Im Vergleich zur Literatur von Vertretern der politischen Linken, auch der radikaleren Spielart, sind Publikationen über die politische Linke bzw. den Linksextremismus im Allgemeinen nicht sehr verbreitet (sieht man einmal von einigen Monographien und periodisch erscheinenden Bänden der dem interessierten Publikum bekannten, hier auch Erwähnung findenden Protagonisten der Extremismusforschung und ihrer Adepten ab). Einen gewissen Kontrapunkt zu diesem Umstand setzen aktuell die hier vorzustellenden Bände von Journalisten und Wissenschaftlern (durchaus auch in einer Person), die für ihre Beobachtungen und Analysen zum Teil recht unterschiedliche Zugänge und Ansätze wählten. Zu besichtigen sind neben klassischen (sozial-)wissenschaftlichen Texten Reportagen und Streitschriften sowie Abhandlungen mit pädagogischem bzw. politisch-bildnerischem Anspruch. Per se kein Nachteil ist dabei, dass den Autoren ihre politische Nähe bzw. Ferne gegenüber dem "linken" Untersuchungsgegenstand meist mehr oder weniger deutlich anzumerken ist.
Besprochene Werke
Christoph Ruf, Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu (Beck’sche Reihe; 1959), München: Beck 2011, 254 S., € 12,95, ISBN: 9783406606496.
Jan Fleischhauer, Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde, Reinbek: Rowohlt 2010 (4. Aufl.), 383 S., € 8,95, ISBN: 9783498012252.
Olaf Baale, Links in Deutschland. Der unaufhörliche Niedergang einer von Herzen kommenden Bewegung, Berlin: Das Neue Berlin 2011, 222 S., € 12,90, ISBN: 9783360021120.
Harald Bergsdorf, Rudolf van Hüllen: Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr? Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat, Paderborn: Schöningh 2011, 200 S., € 24,90, ISBN: 9783506772428.
Ulrich Dovermann (Hg.): Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung; 1135), Bonn: BpB 2011, 320 S., € 4,50, ISBN: 9783838901350.
Was ist links?
Christian Ruf, Journalist bei verschiedenen Tageszeitungen und Wochenmagazinen aus dem "linken" und linksliberalen Spektrum, bemüht sich mit seinen Reportagen aus einem ihm nahestehenden politischen Milieu erkennbar um Selbstvergewisserung. "Was ist links" ist daher auch das Buch des Autors überschrieben - eine Frage, die er 1991, während der Zeit in der Oberstufe eines badischen Kleinstadtgymnasiums, noch habe leichter beantworten können. Aus einem Klassentreffen im Sommer 2009 resultierte der Auftrag durch ehemalige Mitschüler mit einem ebenfalls "linken" Lebensgefühl, an der "Basis" von SPD, Grünen und der Linkspartei Erhellendes dazu zu recherchieren, was "Links-Sein" heutzutage eigentlich bedeutet. Der Journalist machte sich auf den Weg. Seiner, wenn auch nicht wissenschaftlich angelegten, Feldforschung geht der Eindruck voraus, dass es zumindest Spitzenpolitikern der betreffenden Parteien, "die in den Talkshows hin- und hergereicht werden", um nicht mehr als den nächsten Aufschwung in Umfragen gehe (8). Der Autor gliedert seine Zeitreise - beginnend mit der Bundestagswahl am 27. September 2009, bei der die SPD ihre bisher größte Wahlniederlage erlitt - in die Phasen "Niederlage", "Aufräumarbeiten" (hier auch mit dem Kapitel "Fernverbindungen: SPD, Grüne und Linkspartei tasten sich ab") sowie "Annäherung" (mit den aus Autorenwarte hoffnungsträchtigen Ausführungen zu "Im Schatten der Kameras: Ein neues linkes Projekt entsteht"). Sein Resümee - "Mein Jahr unter Linken" - fällt in die Zeit der überraschenden absoluten Mehrheit der SPD bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am 20. Februar 2011.
In guter journalistischer Manier berichtet Ruf über seine Beobachtungen in Parteiquartieren, Parlamenten, auf Außenplätzen und in privaten Räumlichkeiten – auch Details beachtend, die auf den ersten Blick nebensächlich erscheinen. Schon angesichts seines Diktums im Klappentext, dass nur "die geeinte Linke" eine politische Antwort auf die Probleme des 21. Jahrhunderts geben könne, kann die affirmative Vorgehensweise des Autors im Hinblick auf die Objekte seiner Beschreibungen nicht verwundern. Gänzlich kritiklos bleiben seine Ausführungen zur Verfasstheit der politischen Linken dennoch nicht: "Dogmatismus und Lustfeindlichkeit, schamlose Selbstgerechtigkeit und penetranter Moralismus, wo die Argumente versiegen. Man könnte Hunderte Seiten füllen mit der Beschreibung all ihrer Unsitten" (18). Die Reportagen kommen engagiert und meinungsfreudig daher, dürften aber für Leser, die diesem politischen Spektrum eher fern stehen, keine allzu große Überzeugungskraft entfalten. Das gilt insbesondere für Rufs Schilderungen bezüglich ostdeutscher Befindlichkeiten und der Linkspartei. So erweckt er den absurden Eindruck, die SED-Nachfolgepartei sei Opfer einer falschen Beurteilung durch Westdeutsche, für die die ehemalige DDR immer noch "terra incognita" sei (124). Heißt das im Umkehrschluss, dass an Ostdeutschland interessierte Westdeutsche die Linkspartei sympathisierend betrachten müssten? Augenscheinlich überschätzt der Autor die Rolle, die diese Partei für die Köpfe und Herzen der Menschen spielt, wenn er sich zu der These versteigt, die "Linke und ihre Politiker" seien im Osten Deutschlands "Mitte der Gesellschaft" (143) - dieses mag höchstens ihrem Selbstbild entsprechen. An dem heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck kritisiert Ruf praktisch alles, was auch die "Linke" seinerzeit ins Feld führte, als sie dem ehemaligen Bundesbeauftragten der Stasi-Unterlagenbehörde auf der Bundesversammlung am 30. Juni 2010 die Stimme verweigerte und so Christian Wulff ins Amt verhalf. So muss der Autor die damalige große Unterstützung für Gauck innerhalb der Bevölkerung dann auch als "recht grotesk anmutende mediale(n) Begeisterung" werten (159).
Das letzte Kapitel widmet Ruf einem flammenden Plädoyer für rot-rot-grün nach den Bundestagswahlen 2013, wobei er auch keine Urteile und Prognosen scheut, von denen er wissen musste, dass diese aufgrund der sprichwörtlichen politischen Schnelllebigkeit nur Momentaufnahmen darstellen können. Dazu gehört die aus gegenwärtiger Sicht wohl eher mutige Voraussage, dass Angela Merkel 2013 Ex-Kanzlerin sein dürfte. Die von ihm herbeigesehnte Wunschkoalition sei weit mehr als eine wohl arithmetische Notwendigkeit: "Die drei Parteien brauchen sich wechselseitig, um eine gut austarierte Politik im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie zu verfolgen" (239). Bei solcherart Erkenntnissen fragt man sich allerdings, ob es dazu eines eineinhalb jährigen Aufenthalts "unter Linken" bedurft hätte, die der Reisereporter auch noch als "anstrengend" bezeichnet (234).
Unter Linken
(© Rowohlt Verlag)
(© Rowohlt Verlag)
In Form und Inhalt könnte der bereits in mehreren Auflagen erschienene Bestseller von Jan Fleischhauer nicht gegensätzlicher zu dem vorher angezeigten Band sein. Die Frage, was (heute noch) links "ist", stellt der Autor gar nicht erst, sondern referiert auf breitem Raum nachdrücklich, unterhaltsam und mit schier unerschütterlicher Überzeugung über das, was Linkssein gesellschaftlich, politisch und kulturell vermeintlich ausmacht. Als ständiger Kolumnist bei Spiegel Online ("Der schwarze Kanal"), mit einem eigenen Blog sowie einem mit dem Buch titelidentischen Dokumentarfilm hat es Jan Fleischhauer inzwischen zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Interessanterweise ist er bereits seit 1989 als Redakteur bei jenem Nachrichtenmagazin tätig, das in früheren Jahren nicht selten von "Konservativen" - zu denen sich Fleischhauer inzwischen selbst zählt - als "linkes Kampfblatt" gescholten wurde.
Das am häufigsten gegen das Buch vorgebrachte Argument lautete, wie der Autor eigens in einem Nachtrag zur Taschenbuchausgabe rekapituliert, dass "rechts" und "links" als politische Begriffe ihre Bedeutung verloren hätten. Geschickt spielt Fleischhauer, wie auch an anderen Stellen des Bandes, den Ball auf das Feld der Gegner zurück – das Argument stehe in offenkundigem Kontrast zu der Entschiedenheit, mit der das Buch zurückgewiesen worden sei: "Wenn sich niemand angesprochen fühlen musste, warum dann diese Aufregung?" (344). Auch andere kritische Einlassungen, vornehmlich "linker" journalistischer Provenienz, weiß der Autor kühl zu kontern und gegen die Absender selbst zu wenden.
Ohne Zweifel dürften nicht wenige Zeitgenossen jener Alterskohorte, der Fleischhauer angehört, eine ähnliche politische Sozialisation in Elternhaus, Schule oder auch Freundes- und Bekanntenkreis erfahren haben. Sehr plastisch schildert er seine spezifischen Erfahrungen als Jugendlicher und Jungerwachsener in durchweg "linken" Milieus. Aber schon mit seinen einleitenden Sätzen generalisiert der Journalist in unzulässiger Weise, wenn er schreibt: "Ich gehöre zu einer Generation, die gar nichts anderes kennt als die Dominanz der Linken" (9). Das mag - grosso modo - für die norddeutsche Metropole Hamburg, wo Fleischhauer aufgewachsen ist, in den 1970er und (frühen) 80er Jahren gegolten haben - ein zur selben Zeit in den ländlichen Regionen Bayerns und Baden-Württembergs sozialisierter Heranwachsender wird mit hoher Wahrscheinlichkeit gänzlich anderen politischen Prägungen ausgesetzt gewesen sein. Gleichwohl gibt es keinen Anlass zu vermuten, die dichten Beschreibungen des Autors seien nicht tatsächlich erfahrungsgesättigt. Woher sonst rühren seine Motivation und das unbestreitbare Vermögen, "linke Lebenswelten" so detailgenau, auch unter Beachtung scheinbar abseitiger Aspekte, zu sezieren.
Wenn Fleischhauer ausführt, es sei schwer, "einen Linken zu treffen, der kein besonderes Anliegen hat, kein selbstlos scheinendes Vorhaben, das er verfolgt und von dem er sich für die Gesellschaft im Ganzen Großes verspricht", so werden "Betroffene" mit einem ähnlichen Erfahrungshintergrund damit viel anfangen können. Aber gibt es den idealtypischen "Linken", den "das Geschäftige, dies leicht Atemlose des Engagierten, die Aura drängender Wichtigkeit" (27) umweht, heute real existierend tatsächlich noch? Oder werden hier lediglich Klischees aneinandergereiht, die zwar sprachlich bestechend auf den Punkt gebracht werden, aber eben doch nicht mehr zeitgemäß sind? Eine Antwort hierauf dürfte nicht nur dem eigenen politischen Standort geschuldet sein, sondern tatsächlich nach den je eigenen politischen Prägungen differieren.
In jedem Fall besitzt das Buch nicht nur (oberflächlich anmutenden) Unterhaltungswert, sondern bietet auch handfeste (zeit)historische und politische Hintergrundinformation - so in den, mokant betitelten, Abschnitten "Auf dem Weg zum Sonnenstaat - eine kleine Geschichte der Linken" oder "Wider die Herrschaft der Vernunft - die Linke und das Bildungssystem". Lässt man das polemische Beiwerk einmal beiseite, so ist Fleischhauer jedenfalls kaum zu widersprechen, wenn er großen Teilen der westdeutschen Linken vorhält, die DDR in ein allzu mildes Licht getaucht und daher auch der deutschen Vereinigung (zunächst) fremd gegenüber gestanden zu haben. Zu den "eindrücklichsten Dokumenten journalistischer Selbstumnachtung" zählt der Autor hier die "Reiseberichte" von sechs "Zeit"-Redakteuren, die sich Mitte 1986 "auf Einladung der SED-Offiziellen" in der DDR aufhielten und über ihre - verharmlosenden - Eindrücke eine Artikelserie verfassten (165). Der Mauerfall habe dann die "deutsche Linksintelligenz" eines "Sehnsuchtsorts von eigentümlicher Tristesse" beraubt, deren "ganze Schäbigkeit nach Öffnung der Tore zu Tage" getreten sei (164).
Links in Deutschland
(© Das Neue Berlin)
(© Das Neue Berlin)
Der Untertitel des Bandes von Olaf Baale signalisiert bereits das idealisierende Moment und die fehlende Distanz des Autors zu seinem Betrachtungsgegenstand: Der aus Wolgast stammende Journalist, Verfasser einiger Monographien und Produzent von zeitgeschichtlichen Beiträgen für diverse Rundfunksender, diagnostiziert in Bezug auf die politische Linke den "unaufhörliche(n) Niedergang einer von Herzen kommenden Bewegung". Im völligen Gegensatz zu dem von ihm anfangs in abgrenzender Weise zitierten Fleischhauer erkennt der Autor gerade keine Dominanz des linken politischen Milieus – vielmehr erzählt das Buch Baales davon, "wie Deutschland der linke Flügel beschnitten wurde" (17). Dabei atmen seine Ausführungen über weite Strecken stark verschwörungstheoretischen Charakter. Im Kern geht es Baale um den Nachweis, dass die linke Bewegung in der Bundesrepublik von Beginn an gezielt zurückgedrängt, gar unterdrückt worden sei - vornehmlich mit Hilfe (amerikanischer) geheimdienstlicher Tätigkeiten (Baale behauptet zudem die Existenz einer noch bis Anfang der 1990er Jahre in Deutschland aktiven "NATO-Geheimarmee" (86)). Der gerade auch von westdeutschen Medien mitausgelöste Zusammenbruch der DDR habe die politische Linke im vereinten Deutschland mangels einer gegenwärtig noch vorhandenen Systemalternative dann vollends in die Defensive gedrängt.
Für manchen arglosen Leser dürfte Baale eine Vielzahl extraordinärer Erklärungen, "Erkenntnisse" und Vermutungen bereithalten, die er gleichwohl meist recht apodiktisch vertritt. So ist es für den Journalisten ausgemachte Sache, dass Rainer Eppelmann als Informant für den amerikanischen Geheimdienst CIA tätig war; dieser habe sich damit auch "strafbar" gemacht und sei seiner (legitimen?) Verurteilung "nur durch den Untergang der DDR" entkommen (43 f.). Über die Beziehungen der Vormacht zu ihrem ostdeutschen Satelliten liest man folgendes: "Kaum ein DDR-Bürger machte sich Illusionen über das Verhältnis seines Staates zur Sowjetunion. Die DDR galt als 16. Sowjetrepublik. Die Russen standen für eine klare Ansage, zeigten sich aber immer aufgeschlossen, aufkommende Spannungen in einem Trinkgelage abzubauen. Ihr Abzug in den 90er Jahren zeigte aller Welt, dass sie sich nicht auf Dauer eingerichtet hatten und ihnen immer bewusst war, dass sie sich eines Tages wieder aus Deutschland zurückziehen würden" (30). Während man sich hier "nur" über manche leichtfertige Formulierung und Wertung wundert, sind andere Behauptungen, die ganz offensichtlich den historischen Tatsachen zuwiderlaufen und dazu beitragen, systemische Bestandteile der ehemaligen Diktatur weich zu zeichnen, einfach nur ärgerlich. So, wenn Baale ins Feld führt, dass die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Staatssicherheitsdienstes zusammen mit ostdeutschen KGB-Residenturen Ende der 1980er Jahre ein DDR-weites Netz aufgebaut haben soll (!) mit dem Ziel der Entmachtung des Politbüros sowie der Schaffung neuer, reformorientierter Führungsstrukturen. Warum dieses angebliche Netzwerk nicht oder nur noch teilweise zum Einsatz kam und "sich die DDR am Ende nicht doch noch sozusagen unter KGB- und HVA-Aufsicht reformierte", bleibt zwar nach den Worten Baales ein "Geheimnis", was ihn aber nicht von der Spekulation abhält, dass möglicherweise "feindliche Geheimdienste derartige, auf den Fortbestand der DDR zielende Bestrebungen" zerschlagen hätten (51).
Ganz anderer Art ist der Blick des Autors auf die Geheimdienste der (alten) Bundesrepublik, gerade auch in Bezug auf die Zeitphase der RAF-Attentate. Im Zusammenhang mit dem Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback 1977 und den zahlreichen Ungereimtheiten bei dessen endgültiger Aufklärung, fragt Baale: "War der vermeintliche Linksterrorismus vom Geheimdienst inszeniert, um den linken Flügel zu schwächen und alles politisch links Stehende ein für allemal zu diskreditieren?" Als Kronzeugen für solche Vermutungen bemüht der Autor mit Michael Buback den Sohn des Opfers, den er allerdings "fast flehentlich" sagen lässt, dass es "diese Verbindung nicht geben" dürfe (93 f.). Dazu passend ist auch die Sicht, die Baale auf die Geschehnisse des "Deutschen Herbstes" grundsätzlich hat: "Die ‚Offensive 77‘ brachte keine ‚vorrevolutionäre Situation‘, sondern einen kräftigen Rechtsruck. Die von den Medien angeheizte Hysterie tat ein Übriges. Die Menschen wurden eingeschüchtert [...] Über Nacht verwandelte sich die Bundesrepublik Deutschland in einen Polizeistaat" (100).
Von seriösen zeitgeschichtlichen Forschungsergebnissen auf diesem Gebiet kaum angekränkelt zeigen sich auch die Einlassungen Baales zum deutschen Einigungsprozess. "Bisherige Erklärungsversuche" dazu scheinen ihm "wenig plausibel" oder ließen zumindest Fragen offen, was an der Wahl des falschen Ansatzes liege: "Nicht Patriotismus oder wirtschaftliche Notwendigkeiten, sondern die gerade überwunden geglaubte und durch die Wende wieder hochkommende Angst vor einem Linksruck prägte den Einigungsprozess" (157). Einigermaßen kryptisch zählt es der Autor bezogen auf diesen Zeitabschnitt auch "zu den großen Herausforderungen, das Offensichtliche zu beweisen" (158). Bei so viel politischer Esoterik nimmt es sich fast schon wieder angenehm aus, wenn Baale zum Ende hin sehr handfest gegen einen vermeintlichen "Katastrophenkapitalismus", der "kein Naturgesetz, sondern Menschenwerk" sei, Position bezieht (205). "Der Linksruck ist überfällig" (210), fordert Baale schließlich – ein eigentümlich optimistisch anmutendes Plädoyer ob seiner manipulativen Sicht auf die kapitalistisch-westlichen Gesellschaften. Denn wie sollte dieser überhaupt zu bewerkstelligen sein angesichts seines vorherigen Diktums: "In allen westlichen, unter US-amerikanischer Führung stehenden Demokratien ist die beständige Eindämmung des linken Meinungsspektrums Staatsräson" (206).
Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?
(© Verlag Ferdinand Schöningh)
(© Verlag Ferdinand Schöningh)
Das Büchlein, wie es das Autoren-Duo Bergsdorf und van Hüllen selbst nennt, befasst sich mit dem "vernachlässigten" Thema Linksextremismus, genauer: mit den Mentalitäten, Motiven und Milieus einschlägiger Gruppen und Parteien und wendet sich expressis verbis an junge Menschen, Eltern sowie an Pädagogen und andere Multiplikatoren. Dem Band kommt in weiten Teilen zugute, dass Ko-Autor Rudolf van Hüllen ausgewiesener Experte für Fragen des (historischen) Kommunismus sowie für den Linksextremismus in all seinen Ausformungen ist und es nachgerade brillant versteht, diese durchaus komplexe Materie jeweils zielgruppengerecht analytisch und sprachlich aufzubereiten. Davon profitieren hier insbesondere die Kapitel über "Denkstrukturen und Befindlichkeiten im Linksextremismus" sowie über "Organisationen, Strategien und Politikfelder". Hier werden sowohl revolutionäre Marxisten - sogenannte Orthodoxe, Trotzkisten und Maoisten - als auch die im anarchistischen Spektrum zu verortenden (gewaltorientierten) "Autonomen" einer skizzenhaften Untersuchung unterzogen. Dabei spielt merklich die "Zeitenwende" 1989/90 implizit und explizit eine entscheidende Rolle, da der Zusammenbruch des "realen Sozialismus" in der DDR sowie in Mittel- und Osteuropa nicht nur für die SED-"Bruderpartei" DKP (schon rein quantitativ) eine Zäsur darstellte, sondern für den organisationsförmigen Sozialismus/Kommunismus in der Bundesrepublik insgesamt. Die Bedrohlichkeit durch den Linksextremismus als Ganzes bleibt aus Autorensicht gleichwohl evident - schon wegen der im langfristigen Vergleich massiv angestiegenen Gewalttaten, aber auch weil er häufig intelligenter agiere und auftrete und schon daher ernst zu nehmen bleibe (10 f.).
Aufschlussreich sind die Ausführungen zu den "dem Politischen vorgelagerten Annahmen über die Natur des Menschen", die seit jeher gravierende Auswirkungen auf die politische Philosophie gehabt hätten (18). Das an sich schon "sehr optimistische Menschenbild" von Linksextremisten habe sich aufgrund der von diesen unterstellten Vernunftfähigkeit des Menschen dann noch zur "anthropologischen Grundannahme vom 'an sich guten' Menschen gesteigert". Diese - irrige - Annahme würde bedeuten, dass sich eine Ordnung unter dem weitgehenden Verzicht auf Zwangsmaßnahmen einrichten ließe. Linksextremisten würden die als "schlecht" angesehene Gesellschaft so formen wollen, dass der "gute" Mensch zur freien Entfaltung komme: "Die Anarchisten durch Rückkehr zu einer angeblich ursprünglich herrschaftsfreien Gesellschaft, die Kommunisten durch Überwindung der aus ihrer Sicht unvernünftigen, weil materiell durch zahllose Ungleichheiten gekennzeichneten Klassengesellschaft" (19 f., Hervorhebung im Original). Prägnant und anschaulich werden im Weiteren auch die durchaus diffizilen Zusammenhänge der "wissenschaftlichen Weltanschauung" des Marxismus-Leninismus und seiner Repräsentanten im 19. Jahrhundert dargestellt, was ebenfalls für den Abschnitt "Milieus und politische Ästhetik" gilt.
Etwas befremdlich wirkt zunächst, dass sich nahezu ein Drittel des Bandes der Partei "Die Linke" widmet, zumal ihr gleich zu Beginn der Ausführungen attestiert wird, weder eine "einwandfrei extremistische noch eine klar demokratische Partei" zu sein (92) - möglicherweise fühlten sich die Autoren aber gerade wegen dieser "Grauzone" herausgefordert, Herkunft und Entwicklung, Wähler und Erfolgsfaktoren, Programmatik und Strategie sowie Köpfe und Organisation den Leserinnen und Lesern vergleichsweise umfassend nahe zu bringen. Dabei wird der Mimikry-Charakter der mit der SED "rechtsidentischen" Partei, wie in Bezugnahme auf eine Äußerung des Linkspartei-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag Bodo Ramelow betont wird (96), in demokratietheoretischer Hinsicht derart stark unterstrichen, dass das - differenzierte - Fazit zur "Demokratiefähigkeit" der Linken schon fast verwundert, diese biete "insgesamt ein ambivalentes Bild" (156).
Schließlich beleuchten die Autoren "Argumentations- und Agitationstechniken von Linksextremisten", wo durchaus intelligent die "angebliche Erkenntnismethode" des Dialektischen Materialismus als wesentlicher Bestandteil marxistisch-leninistischer Philosophie aufs Korn genommen wird. Bei den angeführten Beispielen für "Techniken dialektischer Verunklarung" (165 f.) fragt man sich allerdings, ob solcherart verfremdete "Argumente" heutzutage so lupenrein selbst bei Funktionären der DKP noch vorzufinden sind. Ein inhaltlich abschließendes Kapitel präsentiert und erläutert "Argumente gegen linksextreme ‚Stammtischparolen‘" (dieses kannte man bisher nur aufklärerisch gegenüber dem Rechtsextremismus), was offenkundig vornehmlich auf einschlägige Behauptungen von Vertretern der Linkspartei und ihres Umfeldes zielt. Hier kommen manche Ausführungen recht plakativ daher - bis hin zu geschichtsklitternden Anklängen, wenn - als Replik auf das Ansinnen der ehemaligen Staatspartei, von ihrer alleinigen historischen Verantwortung abzulenken - behauptet wird, die "Blockparteien" in der DDR hätten versucht, "in der SED-Diktatur andere politische Ideen wachzuhalten" (171). Von diesen Vorbehalten abgesehen: Der Wichtigkeit ihres Anliegens, "Defizite der politischen Bildung zum Linksextremismus zumindest in einem ersten Schritt zu vermindern", haben Bergsdorf und van Hüllen in ihrem Band allemal Rechnung getragen - wozu ihnen auch und gerade ein Blick hinter jenen Vorhang notwendig erschien, der die Gedankenwelt dieser Spielart des Extremismus "von der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft abschirmt" (182).
Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland
(© Bundeszentrale für politische Bildung/bpb)
(© Bundeszentrale für politische Bildung/bpb)
Abschließend sei noch auf eine von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), namentlich des Leiters des Fachbereichs Extremismus in der BpB, herausgegebene Publikation verwiesen. Ulrich Dovermann betont in Übereinstimmung mit allen im Prozess der Herstellung des Bandes Beteiligten, dass der Forschungsstand zum Linksextremismus defizitär sei, während es zu Fragen des Rechtsextremismus eine "Forschungswelle" gebe. Diese Forschungsdefizite werde das Buch nicht auffüllen können. Das formulierte Anliegen aber, es solle einen "exemplarischen und repräsentativen Überblick über das vorhandene Fachwissen und die Forschungsstände vermitteln sowie zur Diskussion anregen" (10), darf durchaus als eingelöst gelten.
Der Band spannt einen Bogen über die Partei "Die LINKE", bei der Gero Neugebauer einmal mehr die Frage nach einem (möglichen) "Oszillieren zwischen Demokratie und Extremismus" aufwirft und zu der Eckhard Jesse "demokratietheoretische, parteiensystematische und koalitionsstrategische Überlegungen" anstellt, über "Die Entstehung der ‚Antideutschen‘ und die Spaltung der linksradikalen Szene" (Carsten Koschmieder) bis hin zur linksautonomen Szene (Udo Baron), hier auch zu ihrem Politikverständnis in einschlägigen Publikationsorganen (Marie-Isabel Kane). Mit zwei Beiträgen, zu Erscheinungsformen und Motiven von "Israelfeindschaft" bzw. zu Handlungsfeldern des Linksextremismus, ist Armin Pfahl-Traughber, hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, vertreten. Den grundsätzlichsten Beitrag steuert Hubert Kleinert über die "Geschichte des linken Radikalismus in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1990" bei. Der ehemalige "Grünen"-Politiker vermeidet den Begriff "Linksextremismus", mit dem "in der Sprache der Verfassungsschutzberichte seit 1974 zur Kennzeichnung systemfeindlicher Bestrebungen gearbeitet" werde, bewusst. Das vom Autor zugrunde gelegte Verständnis von "linkem Radikalismus" orientiert sich explizit "nicht an der Frage, welche Gruppierungen innerhalb des Rahmens, den die verfassungsmäßige Ordnung [...] für legale politische Tätigkeiten vorsieht, anzusiedeln waren und welche erkennbar außerhalb dieses Rahmens standen" (49). Diese weiter gefasste Begrifflichkeit bekommt der Überblicksdarstellung erkennbar gut und dokumentiert im Übrigen den pluralistischen Ansatz dieses Sammelbandes. Davon zeugt gleichfalls das die Publikation beschließende - sehr meinungs-, aber auch argumentationsstarke - "Streitgespräch" zwischen den in wissenschaftlicher Hinsicht als antipodisch zu betrachtenden Extremismusforschern Richard Stöss (Otto-Stammer-Zentrum/FU Berlin) und Uwe Backes (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung/TU Dresden).
Zitierweise: Andreas Fraude, Disparate Bestandsaufnahmen zur politischen Linken und zum Linksextremismus. In: Deutschland Archiv Online, 22.02.2013,Link: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/fraude20130222