Vier Buchstaben stehen stellvertretend für das Aufbegehren von Internetnutzern: ACTA. Die Abkürzung steht für Anti-Counterfeiting Trade Agreement und bezeichnet ein internationales Handelsabkommen gegen Produktfälschungen und Urheberrechtsverletzungen – auch im Internet. Erste Vorgespräche zu ACTA führten die USA und Japan bereit 2006. Sechs Jahre später gingen in Europa Zehntausende dagegen auf die Straße. Nach Massenprotesten unter anderem in Polen, Slowenien, den Niederlanden und Deutschland lehnte das EU-Parlament ACTA im Juli 2012 ab.
In Erinnerung bleiben Fotos und Fernsehbilder jugendlicher Demonstranten mit weißen Plastik-Masken – sie zeigen das stilisierte Antlitz des englischen Revolutionärs und Attentäters Guy Fawkes, der 1605 das englische Parlament in die Luft sprengen wollte. Wie konnte ein Vertragswerk zur Durchsetzung des Urheberrechts so viel Widerstand provozieren?
Netzpolitik hinter verschlossenen Türen
Mit ACTA spitzte sich ein prinzipieller Konflikt des digitalen Wandelns zu. Es ging nicht nur darum, wie im konkreten Fall Rechtsverletzungen im Internet verfolgt werden. Grundsätzlich strittig war die Frage, wer überhaupt die Regeln für den digitalen Raum bestimmt, der längst alle Lebensbereiche erobert – vom Beruf bis zur privaten Kommunikation. Wer macht die Netzpolitik und wer wird davon ausgeschlossen?
Ein zentraler Kritikpunkt an ACTA: Hier wird das Internet durch die Hintertür reguliert. ACTA wurde als bilaterales Handelsabkommen zwischen rund 40 Staaten konzipiert (darunter alle EU-Länder). Wie bei Handelsabkommen üblich fanden die Verhandlungen zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dokumente blieben unter Verschluss. Auch die für die globale Internetregulierung zuständige UN-Organisation WIPO (World Intellectual Property Organization – auf deutsch: Weltorganisation für geistiges Eigentum) blieb außen vor.
Im Ergebnis begann ein Katz und Maus-Spiel mit der Zivilgesellschaft. Internetaktivisten veröffentlichten interne Arbeitspapiere und Entwürfe. Gerüchte über mutmaßliche ACTA-Inhalte und den Geheimlobbyismus der Unterhaltungsindustrie machten die Runde. Auch wenn umstrittene Ideen wie Internetsperren oder die privatisierte Rechtsdurchsetzung im Netz am Ende gar nicht oder nur stark abgeschwächt Eingang in den ACTA-Text fanden – das Vertrauen vieler Kritiker und Bürgerrechtler war dahin. Sie fühlten sich vom politischen Prozess ausgeschlossen und vor vollendete Tatsachen gestellt. So forderten manche Rechtswissenschaftler, die Tauglichkeit der bestehenden Urheberrechte für das digitale Zeitalter erst einmal zu überprüfen, bevor man durch internationale Verträge wie ACTA den Spielraum für Reformen einengt.
Welche Grundrechte haben Internetnutzer?
ACTA offenbarte die grundsätzliche Herausforderung für die Netzpolitik: Unterschiedliche Interessen und Rechte abzuwägen. So unterstützten zahlreiche Urheber- und Verwerterverbände das Abkommen, etwa aus der Musik- und Filmwirtschaft.
Die Rechteinhaber pochen darauf, den urheberrechtlichen Schutz von Werken auch im Internet durchzusetzen. Sie sehen sich zum Beispiel mit Streaming und Filesharing-Plattformen konfrontiert, auf denen illegal Filme zugänglich gemacht werden. Die grenzüberschreitende Verfolgung der Delikte ist technisch und rechtlich nicht einfach.
ACTA hätte im Interesse der Urheber und Rechteinhaber internationale Standards der Rechtsdurchsetzung setzen sollen. Der Entwurf des Abkommens forderte beispielsweise mehr Kooperation von den Internet-Anbietern, über deren Plattformen, Server und Leitungen unrechtmäßig veröffentlichte Filme und Musik ihren Weg durch das Internet finden.
Die Frage der Grundrechte dagegen rückte erst spät ins Blickfeld der Verhandlungen. Internetaktivisten warnten, Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung im Netz können schnell die Grundrechte der Internetnutzer verletzen. Sollen zum Beispiel private Internet-Anbieter die Aufgaben staatlicher Behörden übernehmen und Copyright-Verstöße ihrer Kunden erfassen und bestrafen? Oder entsteht so eine missbrauchsanfällige Infrastruktur zur Kontrolle und Zensur des Internets?
In frühen ACTA-Entwürfen wurden beispielsweise Internetsperren angeregt, wie sie manche Länder bereits praktizieren. Die Idee: Bei mehrmaligen Copyright-Verstößen bremst oder kappt der Internet-Anbieter dem Bürger die Internetverbindung. Der europäische Datenschutzbeauftragte warnte vor solchen Gedankenspielen. Sperrmodelle seien "schwere Eingriffe in die Privatsphäre". Sie zögen die "generalisierte Überwachung" der Internetnutzung nach sich, und wirkten sich auf Millionen auch gesetzestreue Internetnutzer aus.
Was kommt nach ACTA?
Zwar versicherten die verhandelnden Staaten, rechtsstaatliche Prinzipien und Grundrechte mit ACTA nicht verletzen zu wollen, doch am Ende überwogen bei den EU-Abgeordneten die Einwände und Zweifel. Die Diskussion über ACTA hat die politische Sensibilität für die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen erhöht, die im digitalen Raum herrschen. So kehrt die Frage nach der Online-Überwachung von Bürgern regelmäßig zurück – ob es um die Terrorismusbekämpfung im Internet geht wie beim EU-Projekt Clean-IT oder um die Datensammelwut großer Internetkonzerne wie beim sogenannten Webtracking.
Derweil ist die internationale Verfolgung von Urheberrechtsverstößen auf der Tagesordnung etwas nach unten gerutscht. Die EU überarbeitet – von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen – ihre Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (IPRED). Das Ziel sind europaweite Standards. Zur Diskussion steht erneut die Rolle der Internet-Anbieter. Der Grundkonflikt auch hier: Inwieweit müssen private Unternehmen, die den Datenverkehr im Internet ermöglichen, die Einhaltung der Verkehrsregeln sicherstellen? Inwieweit haften sie für Rechtsverletzungen der Nutzer?
Wie bereits in der ACTA-Debatte bleibt auch in der IPRED-Diskussion die Definition von „gewerblichen“ Urheberrechtsverstößen umstritten. Ist damit der Betreib einer werbefinanzierten Plattform gemeint, auf der Tausende von Filmen illegal zugänglich gemacht werden? Oder bereits eine einfache Copyright-Verletzung durch den Privatnutzer ohne Gewinnabsicht?
Wann "IPRED II" verabschiedet wird, ist noch genauso offen wie der Abschluss von CETA, einem geplanten Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada. CETA sieht ähnliche Regelungen wie ACTA vor, kritisieren Netzaktivisten. Unklar bleibt auch, ob die geplante Freihandelszone (TAFTA – Transatlantic Free Trade Area) zwischen der EU und den USA neue Standards zur Copyright-Durchsetzung setzt. Denn in den USA mischen sich die Internet-Provider stärker in den Kampf gegen Copyright-Verstöße ein.
Die großen privaten Anbieter von Internet-Zugängen haben ein Warnhinweissystem („Six Strikes“) auf den Weg gebracht. Bei wiederholten Vergehen muss der Kunde mit der Drosselung seiner Internetverbindung rechnen. Schon jetzt sind Netzaktivisten in Punkto TAFTA alarmiert. Die Durchsetzung von Urheberrechten habe in Handelsabkommen nichts zu suchen, wenn diese intransparent, das heißt ohne Beteiligung der betroffenen Parteien, verhandelt werden. ACTA hat Spuren hinterlassen.