Man muss nur die Zeitung aufschlagen oder einen News-Ticker im Internet aufrufen und weiß: Das Urheberrecht ist bedeutsam wie nie. Das gilt einerseits für die großen Unterhaltungs- konzerne, die über das Urheberrecht versuchen, den anarchischen Umgang mit geschützten Inhalten im Internet in den Griff zu bekommen. Das gilt andererseits auch für den Zugang und die Vermittlung von Wissen und Informationen.
Wer hätte das vor 20 Jahren gedacht? Im analogen Zeitalter war dieses Rechtsgebiet für den einfachen Bürger kaum von Bedeutung. Bücher konnten gelesen, Schallplatten gehört und Filme gesehen werden, ohne dass dabei Urheberrechte beachtet werden mussten. Der Schatz des Wissens fand sich in Bibliotheken, Universitäten, in eigenen Büchern, im Fernsehen und Radio. Der Konsum, also das Lesen, Anschauen und Hören von urheberrechtlich geschützten Werken über die verfügbaren Quellen war frei und ohne gesetzliche Hindernisse möglich.
Das hat sich durch die Digitaltechnik und vor allem das Internet erheblich gewandelt. Die digitale Revolution hat ungeahnte Spielräume bei der Erschaffung und Nutzung von geschützten Werken (wie Filmen, Musik, Computerprogrammen) eröffnet. Jeder kann heute Inhalte mit einfachen Mitteln erstellen, ohne Qualitätsverluste kopieren und der ganzen Welt online zugänglich machen. Praktisch jeder macht heute von diesen Möglichkeiten Gebrauch. Das bedeutet, dass Urheberrecht heute jeden angeht. Und das wiederum führt zu Problemen.
Bild: dieSachbearbeiter.de, cc by-nc-nd/2.0/de (bpb, Bild: dieSachbearbeiter.de, cc by-nc-nd/2.0/de ) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de
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Ursprünglich war das Urheberrechtsgesetz eine Spezialmaterie. Es betraf vor allem Plattenfirmen, Verwertungs- gesellschaften und Verlage, außerdem durch Manager und Anwälte vertretene Komponisten, Musiker oder Drehbuchautoren. Heute ist das Urheberrecht zu einem Ordnungs- und Verhaltensrecht für alle geworden. Wer das Internet oder anderen digitale Medien nutzt, nutzt auch urheberrechtlich geschützte Werke.
Tauschbörsen, Internet-Foren, Ebay-Auktionen, bei denen CDs, Filme oder Computersoftware versteigert werden, Weblogs und "Web 2.0"-Plattformen: all dies gehört heute zum privaten Alltag vieler Menschen. Hinzu kommt die geschäftliche Umwelt semi-professioneller Kleinstunternehmen, die Online-Shops, Download-Dienste, Online-Datenbanken oder schlicht eine Website betreiben. All das hat mit Urheberrecht zu tun. Dabei ist das Urheberrecht ist eine komplexe Materie. Es unterscheidet nicht zwischen Privatpersonen, Start-Ups oder Großunternehmen. Und es ist rigoros: Jeder hat die Rechte anderer zu beachten, aber nur wenige wissen, was das genau heißt.
Das Können-Dürfen-Paradoxon
Dass sich aus dieser Bedeutungsverschiebung neue Anforderungen an das Recht ergeben, liegt auf der Hand. Ein Gesetz, das in hohem Maß Privatpersonen betrifft, muss im Zweifel leichter zu verstehen sein. Es muss auch mehr auf die Belange der Allgemeinheit Rücksicht nehmen als eines, das nur spezifische Wirtschaftszweige betrifft. Dennoch ist das Urheberrecht heute nicht leichter zu handhaben als vor 40 Jahren. Im Gegenteil: Es ist komplizierter denn je.
Das führt bei Nutzern sehr oft zu Verständnisproblemen und mangelnder Akzeptanz. Auf der einen Seite schaffen digitale Technologien viele komfortable Möglichkeiten, Werke zu erstellen, zu kopieren, zu bearbeiten und zu verbreiten. Auf der anderen Seite werden diese Möglichkeiten durch die Gesetze erheblich eingeschränkt. Mit anderen Worten: Was möglich ist, ist noch lange nicht erlaubt. Doch damit nicht genug.
Denn obwohl die digitale die "analoge" Nutzung zunehmend verdrängt und dabei wesentlich vielfältigere Möglichkeiten bietet, ist sie häufig strengeren Regeln unterworfen. So sieht das Gesetz beispielsweise vor, dass im Handel erworbene Musik-CDs ohne Einschränkung weiterverkauft werden dürfen. Erwirbt man die gleichen Songs in einem Download-Shop (etwa bei iTunes), ist es dagegen im Zweifel nicht erlaubt, die Dateien oder eine hiervon gebrannte CD weiterzuverkaufen.
Zugleich werden diese weit stärker beschnittenen Rechte fest in die digitalen Daten und Abspielgeräte eingebaut (so genanntes "Digitales Rechtemanagement"), die somit plötzlich viel weniger Optionen bieten, als die Digitaltechnik eigentlich hergibt. So etwas ist nicht leicht zu akzeptieren.
Informations- statt Urheberrecht?
Was die Sache noch schwieriger macht, ist die Tatsache, dass das Urheberrecht den Nutzern selbst keinerlei eigene Rechte zugesteht. Es sieht nur einzelne, eng begrenzte und nur für bestimmte Sonderfälle geltende Einschränkungen der Urheberrechte vor (etwa die Zitierbefugnis oder die Privatkopie). Keineswegs hat sich das 'Urheberrecht' wie von vielen gefordert zu einem 'Informationsrecht' fortentwickelt, also zu einem ausgewogenen Recht über die Nutzung von Informationen und kulturellen Werken, das die Interessen der Rechteinhaber und die Interessen der Nutzer gleichermaßen berücksichtigen würde.
Die politischen Debatten und gesetzlichen Lösungen bei der Neuordnung des Urheberrechts zeigen im Gegenteil deutlich, dass es dem Gesetzgeber vor allem auf einen Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Unterhaltungsindustrie ankommt. Von der Entstehung einer ausgewogenen Wissensordnung sind wir weit entfernt.
Diese einseitige Haltung führt zu Problemen. Schon das Grundgesetz gibt vor, dass das Urheberrecht einen Ausgleich herstellen muss zwischen den anerkannten – und teils verfassungsrechtlich garantierten – Interessen der Allgemeinheit auf der einen und den individuellen Interessen der Urheberrechtsinhaber auf der anderen Seite: Eigentum verpflichtet. Dieser Ausgleich ist für die kulturelle Teilhabe der Bevölkerung ebenso wichtig wie für die Zukunft der Informationswirtschaft und den Schutz der Kreativen.
Auf der einen Seite stehen also die Interessen der Rechteinhaber an dem Schutz ihrer kreativen Inhalte (wie Zeitungsartikel, Musikstücke, Filme, Computerprogramme). Mit ihnen in Einklang zu bringen sind die Belange der Allgemeinheit – wie das Interesse an freiem Zugang und ungehinderter Nutzung von Informationen, das Interesse an Wissenschaft und Bildung, an Zitaten oder Parodien und an der Berichterstattung über wichtige Ereignisse.
Im Detail ist die Interessenlage äußerst kompliziert und vielschichtig. Vor allem Produzenten und Verwertungsunternehmen drängen in der Regel auf einen starken und weitreichenden Schutz von Urheberrechten. Dagegen haben die Schöpfer der Inhalte – die Urheber – differenzierte Interessen: Einerseits brauchen sie effektiven rechtlichen Schutz (unter anderem gegen ihre Arbeits- und Auftraggeber), um ihre finanziellen Erträge zu sichern, Anerkennung zu bekommen und sich vor unautorisierter Nutzung zu schützen. Andererseits sind sie selbst Nutzer, die darauf angewiesen sind, auf dem Schaffen Dritter aufzubauen und an dieses anzuknüpfen.
Rechte, die dem Inhaber die umfassende und ausschließliche Befugnis verleihen, über die Nutzung seines Werkes zu entscheiden, setzen dem naturgemäß Grenzen. Die (End-)Nutzer schließlich sind gerade in einer Wissens- oder Informationsgesellschaft zunehmend auf einen möglichst ungehinderten Zugang zu Informationen angewiesen.
All diese verschiedenen Interessen in Einklang zu bringen, ist eine schwierige Aufgabe für den Gesetzgeber. Wenn eine der Interessensgruppen zu sehr benachteiligt wird, kann das zu negativen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Effekten führen.
Die Entscheidungen darüber, wie das Urheberrecht ausgestaltet werden soll, werden durch widersprüchliche Leitlinien der Politik erheblich erschwert: Während die wirtschaftspolitischen Ziele scheinbar für eine stetige Ausweitung des Urheberrechtsschutzes und eine Zurückdrängung der urheberrechtlichen Freiheiten sprechen, geben Bildungspolitik, Verbraucherschutz und Sozialpolitik in der Regel genau entgegengesetzte Maßnahmen auf. All diese Ziele müsste der Gesetzgeber – neben den internationalen und europäischen Vorgaben – theoretisch bei der Abfassung und Modernisierung des Urheberrechts berücksichtigen.
'Balance' des Urheberrechts in Gefahr
Die Realität stellt sich jedoch meist anders dar. Die Erfahrungen mit Gesetzgebungsprozessen haben gezeigt, dass in erster Linie die Interessen berücksichtigt werden, die auf der jeweiligen politischen Agenda den höchsten Rang einnehmen und mit dem größten Nachdruck in die Diskussion eingebracht werden.
Ersteres hat bei den Debatten über das Urheberrecht meist dazu geführt, dass sich vorrangig arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Ziele durchgesetzt haben. Letzteres, dass vor allem die Stimmen der Unterhaltungsindustrie, Verlage und Verwertungsgesellschaften von Regierung und Gesetzgeber angehört wurden.
Diese Gruppen sind in der Lage, ihren Forderungen in Gesetzgebungsverfahren durch spezialisierte Lobbyisten besonderes Gewicht zu verleihen. Dagegen sind die Nutzer bei den Diskussionen in der Regel eher unterrepräsentiert, da sie nicht über vergleichbare Fürsprecher verfügen.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Entstehungsgeschichte des geltenden Urheberrechts und der in jüngerer Zeit durchgeführten Reformen. Diese hatten letztlich zum Ergebnis, dass der Umfang des Schutzrechts – also die Befugnisse der Urheber und Rechteinhaber – zulasten der Nutzungsfreiheiten ausgeweitet wurde.
Während neue Schutzrechte ohne weiteres anerkannt werden (beispielsweise das 'Online-Recht' in § 19a UrhG, nach dem der Urheber anderen verbieten kann, seine Werke online zu nutzen), sind Gerichte und Gesetzgeber eher zurückhaltend, wenn es um eine entsprechende Anpassung bzw. Ausweitung der Nutzungsfreiheiten geht. Im Gegenteil: Wichtige Beschränkungen des Urheberrechts, wie zum Beispiel die Privatkopieregelung, wurden nicht erweitert, sondern weiter zurückgedrängt.
So hat man sich etwa bei der Gesetzesreform im Jahr 2003 (dem sogenannten "Ersten Korb") entschieden, den Schutz vor Umgehung von digitalen Rechtemanagement-Systemen und Kopierschutztechnologien gegenüber der Befugnis, digitale Privatkopien anzufertigen, als vorrangig zu erklären.
Das heißt konkret: Es ist zwar grundsätzlich erlaubt, digitale Kopien etwa von Musik-CDs herzustellen. Wenn zu diesem Zweck jedoch ein Kopierschutzmechanismus umgangen werden muss, darf nicht kopiert werden. Die Songs auf einer kopiergeschützten CD dürfen also zum Beispiel nicht auf einen MP3-Player überspielt werden. Auch eine Sicherungskopie der CD darf nicht erstellt werden.
Verstärkt wird die Tendenz der Ausweitung des Urheberrechts noch dadurch, dass das Recht immer mehr Werkarten erfasst (zum Beispiel seit den 1980er bzw. 1990er Jahren Computerprogramme und Datenbanken), dass immer geringere Anforderungen an die Schutzfähigkeit gestellt werden und die Schutzdauer regelmäßig verlängert wird. Wenn man sich vorstellt, dass heute jedes Handy-Knipsbild 50 Jahre und das simpelste Freeware-Programm sogar bis 70 Jahre nach dem Tod des Entwicklers geschützt sind, macht das die Dimensionen des Urheberrechts deutlich.
Anreiz oder Hemmnis – Eine Gratwanderung
Es stellt sich die Frage, warum derart ausufernde Rechte überhaupt gewährt werden. Die verbreitete Annahme, dass Anreize zum kreativen Schaffen nur durch möglichst weitreichende Schutzrechte geschaffen werden können, ist jedenfalls widerlegt.
Zwar mag man dieser Theorie zugestehen, dass gerade die – häufig anonyme – Nutzung von Online-Technologien zu einem erheblichen Kontrollverlust und zu wesentlich erschwerter Rechtsdurchsetzung führt. Ein solcher Kontrollverlust hat auch zweifellos erhebliche Auswirkungen auf die traditionellen Geschäfts- und Verwertungsmodelle, etwa der Musik- oder Filmindustrie. Dies wirkt sich wiederum auf das Werkschaffen der Kreativen aus, vor allem soweit sie die Verwertung ihrer Werke Dritten überlassen.
Dennoch: Vor allem aus ökonomischer Sicht ist die These, dass möglichst umfangreiche Rechte für eine blühende Technologie- und Kulturproduktion ("mehr Rechte, mehr Fortschritt") ausnahmslos positiv und in jedem Fall wünschenswert sind, längst widerlegt. Vielmehr belegen wirtschaftwissenschaftliche Theorien, dass geistige Eigentumsrechte (mit anderen Worten: Monopolrechte) wie das Urheberrecht Fortschritt und Innovation hemmen, wenn sie zu weit reichen.
Die Erfolge von alternativen Verwertungskonzepten wie Open Source Software (Stichwort GNU/Linux) und Open Content (Stichwort Wikipedia) zeigen, dass die Schöpfer hochwertiger kreativer Inhalte nicht immer auf maximale Kontrolle und maximalen Gewinn aus sind. Wer in solchen Communities aktiv ist, dem geht es vielmehr darum, dass seine Inhalte möglichst ungehindert genutzt werden können und dass für die Nutzung nichts bezahlt werden muss.
Die Entwicklung des Urheberrechts – das sollte deutlich geworden sein – ist von elementarer Bedeutung für Gegenwart und Zukunft. Einmal etablierte Rechte können kaum wieder entzogen werden, auch wenn sie sich später als schädlich herausstellen sollten. Eine Informationsgesellschaft lebt davon, dass Informationen möglichst von allen wahrgenommen und weitergegeben werden können. Um dies zu gewährleisten, ist bei der Anpassung des Urheberrechts Augenmaß gefragt. Vielleicht sogar ein grundlegender Paradigmenwechsel von einem Urheber- zu einem Informationsrecht, mit dem Ziel, eine ausgewogene Wissensordnung zu schaffen.
Literatur
Stefan Bechtold (2002): Vom Urheber- zum Informationsrecht. Dissertation, Universität Tübingen. Auf: Externer Link: www.jura.uni-tuebingen.de
Jeanette Hofmann (Hg.) (2006): Wissen und Eigentum. Bonn: bpb 2006 Auf: Externer Link: www.bpb.de
Volker Grassmuck (2004): Freie Software. Zwischen Privat- und Gemeineigentum. 2. Aufl. Bonn: bpb 2004. Auf: Externer Link: http://freie-software.bpb.de/
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