Mashups und Remixe gehören zum Internet dazu, aber die Idee dahinter ist gar nicht so neu. Generationen um Generationen haben Märchen, Legenden oder Volkslieder weitererzählt und sie dabei zugleich verändert. Der Jura-Professor Lawrence Lessig sieht im Remix eine Rückkehr zu einer alten Form der Kreativität, bei der es selbstverständlich ist, dass Menschen vorhandene Werke aufnehmen und sie im Weitererzählen oder -bearbeiten zugleich verändern.
Neu aber sind die technischen Mittel. Bis ins 19. Jahrhundert wurde eine Geschichte mündlich verbreitet und dabei von den verschiedenen Erzählern immer wieder verändert. Erst im 19. Jahrhundert begannen Schriftsteller und Volkstumsforscher wie die Brüder Grimm, diese Geschichten aufzuschreiben und ihnen dadurch eine feste Form zu geben. Die Schrift und der Buchdruck unterstützten diese Verfestigung von Kultur, so dass künstlerische Werke seitdem erst dann wirklich einen Wert haben, wenn sie aufgeschrieben wurden.
Heute aber kann jeder mit handelsüblichen Geräten Musik, Film, Text oder sogar Computerspiele bearbeiten und die Ergebnisse im Netz veröffentlichen. Nutzer werden kreativ und setzen sich mit der sie umgebenden Medienwelt auseinander. Die feste Form von Musik, Filmen oder Texten verflüssigt sich, wenn jeder an ihnen mitschreiben und sich seine eigene Version machen kann.
Mashup, Remix, Sampling & Co.
Die Begriffe „Mashup“ oder „Remix“ kommen aus der Musik, werden aber inzwischen auch für andere Werkgattungen verwendet. Sie sind nicht ganz eindeutig definiert: In der Regel spricht man von einem Remix, wenn ein Musikstück neu abgemischt wird, Tonspuren entfernt und neue hinzugefügt werden. Es können Klangeffekte drübergelegt werden, die Geschwindigkeit verändert oder das Stück komplett zerstückelt und neu zusammengesetzt werden – der Kreativität des Remixers sind keine Grenzen gesetzt. Das Ergebnis hat manchmal nur eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Ursprungsstück.
Bei Mashups dagegen werden zwei oder mehr Stücke zusammengemischt, so dass sie zwar erkennbar bleiben, aber im gegenseitigen Bezug überraschende Effekte entstehen – die Entsprechung zur Collage in der bildenden Kunst. Beim Sampling bauen Musiker Ausschnitte verschiedener Länge aus Musikstücken in ihr eigenes Stück ein – zitieren dadurch das ursprüngliche Stück und würdigen den ursprünglichen Urheber.
Entsprechende Verfahren gibt es auch in anderen Kunstgattungen: Filmemacher zitieren Material aus anderen Filmen oder setzen ihren Film sogar ausschließlich aus fremden Filmausschnitten zusammen – sogenannte Found-Footage-Filme. In der bildenden Kunst sind Collagen schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt und auch Autoren bauen fremde Texte in ihre Werke ein. Alfred Döblin zum Beispiel übernahm in „Berlin Alexanderplatz“ Werbung und Nachrichten aus der Zeitung. William S. Burroughs experimentierte mit Cut-ups, indem er eigene und fremde Texte mit der Schere in einzelne Stücke schnitt und neu zusammensetzte. Er beeinflusste dadurch viele Schriftsteller nach ihm.
Mit der digitalen Technik sind diese künstlerischen Verfahren einfacher zu bewerkstelligen, denn digital kann man Werke verschiedener Epochen, Genres oder Formate einfach zusammenbringen. Das hat zwei Gründe: Erstens stehen durch die Digitalisierung und das Internet viel mehr Werke zur Verfügung, zweitens ist es sehr viel einfacher, digitales Material praktisch ohne Qualitätsverlust zu bearbeiten als in der analogen Welt.
Durch die Digitalisierung verschwimmen auch die Grenzen zwischen Profikünstlern und Amateuren. Jeder kann auf seinem Laptop Musikstücke samplen und sie zu etwas Neuem zusammenfügen oder aus Filmschnipseln ein neues Musikvideo zusammenschneiden. Dafür braucht man nicht einmal einen künstlerischen Anspruch: Es kann nur ein Geburtstagsvideo sein, in dem die Filmfiguren dem Geburtstagskind scheinbar gratulieren. Diese Nutzerkreativität wird von einigen Künstlern und ihren Verlagen sogar gefördert, denn dadurch entsteht eine starke Bindung der Fans an das Produkt – was sich wiederum in Verkäufen niederschlägt.
Machen ja, aber nicht veröffentlichen
Urheberrechtlich sind solche Fälle in weiten Teilen Europas und ähnlich gestalteten Rechtsordnungen problematisch. Nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz darf man Remixe und Mashups, die urheberrechtlich geschütztes Material enthalten, nicht veröffentlichen, wenn man keine Erlaubnis des Rechteinhabers hat. Auch wer nur ein Katzenvideo mit einem Top-10-Hit unterlegt und es bei Youtube hochlädt, begeht eine Urheberrechtsverletzung.
Das kann Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, der Nutzer kann sich sogar strafbar machen. Das Risiko, abgemahnt zu werden, ist zwar gering, weil das Video vermutlich einfach gesperrt wird. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Gesetzeslage so noch sinnvoll ist, wenn es alltägliche Handlungen im Internet gibt, die zwar niemandem schaden, aber weiterhin verboten bleiben. Darüber wurde in den letzten Jahren viel gestritten.
Ausnahme Zitatrecht
Es gibt in Deutschland nur eng begrenzte Ausnahmen, unter denen man fremde urheberrechtlich geschützte Werke ohne Genehmigung nutzen darf. Eine davon ist das Zitat. Das Zitat erlaubt es, andere Werke zu nutzen, wenn man sich damit inhaltlich auseinandersetzt. Zudem muss man die Quelle angeben und darf nur in dem Umfang zitieren, wie es für das eigene Werk nötig ist.
In vielen Werkgattungen sind Zitate rechtlich etwas ganz anderes als man umgangssprachlich darunter versteht: Musiksamples zum Beispiel – die man durchaus als musikalisches Zitat ansehen könnte – fehlt meist die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Vorlage. Sie werden eher als musikalische Dekoration oder wegen ihrer Wiedererkennbarkeit eingesetzt. Auch mit der Quellenangabe ist es so eine Sache bei Samples. Sie sind letztlich keine Zitate im Rechtssinne und nur erlaubt, wenn weder die Melodie erkennbar ist, noch einzelne Tonfolgen anders geschützt sind. Dadurch können bereits kürzeste Samples einer konkreten Aufnahme nicht ohne Weiteres verwendet werden, wie das Urteil des Bundesgerichtshof im „Metall auf Metall“-Streit zwischen der Band Kraftwerk und dem Produzenten Moses Pelham ergeben hat. Das macht es in der Praxis so gut wie unmöglich, Samples ohne vorherige Lizenz zu nutzen. Denn Wiedererkennbarkeit ist gerade das, was man beim Sampling haben will. Das Zitat funktioniert am besten für Text und hier vor allem für wissenschaftliche Werke. Aber schon die Literatur, wo Quellenangaben den Lesefluss stören und vielleicht aus künstlerischen Gründen gar nicht erwünscht sind, stößt damit auf Probleme.
Ein Beispiel dafür ist das Theaterstück „Germania 3 – Gespenster am toten Mann“ von Heiner Müller. Es wurde postum von den Erben Bertolt Brechts beanstandet, weil sie einige Übernahmen aus Brechts Stücken nicht von der Zitatfreiheit gedeckt sahen. Letztendlich wurde Heiner Müllers literarische Methode von den Gerichten bestätigt, jedoch erst nach langwierigen Verfahren, die bis zum Bundesverfassungsgericht gingen. Kaum ein Künstler kann und will sich auf dieses Risiko einlassen.
Freie Benutzung, Parodie und Satire
Bei der sogenannten freien Benutzung darf das ursprüngliche Werk im neuen Werk gar nicht mehr erkennbar sein, sondern darf allenfalls als Inspirationsquelle dienen. Die schöpferische Leistung des neuen Urhebers muss dabei deutlich überwiegen. Die Abgrenzung zur urheberrechtlichen „Bearbeitung”, die wiederum nur mit der Erlaubnis des ursprünglichen Urhebers veröffentlicht werden darf, ist schwer.
Anders sieht es wiederum bei Parodien und ähnlichen Formen wie Satire, Karikatur oder Persiflage aus. Hier muss das Originalwerk erkennbar bleiben, denn sonst funktioniert die Parodie nicht. Das wichtigste Kriterium für rechtlich erlaubte Parodien ist, dass der Urheber der Parodie einen „inneren Abstand“ zum Ursprungswerk hat, es also kritisiert oder sich sonst irgendwie damit auseinandersetzt.
Recht auf Remix
In den USA gibt es die „Fair Use“-Regelung, die unter bestimmten Umständen Remixe und Mashups erlaubt. Kreatives Schaffen von Fans steht damit rechtlich auf stabileren Füßen als hierzulande. Ein Beispiel dafür ist Fanfiction: Fans schreiben Bücher, Filme oder Fernsehserien weiter und benutzen dabei die Figuren, das Setting und das Handlungsgerüst der ursprünglichen Geschichte. Manche Fanfiction-Geschichten entfernen sich sehr weit von der Originalquelle, andere bleiben eng dran. Der Schriftsteller Jonathan Lethem betrachtet den Remix als grundlegende Arbeitsweise von Künstlern. Er stellt den Anspruch an Originalität, der an Kunst gestellt wird, in Frage. Jeder Text sei eingesponnen in Zitate und Bezüge, viele verschiedene kulturelle Sprachen fänden darin ein Echo. Für ihn gehören Übernahmen zur Natur der kreativen Arbeit: „Die Autoren und deren Erben sollten die darauf folgenden Parodien, Zitate, Verballhornungen oder Revisionen als eine Ehre ansehen – oder wenigstens als Preis eines singulären Erfolgs.“
In Deutschland setzt sich die Initiative „Recht auf Remix“ für ein Recht auf „transformative Nutzungen“ ein, wie Remixes und Mashups im Juristendeutsch heißen. Solche Nutzungen sollen erlaubt werden, indem eine zusätzliche Schranke im Urheberrecht eingeführt wird, fordert die Initiative. Das Recht auf Remix sei „eine grundlegende Voraussetzung für die Kunst- und Meinungsfreiheit einer Gesellschaft“.
Andere Künstler dagegen wenden sich gegen ein solches Recht auf Remix. Wenn jemand mit den Werken anderer arbeiten möchte, dann nur mit Erlaubnis, so die Gegenposition. Dabei geht es nicht ausschließlich um finanzielle Interessen: Werke oder Werkteile können zum Beispiel in falschem – oder jedenfalls unerwünschten – Zusammenhang auftauchen. Textteile von Autor A können zum Beispiel von Autor B in ein Werk eingebaut werden, mit dem Autor A weltanschaulich nicht übereinstimmt. „Das Urheberpersönlichkeitsrecht garantiert die Werkidentität und -integrität. Es darf nicht in Frage gestellt werden”, heißt es zum Beispiel in einem Positionspapier der Initiative Urheberrecht, einem Zusammenschluss von Urheberverbänden, der ein Recht auf Remix ausdrücklich ablehnt.