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Mit Linux surf ich einfach besser | Open Source | bpb.de

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Mit Linux surf ich einfach besser

Markus Beckedahl

/ 8 Minuten zu lesen

Als Geschäftsführer einer Agentur für Open Source ist Markus Beckedahl natürlich begeistert von freier Software. Sie ist günstiger, sicherer, vielfältiger – und trotzdem lukrativ für viele.

Markus Beckedahl (Raimond Spekking) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

In einem Satz: Was ist Open Source?

Open Source wird gemeinhin als Synonym für freie Software verwendet. Für mich bedeutet der Begriff eigentlich nur eine Kultur der Offenheit.

Und was verstehst du unter einer "Kultur der Offenheit"?

Es geht um Freiheiten, es geht um Teilhabe, es geht um Emanzipation, und das auf Software, auf die Produktion von Software, auf Kulturgüter, auf die vernetzte Produktion von immateriellen Gütern ausgedehnt. Eine Kultur der Offenheit ist, wo jeder partizipieren kann und gleichberechtigt ist.

Wenn man sich die Produzenten von Open Source-Software anschaut: Was treibt sie an, etwas kostenlos wegzugeben? Was ziehen sie daraus?

Zuallererst gibt es die Entwickler, Programmierer. Programmierer haben sehr viele Vorteile durch freie Software, deswegen ist sie unter ihnen sehr beliebt. Programmierer können sich den Quellcode von Software anschauen, sie können also praktisch hinter die Kulissen gucken, von anderen Programmierern lernen, sie können aber auch die Werke von anderen Programmierern in eigenen Programmen nutzen.

Wenn ich also ein Projekt habe, eine bestimmte Lösung erreichen möchte, muss ich nicht immer das Haus neu aufbauen, sondern ich kann viele Einzelteile, Wände, Türen uns so weiter vorfinden, neu zusammensetzen, und ich muss vielleicht nur noch die Dachluke neu programmieren. Insofern ist es für Programmierer ein großer Vorteil, wenn sie etwas aus einem großen Fundus an Software nehmen, aber auch zurückgeben können – neben dem Lerneffekt.

Es gibt eine große Masse an Menschen, die Software produzieren. Wenn jeder nur für sich selbst produzieren würde, wäre es ein viel größerer Aufwand an Zeit, Ressourcen und so weiter, als wenn jeder Probleme löst, das Ergebnis wie viele andere unter Lizenzen stellt und andere daran partizipieren lässt, denn man kann selbst auf den Werken von anderen aufbauen.

Warum sollte ich als Konsument auf Open-Source-Software umsteigen, wenn ich andere Produkte habe, mit denen ich schon gut arbeite?

Bezahlst du für deine Lizenzen von Microsoft Office? Das kostet normalerweise 500 Euro und hat die gleiche Qualität, dieselben Features wie OpenOffice, was kostenlos ist, was von einer großen Zahl von Entwicklern in deren Freizeit, aber auch in deren Arbeitszeit entwickelt wird. Da stehen auch eine ganze Menge von Firmen dahinter, die Geschäftsmodelle rund um OpenOffice aufbauen und produktiv einsetzen: Verwaltungen, viele Einzelanwender, Firmen.

In unserer Firma haben wir zehn Arbeitsplätze. Jeder arbeitet mit OpenOffice. Unsere Vorteile sind: Wir zahlen dafür nichts, wir profitieren von den schnellen und hohen Innovationszyklen, und wir können selbst bestimmen, wann wir eine neue Version nehmen. Das ist eine Sache: Ich spare Lizenzkosten. Ich laufe nicht Gefahr, dass am nächsten Tag eine Razzia bei mir zu Hause stattfindet, weil ich Raubkopien besitze.

Eine andere Sache: Ich habe unter Linux eigentlich kaum Probleme mit Viren und Würmern. Es mag da wohl in der Theorie welche geben, aber in der Praxis habe ich noch keine gesehen. Im Internet surfe ich so etwas von entspannt... Wenn ich E-Mails bekomme, enthalten die oft genug Viren von Menschen, die Windows oder Outlook benutzen – die werden bei mir automatisch in den Spam-Ordner aussortiert, ich habe überhaupt keine Probleme mit diesen Viren. Die Sicherheitslücken von Windows brauche ich nicht zu fürchten.

Noch etwas: Wenn ich zum Beispiel Ubuntu nehme, meine Lieblingsdistribution, habe ich eine Auswahl von 20.000 Programmen, die ich auf Knopfdruck herunterladen und installieren kann. Ich muss nicht herumsurfen und gucken: Wo finde ich jetzt eine Textverarbeitung, wo finde ich einen Browser? Sondern ich installiere das einfach über meinen Desktop.

Und mein Desktop ist auch eine coole Sache: Ich habe eine Vielfalt an verschiedenen Desktops. Ich kann mir aussuchen, wie mein Desktop aussehen soll. Ich habe nicht nur ein Windows, sondern viele verschiedene Windows, mit vielen verschiedenen Vor- und Nachteilen, die verschieden aussehen, die ich so gestalten kann, wie ich möchte, die teilweise auf alten Rechnern schnell laufen, teilweise komplexer sind, die gut auf neueren Rechnern laufen. Ich kann mir das Windows, den Desktop aussuchen, der am besten zu meinem Stil, meinen Bedürfnissen passt. Diese Vielfalt, diese Offenheit – die mag ich an freier Software.

Was mache ich als Nutzer, der ich nicht so technisch bewandert bin und von dieser Vielfalt schlicht und ergreifend überfordert bin?

Das sind größtenteils Ängste, die mittlerweile fast durch die Realität ausgeräumt wurden. Am besten kann man freie Software mit so genannten Live-CDs einfach mal antesten. Live-CDs wie Knoppix oder Ubuntu schiebt man einfach ins Laufwerk, sie booten von CD als wäre es eine Festplatte, und man hat hunderte von Programmen zur Auswahl. Man kann nichts falsch machen, man kann einfach mal rumklicken und ausprobieren, meistens ist man auch automatisch im Internet und kann schauen, wie sich das so anfühlt. Und man wird feststellen: Das funktioniert eigentlich genau so wie Windows, wie Mac OsX, da sind alle Programme schon da, man braucht nichts mehr zu installieren, wie eine Textverarbeitung, ein Office-Programm oder Grafikprogramm; die sind alle schon dabei.

Und wenn man dann gesehen hat, dass es eigentlich eine coole Alternative ist, kann man neben seinem Windows ein Linux installieren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mittlerweile viel schneller ein Linux installiere – das ist immer nur auf "Weiter" klicken, und es ist fertig –, als Windows. Wenn ich Windows installiere, funktioniert das von der Hardwareerkennung nur ein bißchen besser als ein Ubuntu, aber dafür bin ich danach erst einmal drei Stunden damit beschäftigt, Sicherheitsupdates zu installieren.

Bei Linux installiert man zwar auch noch ein wenig nach, aber eigentlich ist es sofort fertig. Und wenn man das parallel zu seinem Windows installiert, kann man immer noch seine Spiele spielen; wenn man unbedingt seine Adobe-Programme nutzen möchte – Photoshop oder so –, kann man die weiter auf Windows nutzen oder unter Linux emulieren, und wenn man sicher surfen möchte, ohne Angst vor Trojanern, Viren, dann bootet man halt das sichere Linux.

Das Open-Source-Modell wird derzeit ausschließlich für Software und Kulturgüter verwendet. Lässt es sich auch auf andere Güter und Dienstleistungen ausweiten? Wo wäre die Grenze?

Wir sehen das ganz deutlich beim Thema Wissen. Wär hätte vor fünf Jahren, gedacht, dass ein Haufen Freiwilliger in einem so genannten Wiki, wo jeder einfach editieren und Dinge hinzufügen kann, innerhalb von fünf Jahren die Wikipedia aufbauen würde, die mittlerweile großen Enzyklopädien, die hundert Jahre Geschichte und große Firmen hinter sich haben, das Fürchten lehrt? Das ist das beste Beispiel, wo freie Software übertragen wurde auf die Produktion von Wissen. Es hat dieselben freien Lizenzen als Basis, die jedem das Recht geben, teilzuhaben, und es verhindern, dass jemand das in seinen Privatbesitz übernimmt. Es gibt erste Versuche, Geschäftsmodelle drumherum zu bauen, indem Wikipedia-Texte gedruckt werden – on demand oder als Bücher.

Andere Beispiele sind noch in der Entstehung. Da ist die freie Software auf jeden Fall Innovations-Vorreiter. Bei Musik und Filmen beispielsweise. Bei Musik haben wir es eigentlich immer schon so gehabt, wenn man elektronische Musik oder Hiphop nimmt: Das sind Mashups, die verwenden ganz viele Samples aus anderen Stücken und setzen das zusammen. Da würde es noch viel mehr geben, wenn es nicht die starken Urheberrechtsgesetze gäbe, die verhindern, dass man einfach so Dinge remixen, zusammensetzen, ins Internet stellen kann, denn man läuft sofort Gefahr, eine Abmahnung zu bekommen.

Aber es gibt offene Lizenzen wie die Creative Commons-Lizenzen, die von Musikern immer mehr genutzt werden. Sie stellen ihre Stücke unter Creative Commons-Lizenzen, um einerseits ihre Werke zugänglich zu machen, um draufzuschreiben: Hallo, ihr dürft das hier kopieren, ich werde euch nicht wie die Musikindustrie die Polizei nach Hause schicken. Ich will, dass ihr kopiert, dass ihr diese Musik euren Freuden vorspielt.

Immer öfter ist es auch so, dass die Musiker sagen: Nehmt es, remixt es, ich habe ein Interesse daran, dass auch viele andere Musiker ihre Stücke unter remix-fähigen Lizenzen veröffentlichen, weil ich dann deren Stücke auch remixen kann. Da werden wir noch einen großen Schritt nach vorn beobachten, wenn Musiker, Künstler oder Wissensproduzenten verstehen, dass sie kooperativ, kollektiv und vernetzt mit vielen anderen Menschen auf der Welt – dass sie in der Masse viel stärker und innovativer sind als jeder für sich allein.

Und über die Wissensproduktion hinaus? Was ist mit Gütern wie Stahl oder Dienstleistungen wie in Krankenhäusern?

Wir reden hier über die Wissensgesellschaft, und wir reden hier über immaterielle Güter, die anders funktionieren als klassische Güter. Ich könnte nicht sagen, wie man Stahlproduktion an einen Haufen Freiwilliger outsourcen könnte, oder an kleine Firmen, die Geschäftsmodelle darum herum aufbauen wollen. Das sehe ich nicht kommen.

Können Menschen mit Open-Source-Produkten ihren Lebensunterhalt verdienen? Wird das Modell nicht immer auf eine klassische Marktwirtschaft im Hintergrund angewiesen bleiben, oder auf Fördergelder?

Ich bekomme nur mit, dass damit eine ganze Menge Menschen Geld verdienen. Nehmen wir IBM, ein riesiger Konzern. Die haben im letzten Jahr über eine Milliarde Euro in freie Software investiert und verdienen damit mittlerweile einen Haufen Geld. Die können ihre Hardware mit freier Software, die an ihre Hardware angepasst ist, besser verkaufen. Sie können Services verkaufen.

Linux ist frei verfügbar. Aber nicht jeder kann es individuell anpassen, nicht jeder kann es installieren, obwohl jeder theoretisch die Möglichkeit hätte, das und daraus zu lernen und die Programme selbst zu installieren. Aber nicht jeder möchte unbedingt Programmierer werden. Viele Leute möchten auch mit anderen Dingen ihren Lebensunterhalt verdienen oder ihre Zeit verbringen. Die investieren Geld in die Dienstleister, die Dienstleistungen um die Software herum anbieten. Es gibt eine Menge verschiedener Geschäftsmodelle, die man um freie Software bauen kann.

Die bekannteste ist Distribution: Firmen wie SuSe oder Redhat gehen hin, nehmen sich freie Software und bauen Pakete daraus. Sie stellen die Software individuell zusammen, machen ein Buch dazu, erlauben drei Monate Telefonterror bei ihnen und verkaufen das als Paket. Und es gibt Menschen, die kaufen das. Die können es sich zwar auch kostenlos aus dem Internet ziehen, aber sie wollen halt irgend jemand drei Monate lang am Telefon terrorisieren dürfen, wenn sie Fragen haben, die möchten ein Buch haben. Andere möchten, dass ihnen jemand den Computer einfach installiert, sodass sie ihre Mails benutzen können, und geben dafür auch Geld aus.

Und dann gibt es diejenigen, die wollen, dass Software neu entwickelt wird für ihre speziellen Bedürfnisse und Geschäftsprozesse. Da könnte man die Software wieder von Null aufbauen, aber es ist eben viel günstiger und innovativer, man nimmt Teile, die schon als freie Software vorhanden sind, und beauftragt bei anderen Firmen nur nach die Programmierung von ganz bestimmten Stücken, die dann zusammengesetzt etwas neues ergeben. Freie Software ist ein riesiger Markt, der Softwareentwicklung allgemein schon extrem verändert hat und in der Zukunft noch radikaler verändern wird.

Interview: Sebastian Deterding

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Markus Beckedahl ist Geschäftsführer von newthinking communications, einer Agentur für Open Source-Strategien und Technologien in Berlin. Außerdem schreibt er seit mehreren Jahren den Blog netzpolitik.org über Themen der Informationsgesellschaft.