In einem Satz: Was ist Open Source?
Open Source ist eine Software, die dem Nutzer Freiheiten gibt – ganz kurz gesagt. Gemeint sind damit die bekannten "vier Freiheiten": die Freiheit, die Software zu jedem Zweck zu benutzen; sich die Software anzuschauen und sie zu verändern; die Freiheit, die Software zu kopieren und weiterzugeben, das heißt, mit jemandem zu teilen, so dass dieser die Software auch benutzen kann; schließlich die Freiheit, die Software zu verbessern und diese Verbesserungen ebenfalls weiterzugeben.
Wenn man sich die Produzenten von Open Source-Software anschaut: Was treibt sie an, etwas kostenlos wegzugeben? Was ziehen sie daraus?
Freie Software erlaubt dem Entwickler, sich den Code anzuschauen. Am besten versteht man das, wenn man es mit proprietärer Software vergleicht. Die erlaubt einem nicht, sich den Code anzusehen, das heißt, man hat nicht die Möglichkeit, zu verstehen, wie die Software funktioniert und warum sie funktioniert, wie sie funktioniert.
Am besten lässt sich das verstehen, wenn man Analogien benutzt, und eine, die man hier vielleicht verwenden könnte, ist das Auto. Wenn ich ein Auto kaufe, dann würde mir die freie Software – übertragen – erlauben, mir auch die Mechanik anzuschauen und zu verstehen, wie das Auto innen drin funktioniert. Selbst wenn ich nicht dazu ausgebildet bin und nicht die Fähigkeit dazu habe, kann ich zumindest einen Mechaniker fragen, ob der sich ein Problem anschaut und mir erklärt, warum das Auto nicht mehr geht. Man hat mehr Kontrolle und dadurch Freiheit über das Produkt, das man gekauft hat und mit dem man bestimmte Sachen machen möchte – im Falle des Autos: durch die Welt zu fahren, und im Falle der Software: zu zeichnen, zu schreiben, Musik zu produzieren.
Wenn man das umlegt auf die proprietäre Software, dann hätte ich sozusagen ein Auto, das ich mir selber nicht anschauen kann. Wenn es kaputt ist, kann ich nicht die Motorhaube aufmachen, ich kann auch keinen Mechaniker fragen, sondern ich muss zurückgehen zum Hersteller. Und der hat ein exklusives Recht, sich diese Software anzuschauen und mir zu berichten, was das Problem war. Das Problem dabei ist, dass es eben meistens nur ein Hersteller ist, nur eine Firma.
Warum sollte ich als Konsument auf Open-Source-Software umsteigen, wenn ich andere Software habe, mit der ich schon gut arbeite?
Ich bin auch erst vor einem Jahr umgestiegen. Für mich lag das sehr an der Tatsache, dass ich gewusst habe: Wenn die Software nicht funktioniert, wie ich will, habe ich die Möglichkeit, mich an eine Gemeinschaft von Entwicklern und Nutzern zu wenden und zu fragen, was wirklich das Problem ist. Das war ein wichtiger Punkt. Und in meinem Umfeld waren nun mal sehr viele Menschen, die dieses Wissen hatten.
Zweitens ist es wichtig, dass ich diese Software gratis aus dem Internet herunterladen kann. Das heißt, ich habe mich ans Internet gehängt, habe mein Emailprogramm heruntergeladen, und habe nichts dafür bezahlt. Das ist für mich wichtig, aber noch wichtiger ist es natürlich für einen Nutzer in Kenia oder Thailand, der sehr viel weniger Geld hat als ich.
Drittens war für mich wichtig, dass ich generell die Philosophie unterstützen wollte und will: dass wir alle bei den Software-Tools, die wir benutzen, eine bestimmte Freiheit haben, dass wir eine bestimmte Kontrolle darüber haben, wie diese gebaut sind und wie wir sie benutzen. Wiederum am besten versteht man das im Vergleich zu proprietärer Software, die, wenn man die Entwicklung der nächsten Jahre vorwegnimmt, noch sehr viel restriktiver werden wird, als wir es heute kennen. Das heißt, dass ich in Zukunft wesentlich weniger Kontrolle darüber haben werde, was ich mit meiner Software machen kann und was nicht.
Die Musikindustrie möchte zum Beispiel vermeiden, dass illegale Kopien von Musikstücken gemacht werden – und das ist auch in Ordnung so. Allerdings ist es auch legal, dass ich für meinen privaten Gebrauch Kopien von Musik mache; das Gesetz sieht das vor. Es kann aber passieren, dass ich in Zukunft einen Computer mit proprietärer Software kaufe, und diese Software mir dann nicht mehr erlauben wird, mein privates Recht auszuüben, eine Privatkopie eines Musikstückes zu machen. Dieser Kontrollmechanismus wird in die Software eingebaut sein. Wenn ich im Gegensatz dazu freie Software benutze, kann ich als Nutzer immer noch selber entscheiden, was ich mache und was ich nicht mache. Die Software wird mir nicht vorschreiben, wie ich Informationen benutzen kann.
Und das ist umso bedeutsamer – wie Lawrence Lessig erläutert hat –, als die freie Meinungsäußerung heute nicht nur in der Benutzung von Worten besteht, sondern auch im Mixen von Musik, usw. Wenn wir Kultur produzieren, ist das heute sehr viel mehr als das bloße Wort und geschieht immer mehr im digitalen Umfeld. Deswegen ist es umso wichtiger, dass unsere Computer und unsere Software uns die Freiheit geben, zu machen, was wir machen möchten, und zu mixen, was wir mixen möchten. Ich würde soweit gehen, dass freie Software heute sehr wichtig dafür ist, dass wir weiter unsere Meinnungsfreiheit ausüben können.
Das betrifft alles den Nutzer als Bürger. Wenn wir jetzt als Nutzer eine Regierung nehmen – das kann eine Stadt sein, eine nationale Regierung, welche politische Ebene auch immer –, dann ist es sehr wichtig, dass die Regierungen eine Verantwortung haben gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern, ihnen Informationen zugänglich zu machen, unabhängig von der Software, die die Bürger verwenden.
Wenn die Regierung zum Beispiel proprietäre Software verwendet, wenn sie Steuern erhebt und die Bürger dabei Formulare ausfüllen müssen, kommt es sehr oft vor, dass der Bürger dafür ebenfalls die gleiche proprietäre Software verwenden muss. Das ist vom Gesichtspunkt der politischen Partizipation her nicht akzeptabel. Ich weiß von einem Fall in Bulgarien, wo das nationale E-Government-Portal auf proprietärer Software gebaut war. Und Bürger, die sich diese Informationen im Web anschauen wollten, mussten dafür auch einen proprietären Browser verwenden.
Ein anderer Fall: Wenn Regierungen Dokumente aufbewahren – Regierungen haben ja Millionen von Seiten an Dokumenten –, und wenn sie diese Dokumente in einem Format aufbewahren, das auf proprietärer Software aufbaut, dann müssen sie in Zukunft immer dieselbe proprietäre Software verwenden, um dieses Format erkennen und lesen zu können. Wenn jetzt ein anderer Anbieter auf den Markt käme, der billiger wäre, der bessere Features böte, dann hätte die Regierung große Probleme, von einer Software zur nächsten zu wechseln, weil dann die alten Dokumente mit der neuen Software nicht lesbar wären. Das heißt, wenn Regierungen freie Software verwenden, sind sie viel flexibler in der Auswahl ihrer Software, und vor allem können sie garantieren, dass alle aufbewahrten Dokumente immer gelesen werden können.
Das Open-Source-Modell wird derzeit ausschließlich für Software und Kulturgüter verwendet. Lässt es sich auch auf andere Güter und Dienstleistungen ausweiten? Wo wäre die Grenze?
Das ist zurzeit die große Herausforderung. Die "commons-based peer production", wie es im Englischen heißt, funktioniert im Bereich der Software sehr gut, und das zweifelt heute auch niemand mehr an. Selbst IBM, der größte Inhaber von Softwarepatenten auf der Welt, nimmt mehr durch freie Software ein als durch Patente. Es ist wirklich ein bedeutender Wandel geschehen.
Die Frage ist natürlich: Wenn diese neue Art, Informationen und Wissen zu produzieren und verteilen, in der Software so gut funktioniert – funktioniert das auch in anderen Bereichen? Und die Antwort ist ganz klar: Ja, es funktioniert. Ich glaube, wir sind da nicht einmal unbedingt mehr am Anfang. Es gibt einige sehr erfolgreiche Beispiele. Das meistzitierte ist wahrscheinlich die Wikipedia: eine gemeingut-basierte Enzyklopädie. Ein erfolgeiches Beispiel dafür, dass man im Netz mit Tausenden, Millionen von Nutzern wertvolles Wissen produzieren kann.
Und ich glaube, das wird sich noch in andere Bereiche ausdehnen. Einer der nächsten, für mich sehr interessanten Bereiche sind Textbücher für Schulen. Ich arbeite in den USA, aber auch viel in Entwicklungsländern. In Südafrika, woher ich gerade komme, ist es ein Problem, dass sehr viele Schulen keine Textbücher haben, weil sie zu teuer sind. Desweiteren sind die Textbücher oft lokal nicht relevant weil ihre Inhalte von westlichen Verlagshäusern herausgebracht wurden. Es gibt sie auch nicht in der lokalen Sprache – und in Südafrika gibt es zwanzig, dreißig verschiedene Sprachen. Da stellt sich die Frage: Welches Potenzial gibt es für Lehrer, Textbücher gemeinsam, kollaborativ zu entwickeln?
Sehr wichtig und gut entwickelt ist natürlich der Bereich der Musik. Da sieht man, dass sehr viel passiert, dass das Modell der kollaborativen Produktion sich auf jeden Fall auf andere Bereiche ausdehnen lässt.
Als Enzyklopädie funktioniert es also, im Bereich der Musik und Kultur funktioniert es, und Textbücher sind ein Bereich, wo man sich nun anschauen möchte, was die Motivation für die Lehrer wäre, das umzusetzen. Weiters interessant wird es, wenn man in den Bereich der Wissenschaft geht, zum Beispiel der medizinischen Wissenschaften, und schaut, ob man da auch gemeinsam etwas erarbeiten kann. Das sind Bereiche, die noch nicht erforscht sind. Dieses Modell der kollaborativen Produktion wird in den nächsten Jahren in all diesen Feldern getestet werden – von Kultur über Bildung und Wissenschaft bis zu Medien.
Und es wird grundsätzlich die Landschaft, die Natur des Wissens verändern. Es wird sich vor allem auswirken auf den Preis, die Kosten der Produktion dieses Wissens. Es wird sich auch auswirken auf die Qualität des Wissens, in dem Sinne, dass das bisherige Top-down-Modell der Produktion von Wissen sehr viel partizipativer werden wird. In Bezug auf Demokratie ist das natürlich sehr hilfreich: Durch das Internet sind die Produktionsmittel – ein Computer und ein Netzzugang – nicht in der Hand einiger weniger, wie im Zeitalter der Massenmedien, sondern in der Hand sehr vieler.
Können Menschen mit Open-Source-Produkten ihren Lebensunterhalt verdienen? Wird das Modell nicht immer auf eine klassische Marktwirtschaft im Hintergrund angewiesen bleiben, oder auf Fördergelder?
Erstens glaube ich, dass es sehr viele Bereiche gibt, wo Menschen gar kein Geld machen wollen. Das ist wichtig festzustellen: Nicht alle Informationen, nicht alles Wissen in unserer Gesellschaft werden ökonomisiert. Zum Beispiel Blogger. Zurzeit verdienen wenn nicht kein, so doch nur wenige Blogger mit ihrem Blog Geld. Aber diese Menschen haben eben einfach ein Bedürfnis, zu schreiben, was in ihrem Land passiert. Es muss nicht alles einen ökonomischen Wert haben. Und das ist das Tolle daran: Durch das Internet erhalten wir sehr viele Informationen, für die wir nichts bezahlen. Das muss man anerkennen.
Zweitens aber glaube ich sehr wohl, dass man sehr gutes Geld machen kann mit diesen neuen Produktionsmodellen. Da gibt es ganz verschiedene Beispiele. Ein Beispiel ist Google. Google verkauft keine Information in dem Sinne. Google ist kein Verlagshaus, das Bücher verkauft oder Musik. Ihr Modell ist mehr darauf gebaut, Wissen zu verteilen und so zugänglich wie möglich zu machen. Und damit kann man Geld machen. Wenn man Google als Medienunternehmen betrachtet – und viele, auch ich, sehen Google zur Zeit als das größte Medium der Welt –, dann ist Google laut Börsenwert auch das größte Medienunternehmen der Welt.
Ein anderes Beispiel, das ich immer sehr gerne anführe, sind Bücher. Ein Bekannter von mir, Cory Doctorow, ist ein Science-Fiction-Autor. Er hat vor vier, fünf Jahren seinen ersten Roman publiziert. Er ist zu seinem Verlag gegangen und hat gesagt: Hier ist mein Buch, ihr könnt es als Verlag traditionell auf Papier auf den Markt bringen, erst Hardcover, dann Paperback, allerdings möchte ich das ganze Buch frei zugänglich ins Internet stellen. Und der Verlag meine zuerst natürlich: Oh mein Gott, da verkaufen wir doch nichts, wenn sich das jeder gratis herunterladen kann. Tatsache ist, dass der Verlag das Buch inzwischen überdurchschnittlich gut verkauft hat, in vierter, fünfter Auflage. Und gleichzeitig wurden über 500.000 Kopien seines Buches gratis aus dem Internet heruntergeladen.
Das zeigt, dass sich Profit und freier, offener Zugang zu Wissen nicht ausschließen. Man muss nur sehr gut überlegen, wie man Geschäftsmodelle verändern kann, so dass man weniger den Inhalt als solchen verkauft, sondern mehr einen Service drumherum – so macht es die freie Software –, oder dass man das Internet und freien Zugang als Marketinginstrument einsetzt – das ist das zweite Beispiel. Google verkauft Werbung auf seiner Seite und macht dadurch Profit, Cory Doctorow hat das Internet dazu verwendet, um bekannt zu werden, und dann sind Leute ins Geschäft gegangen und haben sein Buch gekauft.
Interview: Sebastian Deterding