Die Brasilianische Regierung fördert Open Source Software – warum?
Ich denke, aus mehreren Gründen. Einer ist ein ökonomischer: Offene Software ist billiger als proprietäre. Der andere Grund, der meines Erachtens noch wichtiger ist, ist, dass offene Software die Verbreitung von Wissen bedeutet. Will sich ein Entwicklungsland wie Brasilien im 21. Jahrhundert entwickeln, muss es sich mit Informationen beschäftigen, und es muss sich mit technischen Informationen wie Software beschäftigen. Offene Software bietet die Möglichkeit, sich mit dem Code selbst auseinanderzusetzen, dem Quellcode. Und indem man das tut, ermöglicht man einer ganzen Generation von Menschen, den Code zu verwenden, um zu lernen, wie er tatsächlich funktioniert – und vielleicht neuen Code zu entwickeln. Ich denke also, es geschieht aus ökonomischen und auch aus Wissens-Gründen.
Können Sie konkrete Initiativen nennen?
Da gibt es mehrere Beispiele. Das Hauptunternehmen für Datenverarbeitung in der Regierung, SERPRO, betreibt zum Beispiel ein sehr großes Programm zur Migration nicht nur ihrer Server, sondern auch ihrer gesamten Desktop-Software auf Open Source-Software. Und nicht nur das. Mehrere Ministerien – zum Beispiel das Bildungsministerium, das Kulturministerium, das Planungsministerium – migrieren ihre Server und Desktops auf Open Source-Software – freie Software, um genau zu sein.
Auch einige Unternehmen sind dem Beispiel aus eigener Initiative gefolgt. Große Einzelhandelsunternehmen verwenden ebenfalls freie Software, und andere Arten von Firmen folgen ihrer Spur. Im Grunde hat man also nicht nur ein gutes Umfeld für freie Software innerhalb der Regierung, sondern auch Unternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen, die offene und/oder freie Software verkaufen und damit Geld verdienen.
Welche Open Source-Software wird derzeit in Brasilien entwickelt oder wurde schon veröffentlicht? Innerhalb der Regierung gibt es Initiativen wie "Terra Crime". Das ist eine Software, die zur Kriminalitätskontrolle entwickelt wurde, die also an Polizeistationen verbreitet wird. Sie arbeitet mit georeferentiellen Daten, so dass man herausfinden kann, welche Gegenden größere Schwierigkeiten mit der öffentlichen Sicherheit haben und ähnliches. Das ist ein Beispiel, aber überall tauchen andere Regierungsinitiativen auf, Dinge wie Büro-Anwendungen, E-Mail-Programme, die in Brasilien unter freien Software-Lizenzen entwickelt und verbreitet werden.
Kommen wir von Brasilien aufs Allgemeine: Welche Chancen bieten Open-Source-Modelle für Entwicklungsländer?
Denken Sie zum Beispiel an das Problem der digitalen Integration, der digitalen Kluft. Das ist ein großes Problem in den Entwicklungsländern, weil hier so wenige Menschen Zugang zum Internet haben. Brasilien hat eine Bevölkerung von etwa 180 Millionen Menschen, aber nur zwanzig Prozent davon, vielleicht sogar weniger, hat Zugang zum Netz. Dagegen muss man etwas tun. Man muss den Menschen Zugang zum Internet verschaffen.
Eines der Hauptmodelle dafür sind Telecenter. Das sind kleine Läden, kleine Kioske, die für gewöhnlich in den ärmsten Gegenden eingesetzt werden. Und diese Menschen können es sich nicht leisten, Lizenzen für proprietäre Software zu zahlen. Eine weitere Herausforderung ist die langfristige Nachhaltigkeit: Sobald die Finanzierung durch die Regierung ausläuft, was macht man dann?
Im Land Sao Paulo hat man Erfahrungen damit gesammelt, Telecenter mit freier Software einzusetzen. Und das ist sehr erfolgreich gewesen, denn es hilft der Nachhaltigkeit der Telecenter in der Zukunft: Sie müssen nicht jedesmal Lizenzen zahlen, wenn sie die Software upgraden müssen. Sie verwenden dort Linux als Betriebssystem und OpenOffice für die Hauptanwendungen. Es gibt also eine Verbindung zwischen Open Source und freier Software und Nachhaltigkeit. Und ich denke, das ist sehr wichtig für die Entwicklungsländer als ganze.
Anders gefragt: Was sind die Grenzen?
Das ist eine sehr gute Frage. Freie Software wird nicht alle Probleme lösen. Man muss andere Dinge ebenfalls frei machen, damit die Technik wirklich emanzipiert und ein Werkzeug der Autonomie wird. Es geht nicht nur um freie Software, es sollte auch freie Kultur, freies Spektrum und freie Hardware sein. Wenn man diese vier Dinge zusammenbringt, dann hat man alle Werkzeuge für Entwicklungsländer zusammen. Freie Software ist nur ein Teil des Puzzles.
Könnten Sie diese anderen drei Bestandteile kurz erklären?
Nun, der erste ist freie Kultur: Das ist zum Beispiel die Creative Commons-Bewegung, in der Menschen Wissen teilen, Wissen im Internet frei zugänglich ist – ohne Schwierigkeiten, die Erlaubnis zur Verwendung zu bekommen –, und in der man Wissen tatsächlich weriter verarbeiten kann. Das ist die Idee hinter Creative Commons, und die Hauptbeispiele sind die Wikipedia und all die anderen kollaborativen Webseiten – das so genannte Web 2.0. Das ist etwas, das derzeit sehr wichtig wird für Entwicklungsländer: die ganze Idee der kollaborativen Arbeit und des offenen Wissens.
Der zweite Teil ist freies Spektrum – man erlaubt der Technik, die Knappheit des elektromagnetischen Spektrums zu umgehen. Das heißt, man kann Wifi-Netze kostenlos benutzen, Teile des Spektrums sind frei lizenziert, so dass Menschen damit spielen können. Das ist deshalb so wichtig für Entwicklungsländer, weil all diese Dinge in der Zukunft mit entscheiden werden, wie wir das Internet nutzen und wie wir per Funk Informationen senden und auf sie zugreifen.
Die letzte Sache ist freie Hardware. Damit meine ich nicht, das Hardware einfach frei verteilt werden sollte. Was ich meine, ist, dass Hardware nicht behindert werden sollte, etwa durch Digital Rights Management-Systeme. Computer sollten nicht schon von Fabrik aus so gebaut werden, dass sie gegen den Willen des Konsumenten oder Nutzers rebellieren. Die Hardware muss offen sein in dem Sinne, dass man Befehle eingibt, und sie diesen genau folgt – und nicht den Befehlen der Content-Industrie oder den Interessen anderer, dritter Parteien.
Was wären andere Voraussetzungen, um die Möglichkeiten der Open Source-Software für Entwicklungsländer freizusetzen?
Nun, hat man die genannten Dinge einmal beisammen, braucht man auf jeden Fall Finanzen, und man braucht die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Regierung. Es reicht nicht, dass allein die Regierung die Verantwortung für die digitale Integration schultert. Man benötigt drei Akteure: Die Regierung selbst, den dritten Sektor, und die Wirtschaft. Bringt man diese drei zusammen, dann hat man den richtigen Mix, um die digitale Integration zu bewältigen, denke ich.
Open Source-Software ist oft nichtkommerziell. Besteht die Möglichkeit, dass sie das Bruttosozialprodukt von Entwicklungsländern steigert?
Absolut. Tatsächlich sind freie und Open Source-Software kommerzielle Dinge, im Gegensatz zur Meinung vieler. Es gibt diesen berühmten Satz: Wenn du über freie Software sprichst, denke nicht an Freibier, denke an Redefreiheit. Sie ist so "frei" wie "freie Rede". Man kann mit freier Software tatsächlich Profit machen. Die Konferenz, auf der wir hier gerade sind, wird zum Beispiel teilweise von einem Unternehmen für freie Software gesponsert.
Und das gleiche geschieht in Brasilien. Denn es gibt ein Geschäftsmodell für freie und Open Source-Software, und zwar folgendes: Man verbreitet den Code frei und berechnet dann die Dienstleistungen. Man berechnet Anpassungen, man berechnet den technischen Support und ähnliche Dinge. Und damit kann man tatsächlich Geld verdienen.
Interview und Übersetzung aus dem Englischen: Sebastian Deterding