bpb: Frau Ehlers, angenommen, ich sitze am Rechner, öffne einen Filesharingdienst oder eine Torrent-Suchmaschine, gebe den Namen des neuesten Films oder Spiele-Blockbusters ein, und schon tauchen da zwei, drei, viele Kopien auf, die ich herunterladen kann. Wie kommen die dahin?
Christine Ehlers: In der Regel gibt es eine Verbreitungspyramide, deren oberer Bereich eher wenig öffentlich ist – einige sind gar nicht öffentlich, dann wird es immer durchlässiger, und den unteren Bereich stellen die Endverbraucher dar. An der Spitze dieser Verbreitungspyramide stehen die so genannten Release-Gruppen.
Nehmen wir einmal das Beispiel Film: Ein Blockbuster aus den USA kommt erstmals in Deutschland in die Kinos, zum Beispiel im Rahmen einer Sneak-Preview. Da haben sich Mitglieder der Release-Gruppen schon vorher das Bild aus den USA besorgt, über Abfilmungen im Kino oder über DVD. Ein Mitglied der Release-Gruppe geht dann in ein Kino und schneidet während der Sneak-Preview illegal den Ton mit. Ton und Bild werden dann miteinander synchronisiert, und so wird die erste Raubkopie erstellt, die dann in ein verdecktes Netzwerk im Internet eingestellt wird.
In diesen verdeckten Netzwerken sind nur Gruppenmitglieder der Release-Gruppen unterwegs. Grundsätzlich besteht ein Wettbewerb zwischen diesen Releasegruppen: Wer als erstes ein Werk in der besten Qualität dort eingestellt hat, der genießt Ruhm und Ehre.
Das heißt, die Motivation ist vor allem, es einfach machen zu können und dadurch Ansehen zu gewinnen?
Bei einem Teil. Das Problem ist, dass es auch dort Leute gibt, die ein finanzielles Interesse verfolgen. Die stellen einen Teil der nächste Ebene der Pyramide dar: Sie betreiben so genannte Pay-FTP-Server. Das sind Server oder Server-Ringe, also in Reihe geschaltete Server, auf denen illegale Kopien lagern, die zum Beispiel eine monatliche Abogebühr dafür nehmen, dass Nutzer dort illegal Daten herunterladen können. Das ist schon an der Grenze zum Massenmarkt.
Es gibt in den Release-Gruppen so eine Art "Old School", die all das tun, weil sie den Wettkampf mögen, weil sie ein technisches Wissen besitzen. Daneben es gibt die zweite Art, die damit einfach Geld verdienen will. Von deren Servern wird das Material dann von einigen Mitgliedern über Pay-Server oder andere Top-Server letztlich auch in die so genannten Tauschbörsen eingebracht. Dort steht es dann zur kostenlosen, massenhaften Verbreitung im Netz bereit.
Auch in den Tauschbörsen gibt es eine Gruppe, die sich am Datentauschen der einzelnen Nutzer bereichern, auch wenn sie selber keine Dateien tauschen. Dies sind etwa die so genannten Portalseitenbetreiber, die auf ihren Webseiten Links zu den getauschten Dateien vorhalten und so den Tausch von Dateien über BitTorrent oder eDonkey fördern beziehungsweise gar erst ermöglichen. Diese Portalseitenbetreiber erzielen über Onlinewerbung erhebliche Einnahmen.
Aus den Tauschbörsen und teilweise auch aus den Pay-FTP-Servern bedienen sich auch professionelle Raubkopierer, etwa solche, die auf tschechischen Grenzmärkten ihre Raubkopien verkaufen. Die ziehen sich dort ihre Vorlagen für Massenkopien auf CD oder DVD herunter. Dabei dient oftmals nur eine einzige Vorlage für alle illegalen Kopien, egal, ob es sich um die professionell gepresste DVD aus Polen handelt oder um die Datei, die über Tauschbörsen verteilt wird.
Zuweilen gelingt uns der Nachweis der Quelle. Wenn zum Beispiel eine rein deutsche Produktion im Kino gezeigt wird, wird dort meist auch das Bild von der Leinwand abgefilmt. Und auf den Raubkopien, die man auf einem Grenzmarkt, Flohmarkt, auf Ebay oder sonst wo kaufen kann, kann man dann sehen, wie jemand in der Vorstellung aufsteht und vor der Leinwand erscheint, während er aus dem Kinosaal geht. Oder wir erkennen es dadurch, weil die Filme, die in die Kinos kommen, mit individuellen Markierungen versehen sind. Später, wenn wir CDs oder DVDs oder Dateien prüfen, können wir ganz genau sagen: Diese Raubkopie von diesem Ton oder Bild beruht auf diesem illegalen Mitschnitt in diesem Kino.
Woher bekommen Verbraucher in Deutschland ihre illegalen Kopien?
Die meisten bekommen sie aus dem Internet, die überwiegende Mehrheit aus Tauschbörsen, aber wir sehen hier eine Entwicklung hin zu anderen Diensten, beispielsweise Sharehoster, Streaming-Seiten oder das Usenet. Ein bisschen hängt das auch von den Leuten ab. Es gibt eine Klientel, die immer gern auf "Tschechen-Märkte" fährt, die vielleicht etwas weniger internetaffin ist. Aber der Großteil gerade der Jüngeren bezieht seine Kopien aus dem Netz, die dann auch in gebrannter Form getauscht werden.
Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden, der dadurch jährlich entsteht?
Die Universität Weimar hat Ende 2007 eine Studie herausgebracht, laut der – je nach Umrechnungskurs – der Schaden im Bereich Film in Deutschland jährlich bei 200 Millionen Euro liegt. Sie haben für die Besucherzahlen der Kinos und die nachfolgenden Auswertungsstufen – DVD-Verkauf und so weiter – die Ausfälle berechnet, und die liegen immer im zweistelligen Prozentbereich, zwischen 12 und 16 Prozent pro Jahr. [Anm. d. Red.: Gemeint ist die Studie "Consumer File Sharing of Motion Pictures" von Thorsten Hennig-Thurau, Victor Henning und Henrik Sattler, erschienen im Journal of Marketing 71 (Oktober 2007), S. 1-18, s.u., Links].
Genaue Schadenszahlen lassen sich aber nur schwer ermitteln. Klar ist, dass nicht jede Raubkopie ein entgangener Verkauf ist, aber wir müssen davon ausgehen, dass der wirtschaftliche Schaden bei mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr liegt – allein in Deutschland.
Wie kann man das überhaupt berechnen? Man könnte ja immer einwenden, viele hätten sich den gleichen Film gegen Eintritt oder Leihgebühr gar nicht angesehen, oder der Umsatzrückgang liege daran, dass die Filme schlechter geworden sind?
Ja, das ist eine gern genutzte Rechtfertigungsstrategie. Ich kann das Modell jetzt nicht im Einzelnen ausführen. Die Universität Weimar hat im Grunde genommen Leute in mehreren Runden befragt, hat Reizwörter vermieden – wie Raubkopie, illegale Kopie oder ähnliches –und gefragt, wie sich Filesharing auf deren Kinobesuche auswirkt. Und dabei haben sie ermitteln können, dass jene, die in Filesharingbörsen Filme herunterladen, weniger ins Kino gehen und weniger bereit sind, in eine Videothek zu gehen.
Nun heißen sie "Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen". Wie genau verfolgen sie denn diese illegalen Kopien?
Wir konzentrieren uns vor allem auf die Personenkreise, die ursächlich für den Schaden sind: die Release-Gruppen-Mitglieder, Leute aus der FTP-Serverszene, Portalseitenbetreiber, Ersteinsteller in Peer-to-Peer-Netzen oder eben die professionellen Raubkopierer, die damit Geld verdienen. Das soll nicht heißen, dass wir bei einem Endverbraucher, der über einer Tauschbörse lädt, ein Auge zudrücken. Das Gesetz gilt für alle. Aber wir fokussieren unser aktives Vorgehen auf die, die das erst ermöglichen.
Unsere Strategie ist die: Wenn wir an dieser Stelle eingreifen und die Pyramide unterbrechen, führt das dazu, dass die Raubkopien erstens später entstehen und zweitens in einer schlechteren Qualität. Dadurch wird die Massenverbreitung eingedämmt – weil man die Kopien nicht mehr wirklich angucken kann, oder weil sie nicht mehr aktuell genug sind.
Wie kommen Sie an diese Release-Gruppen heran? Die werden doch ein Interesse daran haben, nicht von Ihnen gefunden zu werden.
Das ist richtig. Es gibt aber immer wieder Leute, die aus diesen Gruppen aussteigen, aus den verschiedensten Gründen. Die informieren uns dann. Wir sind ja bereits einige Jahre mit der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen beschäftigt. Unsere Außendienstmitarbeiter, die so genannten Ermittler, haben dadurch schon sehr weit reichende Kenntnisse über die ganze Szene. Die informieren dann letztlich die Polizei.
Wir schulen auch Polizisten zu diesen Themen: Wie ist die Szene aufgebaut? Was passiert dort eigentlich? Ab wann ist etwas eine Urheberrechtsverletzung? Die tatsächliche Ermittlung macht die Polizei, das ist nicht unsere Aufgabe. Wir unterstützen die Polizei lediglich dahingehend, dass wir die Informationen, die wir erhalten, entsprechend aufbereitet weiterleiten.
Und wie gehen Sie dabei aktiv vor? Bis jetzt hört es sich so an, als ob sie nur darauf warten würden, dass Aussteiger bei ihnen anrufen.
Ganz so ist es nicht. Auf der unteren Ebene, den Tauschbörsen, haben wir etwa das Projekt "First Seeder Kill". Bei bestimmten Tauschbörsen kann man ermitteln, wer der erste war, der eine Kopie hochgeladen hat. Dies wird von uns dokumentiert. Mit diesen Daten kann dann die Polizei den Ersteinsteller ermitteln und kommt über ihn dann häufig an die Hinterleute. Gleichzeitig prüfen wir, welche Merkmale die Raubkopie hat: Woher kommt sie? Dann arbeiten wir den Kinos zu. Wir sagen ihnen, welche Schutzmaßnahmen sie ergreifen können, damit das bei ihnen nicht vorkommt. Wenn ein Kino sehr häufig als Quelle illegaler Mitschnitte erscheint, arbeiten wir mit den Betreibern und der örtlichen Polizei sehr eng zusammen. Auf den Sneaks gibt es dann tatsächlich Polizeipräsenz. Das hat in einem Fall dazu geführt, dass eine Release-Gruppe aufgegeben hat, weil der Verfolgungsdruck einfach zu hoch war.
Um eine Verbreitung in andere Märkte zu unterbinden, führen wir schließlich regelmäßig Aktionen etwa auf tschechischen Grenzmärkten, auf Flohmärkten, Ebay durch. Unser neuestes Projekt sind die Sharehoster.
Das ist was genau?
Ein Sharehoster bietet Speicherplatz im Internet an. Man kann seine Daten dort hinterlegen und von anderer Stelle wieder auf die Daten zugreifen. Das nutzen etwa Unternehmen, wenn ihre Angestellten viel unterwegs sind und von überall Zugriff auf große Datenmengen haben müssen, die man nicht mehr eben per E-Mail verschicken kann.
Also Dienste wie Rapidshare oder Depositfiles?
Genau. Das Problem ist, dass diese Dienste auch von Raubkopierern gerne genutzt werden. Es gibt Portalseiten, die Verzeichnisse der illegal herunterladbaren Dateien auf solchen Sharehostern führen. Wer seine Dateien dort hinterlegt, fügt anschließend den Link auf den Portalseiten hinzu, so dass ein anderer Nutzer dann auf den Portalseiten den Link anklicken und die Dateien herunterladen kann.
Darin besteht auch das Problem bei der Verfolgung: Gegen die Portalseite an sich ist relativ schwer vorzugehen, weil deren Betreiber selber nicht unbedingt illegales Material hinterlegen, Zudem versuchen sie oft, ihre Identität zu verschleiern.
Hier gibt es einmal das Verfahren, dass man so genannte "Abuse-Mails" schickt. Man schreibt dann an den Sharehoster: "Hinter diesem Link verbirgt sich eine illegale Kopie, bitte löschen Sie die." Und das geschieht dann auch, mal mehr, mal weniger kooperativ. Natürlich ist das eine Sisyphusarbeit. Sobald ein Link gelöscht ist, kann derjenige, der ihn angelegt hat, gleich wieder den nächsten Link setzen und so weiter. Einige Sharehoster setzen die Links allerdings auf eine "Blacklist", sodass sie in dieser Form nicht wieder eingestellt werden können. Hier ist das Potenzial an technischen Möglichkeiten, um so etwas zu verhindern, noch bei weitem nicht ausgereizt.
Bei Filmen kommt noch hinzu, dass die Dateien so groß sind, dass sie in mehrere Links zerschnitten werden müssen. Pro Film müssen dann teilweise zehn, zwölf Links gelöscht werden. Schließlich gibt es auch noch verschiedene Verschlüsselungsmethoden und andere Wege, um die Herkunft zu verschleiern, was das Löschen weiter erschwert, aber nicht unmöglich macht.
Wenn sie auf eine illegale Kopie gestoßen sind und dann versuchen, mit einer Anzeige gegen Unbekannt an Daten des Nutzers vom Server heranzukommen – ist das nicht schwierig, wenn die Server beispielsweise im Ausland betrieben werden?
Dafür haben wir Kooperationen und Schwesterorganisationen in den anderen europäischen Ländern. Die werden dann entsprechend von uns informiert, sodass das Verfahren dort weitergehen kann. Ein Payserver-Ring beschränkt sich nicht immer nur auf Deutschland, sondern existiert auch in Frankreich und anderen Ländern. Auch Release-Gruppen sind teilweise über Ländergrenzen hinaus aktiv.
Hier gibt es von Seiten der Behörden eine internationale Zusammenarbeit. Der Weg ist immer gleich: Wir erstatten Anzeige und setzen so ein Verfahren der Strafverfolgungsbehörden in Gang. Die wiederum haben ihre Kontakte zu anderen Behörden im Ausland und auf dieser Ebene funktioniert die Vernetzung gut. Auf der anderen Seite sind wir mit unseren Schwesterorganisationen natürlich ähnlich gut vernetzt.
Was für Schwesterorganisationen sind das?
Im Prinzip tun die das gleiche wie wir, wenn auch nicht immer mit der völlig gleichen Aufgabenstellung. Wir haben Mitglieder aus Film und Entertainment-Software. Andere machen etwa nur Film oder zusätzlich Musik. In Österreich gibt es den VAP, in der Schweiz die SAFE, in Belgien BREIN – es gibt überall ähnliche Organisation.
Apropos Mitglieder: Die GVU ist ein eingetragener Verein. Wer genau steht als Träger dahinter? Wie viele Mitarbeiter haben sie?
Über unsere Personaldecke reden wir nicht. Unsere Mitglieder sind zum einen die Unternehmen der Filmwirtschaft und Entertainment-Software – nicht jedes Unternehmen, aber beim Film sind es rund 80 Prozent der relevanten Unternehmen. Dann haben wir die verschiedenen Branchenverbände aus Film, Video, Software als Mitglieder, den BITKOM, BIU, BVMI, BVV, HDF, IVD, MPA, SPIO und VDF.
Im europäischen Raum sind wir dadurch vernetzt, dass die MPA, der weltweite Verband der sieben großen Hollywoodstudios, bei uns Mitglied ist. Hier werden unsere Maßnahmen über das EMEA-Headquarter in Brüssel gesteuert. Zusätzlich haben wir noch eine engere Kooperation mit den Anti-Piraterie-Organisationen der deutschsprachigen Länder. Der deutschsprachige Markt ist ja insofern ein Sonderfall, als man hier nicht so gern unsynchronisierte Filme aus dem Ausland sieht.
Wenn Sie nicht über Personal nicht reden: Wie hoch liegen die jährlichen Ausgaben?
Das Jahresbudget umfasst einen niedrigen siebenstelligen Betrag, der natürlich höher sein könnte. Genaue Angaben hierzu können wir jedoch nicht veröffentlichen.
Wie teilt sich ihre Arbeit auf? Ist das Gros ihrer Mitarbeiter mit Abmahnungen und Abuse-Mails an Filesharing-Dienste beschäftigt?
Wir schreiben gar keine Abmahnungen. Wir unterstützen ausschließlich die Strafverfolgungsbehörden bei ihrer Arbeit. Die Erlangung von Schadensersatz ist kein Ziel der GVU. Zivilrechtliche Verfahren – wozu Abmahnungen gehören – obliegen den Rechteinhabern selbst, die GVU ist hier allerdings unterstützend tätig. Wir arbeiten nur mit Festangestellten, wovon der Großteil in der integrierten Rechts- und Ermittlungsabteilung sitzt.
Das sind Spezialisten mit unterschiedlichen Schwerpunkten, beispielsweise Interentermittlungen. Dann haben wir einige, die sich technisch sehr gut auskennen und sich um Asservate, Zufallsfunde, die Ermittlung der Kopienquellen kümmern.
Wie stehen Sie dann zu Massenabmahnungen und harten Strafen gegen Endverbraucher, wie man sie aus der US-amerikanischen Musikindustrie kennt?
Aus unserer Sicht ist es sehr problematisch, wenn man die Strafverfolgungsbehörden als kostengünstige Möglichkeit nutzt, um zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen, allerdings gibt es hierzu nach heutiger Rechtslage keine Alternative. Ein solches Vorgehen, wie es mangels Alternative in anderen Branchen durchgeführt wird, verschlechtert das Klima der Kooperation. Die Grenzen, ab denen ein Strafverfahren eingeleitet wird, steigen dann. Das wiederum führt zu einer sinkenden Zahl von Strafverfahren und Urteilen und einer Zunahme von Verfahrenseinstellungen und Vergleichszahlungen. Und das führt aus unserer Sicht zu einer Entkriminalisierung beziehungsweise Bagatellisierung von Urheberrechtsverletzungen, die wir gerade nicht wollen. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, effektive Möglichkeiten für alle Rechteinhaber zu schaffen, die Rechte auch durchzusetzen.
Allerdings muss ich anfügen, dass sich bei Musik und Film auch einfach unterschiedliche Strategien anbieten. Beim Film hat man eine Kaskadenauswertung: Es ist recht teuer, einen Film zu produzieren. Man tritt in Vorleistung, auf die verschiedene Stufen der Verwertung folgen, die das Geld wieder einspielen sollen – Kino, DVD-Verkauf und DVD-Verleih, Pay-TV, Free-TV. Anders herum: Taucht ein Film, der noch nicht oder gerade erst im Kino angelaufen ist, schon in Tauschbörsen auf, sind alle nachfolgenden Stufen der Verwertung gestört bzw. komplett abgeschnitten. Bei Musik und Software gibt es eine solche Verwertungskaskade nicht.
Eine andere Strategie ist, direkt gegen die Technikanbieter vorzugehen. Die MPAA, der Verband der US-Filmwirtschaft, versucht Filesharingdienste oder Tracker wie jüngst The Pirate Bay mit juristischen Mitteln vom Netz zu nehmen. Wie stehen Sie dazu?
Hier muss man natürlich zwischen den Arten der Technikanbieter differenzieren: Natürlich sind technische Anbieter wie Trackerbetreiber ursächlich und damit verantwortlich für die massenhaften Urheberrechtsverletzungen, und jedes juristische Vorgehen ist nur konsequent. Wir wollen auch, dass die Technikanbieter – wie Internet Service Provider oder Telekommunikationsanbieter – sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Alternativ zu Massenabmahnungen bevorzugen wir ein System, das wir "Graduated Response" [etwa "abgestufte Reaktion", Anm. d. Red.] nennen. Das ist in Frankreich Ende 2007 aufgekommen und wird in Großbritannien gerade heiß diskutiert.
Personen, die gelegentlich illegal downloaden, geraten dabei nicht sofort in ein Rechtsverfahren. Stattdessen gibt es ein abgestuftes Verfahren: Zuerst erhalten sie eine Hinweismail, dass das, was sie tun, nicht legal ist. Wenn es dann noch einmal passiert, erhalten sie eine Androhung, dass ihnen der Internetzugang gesperrt wird. Und wenn es dann noch einmal passiert, gibt es eine kurzfristige Sperrung. Beim vierten Mal wird der Zugang dann endgültig gesperrt.
Das halten wir für sinnvoll, um die Strafverfolgungsbehörden nicht für etwas auszunutzen, was eigentlich gar nicht ihre Aufgabe ist, wie bei Massenabmahnungen.
Und wie sollte man Ihrer Meinung nach mit den Technikanbietern selbst umgehen?
Das "Graduated Response"-Verfahren setzt natürlich voraus, dass die Internet Service Provider, also die DSL-Anbieter beispielsweise, mit uns als Vertreter der Rechteinhaber zusammenarbeiten, sodass solche Mails verschickt und Zugänge gesperrt werden. Da ist die Kooperationsbereitschaft vorsichtig gesagt unterschiedlich. Urheberrechtsverletzungen können wir als GVU aber einfach nicht alleine begegnen. Da muss zusammengearbeitet werden. Dazu führen wir Roundtable-Gespräche, neben vielem anderen. Die Entwicklung in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Großbritannien ist hier schon weiter. Deutschland muss aufpassen, dass wir nicht ins Hintertreffen geraden.
Über allem steht unser großes Ziel, den Respekt für geistiges Eigentum zu erhöhen. Inzwischen ist das geistige Eigentum ja auch für den Einzelnen sehr wichtig geworden. Viele Menschen verdienen mit Kreativität und ihren Ideen ihr Geld. Wenn die Leute sich aber daran gewöhnen, dass sie das, was andere kreativ geschaffen haben, einfach so nehmen können, entsteht gesamtwirtschaftlich ein großes Problem. Es muss ein Umdenken stattfinden, dass das geistige Eigentum genau so zu schützen und respektieren ist wie das materielle.
Stichwort Respekt: Eine weitere Strategie sind aktuelle Kampagnen wie "RESPE©T COPYRIGHTS" und "Hart aber gerecht: Raubkopierer sind Verbrecher!". Wie stehen Sie mit denen in Zusammenhang?
Beides sind Kampagnen der Filmwirtschaft. Die "Raubkopierer"-Kampagne ist der Vorläufer zur "Respect Copyrights"-Kampagne gewesen, die einen mehr edukativen Ansatz verfolgt und mittlerweile stärker in den Vordergrund gerückt ist. Wir unterstützen beide.
Die Idee der "Raubkopierer"-Kampagne war, dass viele Raubkopieren lediglich als ein Kavaliersdelikt gesehen haben. Die Filmwirtschaft hat sich daraufhin gesagt: Es hilft nichts, wenn wir nur mit Wattebäuschen werfen, wir müssen die Leute wirklich aufrütteln, und hat dann diese zugegeben sehr provokative Kampagne gestartet. Allein der Begriff "Raubkopie" ist ja juristisch falsch – es ist Diebstahl und kein Raub, was beim illegalen Kopieren passiert. Gleichzeitig wollten wir soweit wie möglich vom Begriff "Piraterie" weg, der eher romantische Assoziationen weckt.
Ich denke, die Kampagne hat insofern gut funktioniert, als das Thema tatsächlich in die öffentliche Diskussion kam. Der Begriff "Raubkopie" hat sich weitgehend etabliert. Damit war die Voraussetzung geschaffen für den edukativen Ansatz von "Respect Copyrights". Die Kampagne setzt viel stärker auf Bildung in der Schule, wo erklärt wird, warum es eigentlich schlimm ist, wenn man Raubkopien erstellt. Wer leidet darunter? Das hätte ohne das Aufrütteln zuvor nicht greifen können.
Wie ist die öffentliche Reaktion auf diese Kampagnen? In meinem Umkreis kenne ich vor allem genervte Äußerungen darüber, dass ich die "Raubkopierer"-Trailer nicht weiterklicken kann, wenn ich eine neue DVD einlege.
Das Feedback ist durchaus kontrovers. Aber aus Marketing-Sicht ist eine kontrovers diskutierte Kampagne immer die wirkungsvollste.
Im Januar 2008 trat der Zweite Korb der Urheberrechtsreform in Kraft, der keine beteiligte Interessengruppe so recht zufrieden zu stellen scheint. Wie sieht die GVU die Reform?
Das neue Gesetz enthält aus unserer Sicht als einzig relevante Änderung lediglich eine Klarstellung, was eine illegale Vorlage ist. Vorher hieß es nur, das Herunterladen offensichtlich rechtswidrig hergestellter Vorlagen sei illegal. Im jetzigen Gesetz wird ausdrücklich ergänzt, dass auch eine unerlaubt bereitgestellte Vorlage eine illegale Vorlage ist.
Früher haben die Leute gesagt: "Ich habe mir eine originale DVD gekauft, davon darf ich mir eine Privatkopie machen. Warum darf ich die dann nicht in eine Tauschbörse stellen – ich verdiene ja gar kein Geld damit?" Mit der Ergänzung wurde klargestellt: Wer eine CD oder DVD kauft, darf zwar eine Privatkopie erstellen, aber es ist kein weiteres Nutzungsrecht der Veröffentlichung oder Weitergabe damit verbunden.
Ein Problem aus unserer Sicht ist, dass die Formulierung "offensichtlich rechtswidrig" erhalten blieb. Das ist nach wie vor ein sehr unbestimmter rechtlicher Begriff. Und die Voraussetzungen für Privatkopien sind immer noch nicht eindeutig geregelt. Wann ist etwas eine Privatkopie? Wie viele darf ich erstellen: Eine oder mehrere? Darf ich meine Privatkopie behalten, wenn ich das Original verkauft habe?
Da wäre es aus unserer Sicht für den Verbraucher viel besser, wenn die Privatkopie genau so klar geregelt wäre wie die Sicherheitskopie bei Software. Dort weiß der Verbraucher: "Von meinem Original darf ich eine Sicherheitskopie erstellen, solange ich keinen Kopierschutz umgehe. Die Kopie muss ich mitgeben, wenn ich das Original verkaufe." Eine solche Regelung wäre auch für Film und Musik wünschenswert. Dann müsste sich der Verbraucher keine Gedanken mehr machen, was er nun gerade kopieren möchte – Software, Film, Musik,
Weiterführende Links
- Externer Link: Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen
- Externer Link: Kampagne "Hart aber gerecht: Raubkopierer sind Verbrecher"
- Externer Link: Kampagne "RESPE©T COPYRIGHTS"
- Externer Link: Studie "Consumer File Sharing of Motion Pictures"
Das Interview führte Sebastian Deterding.