, Beamte und Angestellte, Akademiker, Mittelständler und Bauern; ostelbische Großagrarier und rheinisch-westfälische Schwerindustrielle gaben den Ton an. Die nationalkonservative und antisemitische DNVP, deren rechter Flügel die Grenze zum völkischen Rechtsradikalismus überschritt, lehnte Republik und Demokratie grundsätzlich ab. Ihr Hauptziel war die Wiedererrichtung der Hohenzollernmonarchie über Preußen und das Deutsche Reich.
Die Wahlbeteiligung betrug 83 Prozent, bei den Frauen sogar 90 Prozent. Von den 416 Abgeordneten stellten die Frauen aber nur 37 (= 8,9 Prozent). Die Stimmen der weiblichen Wähler kamen nicht etwa USPD und MSPD zugute, denen sie das Wahlrecht verdankten; vielmehr tendierten die Frauen in überwiegend protestantischen Gegenden zu DDP und DNVP, in überwiegend katholischen zum Zentrum bzw. zur BVP.
Eindeutige Wahlsieger waren die Mehrheitssozialdemokraten. MSPD, DDP und Zentrum brachten es gemeinsam auf 76,1 Prozent der Wählerstimmen, was Republik und Demokratie ein solides Fundament zu verleihen schien. Die beiden sozialdemokratischen Parteien blieben zusammen deutlich unter, die bürgerlichen Parteien über 50 Prozent. Insgesamt bedeutete das Wahlergebnis einen großen Sieg für die Anhänger der parlamentarischen Demokratie, eine klare Niederlage für deren linksradikale und monarchistische Gegner und eine bittere Enttäuschung für alle Anhänger tiefgreifender Gesellschaftsreformen durch Sozialisierungen.
Nationalversammlung
Die Nationalversammlung trat am 6. Februar nicht im Berliner Reichstag, sondern im Weimarer Nationaltheater zusammen – einerseits, um nach dem Berliner Januaraufstand ungestört zu beraten, andererseits, um das republikanische Deutschland symbolisch mit den humanistischen, aufklärerischen und klassischen Traditionen der deutschen Kultur zu verbinden. Am 11. Februar wählten die Abgeordneten Friedrich Ebert zum ersten Reichspräsidenten; dieser beauftragte Philipp Scheidemann mit der Regierungsbildung. Am 13. Februar wurde die erste, vom ganzen deutschen Volk legitimierte, parlamentarisch-demokratische Regierung aus Ministern der "Weimarer Koalition" (MSPD, DDP, Zentrum) vereidigt. Danach begannen die Verfassungsberatungen und die allgemeine Gesetzgebung.
Frühjahrsunruhen
Nach den für die radikale Linke enttäuschenden Wahlen zur Nationalversammlung kam es zwischen Februar und Mai 1919 vielerorts zu lokalen Aufständen, "wilden" Streiks (das heißt ohne Beteiligung der Gewerkschaften) und Betriebsbesetzungen, letztere namentlich im mitteldeutschen Bergbau um Halle und Merseburg und im Ruhrgebiet. Dabei ging es um den Erhalt und Ausbau des Rätesystems, die Sozialisierung der Schlüsselindustrien und die Demokratisierung des Militärs sowie um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Die Massenbewegung dieser zweiten Phase der Revolution war im Umfang erheblich kleiner, aber in den Zielen bedeutend radikaler als die Volksbewegung vom November 1918. Die Mehrheit der Industriearbeiter stand jetzt im Lager der USPD.
Anfang März 1919 fand in Berlin ein von Anhängern aller Linksparteien organisierter Generalstreik für die Demokratisierung des Militärs statt. Die KPD betrieb jedoch die Umwandlung des Streiks in einen Aufstand, was zur Verhängung des Ausnahmezustandes über Berlin führte. Aufgrund der Falschmeldung, Kommunisten hätten 60 Polizisten ermordet, erließ Gustav Noske (inzwischen Reichswehrminister) als Inhaber der vollziehenden Gewalt am 9. März den Befehl: "Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen." Freikorps und Polizei machten daraufhin rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch. Die Berliner Märzkämpfe kosteten rund 1.000 Menschen das Leben.
In Bayern löste am 21. Februar 1919 die Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) durch einen monarchistischen Offizier große Empörung aus, die in linksradikale Versuche zur Gründung einer Räterepublik mündeten. Schließlich übernahm die KPD am 13. April mit Hilfe einer von ihr aufgestellten Miliz ("Rote Armee") in München die Macht. Daraufhin schickte Noske starke Freikorpsverbände, die die kommunistische Herrschaft in harten Kämpfen niederschlugen. Unter den insgesamt 606 Todesopfern befanden sich 335 Zivilisten.
Anfang Mai 1919 endete mit der Münchner Räterepublik, die die Kommunismusfurcht des Bürgertums nachhaltig schürte, auch die Revolution von 1918/19. Schon seit Januar übernahmen demokratisch gewählte Parlamente die Aufgaben der Arbeiter- und Soldatenräte. Die meisten Räte lösten sich im Frühjahr und Sommer 1919 auf, die letzten im Herbst und Winter 1919/20.
Weimarer Verfassung
Am 31. Juli 1919 nahm die Nationalversammlung mit überwältigender Mehrheit – gegen die Stimmen von USPD, DVP und DNVP – die Weimarer Verfassung an, die nach ihrer Unterzeichnung durch den Reichspräsidenten am 14. August in Kraft trat. Sie beruhte weitgehend auf dem Entwurf von Hugo Preuß. Bei den Nationalsymbolen kam es zu einem Kompromiss: Schwarz-rot-gold, die Farben der bürgerlich-demokratischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, wurden die Reichsfarben der Republik. Die Handelsflagge behielt die schwarz-weiß-roten Farben des Kaiserreiches – mit einer kleinen schwarz-rot-goldenen Gösch in der inneren oberen Ecke. 1922 erklärte der Reichspräsident das "Lied der Deutschen" von Hoffmann von Fallersleben zur Nationalhymne.
Zentrale Verfassungsprinzipien waren die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung und die Grundrechte, darunter erstmals die staatsbürgerliche und familienrechtliche Gleichstellung der Frauen (Artikel 109, 119 und 128). Weitere Strukturelemente bildeten die repräsentative Demokratie mit einer dem Parlament verantwortlichen Regierung, die plebiszitäre Demokratie mit Volksabstimmungen (nach dem Vorbild der Schweiz) und die Präsidialdemokratie mit einem starken, direkt gewählten Präsidenten (wie in den USA und in Frankreich). Der deutsche Föderalismus wurde etwas abgeschwächt: Man erweiterte die Kompetenzen des Reiches und trennte das Amt des preußischen Ministerpräsidenten vom Vorsitz des Reichsrates (der Ländervertretung) und vom Amt des Reichskanzlers. Die Bismarcksche Sozialgesetzgebung wurde zum Sozialstaat ausgebaut. Die Mischung aus repräsentativen, plebiszitären und autoritären Verfassungselementen ergab jedoch kein harmonisches Ganzes.
Repräsentative, plebiszitäre und autoritäre Elemente
Die Grundrechte waren kein unmittelbares, die Gewalten (Legislative, Exekutive, Jurisdiktion) bindendes Recht (wie im Grundgesetz von 1949); sie galten nur nach Maßgabe der Gesetze. Eine dem heutigen Bundesverfassungsgericht vergleichbare Institution als Hüterin der Verfassung fehlte. Zwar war die Gesetzgebung Sache des vom Volk für vier Jahre gewählten Reichstages; auch ließen sich Einsprüche der Ländervertretung (anders als im Kaiserreich) mit einem Zweidrittelvotum des Parlamentes überstimmen. Aber ein Volksbegehren von zehn Prozent der Wahlberechtigten konnte den Reichstag dazu zwingen, einen ihm zugeleiteten Gesetzentwurf unverändert zu beschließen oder einem Volksentscheid zu überlassen (Artikel 73). Fünf Prozent der Wahlberechtigten vermochten unter bestimmten Bedingungen sogar einen Volksentscheid über ein vom Parlament bereits verabschiedetes Gesetz zu erzwingen (Artikel 72). Diese Möglichkeiten direkter Demokratie stellten die Kompetenz des Parlaments, mithin die repräsentative Demokratie als solche, infrage.
Der vom Volk für sieben Jahre direkt gewählte Reichspräsident besaß eine solche Machtfülle, dass man ihn auch als "Ersatzkaiser" bezeichnet hat. Der Präsident konnte die Volksvertretung fast beliebig ("nur einmal aus dem gleichen Anlass") auflösen (Artikel 25). Jedes vom Reichstag verabschiedete Gesetz, mit dem er nicht einverstanden war, durfte er einem Volksentscheid überantworten (Artikel 73) – eine nie praktizierte Regelung, die gleichwohl den Parlamentarismus latent bedrohte.
Der Reichspräsident ernannte und entließ den Reichskanzler und, auf dessen Vorschlag, die Reichsminister (Artikel 53). Alle Kabinettsmitglieder bedurften des Vertrauens des Reichstages. Dieses wurde vorausgesetzt, solange das Parlament kein Misstrauensvotum abgab, mit dem es den Kanzler oder einen Minister stürzen konnte (Artikel 54). Eine Kanzlerwahl durch den Reichstag, die das Parlament gegenüber der Regierung und beide zusammen gegenüber dem Reichspräsidenten gestärkt hätte, war jedoch nicht vorgesehen.
Ferner vertrat der Reichspräsident das Reich völkerrechtlich (Artikel 45) und hatte den Oberbefehl über die Streitkräfte (Artikel 47). Nach Artikel 48 Abs. 1 traf er allein Maßnahmen (notfalls auch militärische) gegen ein Land, das die Verfassung oder Reichsgesetze verletzte (sog. Reichsexekution). Vor allem entschied er über den "Ausnahmezustand": Stellte er fest, dass "die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet" war, so durfte er gemäß Artikel 48 Abs. 2 quasi diktatorisch die "nötigen Maßnahmen" treffen, das heißt das Militär im Innern einsetzen und sogar die wichtigsten Grundrechte "vorübergehend" außer Kraft setzen, nämlich Freiheit der Person (Artikel 114), Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 115), Postgeheimnis (Artikel 117), freie Meinungsäußerung (Artikel 118), Versammlungsfreiheit (Artikel 123), Vereinsfreiheit (Artikel 124) und Eigentumsrecht (Artikel 153). Zwar konnte der Reichstag mit einfacher Mehrheit die Aufhebung dieser Maßnahmen verlangen (Artikel 48 Abs. 3). Aber das in Artikel 48 Abs. 5 vorgesehene Ausführungsgesetz, das die Gefahr willkürlicher Machtausübung hätte verringern können, kam nie zustande. Alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten bedurften der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler bzw. den zuständigen Reichsminister (Artikel 50); doch war auch dies kein zuverlässiges Kontrollinstrument, da der Präsident erheblichen Einfluss auf die Regierungsbildung besaß.
Gesellschaftspolitische Bestimmungen
Die Rätebewegung der Revolution fand in Artikel 165 einen gewissen Nachhall. Von Arbeitnehmern und Arbeitgebern paritätisch besetzte Bezirkswirtschaftsräte und ein Reichswirtschaftsrat sollten in erster Linie bei der Durchführung von Sozialisierungen mitwirken. Artikel 153 Abs. 2 erlaubte gesetzliche Enteignungen "zum Wohle der Allgemeinheit" gegen eine "angemessene" Entschädigung, "soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt". Da es für Sozialisierungen aber keine politischen Mehrheiten gab, haben diese Räte nie etwas bewirkt.
Im Vergleich zum Kaiserreich machte der Sozialstaat beträchtliche Fortschritte. Artikel 159 gewährleistete die Koalitionsfreiheit (das heißt die soziale und wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit) und verlieh damit Gewerkschaften wie Unternehmerverbänden ein verfassungsmäßiges Existenz- und Betätigungsrecht. Artikel 161 verankerte das von Bismarck begründete Sozialversicherungswesen in der Verfassung. Darüber hinaus enthielt Artikel 163 einen Verfassungsauftrag zur Einrichtung einer staatlichen Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Nicht zuletzt legte Artikel 146 erstmals die noch heute existierende vierjährige "für alle gemeinsame Grundschule" als Basis des darauf aufbauenden gegliederten Schulwesens fest – eine bildungspolitische Konstruktion, deren Vereinheitlichungstendenz konservativen Kritikern zu weit, linken dagegen nicht weit genug ging.
Trotz ihrer strukturellen Probleme bildete die Weimarer Verfassung ein tragfähiges Fundament für den Aufbau einer rechts- und sozialstaatlichen Demokratie. Welchen Belastungsproben sie ausgesetzt sein würde und ob sie ihnen standhalten konnte, musste sich freilich erst noch erweisen.
Dieser Text ist zuerst in den Informationen zur politischen Bildung / Heft 261 erschienen.
Reinhard Sturm, geboren 1950, studierte von 1971 bis 1978 Geschichte, Politikwissenschaft und Anglistik an der Georg-August-Universität Göttingen. 1973/74 war er ein Jahr als German Assistant an einer Schule in England tätig. Nach dem Vorbereitungsdienst 1978 bis 1980 in Salzgitter arbeitete er als Gymnasiallehrer bis 1990 in Göttingen, seither in Hildesheim. Seit 1990 bildet er als Studiendirektor und Fachleiter für Geschichte am Studienseminar Hildesheim für das Lehramt an Gymnasien angehende Geschichtslehrer/innen aus. Er hat wissenschaftliche und didaktische Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zur Weimarer Republik, zum Nationalsozialismus und zur deutschen Nachkriegsgeschichte sowie zur Geschichtsdidaktik veröffentlicht. Kontakt: E-Mail Link: reihastu@aol.com
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