Herr von Braunmühl: Was ist gut am Urheberrecht?
Das Urheberrecht ist wichtig als Anreiz für kreatives Schaffen. Wer seine Zeit investiert, um künstlerisch, kreativ oder wissenschaftlich etwas zu schaffen, der soll auch davon profitieren und es zu Geld machen können. Zudem muss er geschützt werden vor Trittbrettfahrern, die kopieren, um dann mit der Wertschöpfung anderer Geld zu verdienen. Ich denke, ohne einen rechtlichen Schutz des geistigen Eigentums wäre die Welt kulturell ärmer und es gäbe weniger Innovation. Deswegen ist das Urheberrecht nicht nur im Interesse des Urhebers, sondern auch im öffentlichen Interesse.
Und was sind Schwächen des Urheberrechts?
Es gibt Interessen des Urhebers selbst, des Rechteverwerters und des Nutzers. Diese Interessen müssen ausbalanciert werden. Verfassungsrechtlich gesprochen gibt es beim körperlichen Eigentum die Sozialbindung des Eigentums – "Eigentum verpflichtet". Die gleiche Sozialbindung muss es auch für das geistige Eigentum geben. Das Problem ist allerdings die Ausgestaltung dieser Sozialbindung.
Bei klassischem Eigentum ist sie rechtlich sehr weit ausdifferenziert, da sie sich seit vielen hundert Jahren herausgebildet hat. Darüber besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Im Urheberrecht ist die Sozialbindung noch mit vielen Unsicherheiten behaftet. Die einen beklagen, dass die Wertschätzung und Akzeptanz des geistigen Eigentums hinter dem klassischen Eigentumsbegriff zurückbleibt; die anderen, dass es Exzesse im Urheberrecht gibt, weil die Sozialbindung noch nicht ausreichend entwickelt und ausdifferenziert wurde.
Aus Verbrauchersicht sehen wir die Notwendigkeit für eine stärkere Sozialbindung, beziehungsweise eine Klarstellung, was die Sozialbindung im Bereich Verbraucherschutz konkret bedeutet.
Sie haben jetzt die Sicht der Verbraucher angesprochen. Wie kommt ihre Organisation, der verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), mit dem Urheberrecht in Kontakt?
Wir beschäftigen uns noch gar nicht so lange mit der Materie. Früher war das nur eine Frage zwischen Künstlern, Plattenfirmen und Fernsehsendern. Als Folge der Digitalisierung wird nun der Verbraucher immer mehr vom Urheberrecht tangiert. Unter anderem liegt das daran, dass das Urheberrecht und die urheberrechtlichen Schranken nicht mehr nur durch das Gesetz definiert werden, sondern auch durch individuelle Lizenzverträge.
Es gibt zunehmend Verbraucherbeschwerden darüber, dass diese Verträge oft wenig kundenorientiert sind und den Verbraucher einseitig benachteiligen. Wir haben die Möglichkeit, unfaire allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gerichtlich prüfen zu lassen. Es gibt bisher allerdings kaum Rechtsprechung zu der Frage, wo die Grenzen der Zumutbarkeit bei Endnutzerlizenzverträgen liegen.
Beschwerden kommen auch zunehmend von Verbrauchern, die mit Abmahnungen konfrontiert werden. Darin wird dem Empfänger typischerweise vorgeworfen, im Internet eine Urheberrechtsverletzung begangen zu haben, zum Beispiel indem er ein Foto auf seine Website gestellt hat oder illegal Dateien in Tauschbörsen angeboten oder heruntergeladen hat. Gefordert wird die Abgabe einer Unterlassungserklärung und die Zahlung von Schadensersatz und einer saftigen Anwaltsgebühr.
Problematisch ist dabei neben überzogenen Gebührenforderungen, dass der Betroffene den Verstoß oft gar nicht nachvollziehen kann, sondern als Störer in Anspruch genommen wird. Das bedeutet etwa, dass der Internetanschluss durch andere für den Urheberrechtsverstoß genutzt wurde. Das geschieht zum Beispiel über ein unzureichend geschütztes Funknetzwerk oder durch die unbemerkte Übernahme der Kontrolle über den Rechner durch Dritte über das Internet. Vielen Verbrauchern ist aber gar nicht klar, dass sie dafür haftbar sind.
Was passiert dann mit solchen Beschwerden? Welche Möglichkeiten hat dann der vzbv?
Bei den Abmahnungen können wir Verbraucher nur durch guten Rat unterstützen. Wer in die Beratungsstellen der Verbraucherzentralen kommt, dem wird im Regelfall geraten, nicht voreilig eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, weil das einem Geständnis gleichkommt. Wer sich keiner Schuld bewusst ist, sollte einen Anwalt konsultieren und sich gegen die Forderung zur Wehr setzen. Gegen unfaire Lizenzbedingungen können wir wie gesagt auch rechtlich vorgehen und haben in den letzten Monaten eine Reihe von Verfahren eingeleitet.
Die Erfolgsaussichten sind allerdings fraglich, weil das Urheberrecht dem Rechteinhaber ein maximales Verwertungsrecht einräumt und auf der anderen Seite keine Verbraucherrechte kennt. Es gibt zwar gesetzliche Schranken wie die Privatkopie, die kann aber bei digitalen Medien durch den Einsatz von "Digital Rights Management" (DRM) beliebig eingeschränkt werden. Es stellt sich also die Frage, wie sich die Rechtlosigkeit von Verbrauchern im Urheberrecht mit der Wertung des Verbraucherrechts verträgt, dass standardisierte Vertragsklauseln Verbraucher nicht unangemessen benachteiligen dürfen. Auf diese Frage werden die Gerichte eine Antwort finden müssen.
Wie im aktuellen Fall von Apples iTunes, das wegen fehlender Interoperabilität der Inhalte mit verschiedenen Endgeräten in die Kritik gekommen ist?
Ja, gegen iTunes haben wir noch nicht geklagt, weil es dort ein sehr offenes Ohr für unsere Forderungen gab und wir uns daher auf Verhandlungen eingelassen haben. Außerdem haben wir uns mit anderen europäischen Verbraucherorganisationen, die ebenfalls gegen iTunes vorgehen, zu einer Allianz zusammengeschlossen, um die Verhandlungsposition gegenüber iTunes zu stärken.
iTunes hat signalisiert, dass das Unternehmen die Nutzungsbedingungen gerne kundenfreundlicher gestalten würde, seine Songs aber wegen entsprechender Lizenzverträge mit den Plattenlabels nur mit Digital Rights Management (DRM) anbieten dürfte. Es wurden Nachverhandlungen mit den Plattenlabels versprochen.
Ein erster wichtiger Erfolg dieser Gespräche ist die Ankündigung, das Musikrepertoire von EMI (dem viertgrößten Plattenlabel) zukünftig auch ohne DRM anzubieten. Der große Vorteil für die Nutzer ist, dass die Songs so auf allen herkömmlichen Abspielgeräten genutzt werden können und nicht nur auf dem iPod. Gleichzeitig haben wir iTunes ein Ultimatum gestellt, bis Herbst 2007 die Interoperabilität für das gesamte Repertoire sicherzustellen. Nach unserem Eindruck mauern allerdings die anderen Plattenlabels wie Sony BMG, Universal und Warner Music.
iTunes steht auf dem Standpunkt, man könne ja die Musikstücke interoperabel machen, indem man sie erst auf CD brennt und dann als MP3-File wieder auf den Rechner importiert. Das finden wir auf die Dauer unbefriedigend, weil es umständlich ist und die rechtliche Bewertung unklar – die Umgehung des Kopierschutzes ist nach dem Urheberrecht ja strafbar. In diesem Fall werden wir vermutlich bis Jahresende wissen, ob wir uns einigen oder ob es doch noch zu einer Klage kommt.
Gibt es noch weitere aktuelle Fälle, in denen Sie das Mittel der Verbandsklage einsetzen und rechtlich tätig sind?
Verfahren gegen Nero (Software) und Ciando (eBooks) wurden durch die Abgabe von Unterlassungserklärungen beigelegt. Auch Musicload und Electronic Arts haben wir abgemahnt. Hier ist noch unklar, ob es zu Gerichtsverfahren kommen wird. Ein Gerichtsverfahren ist anhängig gegen den PC-Spiele-Hersteller Valve [dessen Spiel "Half-Life 2" ist als Kopierschutz nur nach Herunterladen großer Programmteile aus dem Internet spielbar, was nach Ansicht der Verbraucherschützer nicht deutlich genug auf der Spielpackung gekennzeichnet wird, Anm. d. Red.]. Weitere Abmahnungen sind in Vorbereitung.
Gibt es Ansätze der Politik, die Rechte von Nutzern digitaler Medien zu stärken?
Wir haben die Hoffnung, dass die Verbraucherinteressen in der weiteren politischen Diskussion stärker berücksichtigt werden, auch wenn dies im zweiten Korb noch nicht geschehen ist. Unserer Ansicht nach muss der Gesetzgeber in diesem Bereich explizite Verbraucherrechte schaffen. Als Steilvorlage sehen wir dafür unter anderem die Charta von Bundesminister Seehofer "Verbrauchersouveränität in der digitalen Welt", die im Frühsommer im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft veröffentlicht wurde. In der Charta werden Schranken für den Einsatz von DRM gefordert. Auch im Abschlussdokument des IT-Gipfels findet sich die Forderung nach Leitlinien für den verbraucherfreundlichen Einsatz von DRM. Diese Absichtserklärungen müssen nun politisch umgesetzt werden. Auf EU-Ebene gab zudem die Aufforderung des Europäischen Parlaments an die EU-Kommission eine Charta digitaler Nutzerrechte zu schaffen.
Der Bundestag hat Anfang Juli 2007 die Novelle des Urheberrechts, den sogenannten zweiten Korb, beschlossen. Sie waren als Sachverständiger zur Anhörung geladen. Wie zufrieden sind Sie mit der vom Parlament beschlossenen Fassung?
Eindeutig unzufrieden, da sich aus Sicht der Nutzer kaum etwas bewegt hat. Beim ersten Korb hieß es, dass man schnell die EU-Richtlinie "Urheberrecht in der Informationsgesellschaft" umsetzen müsse. Weitere Anpassungen im Interesse der Verbraucher und der Urheber sollten dann im zweiten Korb folgen. Das wurde dann auch auf breiter Front diskutiert.
Es gab eine Arbeitsgruppe im Bundesjustizministerium, eine Unterarbeitsgruppe beschäftigte sich exklusiv mit dem Thema "Privatkopie". Die Ansichten hierzu waren allerdings extrem unterschiedlich. Die einen wollten die digitale Privatkopie ganz abschaffen, wir wollten sie als durchsetzbares Recht ausgestalten. Das Ergebnis kann man als Kompromiss zwischen unversöhnlichen Positionen bezeichnen. Die digitale Privatkopie bleibt als gesetzliche Schranke bestehen, kann aber durch technische Schutzmaßnahmen beliebig eingeschränkt werden. Dies kommt nach unserer Ansicht einer De-facto-Abschaffung gleich.
Welche Interessen haben sich dann durchgesetzt?
Am stärksten die der Rechteverwerter. Wir hatten es bei der Anhörung geschafft, einen Schulterschluss mit ver.di als Vertreter der Urheber hinzubekommen. Gemeinsam haben wir dafür plädiert, ein durchsetzungsstarkes Recht auf Privatkopie zu schaffen und im Gegenzug angemessene Pauschalabgaben vorzusehen. Das wäre ein Modell, auf das wir uns hätten einigen können.
Der Gesetzgeber hat bedauerlicher Weise diesen Schulterschluss zwischen Urhebern und Nutzern nicht aufgegriffen, sondern den Gegenargumenten der Rechteverwerter – Verlage, Plattenfirmen und Filmproduzenten – den Vorzug gegeben. Das gilt nicht nur für die Privatkopie, sondern auch für Beschränkungen des Urheberrechts im Interesse von Wissenschaft und Bildung. Ich halte es schon für verheerend, wenn man beispielsweise die Arbeitsgrundlage für den wissenschaftlichen Dokumentenversand "Subito" entzieht, der zunächst mit Millionen von Steuergeldern auf die Beine gestellt wurde, oder dass man die Zahl elektronischer Leseplätze in Bibliotheken eingeschränkt hat. Es gab ja schon verschiedentlich den Ruf nach einem dritten Korb. Dem können wir uns als Verbraucherverband nur anschließen.
Sehen Sie durch Verabschiedung des zweiten Korb also eine Schwächung des Verbraucherschutzes?
Die Verbraucherinteressen wurden weiter geschwächt. Denn durch den zweiten Korb wird nun auch der Download von Dateien aus dem Internet mit Strafe bedroht, wenn diese offensichtlich rechtswidrig angeboten werden. Das Problem dabei ist, dass die meisten Nutzer nicht beurteilen können, welche Angebote im Netz legal und welche illegal sind. Ob man dieses Problem mit der Einschränkung "offensichtlich rechtswidrig" in den Griff bekommt, wage ich zu bezweifeln, da dies ein völlig unklarer Rechtsbegriff ist.
"Offensichtlich rechtswidrig" meint was?
Je nachdem wen man fragt, bekommt man die unterschiedlichsten Antworten darauf. Ich habe schon ernsthaft die These gehört, alles was kostenlos im Netz angeboten werde, sei vermutlich illegal. Diese Vermutung halte ich für absurd, denn die meisten Inhalte werden im Internet kostenlos angeboten. Andere meinen, offensichtlich rechtswidrig sei ein Inhalt nur in Extremfällen, wenn beispielsweise ein gerade im Kino angelaufener Film kostenlos ins Internet gestellt werde. Aber auch über neue Kinofilme sind nicht alle Bürger jederzeit informiert.
Die Frage, für wen die Rechtswidrigkeit offensichtlich sein muss, ist ebenso völlig ungeklärt: für alle, für die meisten oder für den Einzelnen aufgrund seines persönlichen Erfahrungshintergrunds? Für Internetnutzer entsteht hier erst einmal Rechtsunsicherheit, die vermutlich erst der Bundesgerichtshof in vielen Jahren auflösen wird.
Im ursprünglichen Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Novelle des Urheberrechts war eine Regelung zur sogenannten Bagatellklausel enthalten. Widerrechtlich erstellte Kopien von Musik oder Filmen sollten demnach straffrei bleiben, wenn es sich nur um wenige Kopien für den privaten Gebrauch handelt. Diese Klausel wurde später wieder gestrichen. Was bedeutet das für die Nutzer?
Dass die Bagatellklausel aufgrund des Drucks der Unterhaltungsindustrie aus dem Gesetzentwurf gestrichen wurde, ist sehr bedauerlich. Damit werden Urheberrechtsverletzungen pauschal mit einer hohen Strafe von bis zu drei Jahren bedroht, ohne nach der Schwere des Verstoßes zu differenzieren.
Die Bagatellklausel wäre ein wichtiges Signal gewesen, dass eine Kriminalisierung der Schulhöfe verhindert werden soll. Wir denken, dass man bei der Bestrafung differenzieren muss zwischen gewerblichen Raubkopierern und denen, die Inhalte nur zu privaten Zwecken nutzen wollen. Da halten wir die Diskussion in anderen Ländern wie beispielsweise Frankreich für fortschrittlicher. Dort werden geringe Verstöße mit einem Bußgeld von 38 Euro bedroht. In Deutschland droht gleich die große Strafrechtskeule.
Das Urheberrecht hat weitreichende Auswirkungen für Nutzer und ist gleichzeitig in aller Munde. Trotzdem sind die einzelnen Regeln und Vorschriften wenig bekannt, es herrscht sehr viel Unklarheit. Was muss unternommen werden, damit sich das ändert?
Man kann nicht erwarten, dass der Verbraucher zum Urheberrechtsexperten wird. Dennoch ist es wichtig, Verbraucher aufzuklären und zu informieren. Dazu trägt beispielsweise dieses Dossier oder auch das Online-Angebot von iRights bei.
Es ist wichtig zu vermitteln, dass Inhalte auch im Internet nicht alle kostenlos zu haben sind und dass geistiges Eigentum einen Wert hat, für den bezahlt werden muss. Dies könnte aber viel glaubwürdiger geschehen, wenn gleichzeitig vermittelt werden könnte, dass Verbraucher auch gegenüber den Anbietern digitaler Inhalte bestimmte Rechte haben, die nicht ohne Weiteres eingeschränkt werden dürfen.
Das Problem ist doch, dass es keinen gesellschaftlichen Konsens über den Wert und die Grenzen des geistigen Eigentums gibt – für viele ist es ein Kavaliersdelikt im Internet gegen Urheberrechte zu verstoßen. Gerade deswegen wäre es wichtig, dass alle Beteiligten sich verstärkt um einen fairen Interessenausgleich bemühen und unversöhnliche Extrempositionen aufgeben.
Interview: Philipp Otto