Die DDR hinterlässt im neuen deutschen Kino noch immer deutliche Spuren. In Tom Tykwers Thriller "The International" (2009), dem Eröffnungsfilm der jüngsten Berlinale, zieht beispielsweise ein ehemaliger Offizier der Staatssicherheit, gespielt von Armin Mueller-Stahl, die Fäden: Im Auftrag einer global agierenden, an den Kriegen der Welt bestens verdienenden Großbank schafft er Konkurrenten aus dem Weg und kümmert sich darum, dass Interpol weitgehend im Dunkeln tappt. Dass sich der einstige DDR-Kundschafter schließlich zum Besseren wandelt, als ihm ins Gewissen geredet wird, entspricht einer Dramaturgie, wie sie seit Florian Henckel von Donnersmarcks Welterfolg "Das Leben der Anderen" (2005) möglich geworden ist: Auch da war ein Stasi-Offizier vom Saulus zum Paulus mutiert.
Die DDR-Vergangenheit prägt ein Familiendrama wie "Novemberkind" (Regie: Christian Schwochow), mit einer jungen Frau als Hauptfigur, die erfahren muss, dass sie Jahrzehnte lang über das Schicksal ihrer Eltern belogen wurde. Tiefe Wunden aus DDR-Zeiten sind auch in "Maria am Wasser" (Regie: Thomas Wendrich) präsent, einem symbolbefrachteten Drama um Schuld und Sühne: Die sächsische Elblandschaft dient hier als Hintergrund für die Aufdeckung eines lange verschwiegenen Unglücksfalls und der daraus entstandenen Lebenslügen. – Die Farce zu den Tragödien liefert "Barfuß bis zum Hals" (Regie: Hansjörg Thurn), in dem die Freunde der in der DDR heftig gepflegten ostdeutschen Freikörperkultur einem Münchner Textilfabrikanten Paroli bieten. – Zeitgleich mit diesen Uraufführungen annonciert eine Hamburger Produktionsfirma den Drehstart für eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte namens "Liebe Mauer", in der sich eine junge Westfrau in einen DDR-Grenzsoldaten verliebt. Regie führt Peter Timm, der einst wegen systemkritischen Denkens aus der DDR ausgewiesen worden war, mit "Go Trabi Go" (1991) einen veritablen Lustspiel-Erfolg verbuchen konnte und mit "Der Zimmerspringbrunnen" (2001) eine amüsante, leider viel zu wenig gesehene Komödie über den mentalen Zustand vieler Ostdeutscher nach zehn Jahren Einheit vorlegte. – Nicht zuletzt bemüht sich Robert Thalheim ("Netto") derzeit um einen Stoff, in dem er von zwei DDR-Schwestern erzählt, die im ungarischen Sommerurlaub über eine Flucht in die Bundesrepublik nachdenken.
Das Erbe der DDR im Kino
Actionfilm, Lustspiel, Drama, psychologischer Krimi, Agenten-, Liebes- und Heimatfilm – das Erbe der DDR taugt nahezu für alle Kinogenres. Es scheint, als ob das neue deutsche Kino einer Anregung des Autors Thomas Brussig folgt, der dafür plädiert, das verschwundene Halbland für die Leinwand nicht so zu erzählen, "wie es wirklich war", sondern die Besonderheiten, Einmaligkeiten und Absurditäten der DDR als Anlass für pralle Genrefilme zu nutzen. Kino, so Brussig, sei weniger für eine differenzierte, historisch gerechte Sicht zuständig als für Tränen des Lachens und des Weinens. Das Erzählen für die große Leinwand würde erst schön durch Dramatisierungen, Zuspitzungen, Verkürzungen und Verfälschungen. "Die DDR ist ein Geschenk, das uns die Geschichte gemacht hat, und das die Filmemacher mit Stil annehmen sollten", wie Brussig in einer öffentlichen Diskussion im Januar 2008 in Berlin postulierte.
Der Autor selbst hatte mit "Sonnenallee" (1999, Regie: Leander Haußmann) gezeigt, wie er sich seine Theorie in der Praxis vorstellte: ein Film, den er als "Meilenstein der Fiktionalisierung" verstanden wissen will. "Sonnenallee" war vom ersten Entwurf an als Pubertätsmärchen aus dem Streichelzoo der DDR-Sozialisation angelegt, ein Film, "bei dem Westler neidisch werden, dass sie nicht in der DDR leben durften" (Brussig). Die Rechnung ging auf, weil das Team einen Sinn für den kultigen, aberwitzigen und albernen Umgang mit dem Thema bewies und damit auch gestalterisch Neuland betrat. Sprach "Sonnenallee" als nostalgischer Rückblick auf eine weit entfernte, im Licht der Erinnerung golden glänzende Jugendzeit ein gesamtdeutsches Publikum an, so war Wolfgang Beckers "Good bye, Lenin!" (2003) ein Film über das Abschiednehmen und die damit verbundenen Schmerzen. Hier wurden die Umbrüche in der Endzeit der DDR zum Anlass genommen, das weit größere Thema des Loslassens von einer überlebten Vergangenheit aufzufächern.
DDR im deutschen Genrefilm und in Hollywoodproduktionen
Brussigs These, die DDR fände "entweder im Genrekino statt oder gar nicht mehr", trifft auf neue deutsche Spielfilme fast hundertprozentig zu. Spannende Ansätze zur radikalen Fiktionalisierung von DDR-Geschichte hatte es aber auch bereits in einigen Nach-Wende-Arbeiten der DEFA gegeben. Jörg Foths Clownsspiel "Letztes aus der DaDaeR" (1990) geriet zum bilderbogenhaften Kabarettfilm, der heute als Zeitdokument aufregender ist als im Jahr seiner Uraufführung. Das trifft ebenso auf Herwig Kippings zornige Farce "Das Land hinter dem Regenbogen" (1991), Heiner Carows Melodram "Verfehlung" (1991) oder Ulrich Weiß surrealistische Parabel "Miraculi" (1992) zu, die sich nicht an einer historischen Authentizität festklammerten, sondern ihren Zorn und ihre Trauer in gleichnishaften Bildern verdichteten. Die metaphernreiche Bildsprache und der hohe künstlerische Anspruch, mit dem das geschah, ließen das Publikum eher verstört zurück. Neuere deutsche Genrefilme sind dagegen sehr viel weniger sperrig, geben dem Kino, was das Kino braucht und scheuen auch nicht vor einer gewissen Anpassung an die Unterhaltungsgewohnheiten eines breiten Zuschauerkreises zurück.
Von Hollywood, wo noch immer Filmstoffe über die DDR, zum Beispiel über den Protestsänger Dean Reed und über die von ihrem eigenen Mann bespitzelte Vera Wollenberger herumgeistern, wird man eine streng authentische Rekonstruktion der tatsächlichen Verhältnisse noch weniger erwarten können als von deutschen Spielfilmregisseuren. Der Wollenberger-Stoff, so ist zu vermuten, gerät in den USA zur tränenträchtigen Allegorie über Angst und Verrat. Stasi, Mauer und Schießbefehl, die oft als prägende Konstanten auch in deutschen DDR-Aufarbeitungsfilmen zur Geltung kommen, vor allem in starbestückten TV-Melodramen wie "Die Frau vom Checkpoint Charlie" (2007) oder der verniedlichenden Komödie "Heimweh nach drüben" (2007), dürften hier zur Hochform auflaufen. Wer US-amerikanische Produktionen über das Leben in der DDR kennt, von Alfred Hitchcocks "Der zerrissene Vorhang" (1965) bis Delbert Manns "Mit dem Wind nach Westen" (1981), weiß um die Unbekümmertheit, mit der satte Klischeebilder vom Land hinter dem Eisernen Vorhang ans Publikum gebracht wurden.
Andererseits behaupteten solche amerikanischen Filme aber auch nie, eine "absolute Authentizität" anzustreben und das Leben in der DDR "realistisch" auszuforschen. Genrekino verträgt sich eben nicht mit diesem vom Spielfilm sowieso nur schwer einzulösenden Anspruch. Die Reaktionen vor allem ostdeutscher Intellektueller auf "Das Leben der Anderen" oder Dominik Grafs "Der Rote Kakadu" (2005) bewiesen das nachdrücklich: Weil die Regisseure diese Authentizität und diesen Realismus für ihre Filme in Anspruch nahmen, die Filme tatsächlich aber atmosphärisch und sachlich ungenau waren, verlief ihre Aufnahme höchst zwiespältig. Dort allerdings, wo DDR-Realität und Abbild nicht verglichen werden konnten, weil die Realität einfach nicht genügend bekannt war, zum Beispiel in Hollywood, funktionierte "Das Leben der Anderen" prächtig.
DDR im Dokumentarfilm
Das Authentische mag sowieso eher dem Dokumentarfilm vorbehalten sein. Aber auch da gibt es gravierende Unterschiede. Im Fernsehen dominieren die immer gleichen Kommentare zu den immer gleichen Bildern aus der DDR, wobei ein Klischee das andere erschlägt. Um ihre Zuschauer dennoch bei der Stange zu halten, geben die Redaktionen die absonderlichsten Themen in Auftrag: "Pornografie made in GDR", "Lotte Ulbricht privat", "Weststars im Osten" oder "Wo der Osten Urlaub machte". Dagegen sind im Kino hin und wieder Arbeiten zu besichtigen, die aus diesem Wust des oberflächlichen, auf Spekulation und Sensation zielenden Erinnerns herausragen. Zum Beispiel ist schon jetzt absehbar, dass Thomas Heises auf der Berlinale 2009 uraufgeführtes, 166 Minuten langes Essay "Material" zu diesen Ausnahmefilmen zählen wird.
Heise verknüpft Bilder, die er "rechts und links der Filme" zwischen 1988 und 2008 gedreht hat, bislang unveröffentlichte Szenen, Marginalien zum eigenen uvre und zur Zeitgeschichte, die sich, gebündelt, zu einer philosophischen Reflexion über deutsche Brüche und Umbrüche verdichten. Dabei werden die Sequenzen nicht, wie im Fernsehen meist üblich, zu einer flott geschnittenen, leicht bekömmlichen, möglichst unterhaltsamen Melange verrührt; im Gegenteil: Heise lässt sich Zeit, entfaltet Situationen und Atmosphären, stülpt Vergessenes, Verdrängtes oder nie Gewusstes nach oben. Die störrische Besessenheit, mit der Regisseur Fritz Marquardt am Berliner Ensemble bei der Inszenierung von Heiner Müllers "Germania Tod in Berlin" (1988) um ein einziges Wort ringt. Die gespannte Nervosität von Rednern, Fotografen oder Zuhörern am 4. November 1989, als auf dem Alexanderplatz die erste große freie Demonstration des DDR-Volkes stattfindet. Die Politbürogrößen, die von einer Sondertagung des SED-Zentralkomitees zu ihren draußen frierenden Genossen eilen und damals noch als Reformer bejubelt werden. Wärter und Gefangene des Zuchthauses Brandenburg, die im Dezember 1989 so offen wie nie zuvor und vermutlich auch nie danach über ihre Arbeit und ihre Lebensbedingungen sprechen. Ein Abgeordneter der Volkskammer, der sich in den letzten Tagen der DDR vor versammeltem Plenum als Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit outet und ausführlich die Gründe für diese Mitarbeit darlegt.
In solchen Passagen wird Geschichte nicht auf das schnelle, bequeme Schwarz und Weiß, das "Hosianna!" und "Kreuziget ihn!" reduziert; vielmehr eröffnet sich ein Universum der Vernetzungen und Verstrickungen, und der Zuschauer bekommt eine Ahnung davon, wie weit das Feld zwischen Unschuld und Schuld, Anpassung und Widerstand, politischer Identifikation und systemkritischer Ablehnung sein kann. Nicht zuletzt erweist sich Thomas Heises "Material" als eine Beschwörung jenes Gefühls von Freiheit, das in der DDR zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1990 für ein paar Wochen von einem utopischen Traum zur greifbaren Realität geworden zu sein schien. Fast am Ende seines Films dokumentiert Heise dann aber auch den Schritt von der Freiheit ins Chaos: Er beobachtet die Uraufführung seines Films "Stau" (1992) in Halle, die Zerstörung des Kinos durch linke Autonome, den Angriff von rechten Randalierern, die Verstörung und Angst der "bürgerlichen Mitte", die dem Krawall hilflos gegenübersteht.
Dieses "Material" ist kein leicht zu fassender Stoff, zumal Heise sich jede verbale Kommentierung und Erklärung, jede zeitlichen Einordnung etwa durch Zwischentitel versagt. Die Zuschauer sollen sich durch Sehen ihre Erklärungen selber suchen: Gedankenarbeit im Brechtschen Sinne. Großes, dialektisches Kino.