"Von der Verleugnung zur Denkmalsflut" lautet ein Titel Ihres Vortrags. Was meinen Sie damit?
Hoffmann: In der Zeit als ich jung war, musste man dafür kämpfen, dass überhaupt die Zeit des Nationalsozialismus thematisiert wurde. Vor allem die älteren Mitbürger und Mitbürgerinnen hatten ja teilweise noch an dem System mitgewirkt, einige haben Hitler und seine Leute bewundert, nach dem Krieg hat man sich dann überall gedrückt und das Thema gemieden. Heute scheint mir das Gegenteil der Fall: wenn es notwendig erscheint, wird schnell ein Denkmal hingestellt und dann ist die Sache erledigt und dagegen habe ich gewisse Bedenken. Heute kann eine Denkmalsetzung also eine soziale Strategie sein.
Worin besteht diese Strategie?
Hoffmann: Wenn mit einem Denkmal versucht wird, ein Problem abzuhaken.
Wann ist ein künstlerisches Denkmal Ihrer Meinung nach gelungen?
Hoffmann: Wenn die Kunst problembewusst ist, verursacht sie etwas in den Menschen, die sie betrachten. Das heißt, im Idealfall ist Kunst nicht eindeutig, aber auch nicht beliebig. Wenn man schielt sieht man mehr. Für die Betrachterinnen und Betrachter sollte es die Möglichkeit geben, die Fantasie zu aktivieren und sich die Vergangenheit mit ihren eigenen Erfahrungen, zu vergegenwärtigen. Es wird nie so sein, wie es gewesen ist, aber es wird doch ein Bezug des Vergangenen auf die Gegenwart hin und auf das Handeln der Gegenwärtigen geben. Das kann die Kunst besser, als jede trockene Unterrichtsstunde.
Welche Rolle spielt der authentische Ort in der Erinnerungskultur?
Hoffmann: Der authentische Ort ist sehr wichtig, weil sich Menschen mit Fantasie an einem historischen Ort mit dem ganzen Körper der Situation aussetzen können. Man kann dort beispielsweise das Klima von Orten erfahren, wo Menschen gestanden und gefroren haben und auf diese Weise kann man etwas von der Vergangenheit nachempfinden. Natürlich hat sich der Ort im Laufe der Zeit verändert, wie sich auch die Gesellschaft verändert. Aber die Erfahrung, dass ich an dem gleichen Ort stehe, an dem etwas in der Vergangenheit geschah, ist sehr wichtig.
Welche Rolle spielen Kunst und Architektur in der Erinnerungskultur?
Hoffmann: Architektur, das weiß ich nicht so genau. Sie ist vornehmlich auf Funktionen festgelegt und das ist gut so. Neben den Servicefunktionen wie die Versorgung mit Elektrizität und Wasser, also ingenieurtechnische Funktionen, hat die Architektur den Publikumsverkehr und Formen des Lernens zu organisieren, eine sachlich Atmosphäre herzustellen. Dass Architektur auch Inhalte vermitteln kann, glaube ich nicht, Die Kunst auf jeden Fall, die künstlerische Arbeit provoziert Denken und Emotionen - es kommt natürlich auf die Art der Arbeit an. Nur selten sind künstlerische Arbeiten gleichermaßen qualitätvoll wie sozial relevant. Außerdem ist Kunst nicht immer leicht zugänglich, Kunst strengt oftmals Gefühle und das Denken an. Des Systems Auschwitz könnten wir uns nur mit einer Anstrengung erinnern.
Glauben Sie, dass es eine spezifisch deutsche oder europäische Erinnerungskultur gibt?
Hoffmann: Es gibt eine spezifisch deutsche Erinnerungskultur, weil es bisher völlig unüblich war, sich an seine eigenen Verbrechen zu erinnern Sonst erinnert man sich an seine Niederlagen oder an seine Siege, aber nicht an seine Verbrechen. Das Schwierige an der Debatte ist, dass sich ein Volk über seine Verbrechen und gleichzeitig über seine schönen Seiten, beispielsweise über Schriftsteller wie Heinrich Heine definieren soll. Das ist neu und das führt dazu, dass man auch an anderen Stellen über Verbrechen nachdenkt. In England gibt es Diskussionen über den Kolonialismus, die kolonisierten Völker bringen dieses Thema in die ihre Länder zurück. Das ändert nichts an dem, dass das epochale Verbrechen, das System Auschwitz, einmalig ist. Es tritt aber auch in anderen Ländern Diskussionen los. Das betrifft nicht nur Europa, andere Länder wie Japan denken auch über ihre Verbrechen nach. Dabei spreche ich immer so, als ob Länder und Völker eine Einheit seien, als ob man von ihnen wie von Individuen sprechen könne. Natürlich sind Denkmale eine soziale Leistung, aber sie aktualisieren in den Menschen sehr unterschiedliche Erfahrungen. Man kann sich das an einem Gespräch über einen gemeinsam gesehenen Film verdeutlichen, aus dem jeder und jede unterschiedliche Erlebnisse mitbringt – den einen hat diese Szene bewegt, die andere jenes Bild. Immer treten individuelle Lebensentwürfe und soziale Konstruktion – in unserem Fall ein Denkmal – zueinander. Die Rede von der kollektiven Identität ist falsch, es gibt immer unterschiedliche Identitäten, die nebeneinander bestehen. Das sollten wir fördern.
Wie wird ihrer Meinung nach die Erinnerungskultur der Zukunft aussehen?
Hoffmann: Ich argumentiere immer für eine Form des primär verstandesmäßigen Argumentierens, weil ich glaube, wenn man über diese Dinge redet, nachdenkt und liest, ergeben sich die Gefühle von alleine. Die ergeben sich in den Menschen, die brauchen nicht provoziert werden durch Architekten, Schriftsteller oder Künstler. Sie ergeben sich in den Menschen, wichtig ist, dass die Menschen wissen, was passiert ist.
Das Interview führte Hanna Huhtasaari bei der Veranstaltung "Der Erinnerungsort Lohseplatz in der HafenCity" am 18. Juni 2007.