Herr Gorny, was macht ein Bundesverband Musikindustrie eigentlich genau?
Dieter Gorny: Der Bundesverband Musikindustrie e.V. ist der Verband der Tonträgerwirtschaft, in dem rund 350 kleine, mittelständische und große Labels organisiert sind, die rund 90 Prozent des deutschen Marktes repräsentieren. Er vertritt die Interessen dieses Bereichs der Kreativwirtschaft, der ein wesentliches Glied der Verwertungskette des künstlerischen Produktes Musik ist. Heute wird mehr Musik denn je gehört, doch die Bereitschaft, dafür auch zu bezahlen, war nie so gering. Vom Kopieren können Künstler aber nicht leben. Deshalb sehe ich es als meine Aufgabe an, die Akzeptanz von Musik als Wirtschaftsgut in der Gesellschaft nach vorne zu bringen. Sonst wird über kurz oder lang die musikalische Vielfalt abnehmen.
Welche Rolle spielt dabei das Urheberrecht?
Eine fast schon mehr als zentrale, ich denke, die herausragende Rolle in einer zukünftigen Diskussion. Die Creative Industries - die kreativen Industrien – entwickeln und produzieren kreative Inhalte und erzeugen so Produkte, die als geistiges Eigentum schützbar sein müssen. Durch die Verwertung dieser 'Intellectual Properties' entsteht ein ökonomischer Mehrwert. Das Urheberrecht und die Schützbarkeit des geistigen Eigentums ist die Grundlage der gesamten kreativen Ökonomien von Film über Musik bis zu Verlagen oder Software.
Wieso sind diese Märkte wichtig?
Wenn man die europäische Ökonomiedebatte verfolgt, so sieht man, dass wir einerseits mit der Globalisierung, andererseits mit einem immer stärkeren Rückgang der traditionellen Industrien in Europa konfrontiert sind. Wenn wir die Herausforderung annehmen, die europäische Wissensgesellschaft mit der technologischen Zukunft und den globalen Herausforderungen zu verknüpfen, dann sind sich alle einig, dass einer der zukünftigen Leitmärkte, die unsere Prosperität sichern, die 'Creative Industries' sind.
Wie sichert denn das Urheberrecht diese Märkte?
Ein Künstler kann frei entscheiden, ob er sein Werk der industriellen Verwertung zuführt oder nicht. Aber wenn wir wollen, dass eine Ökonomie aus kreativen Werken entsteht, dann brauchen wir das Urheberrecht. Sonst wäre das, was kreatives Eigentum genannt wird, so allgemein verfügbar, dass sich ökonomische Prozesse nicht mehr in Gang setzen ließen. Das würde am Ende dazu führen, dass ein Künstler oder eine Künstlerin sagt: "Wenn ich keine Chance habe, mit meiner Kunst meinen Lebensunterhalt zu verdienen, dann mach ich das auch nicht mehr."
Wir haben ja, wenn man sich auf die 'recorded music' bezieht, ein schönes Schlagwort: "Es wurden nie so viele CDs gekauft wie heute." Der Nachteil dabei ist, dass nur noch auf einem Viertel davon Musik ist. Aber kurze Zeit später ist auch auf den anderen drei Vierteln Musik. Das zeigt, dass das Interesse an Musik ungebrochen ist.
Die Musiknutzung über CDs oder MP3-Player hat sich von 1995 bis 2005 von 14 auf 45 Minuten mehr als verdreifacht. Die Menschen gehen sehr intensiv mit Musik um, sie brauchen Musik im Alltag, sie wenden sich der Musik bewusst zu. Musik ist ein sehr elementares Gut.
Was ich vermisse, ist der Respekt vor denen, die dafür sorgen, dass man solche schönen Momente erleben kann. Wenn das Gut Musik so eine zentrale Bedeutung einnimmt, dann müssen wir auch sagen: "Das ist mir etwas wert." Dann müssen wir eine 'Respekt-Debatte' führen, da ansonsten Musik in der heutigen Form nicht mehr möglich ist. Wir brauchen deshalb eine neue, dem digitalen Zeitalter und den gesellschaftlichen Veränderungen adäquate Debatte über Urheberrecht und geistiges Eigentum.
Wie stellen Sie sich diese Debatte konkret vor? Wo soll sie geführt werden?
Für mich ist das eine Frage der Bildung, und die beginnt in der Schule. Es muss klar sein - auch unabhängig von der ökonomischen Diskussion - wie wichtig die Wertschätzung kreativer Leistung ist. Wie wichtig es ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der Kreative, egal was sie machen, eine wichtige Rolle einnehmen.
Noch heute profitiert Deutschland von dem Image, das Land der Dichter und Denker zu sein. Musik, Theater oder Kunst haben eine starke integrative Funktion in einer zunehmend multikulturellen und globalisierten Gesellschaft. Ich glaube, dass wir die gesellschaftlich-künstlerische Seite mehr betonen müssen, um daraus dann die ökonomische Dimension abzuleiten. Das ist eine Bildungsfrage. Wenn es darum geht, Dinge zu ändern, geht es nur, wenn man eine Wertediskussion in der Schule und in der Ausbildung führt.
Ein zentraler Begriff in der Auseinandersetzung von Rechteverwertern und Nutzern ist die Privatkopie.
Die Privatkopie hat mit den technischen Möglichkeiten, die es heutzutage gibt, eine andere Wertigkeit bekommen. Früher war das zeitlich eine Eins-zu-eins-Arbeit. Wenn ich was aufnehmen wollte, dann dauerte das genauso lange wie das Anhören. Es gab also eine natürliche Begrenzung durch die verfügbare Zeit. Das hat sich durch die Digitalisierung radikal verändert. Sie können blitzschnell und verlustfrei Musiktitel übertragen. Dafür gibt es zwar Kompensationsabgaben – die Leermedienabgabe und Kopierabgabe –, aber das ist nur ein minderwertiger Ersatz für die direkte Entlohnung der Kreativen. Mir geht es vielmehr darum, generell zu sagen, die Idee ist wichtig, die muss geschützt werden. Wenn wir diese Wertschätzung nicht haben, kommen wir in der ganzen Debatte nicht mehr weiter.
Sie sprechen oft von der "Umsonst ist Cool"-Debatte. Was meinen Sie damit?
Ich hatte ein schönes Gespräch mit Ulrike Haage, der ehemaligen Keyboarderin der Rainbirds, auf einem Kongress in Hamburg. Sie hat dort als Künstlerin erzählt, wie sie Musikmachen empfindet, und das sehr poetisch dargestellt. Alle waren sich nach diesem Vortrag einig, wie wichtig Ulrike Haages musikalisch-künstlerische Beiträge für die Gesellschaft sind, wie toll das ist und wie sehr man das braucht. Wer aber die 'Umsonst-Kultur' propagiert, der sollte auch den Mut haben, zu ihr hinzugehen und zu sagen: "Deine Musik ist super, die wollen wir gerne haben. Aber wir wollen nichts dafür bezahlen. Wenn du Musik machen willst, dann musst du halt putzen gehen." So ausgedrückt rudern plötzlich alle zurück und sagen, dass sie es so nicht gemeint haben.
In einem anderen Gespräch sagte mir jemand: "Wenn ich Künstler richtig toll find, dann kauf ich deren Sachen, dann helfe ich denen." Dieses Gefühl, diesen Respekt, müssen wir wieder im Bewusstsein der Menschen verankern. Die 'Umsonst-Kultur' führt sonst dazu, dass wir uns am Ende eines sehr wesentlichen kulturellen Guts berauben, weil Musik nicht mehr verkaufbar ist und sich viele Künstler auf andere Dinge konzentrieren müssen, um überleben zu können.
DRM – Digital Rights Management – wird von vielen Musikfirmen benutzt, um unerwünschte Nutzungen zu verhindern. Musikhörer sind aber unzufrieden, weil sie mit der Musik, die sie gekauft haben, nicht alles machen können, was sie wollen, etwa weil eine gekaufte CD nicht im Computer oder im Auto läuft.
Hier muss es uns gelingen, einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Verbraucher und den Interessen von Künstlern und der Musikwirtschaft zu schaffen. Die Kunden sagen: "Ich will mit meiner gekauften Musik machen können, was ich will." Demgegenüber steht der legitime Anspruch jedes Kreativen, dass sein Produkt nicht grenzenlos und unentgeltlich kopiert wird.
DRM schafft diesen Interessenausgleich, indem es dem Verbraucher eine weitreichende, aber begrenzte Anzahl von Nutzungsmöglichkeiten erlaubt. Eine andere Alternative wäre, Musik sehr viel teurer zu machen. Das wichtigste bei Kopierschutztechnologien ist aber, dass die Systeme untereinander kompatibel sind. Das haben wir immer wieder gefordert, aber hier sind die Downloadanbieter und die Hersteller der Abspielgeräte gefordert. Die DRM-Frage ist meiner Ansicht nach aber ohnehin nicht so brisant, wie das Brennen oder die unrechtmäßige Beschaffung von Musik aus Tauschbörsen.
Der Bundestag hat gerade eine Reform des Urheberrechtsgesetzes verabschiedet, den sogenannten zweiten Korb. In einer Presseerklärung dazu hat die IFPI verkündet, dass sie eine Verfassungsklage erwägt. Wieso sind Sie unzufrieden mit dem verabschiedeten Gesetz?
Weil der zweite Korb aus dem alten urheberrechtlichen Denken kommt und dieser gesamten Debatte über geistiges Eigentum – auch dem, was wir gerade in diesem Interview besprechen – nicht gerecht wird. Er greift zu kurz, weil er die neuen Herausforderungen mit alten Mitteln in den Griff kriegen will.
Nehmen Sie die Privatkopie, über die wir schon geredet haben. Privatkopie bedeutet für mich, dass ich etwas kaufe und für den eigenen Gebrauch kopiere. Das ist etwas ganz anderes, als wenn Sie eine Software auf Ihrem Computer installiert haben, der Sie am Abend vor dem zu Bett Gehen sagen: "Durchforste doch mal alle Webradios nach Titeln von Robby Williams, Tokio Hotel und Madonna" und am nächsten Morgen haben Sie dann eine vollständige neue Musiksammlung auf ihrem Computer. Das hat mit dem, was einmal als Privatkopie definiert war, nichts mehr zu tun.
Hier wird unter dem Deckmantel der Privatkopie vertuscht, was eigentlich passiert: Ich hole mir Musik, die mir eigentlich nicht gehört und mache damit sukzessive einen Wirtschaftszweig kaputt. Die Gesetzgebung hinkt hier der technologischen Entwicklung hinterher. Der Gesetzgeber sollte sich dem stellen und sagen: "Damit geordnete ökonomische Strukturen überhaupt noch stattfinden können, müssen wir an dieser Stelle noch nachjustieren."
Die Presseerklärung zeigt die Verärgerung über eine politische Debatte, die immer noch hinter der technologischen Realität, der Konsumentenrealität und der Wertigkeitsrealität einer ganzen Wirtschaftsbranche zurückbleibt. Ich halte die Reform für viel zu kurz gegriffen, weil sie die ökonomischen Chancen der Creative Economies und ihre Entwicklungsfähigkeiten für die Zukunft in keinster Weise angemessen aufnimmt.
Interview: Valie Djordjevic