Erinnern Sie sich an ihr erstes Erlebnis in Bezug auf die Erinnerung an die Shoah?
Fischer: Ich stamme aus der DDR, dort war die Shoah öffentlich kaum ein Thema. Im Gegensatz dazu war das Herangehen an die Shoah in meiner Familie ganz persönlich. Ich erinnere mich an die feuchten Augen meiner Mutter, ihr Schweigen, wenn es um ihre Familie ging und all diese Dinge ganz intimer Art. Die Auseinandersetzung mit dem, was öffentlich in der DDR präsentiert wurde und damit, wie unsere Familie mit dem Thema umging, fielen auseinander. Diese Umgangsarten konnten sich für mich nicht zusammenfinden. Das hat in meinem weiteren Leben zu einem jüdischen Bewusstsein geführt, weil ich mir sozusagen als unjüdischer Jude erst im reiferen Erwachsenenalter meiner jüdischen Herkunft bewusst wurde.
Wenn Sie zurückdenken, wie hat sich die Erinnerungskultur in Deutschland mit den Jahren verändert?
Fischer: Wenn ich das mit meiner Enkeltochter vergleiche, die schon in der Schulzeit im Rahmen der jüdischen Gemeinde nach Auschwitz und nach Polen gefahren ist, um die Gedenkstätten zu sehen und auch hier etliche Gedenkstätten kennt, ist das schon was anderes. Durch meine großväterliche Auseinandersetzung mit ihr wurde mir klar, dass die Auseinandersetzung in meiner Generation eine wesentlich langsamere war und von viel stärkerer Verdrängung und von Beschweigen geprägt war, als das bei meinen Kindern oder erst recht in der Enkelgeneration der Fall ist. Der Damm ist nicht mehr da. Mein Vater hat 1945 sämtliche Unterlagen, sämtlichen Briefwechsel meiner Mutter mit ihrer Familie, von denen niemand überlebt hat, verbrannt, weil man gar nicht mit der Erinnerung leben konnte.
Es gibt mehrere Arten von Erinnern heute: Es gibt Gedenkstätten, Bücher, Filme, viele Medien beschäftigen sich mit dem Thema. Wie schätzen sie deren Rolle ein? Wie sehen Sie die Zukunft der Erinnerung?
Fischer: Ich glaube, dass das Moment der persönlichen Betroffenheit, auf das sehr oft gesetzt wurde, sich nicht einstellen lässt, schon gar nicht, wenn man es so einsetzt, dass Menschen sich auf Grund dessen Schicksalsfragen stellen. Das trifft im Einzelnen mal zu, aber nicht auf das Gros der Besucher, die Gedenkstätten besuchen. Wissen ist meines Erachtens die stärkste Waffe, all den Versuchen demagogischer, nationalistischer oder diskriminierender Verhaltensweisen zu begegnen. Wissen ist hier in der Beziehung der entscheidende Punkt und weniger was sich an romanhafter Betroffenheit an den Menschen fest macht.
Wie würden Sie sich die Erinnerungskultur in Deutschland wünschen?
Fischer: Sie sollte nicht so in einfachen Dimensionen ausgerichtet sein. Die gedanklichen Konstruktionen wie beispielsweise Totalitarismus der Diktaturen, die ein Kontinium von 1933 bis über 1989 hinaus, sozusagen als ein Klischee aufbauen. Das ist geschichtspolitisch leichtsinnig, wenn man nicht die wesentlichen Qualitäten auch benennt, die sich mit diesen einzelnen Epochen und Perioden verbinden.
Eine Schwarzweißmalerei schafft keine Glaubwürdigkeit. Man muss bei all diesen Unrechtskomplexen unterscheiden, ob stalinistische Gewalt, Gesellschaftsverbrechen, Staatskriminalität der DDR oder die Rassenideologie der Nationalsozialisten. Das sind unvergleichliche Dimensionen und das spricht aus seiner eigenen Entwicklungsgeschichte für sich genug. So kann man Geschichte auch in ihren Ursache-Wirkung –Verhältnissen darstellen. Eine solche komplexe Geschichtssicht würde meiner Vorstellung von Erinnerungspolitik eher entsprechen als einen deutschen Topf aufzumachen, jetzt ist alles Totalitarismus und das ist alles Gewaltherrschaft. Dies ist Verklärung von Geschichte, genau das ist Gegenteil von dem was wir brauchen.
Das Interview führte Hanna Huhtasaari bei der Veranstaltung "Der Erinnerungsort Lohseplatz in der HafenCity" am 18. Juni 2007.