Hauptgrund hierfür ist der Bedeutungswandel des Urheberrechts. Im analogen Zeitalter war dieses Rechtsgebiet für den einfachen Bürger kaum von Bedeutung. Bücher konnten gelesen, Schallplatten gehört und Filme gesehen werden, ohne dass dabei Urheberrechte beachtet werden mussten. Der Schatz des Wissens fand sich in Bibliotheken, Universitäten, in eigenen Büchern, im Fernsehen und Radio. Der Konsum, also das Lesen, Anschauen und Hören von urheberrechtlich geschützten Werken über die verfügbaren Quellen war frei und ohne gesetzliche Hindernisse möglich.
Das hat sich durch die Digitaltechnik und vor allem das Internet erheblich gewandelt. Die digitale Revolution hat ungeahnte Spielräume bei der Erschaffung und Nutzung von geschützten Werken (wie Filmen, Musik, Computerprogrammen) eröffnet. Jeder kann heute Inhalte mit einfachen Mitteln erstellen, ohne Qualitätsverluste kopieren und der ganzen Welt online zugänglich machen. Jeder kann in Blogs, sozialen Netzwerken, auf Webseiten oder Foren seine Gedanken, Bilder oder Gedichte veröffentlichen. Der Endnutzer ist zum Prosumenten geworden, also zu jemandem, der gleichzeitig Nutzer, Produzent und Verteiler von urheberrechtlich geschützten Inhalten ist. Viele machen heute von diesen Möglichkeiten Gebrauch. Pauschalierend könnte man sagen, dass jeder, der im Internet aktiv ist, ständig mit dem Urheberrecht in Kontakt kommt. Das bedeutet, dass Urheberrecht heute jeden angeht. Und das führt zu Problemen.
Ursprünglich war das Urheberrechtsgesetz eine Spezialmaterie. Es betraf vor allem Plattenfirmen, Verwertungsgesellschaften und Verlage, außerdem durch Manager und Anwälte vertretene Komponisten, Musiker oder Drehbuchautoren. Heute ist das Urheberrecht zu einem Ordnungs- und Verhaltensrecht für alle geworden. Wer das Internet oder anderen digitale Medien nutzt, nutzt auch urheberrechtlich geschützte Werke.
Tauschbörsen, Internet-Foren, Ebay-Auktionen, bei denen CDs, Filme oder Computersoftware versteigert werden, Weblogs, Plattformen und soziale Netzwerke: All dies gehört heute zum privaten Alltag vieler Menschen. Hinzu kommt die geschäftliche Umwelt semi-professioneller Kleinstunternehmen, die Online-Shops, Download-Dienste, Online-Datenbanken oder schlicht eine Website betreiben. All das hat mit Urheberrecht zu tun und das unterscheidet nicht zwischen Privatpersonen, Start-ups oder Großunternehmen. Und es ist rigoros: Jeder hat die Rechte anderer zu beachten, aber nur wenige wissen, was das genau heißt.
Das Können-Dürfen-Paradoxon
Ein Gesetz, das in hohem Maß Privatpersonen betrifft, muss im Zweifel leicht zu verstehen sein. Es muss angemessene Freiheiten eröffnen, deren Anforderungen sich stark verändert haben. Ein Recht, dass den Alltag der Bevölkerung stark betrifft, muss auf deren Belange mehr Rücksicht nehmen als eines, das nur spezifische Wirtschaftszweige betrifft. Dennoch ist das Urheberrecht heute nicht leichter zu handhaben als vor 40 Jahren. Im Gegenteil: Es ist komplizierter denn je. Das führt bei Nutzern sehr oft zu Verständnisproblemen und mangelnder Akzeptanz. Auf der einen Seite schaffen digitale Technologien viele komfortable Möglichkeiten, Werke zu erstellen, zu kopieren, zu bearbeiten und zu verbreiten. Auf der anderen Seite werden diese Möglichkeiten durch die Gesetze erheblich eingeschränkt. Mit anderen Worten: Was möglich ist, ist noch lange nicht erlaubt. Doch damit nicht genug.
Denn obwohl die digitale die "analoge" Nutzung zunehmend verdrängt und dabei wesentlich vielfältigere Möglichkeiten bietet, ist sie häufig strengeren Regeln unterworfen. So sieht das Gesetz beispielsweise vor, dass im Handel erworbene Musik-CDs ohne Einschränkung weiterverkauft werden dürfen. Erwirbt man die gleichen Songs in einem Download-Shop (etwa bei iTunes), ist es dagegen im Zweifel nicht erlaubt, die Dateien oder eine hiervon gebrannte CD weiterzuverkaufen. Zugleich werden diese weit stärker beschnittenen Rechte fest in die digitalen Daten und Abspielgeräte eingebaut (so genanntes "Digitales Rechtemanagement"), die somit plötzlich viel weniger Optionen bieten, als die Digitaltechnik eigentlich hergibt. So etwas ist nicht leicht zu akzeptieren.
Umso problematischer wird das Ganze, da Urheberrechtsverletzungen über das Internet leicht ausfindig gemacht werden können, wovon manche Unternehmen rigoros Gebrauch machen. Vielen Haushalten ist bereits eine Abmahnung ins Haus geflattert, in der hohe Geldzahlungen und komplizierte Erklärungen gefordert werden. Und es werden immer mehr.
Informations- statt Urheberrecht?
Das Urheberrecht ist für Privatpersonen vor allem deshalb so kompliziert, weil schwer zu verstehen ist, was erlaubt und was verboten wird. Heutzutage mag angesichts der Abmahnflut vielen klar sein, dass man Musik und Filme nicht über Tauschbörsen teilen darf. Die Verantwortung des Nutzers geht jedoch weit darüber hinaus und betrifft eine Vielzahl wesentlich komplexerer Fragen. Wie sind zum Beispiel Kopien auf Filehostern oder Cloud-Speicherdiensten zu beurteilen? Darf man Videos in seine eigene Webseite "embedden"? Sind Remixe erlaubt und wenn nicht, was muss man dafür tun, um sich rechtlich einwandfrei zu verhalten?
Die Liste der komplexen Fragen ist lang und wird immer länger. Die meisten können nicht einmal Experten mit Sicherheit beantworten.
Tatsache ist, dass das Urheberrecht für diese Situation nicht geschaffen wurde. Tatsache ist auch, dass der Gesetzgeber bis heute wenig unternommen hat, um diesem Dilemma abzuhelfen. Die Auswirkungen sind gravierend, sowohl für die Nutzer, die ständig durch rechtliche Schritte bedroht sind, als auch für die Urheber und Unternehmen. Denn die Komplexität des Urheberrechts und die Diskrepanz zwischen Können und Dürfen führen dazu, dass gegen das Urheberrecht so oft verstoßen wird, wie wohl gegen kein anderes Gesetz.
Das allein führt noch nicht zu wirtschaftlicher Bedrohung. Gefährlich ist für die kreativ Schaffenden und die Wirtschaft jedoch die erkennbare Tendenz, dass das Urheberrecht nicht mehr akzeptiert wird. Angesichts der Leichtigkeit, hiergegen zu verstoßen, gerät es nicht nur in eine Existenz-, sondern auch eine Legitimitätskrise. Und das kann und wird nachhaltige Folgen haben.
Was könnte die Politik dagegen tun? Vorschläge gibt es mittlerweile viele. Urheberrecht ist zu einem festen Bestandteil von Netzpolitik geworden. Um diese wiederum kümmern sich mittlerweile alle etablierten Parteien. Indes: An konkreten Lösungen und oder auch nur merklichem Fortschritt mangelt es vollständig. Offensichtlich ist es schwierig, sich von jahrhundertealten Traditionen zu verabschieden, um sich neuen, effizienteren Lösungen zuzuwenden.
Die mangelnde Dynamik im Urheberrecht ist auch auf dessen Einbettung in internationale Regelungen zurückzuführen. EU-Recht und internationale Verträge geben viele systematische Ansätze und mehr oder weniger konkrete Regelungen vor. Diese Regelungssysteme zu ändern, dauert noch viel länger und ist noch viel schwieriger, als das deutsche Recht zu reformieren.
Um Reformen auf nationaler oder internationaler Ebene zu realisieren, müsste ohnehin zunächst einmal ein politischer Wille vorhanden sein. Ein solcher ist nach wie vor nur sehr eingeschränkt zu erkennen. Eine Bereitschaft der Politik, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein "Urheberrecht für die Massen" die Belange der Allgemeinheit mehr berücksichtigen muss, als dies gegenwärtig der Fall ist, ist kaum zu erkennen.
Als das Internet aufkam, wurde es zunächst aus Sicht der Urheberrechtspolitik allein als Bedrohung angesehen. Diese Haltung verschärfte sich weiter, als das "Mitmach-Internet" – das Web 2.0 – aufkam und Nutzer im Netz aktiver wurden. Als Reaktion wurde das Urheberrecht verschärft, erweitert, verlängert, um die Geschäftsmodelle der tradierten Kreativindustrie zu schützen und die Einnahmen von Urhebern zu sichern.
Mittlerweile weiß man, dass diese Ziele nicht mit Verschärfungen des Urheberrechts zu erreichen sind. Obwohl das Urheberrecht immer stark war und seit Beginn des Online-Zeitalters noch verstärkt und verschärft wurde, ist die Musikwirtschaft in ein tiefes Loch gefallen. Sie hat sich erst wieder stabilisiert als man vom starren Festhalten an CD-Verkäufen ab- und dazu überging, die Wünsche der Musikfans zu akzeptieren und neue Angebote zu entwickeln. Ähnlich wird es der Filmindustrie und den Verlagen ergehen, das ist schon absehbar und im Gange. Mit Verschärfungen des Urheberrechts hat das alles nichts zu tun.
Ein Blick auf die Gesellschaft lohnt
Es ist höchste Zeit, sich den gesellschaftspolitischen Belangen des Urheberrechts zuzuwenden. Ein Gesetz, das massenhaft gegenüber normalen Bürgern erzwungen werden muss, ist offensichtlich in eine Schieflage geraten. Es verbietet offensichtlich zu viel, das nach sozialen Normen nicht verwerflich ist. Über die Verwerflichkeit von Urheberrechtsverstößen kann man viel diskutieren, über deren Zahl viel lamentieren. Aber was bringt das? Tatsache ist, dass sie passieren, jeden Tag, überall. Mit dieser Situation muss man sich auseinandersetzen.
Wie politische Gegenmaßnahmen aussehen sollten, wird kontrovers diskutiert. Die einen setzen darauf, das geltende Urheberrecht zu lassen wie es ist (möglichst noch zu erweitern) und durch Gesetzesänderungen dafür zu sorgen, dass es noch massiver und effektiver durchgesetzt werden kann. Eine Zeitlang war sogar die Rede davon, Urheberrechtsverletzern den Internet-Zugang wegzunehmen. In Frankreich zum Beispiel ist diese Idee Realität geworden. Der Gedanke hierhinter ist, dass das Recht vorgeben soll, wie sich die Bürger zu verhalten haben. Andere sagen, dass das Recht dazu dient, soziale Normen und gesellschaftliche Wertvorstellungen abzubilden und bei Änderungen nachzuvollziehen. Wenn massenhaft unbescholtene Bürger gegen Recht verstoßen, zeigt das, dass es diese Funktion nicht mehr erfüllt und geändert werden muss.
Ganz gleich, welcher Theorie man folgt: Am Ende zählt nur das Ergebnis. Wenn erwiesen ist, dass strenge Rechte die Bürger nicht dazu bringen, ihre Moralvorstellungen zu ändern und sich rechtstreu zu verhalten, hat der Ansatz versagt. Viele Anhaltspunkte sprechen dafür, dass das so ist. Vielleicht bringt man die Bevölkerung mit weniger strengen Gesetzen, mit mehr Verständnis für ihre Interessen, eher dazu, das Urheberrecht zu akzeptieren und einzuhalten? Vielleicht ist es effektiver, mehr auf pauschale Vergütungen als auf Verbote zu setzen? Und vielleicht braucht es neue Systeme, mit denen man einfach und unumgehbar seinen finanziellen Beitrag für das kreative Schaffen leisten kann?
Ausblick
Die Diskussion über ein Urheberrecht für Gegenwart und Zukunft ist noch immer sehr im Fluss. Man könnte sagen, dass sie eigentlich gerade erst begonnen hat. Institutionen wie die Europäische Union oder die World Intellectual Property Organisation (WIPO) fangen gerade erst an, solche Fragen zu stellen.
Immer häufiger und offener werden Fragen zur Zukunft des Urheberrechts zum Gegenstand von Initiativen, Programmen und Konsultationen. Auch die deutschen Parteien wenden sich – wenngleich zaghaft – einem offeneren und ergebnisorientierteren Diskurs über das Thema zu, als das bislang der Fall war. Dennoch wird uns die Debatte noch eine ganze Weile begleiten. Und wie sie ausgeht, ist derzeit noch völlig offen.