Eine Ergänzung zu
Die Ausstellung über die "Friedens- und Umweltbewegung in der Mitteldeutschen Industrieregion", die im Jahre 2003 in Sachsen-Anhalt gezeigt wurde, ging unter anderem exemplarisch auf die Arbeit des Kirchlichen Forschungsheimes in Wittenberg und auf die Aktivitäten der Friedensinitiative "Frieden '83" ein. Beide Organisationen waren über Jahre überregional tätig und entfalteten daher eine für Diktaturverhältnisse breite öffentliche Wirksamkeit im Bereich des Engagements für Frieden und Umwelt.
"Frieden '83" wurde am 5. Januar 1983 in Halle (Saale) in einer Wohnung von 30 Vertreter von Friedensgruppen aus der ganzen DDR als überregionale Friedensinitiative gegründet. Die Gruppe wollten in die Kirche und in die Gesellschaft hineinwirken – als eine Initiative, die sich verbindlich und persönlich mit allen Konsequenzen für den Frieden in einer existenzbedrohenden Situation einsetzte: Verbindlich war die persönliche Entscheidung gegen weitere Aufrüstung, gegen jede Beteiligung am System der Abschreckung, gegen jede weitere Militarisierung des Denkens und des öffentlichen Lebens.
Eine Basiserklärung wurde verabschiedet und eine Eingabe – zusammen mit einer großen Unterschriftenaktion – an die Bundessynode der Evangelischen Kirchen in der DDR im Juni 1983 in Potsdam gerichtet. Die Gruppe traf sich bis 1989 zweimal jährlich, unter anderem in Magdeburg, Bernburg, Halle, Torgau, Herzberg, Weißenfels, Erfurt und Wittenberg. Die Vertreter der Gruppe waren in den verschiedenen Synoden der evangelischen Landeskirchen aktiv.
Sie reagierte jeweils auf die aktuellen friedens- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen. "Frieden '83" schrieb Eingaben, Beschwerden, Vorschläge an staatliche und kirchliche Stellen. 1986 richtete sie vom Weißenfelser Treffen aus einen Brief an die Öffentlichkeit zur Unterstützung der Perestroika-Politik und der Abrüstungsvorschläge Michail Gorbatschows. Nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl beschäftigte sich "Frieden '83" intensiv mit Energieproblemen und protestierte gegen die geplanten Atomkraftwerke vom Tschernobyl-Typ in der DDR.
Zentrales Thema war und blieb die gewaltfreie Lösung von innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Konflikten. Wofür sich "Frieden '83" jahrelang beharrlich eingesetzt hatte, mündete 1987 auf der Görlitzer Synode in das Bekenntnis zum Frieden mit der "Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung", zusammen mit der Forderung nach Abbau von Rüstung und Feindbildern. In der konsequenten Ablehnung des Wehrdienstes mit seinem Eid (unbedingter Gehorsam) blieben die Mitglieder von "Frieden '83" jedoch außerhalb des Konsenses von Synoden.
"Frieden '83" sprach sich mehrfach entschieden dafür aus, in der DDR einen sozialen Friedensdienst statt des Wehr- oder Bausoldatendienstes einzurichten. Vertreter der Gruppe suchten den Kontakt zu west- und osteuropäischen Friedens- und Menschenrechtsgruppen – nach Polen, in die Niederlande, die USA und in die Bundesrepublik – und traten bei der Vorbereitung und Ausgestaltung des Olof-Palmes-Friedensmarsches im September 1987 hervor. Nachdem die Wittenberger Gruppe 1983 während des Kirchentages in der Lutherstadt mit ihrer Schmiedeaktion "Schwerter zu Pflugscharen" über die DDR-Grenzen hinaus Aufsehen erregt hatte, legte sie 1988 für den Kirchentag in Halle "20 Thesen zur gesellschaftlichen Erneuerung" vor, die eine große Resonanz fanden.
1989 haben die Mitglieder der Friedensgruppe an ihren Wohnorten als Einzelne oder in Gruppen "in der ersten Reihe" am demokratischen Umbruch und an der gewaltsamen Ablösung des kommunistischen Machtapparates teilgenommen. Sie organisierten an ihren Orten die Friedensgebete und Friedensdemonstrationen des Herbstes '89 und beteiligten sich an der Gestaltung des gewaltfreien gesellschaftlichen Übergangs an den Runden Tischen.
Bereits im Mai 1983 wurden "10 einfache Sätze zum Frieden" formuliert und als ein Art Friedensbekenntnis öffentlich gemacht:
1. Ich will ein freier Mensch unter freien Menschen sein.
2. Ich habe Angst vor morgen. Aber ich werde nicht gleichgültig und gebe nicht auf.
3. Ich danke für mein Leben und versuche so zu leben, dass alle leben können.
4. Ich suche das Gespräch mit Andersdenkenden; sie helfen mir, selbstkritischer zu werden.
5. Ich möchte lieber Unrecht leiden als Unrecht tun.
6. Ich will ohne den Schutz von zerstörerischen Waffen leben und werde mich selbst nicht an Waffen ausbilden lassen.
7. Ich rüste meine Feindbilder und Feindgefühle schrittweise ab.
8. Ich möchte so Frieden stiften, dass ich selber dabei friedfertig bleibe, aber immer aktiv für den Frieden wirke.
9. Ich bin bereit, um des Friedens willen Nachteile in Kauf zu nehmen, ohne darüber bitter zu werden.
10. Ich suche für all mein Tun und Denken geistlichen Grund und politische Gründe.
Geistlicher Grund und politische Gründe bewirkten ebenso ein Engagement in der Umweltbewegung der DDR. Oft geschah das in Personaleinheit, das heißt, dass die gleichen Frauen oder Männer in Friedens- und Umweltgruppen mitarbeiteten und ihr Überzeugungen in die Ortsgemeinden oder synodalen Zusammenschlüsse der Kirchen und ganz einfach in ihren Lebensalltag hineintrugen.