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Zirkulieren plus Zahlen | Open Source | bpb.de

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Zirkulieren plus Zahlen

Volker Grassmuck

/ 14 Minuten zu lesen

Das Internet ermöglicht die freie Zirkulation von Angeboten, die in den alten Medien kaum Gehör gefunden hätten. Die Frage ist nur: Wie werden ihre Macher entlohnt? Volker Grassmuck stellt einige Modelle vor.

Volker Grassmuck Lizenz: cc by-nc-sa/3.0/de

In einem Satz: Was ist Open Source?

In einem Satz?

Dann in zwei Sätzen.

Open Source ist ein Begriff, den Eric Raymond als Gegenmodell zum Begriff "freie Software" in die Welt gesetzt hat, weil er der Ansicht war, dass das Wort "frei" ein "four-letter-word", also ein "böses" Wort ist, das Leute aus der Wirtschaft abschreckt.

Kurz gesagt: Bei der freien Software steht die Freiheit im Vordergrund, bei Open Source steht das Entwicklungsmodell im Vordergrund. Es bezieht ganz viele Leute mit ein, während ein geschlossenes Modell auf kleinen Gruppen beruht. Kleine Gruppen entwickeln die Software, kleine Gruppen testen sie, und in dem Augenblick, in dem die Software an die Kunden geht, befindet sie sich im Beta-Stadium, und diejenigen, die sie gekauft haben, bezahlen für einen kostenlosen Betatest, den sie an der Software durchführen.

Bei der freien Software ist es letztlich nicht anders. Es ist eine grundlegende Eigenschaft von Software, dass sie so komplex ist, dass sie in unterschiedlichsten Ablaufumgebungen, Software- und Hardware-Konstellationen Phänomene hervorbringt, die vorher nicht vollständig abzusehen und zu testen sind. Das wird mit dem Satz beschrieben: "Wenn nur genug Augen auf ein Problem schauen, ist es ein einfaches, flaches Problem." Und um genau diese vielen Augen zu mobilisieren, dafür ist das Modell der freien Software ideal geeignet. Einfach, weil Leute engagiert dabei sind.

Bei einem gekauften Produkt, das nicht funktioniert, rufe ich den Service an oder schicke eine E-Mail, kriege keine Antwort oder eine Standardantwort, möglicherweise kostet der Support noch extra – da überlege ich mir, ob ich nicht einfach mit dem defekten Produkt weiterarbeite.

In der freien Software ist es anders: Sie ist Community-gestützt. Wenn ich etwas zurückgebe, schauen sich Leute das tatsächlich an und nehmen es nicht als eine Zumutung von Kunden, sondern als eine Bereicherung, dass sie auf diese Weise auf Probleme hingewiesen werden, weil sie nur so diese Probleme auch beheben können. Dieser Feedback-Loop funktioniert, weil alles frei und Community-gestützt ist.

Wenn man sich die Produzenten von Open Source-Software anschaut: Was treibt sie an, etwas kostenlos wegzugeben? Was ziehen sie daraus?

Zunächst einmal die Leidenschaft am Programmieren. Es gibt verschiedene Motive und verschiedene Leute, die sich an freien Software-Projekten beteiligen – unter anderem solche, die von Firmen dafür bezahlt werden, da ist es natürlich etwas anders. Was man aber häufig sieht, ist, dass Leute einen Tagesjob haben und programmieren, was ihnen ihr Vorgesetzter sagt. Dann kommen sie abends nach Hause, und während sich andere vor den Fernseher setzen, setzen sie sich vor den Computer und programmieren weiter – diesmal aber das, was sie selber interessant, wichtig finden, was ihnen Befriedigung bereitet.

Das ist in anderen Wissensformen ganz ähnlich: Menschen machen Musik, weil sie Spaß daran haben. Sicher gibt es Leute mit naiven Vorstellungen, dass sie einmal so reich und berühmt werden wie die Rolling Stones; davon gibt es aber nicht so wahnsinnig viele. In der Regel ist es die Befriedigung aus der Tätigkeit selber.

Ganz häufig ist die Motivation fürchterlich pragmatisch: Ein Problem muss gelöst werden. Open-Source-Programmierer sind Spezialisten, die Instrumente und Kenntnisse an der Hand haben, um dieses Problem zu lösen. Da sie davon ausgehen, dass sie nicht die einzigen sind, die dieses Problem haben, geben sie die Lösung, die sie entwickelt haben – die vielleicht nur eine Skizze ist, um etwas jetzt mal schnell zum Laufen zu bringen –, raus an die Community. Jemand anderes hat nun tatsächlich das gleiche Problem, nimmt sich die skizzenhafte Lösung, und gibt sie verbessert wieder zurück. Der Dritte kommt, verbessert wieder ein bisschen, und so entsteht etwas, das für viele Leute nützlich ist. Und der erste, der seine Lösung aus einer Ad-hoc-Situation geschrieben hat, kommt wieder in diese Situation, und bekommt dann etwas, das schon viel ausgereifter ist, weil andere Leute daran weitergearbeitet haben.

Eine weitere, wichtige Befriedigung und Motivation ist in jedem Fall, dass die Leute Feedback, Anerkennung bekommen für etwas, das gut ist; dass sie etwas lernen können. Denn es sind ja nicht nur die Cracks, die an freier Software mitarbeiten. Viele begreifen das als eine Lernerfahrung. Freie Software ist so vollständig dokumentiert wie kein anderes Wissensgebiet. Alles, was man über freie Software wissen muss, wissen kann, ist frei im Internet zugänglich.

Und es gibt eine Community, die Leute bei Fragen unterstützt. Das ist durchaus nicht unproblematisch, weil der Umgangston in diesen Communities sehr rüde sein kann. "RTFM" ist eine Antwort, die man dann häufiger auf Fragen bekommt, also "Read The Fucking Manual", "Lies das verfluchte Handbuch: Da steht es, belästige uns nicht mit Anfängerfragen, die irgendwo bereits beantwortet sind." Aber wenn es tatsächlich neue Fragen sind, dann sieht die Community das auch als Herausforderung und sagt: "Ja, Mensch, in der Situation sind wir noch nicht gewesen, dafür müssen wir jetzt gemeinsam Antworten finden." Und alle Beteiligten haben am Schluss etwas gelernt.

Warum sollte ich als Konsument auf ein Open-Source-Produkt umsteigen, wenn ich proprietäre Produkte habe, mit denen ich gut arbeite?

Die einfache Antwort ist: Es kostet kein Geld. Proprietäre Software hat man, aber die bleibt natürlich nur nutzbar, wenn man die entsprechenden Updates kauft, wenn man bei neuen Versionen mit dabei bleibt. Wenn die Hardware sich weiterentwickelt und die Software auf der neuen Hardware nicht mehr läuft, muss man wieder zum Hersteller gehen und die nächste Version kaufen. Die pekuniäre Seite spielt also definitiv eine Rolle.

Aber auch der Support ist wichtig: Call Center, die in der Regel für den Support proprietärer Software verwendet werden, sind eben Call Center. Da sitzen Leute, die einen bestimmten Fragenkatalog auf dem Bildschirm haben. Dann ruft jemand an, sie suchen die passende Frage und lesen die passende Antwort dazu vor.

In der freien Software geschieht der Support durch die Community, aber auch durch kommerzielle Firmen, die den Support als Dienstleistung anbieten. Als Privatnutzer wird einen das nicht betreffen, aber wenn man als Firma darauf angewiesen ist, dass die Software, mit der man arbeitet, auf der das eigene Geschäftsmodell beruht, rund um die Uhr einsatzfähig ist, dann wird man häufig die Erfahrung machen, dass die Unterstützung für freie Software besser, zeitnäher, kostengünstiger ist. Und schließlich kann es einem passieren, dass man zwar bereit ist, das Geld für die neueste Version zu bezahlen, aber der Hersteller beschlossen hat: "Dieses Produkt interessiert uns nicht mehr, wir entwickeln es nicht mehr weiter."

Auf einem Workshop hier auf den "Wizards of OS" hat ein Künstler von dieser Erfahrung berichtet: Er hat viel mit einer Musikprogrammierumgebung auf dem Macintosh gearbeitet. Und Apple hat dann irgendwann gesagt, dass es keinen Markt mehr dafür gibt. Nun hat er aber ganz viel Arbeit dort hineingesteckt, in Dateien, die spezifisch sind für dieses Programm. Die kann man nicht einfach auf einem anderen Programm abspielen, geschweige denn weiter bearbeiten. Selbst wenn er jemand dafür bezahlen wollte, die Software an die aktuelle Hardware anzupassen, wird er das nicht tun dürfen, weil die Lizenzen das nicht erlauben. Apple behält sich vor, diese Entwicklungen ausschließlich selber vorzunehmen, und hat in diesem Fall beschlossen: Sie machen das nicht.

Das sind Energie, Arbeit, Lebenszeit, Leidenschaft, die dort hineingegangen sind, und eine Firma trifft eine Entscheidung, und das künstlerische Werk, die Lebenserwerbsgrundlage wird vom Tisch gewischt.

Aber bei freier Software wäre er ebenso fremdbestimmt. Er wäre nicht auf die Entscheidung der Firma angewiesen, aber auf die Entscheidung der Community, dass es Sinn und Spaß macht, die Software weiterzuentwickeln. Wer garantiert ihm das?

Das garantiert ihm natürlich niemand. Die Communities bewegen sich auch in ihrer eigenen Dynamik, sie entdecken neue Probleme, und alte interessieren dann nicht mehr so sehr. Aber wenn es genug Leute gibt, die mit diesem Programm arbeiten, dann ist es auch ziemlich sicher, dass es Leute gibt, die die Software weiterentwickeln, auf neue Hardware portieren. Vor allem aber wird er, wenn er das möchte, jemanden dafür bezahlen können, sich den Sourcecode zu nehmen und diese Anpassungen vorzunehmen. Wenn es also nicht Community-gestützt geschieht, ist der rechtliche Status von freier Software derart, dass man es selber machen oder jemanden dafür bezahlen kann.

Das Open-Source-Modell wird derzeit ausschließlich für Software und Kulturgüter verwendet. Lässt es sich auch auf andere Güter und Dienstleistungen ausweiten? Wo wäre die Grenze?

Das ist die große Frage, die uns seit der Jahrtausendwende beschäftigt. In verschiedenen Wissensbereichen ist das eins zu eins möglich. Die Netlabels machen es im Grunde genommen genau so, wie es in der freien Software funktioniert: Die kulturellen Artefakte – das eine Mal Software, das andere Mal Musikstücke – werden zur freien Zirkulation im Netz freigegeben, mit den entsprechenden Lizenzen. Sie sind kostenlos kopierbar, herunterladbar, weitergebbar.

Auch modifizierbar?

Das ist eine offene Frage. Bei der Software ist es eine essentielle Voraussetzung, dass sie verändert werden kann. Bei so genannten expressiven Werken gibt es Gründe dafür, zu sagen: "Das ist meine Meinungsäußerung, das ist mein kreativer Ausdruck, und ich möchte nicht, dass andere in einem Gedicht einzelne Wörter umstellen und dann sagen, das ist das Gedicht, Version 1.1." Dann gäbe es eine Kontributorenliste, mit dem ursprünglichen Autor am Anfang, und ich schreibe, wenn ich diese drei Wörter verändert habe, meinen Namen darunter, der nächste kommt, verändert fünf Wörter, und schreibt seinen Namen darunter. Das ist bei Gedichten durchaus fragwürdig.

Andererseits gibt es auch bei anderen Werken als Software diesen Austauschprozess. Niemand existiert, niemand ist kreativ im luftleeren Raum. Wir alle hören Musik, und schaffen neue Musik auf Grundlage dessen, was wir gehört haben, was wir gelernt haben in unserer musikalischen Ausbildung, was die Instrumente anbieten – was Gemeingut ist, aber auch was Ausdruck individueller Einzelner ist. Was das angeht, sie die Samples in der Musik ein großes Thema.

In der Wissenschaft ist das noch deutlicher. Die wissenschaftliche Ethik stützt sich darauf, dass Forschungsergebnisse frei weitergegeben werden können, zugänglich sind für die "Peers", die Kollegen im eigenen Fachgebiet, das Experimentalergebnisse in einer Form dokumentiert werden, dass andere die Experimente wiederholen können, um zu gucken, ob bei den Ergebnissen alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Auch hier ist das Open-Source-Modell eins zu eins übertragbar.

Können Menschen mit Open-Source-Produkten ihren Lebensunterhalt verdienen? Wird das Modell nicht immer auf eine klassische Marktwirtschaft im Hintergrund angewiesen bleiben, oder auf Fördergelder?

Bezahlt werden die Leute für Dienstleistungen: Auftragsprogrammierungen, Anpassungen der Software an die jeweilige Umgebung des Kunden, Systemintegration. Bei den Netlabels sind es Konzerte, Clubauftritte. Wie bekommen diese Leute Auftritte? Dadurch, dass sie bekannt werden. Die Clubbesitzer und Konzertveranstalter müssen ja erst einmal aufmerksam werden auf neue Acts, die sie buchen möchten. Und dafür ist die freie Zirkulation der Musik besser geeignet als jede andere Form von Marketing.

Kein Millionen-Dollar-Marketing-Etat kann einen Effekt erzielen wie das Freigeben von Musik auf der eigenen Website, in Peer-to-Peer-Netzen, mit der expliziten Aufforderung: Wenn euch das gefällt, kopiert es, gebt es an eure Freunde weiter, stellt es in andere Peer-to-Peer-Netze, auf eure eigene Homepage. Natürlich nur, wenn es gut ist. Es gibt keine Garantie dafür, dass jemand, der drei Akkorde spielen kann und seine Musik ins Netz stellt, in zwei Wochen weltberühmt ist. Natürlich muss es Leute geben, die das anspricht. Aber dann wird es sich gewissermaßen von selber verbreiten.

Es gibt Beispiele wie Benegao. Das ist ein brasilianischer Musiker, der Musik auf seine Homepage gestellt hat, und dann Emails aus Spanien bekommen hat, mit einer Einladung zu einem Festival. Er hat das für einen Witz oder Spam gehalten. Dieses Festival wollte ihn aber wirklich haben. Warum? Sie haben seine Musik heruntergeladen, in Clubs gespielt, die Gäste in den Clubs fanden das einen coolen Sound und haben gefragt: Wo kommt denn das her?

Dann haben sie recherchiert, alles Mögliche in Bewegung gesetzt, ihn direkt angesprochen und gesagt: Ja, das ist wirklich ernst, das ist wirklich eine Einladung. Und dann ist er nach Spanien gefahren und hat festgestellt, dass er dort bereits berühmt ist, ohne es zu wissen. Vom Festival ist er gleich weg aufs nächste Festival nach Italien eingeladen worden. Der Effekt wäre nie möglich gewesen, wenn er mit seiner Musik wie sonst üblich zu einem Indie-Label gegangen wäre, mit der Hoffnung, dass das Indie-Label irgendwann aufgekauft wird von einem Major-Label mit einer internationalen Distribution, die seine Musik in die Plattenläden in Spanien gebracht hätte, um dann von den Clubs entdeckt zu werden.

Wenn man das so erzählt, wird klar: Das ist ein Nadelöhr, durch das nur ganz wenig Musik hindurchkommt, von der das Label eben denkt, sie sei geeignet für eine internationale Distribution. Das sind Entscheidungen von Leuten, die natürlich Ahnung haben von Musik, aber jeder von denen hat seinen beschränkten Bereich. Es gibt neue Trends, niemand weiß, was den Leuten gefällt, das wissen die Leute nur selber. Das können die Leute nur entscheiden, wenn sie mit Musik konfrontiert werden, wenn sie sie hören können, sie von Freunden empfohlen wird, wenn sie von Webseiten empfohlen wird, die in die entlegensten Ecken des Internets gehen, um neue Dinge zu entdecken.

Seinen Lebensunterhalt verdient man also immer nur mit dem, was man tut, nachdem man bekannt geworden ist, und bis dahin ist alles eine Wette auf die Zukunft?

Es gibt auch andere Modelle. Es gibt klassische Modelle wie Werbefinanzierung: Eine Webseite erlaubt es jedermann, dort Videos einzustellen, und hängt am Schluss einen Werbeclip an. Wenn der Clip gesehen wird, wird auch die Werbung am Schluss gesehen, und von den Werbetreibenden erfolgt dann eine Zahlung, die sich die Webseite fifty-fifty mit demjenigen teilt, der den Clip eingestellt hat. Das ist ein ganz niedrigschwelliges Modell, aber wieder mit dem Verstärkungseffekt, der Chance auf exponentiell wachsende Wahrnehmung. Andere verlinken auf den Clip, plötzlich laden es ganz viele herunter, und man kann damit richtig Geld verdienen.

Natürlich gibt es die klassische Antwort. Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen Information als ein öffentliches Gut. Das ist eine Eigenschaft, die erst heute, mit der Loslösung der Information von materiellen Trägern – also dem Buch, der Schallplatte, der CD – wirklich zum Tragen kommt. "Öffentliches Gut" heißt hier: Wenn etwas einmal im Internet veröffentlicht ist, ist es nicht mehr einzufangen. Man kann keine Kontrollen und Barrieren einrichten, deren Öffnung man dann als Dienstleistung gegen Geld anbietet.

Und die klassische Antwort der Wirtschaftswissenschaften auf die Frage, wie öffentliche Güter finanziert werden, ist: Steuern. Auch das ist nichts Neues. Im Kulturbereich gibt es die öffentliche Kulturförderung, für die Leute sich bewerben können. Die Idee ist, dass ein Werk in dem Augenblick auch bezahlt ist, in dem es mit Hilfe einer solchen öffentlichen Förderung geschaffen wurde.

Ein Filmemacher, eine Filmemacherin hätte dann beispielsweise die Möglichkeit, zu sagen: Meine Arbeit ist bezahlt, sobald der Film fertig ist, also gebe ich ihn frei ins Internet. Das steigert meine Reputation, vielleicht bekomme ich dann den nächsten Auftrag. Ich kann die Downloadzahlen bei meinem nächsten Projektantrag bei der Filmförderung benutzen, um zu zeigen, dass ich förderungswürdig bin.

Ähnlich ist es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die BBC hat hier einen wichtigen Impuls gesetzt mit ihrem Projekt, das Rundfunkarchiv zu öffnen. Die Idee ist wieder die gleiche: Wir alle haben durch Umverteilung über Rundfunkgebühren die Dinge bezahlt, die im Rundfunk einmal, vielleicht zweimal versendet werden und dann in einem – heute ebenfalls digitalen – Archiv landen, das aber nur intern zugänglich ist. Das heißt: Andere Sendeanstalten können darauf zugreifen, aber nicht jedermann – und jedermann hat es bezahlt. Eigentlich ist damit also der Anspruch verbunden, dass sich jedermann auch zu jedem Zeitpunkt die Sachen im Archiv ansehen und anhören kann.

Die BBC ist sogar einen Schritt weiter gegangen. Sie hat gesagt: Ihr könnt euch die Sachen herunterladen und verändern. Es hat Wettbewerbe gegeben, wo Remixe mit Preisen ausgezeichnet wurden. Das ist eine folgerichtige Idee daraus, dass wir alle diese kulturellen Produkte bezahlen.

Etwas ähnliches sehen wir heute in einer Übertragung der Privatkopie-Vergütung. Im deutschen Urheberrecht ist 1965 ein Mechanismus eingeführt worden, der es Privatpersonen erlaubt, für nichtkommerzielle Zwecke private Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken anzufertigen. Damit verbunden ist eine Vergütungspflicht, die erfüllt wird durch einen Aufschlag auf den Preis von Kopiergeräten und Leermedien. Die bezahlen wir alle, wenn wir Rohlinge oder DVD-Brenner kaufen.

Heute wird vielfach vorgeschlagen, dass diese Lösung übertragen werden sollte auf das Internet. Wir sehen heute eine massive Kriminalisierung von Filesharern, die für private, nichtkommerzielle Zwecke eigentlich auch nur das tun, was außerhalb des Netzes die Privatkopie-Schranke zulässt: nämlich, mit Freunden zu teilen, was einem gefällt. Im Internet sind die Freunde natürlich alle Menschen auf der Welt, die Zugang zum Internet haben. Da gibt es immer noch einen qualitativen Unterschied. Aber es wird damit ja kein Geld verdient. Zu behaupten, wenn die Leute etwas in ihren "Shared Folder" stellen, sei das profitorientiert, ist Unsinn.

Es geht darum, das zuzulassen, was man ohnehin nicht verbieten kann. Alle Versuche, mit Hilfe von Technologie, Kriminalisierung, Gesetzesänderungen Leuten das Filesharing auszutreiben, sind ja vergeblich. Die Nutzung von Tauschbörsen nimmt weiter zu, trotz allem. Also lässt man es zu und verbindet es mit einer Vergütungspauschale.

Heute gehen die Urheber bei den massenhaften Tauschprozessen im Internet leer aus. Würde man sie zulassen und mit einer Vergütungspflicht verbinden – zum Beispiel fünf Euro, die jeden Monat über den Internet-Serviceprovider erhoben und über Verwertungsgesellschaften an die Berechtigten ausgeschüttet werden –, dann würden weiter Tauschbörsen genutzt, aber die Urheber würden vergütet werden.

Und es gibt einen wichtigen Unterschied zur Pauschalvergütung, wie wir sie bislang kennen: In der frei programmierbaren Umgebung des Internet ist es natürlich möglich, zu zählen, wie häufig ein bestimmtes Werk heruntergeladen wird, und entsprechend denen einen größeren Anteil am Vergütungspool zukommen zu lassen, deren Werke besonders häufig heruntergeladen werden.

Insofern ist es auch ein Markt. Urherber haben einen Anreiz, viel Werbung zu machen für ihr Werk, damit es möglichst häufig heruntergeladen wird und ihr Anteil am Vergütungspool wächst. Das ist ein ideales Modell, um auf der einen Seite eine freie Zirkulation von Kulturgütern zu ermöglichen, sogar zu ermuntern, und gleichzeitig die natürlich völlig berechtigten Interessen der Produzenten zu erfüllen und sie zu bezahlen.

Eine letzte Idee geht ebenfalls davon aus, dass ein Werk, das einmal veröffentlicht wurde, nicht einzufangen ist, um dafür eine Vergütung zu kassieren. Also muss es bezahlt werden, bevor es zum ersten Mal veröffentlicht wurde. "Copycan" ist eines der Projekte, die diesen Ansatz verfolgen.

Angenommen, ein Werk ist geschaffen. Eine Musikerin hat ein Musikstück geschrieben und aufgenommen. Das wird nun einem Treuhänder übergeben und ein kleiner Ausschnitt davon wird auf einer Plattform hörbar gemacht. Die Leute können es sich anhören und sagen: Hm, das klingt gut, ich möchte mir gerne das ganze Stück anhören, und das ist mir ein, zwei, fünf Euro, was auch immer wert. Die Musikerin wiederum sagt: In dem Augenblick, in dem ich 500, 1.000, 5.000 Euro für dieses Stück bekomme, bin ich bereit, es der Welt zu schenken, also beispielsweise unter einer Creative-Commons-Lizenz herauszugeben.

So gibt es einen Mechanismus, mit dem sich Menschen bereit erklären können, etwas zu bezahlen, bevor das komplette Werk zugänglich ist, und mit dem gleichzeitig die Urheberin einen bestimmten Betrag dafür verlangen kann. Und die Plattform würde diesen Austauch ermöglichen.

Interview: Sebastian Deterding

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Volker Grassmuck ist Soziologe am Berliner Helmholtzzentrum für Kulturtechnik sowie Projektleiter von irights.info und der "Wizards of OS"-Konferenzen. Als Mitinitiator von privatkopie.net setzt er sich für Nutzerrechte im Urheberrecht ein.
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