„Manche wischen das weg, als ginge es sie gar nichts an“
Margarethe GallersdörferSusanne Vieth-Entus
/ 13 Minuten zu lesen
Link kopieren
80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau: Sechs Berliner Lehrkräfte erzählen, was sie in ihren Schulen erleben, wenn sie die Shoah thematisieren – und Auschwitz und andere Gedenkstätten besuchen. Ihre Erfahrung sind teilweise ernüchternd, das Desinteresse mitunter groß. ,Du Jude’ ist auf Berliner Schulhöfen zu einem gängigen Schimpfwort geworden und Hakenkreuze sind keineswegs selten. Aber es gibt auch beispielhaftes Engagement.
Die Zahl der Projekte, mit denen Schulen in Deutschland ihre Schülerinnen und Schüler über die Gräuel des Nationalsozialismus aufklären, um sie stark gegen Antisemitismus zu machen, ist umfangreich. Aber wie reagieren die Jugendlichen darauf? Anlässlich des jüngsten Holocaust-Gedenktags sprach die Berliner Tageszeitung Tagesspiegel im Januar 2025 mit sechs Lehrkräften, die sich in dem Themenfeld engagieren, ob als Geschichtslehrer oder Chemielehrerin. Ihre Berichte zeigen, dass es unzählige Wege gibt, die Vernichtung der Juden und die Menschenverachtung des NS-Regimes zu thematisieren, aber die Resonanz ist höchst unterschiedlich und zum Teil frustrierend. Eine zentrale Rolle spielen Gedenkstättenfahrten in ehemalige Konzentrationslager wie Auschwitz, wo am 27. Januar 2025 der 80. Jahrestag der Befreiung begangen worden ist.
Der Unterricht der nachfolgend befragten Lehrkräfte folgt dem Auftrag des Berliner Schulgesetzes, festgehalten in dessen Artikel 1:
"...Ziel muss die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde, der Gleichstellung der Geschlechter und im Einklang mit Natur und Umwelt zu gestalten."
Laut einer am 23. Januar 2025 veröffentlichten Externer Link: Studie der Jewish Claims Conference ("Index on Holocaust Knowledge and Awareness") geben zwölf Prozent der jungen Erwachsenen in Deutschland an, sie hätten noch nie vom Holocaust gehört oder seien sich nicht sicher, ob sie davon gehört hätten. Berlins Schulen versuchen auf vielfältige Weise, solchem Nichtwissen zu begegnen. Gedenkstättenfahrten sind nur ein Baustein. Gespräche mit KZ-Überlebenden ebenso, sowie akribische Spurensuchen, um die Schicksale Vertriebener und Ermordeter zu ergründen. Das Charlottenburger Schiller-Gymnasium etwa erforscht seit drei Jahren das Schicksal seines ehemaligen Schülers Externer Link: Norbert Bernheim, der 1943 18-jährig in Auschwitz ermordet wurde. Am 27. Januar 2025 enthüllte die Schule eine Gedenktafel für ihn.
"Einzelbiografien sind ganz wichtig, um Schülern die Geschichte begreifbar zu machen".
Lea Honoré, Vorsitzende des Berliner Verbands der Geschichtslehrerinnen und -lehrer
Ich unterrichte an einem Gymnasium in Reinickendorf und war zuvor neun Jahre an einem Gymnasium in Kreuzberg tätig. Was die Behandlung des Nationalsozialismus betrifft, gibt es einige Gemeinsamkeiten: Egal, ob mehrheitlich muslimisch mit Migrationshintergrund oder gutbürgerlich, für heutige Schüler ist diese Zeit ganz weit weg. Wenn man ihnen beispielsweise eine Hitlerrede vorspielt, lachen sie. Um wirklich rüberbringen zu können, was der Holocaust war und wie der Nationalsozialismus sich auf das Leben der Menschen ausgewirkt hat, braucht es eine gute Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülern. Und Zeit – und die haben wir oft leider nicht.
Am Berliner Gymnasium wird derzeit üblicherweise eine Stunde Geschichte pro Woche unterrichtet, das sind 45 Minuten in Klassen mit oft über 32 Schülern. An den Integrierten Sekundarschulen gibt es das Fach Geschichte eigenständig in der Regel gar nicht mehr, sondern wird im Fächerverbund unterrichtet. Ob dann eine ausgebildete Fachkraft unterrichtet, ist dann ein Glücksspiel. Das ist so wenig wie in fast keinem anderen Bundesland, das sind politische Entscheidungen, die ich nicht nachvollziehen kann. Da in die Tiefe zu gehen, ist kaum möglich.
Ich glaube, dass Einzelbiografien ganz wichtig sind, um Schülern die Geschichte begreifbar zu machen. An meiner Kreuzberger Schule habe ich einmal ein Wahlpflichtfach durchgeführt, in dem wir zunächst die Patenschaft für einen Externer Link: Stolperstein direkt vor unserer Schule übernommen haben. Da hat am Anfang zum Beispiel mal ein Schüler gesagt: „Ich bücke mich nicht für einen Juden.“ Innerhalb so einer Projektarbeit hat man eben auch die Zeit, darauf einzugehen, und zu fragen: Was meinst du damit? Oder zu besprechen, warum „Jude“ für Schüler auf dem Schulhof ein Schimpfwort ist.
Innerhalb dieses Projekts haben wir dann das Leben dieses Menschen – er hieß Externer Link: Max Katz – nachvollzogen. Und am Ende ist meine Gruppe aus ausschließlich muslimischen, türkischstämmigen Schülern an Max Katz’ ursprünglichen Herkunftsort in Guxhagen in Hessen gereist und hat dort am 9. November eine Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Novemberpogrome organisiert. Das war für die ein riesiges Erfolgserlebnis – auch für den Jungen, der sich erst nicht bücken wollte.
Biografische Bezüge und Zeit und Freiheiten im Unterrichten sind grundsätzlich wesentlich, diese Erfahrung mache ich auch in Reinickendorf. An meiner jetzigen Schule habe ich ebenfalls mit einem Wahlpflichtkurs eine Gedenkpatenschaft initiiert. Unser Patenkind, Gerhard, ist mit einer Essstörung auf die Welt gekommen und wurde dann als sogenanntes „Reichsausschusskind“ in die „Städtische Nervenklinik für Kinder und Jugendliche“, Wiesengrund genannt, gegeben. Dort ist er mit anderthalb Jahren an den Folgen medizinischer Experimente gestorben.
Seither feiern wir an der Schule die Geburtstage, die er nie feiern durfte, die Schüler backen dann Kuchen und beschriften die mit „Gerhard“ und seinen Lebensdaten. So wird Gerhards Geschichte in der ganzen Schulgemeinschaft bekannt gemacht und weitergetragen und gleichzeitig sammeln wir Geld für weitere Projekte – derzeit für einen Stolperstein, der für Gerhard vor dem Wiesengrund verlegt werden soll.
"Oft kommt das Gefühl auf: Das hätte mir auch passieren können. Ich habe eine Migrationsgeschichte, ich habe keine weiße Haut, ich habe Epilepsie – ich wäre gestorben".
Bibiana Bohnholtzer, Anna-Freud-Schule, Oberstufenzentrum für Sozialwesen
An unserer Schule organisieren wir jedes Jahr zwei Gedenkstättenfahrten, eine nach Externer Link: Auschwitz im Februar und eine nach Externer Link: Mauthausen im Mai, mit dem Deutschen Mauthausen Komitee und dem Verein für Jugendhilfe und Sozialarbeit (JuSeV), zur großen Befreiungsfeier. Die Teilnahme ist freiwillig. Unsere Schülerinnen – die meisten sind Mädchen und junge Frauen – stammen mehrheitlich aus eher bildungsfernen Familien, viele haben eine Migrationsgeschichte. Aus der Mittelstufe bringen sie zum Holocaust oft nur wenig Vorwissen mit.
Der Haltung „Was hat das mit mir und meiner Familie zu tun?“ oder auch „Warum müssen wir uns damit beschäftigen?“ begegnen wir am Anfang manchmal, aber die bricht schnell auf. Meistens bin ich eher überrascht, wie aufgeschlossen meine Schülerinnen dem Thema begegnen, wie sehr sie sich einbringen, und wie schnell sie für sich Anknüpfungspunkte finden, gerade bei den Themen Flucht und Lager.
Bei der Vorbereitung der Fahrten und der Thematik Holocaust allgemein achten wir darauf, mit Einzelbiografien von Opfern des Nationalsozialismus zu arbeiten, bei denen sie als Personen gesehen werden und in denen sich jeder wiederfinden kann. Es funktioniert sehr gut, die Schülerinnen ihre eigenen Schlüsse ziehen zu lassen. Ich weiß noch, dass es mich selbst als Schülerin immer genervt hat, wenn ich das Gefühl hatte, hier will mich jemand belehren.
In den Reflexionsrunden nach den Fahrten merke ich, dass – sehr vehement – oft das Gefühl aufkommt: Das hätte mir auch passieren können. Ich habe eine Migrationsgeschichte, ich habe keine weiße Haut, ich habe Epilepsie – ich wäre gestorben. Die stellen diese Bezüge sehr schnell her. Nach einem Besuch der Externer Link: Gedenkstätte im Schloss Hartheim, wo im Rahmen der Aktion T4 Menschen mit Behinderungen ermordet wurden, wurde mal eine Schülerin, die immer sehr selbstbewusst auftrat, sehr still und sagte: Das hätte heute auch mein Bruder sein können.
Die Ausstellung Externer Link: „Wert des Lebens“ dort ist sehr gut und spannt den Bogen zur Gegenwart: Welche Obsessionen mit biologischer Optimierung gibt es noch heute? Welche Körper werden auch in einer demokratischen Gesellschaft nicht bereitwillig geduldet? Wer bestimmt, was als „normal“ und was als „krank“ gilt? Das sind Themen, die gerade für ein Oberstufenzentrum Sozialwesen topaktuell sind. Auf dem Gelände von Schloss Hartheim leben heute wieder beeinträchtigte Menschen und betreiben dort ein Café, in das wir immer gehen. Dort zu sitzen unter dem Eindruck, dass diese Menschen in der Nazizeit alle nicht mehr leben würden – das geht an niemandem spurlos vorbei.
"Jude ist auf Berliner Schulhöfen ein gängiges Schimpfwort".
Jan Nowatschin, Theodor-Haubach-Schule in Lichtenrade
Wir sind eine Integrierte Sekundarschule ohne gymnasiale Oberstufe. Viele Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund. Wir haben gemerkt, auch vor dem Hintergrund des 7. Oktobers 2023, dass wir uns mit dem Thema Holocaust und Antisemitismus an der Schule aktiver auseinandersetzen wollen. Ich bin vollkommen entsetzt, dass sich jüdische Menschen in Berlin wieder unsicher fühlen müssen.
Auch als Reaktion darauf haben wir im vergangenen Jahr einen Projekttag gegen Antisemitismus eingeführt. Die Idee ist, dass jede Klasse an dem Tag dazu eine eigene Aktion durchführt – ein Gedenkstättenbesuch, Stolpersteine putzen und Blumen ablegen, Vorträge halten, wir haben da eine ganze Liste an möglichen Aktionen. Den aktuellen Nahostkonflikt klammern wir dabei allerdings bewusst aus – den besprechen wir natürlich im Unterricht, aber nicht an diesem Tag.
Wir nehmen wahr, dass es mit unseren muslimischen Schülern kaum möglich ist, offen darüber zu reden. Wir sind konfrontiert mit instrumentalisierten Kindern und Jugendlichen, die eine radikale Meinung haben. Die sind vom Elternhaus, vielleicht auch mal von einer Koranschule, aber am meisten von Tiktok geprägt und informiert und haben da ihre ganz festgelegte Meinung. Auch wir werden ab und zu gefragt: Auf welcher Seite sind Sie denn? Auf der israelischen oder auf der der Palästinenser? Wenn man da sagt, es ist kein Fußballspiel, die Lage ist komplexer – das stößt auf Ablehnung.
„Jude“ ist auf Berliner Schulhöfen ein gängiges Schimpfwort, teils aus echter Feindseligkeit heraus, teils aber auch aus völliger Naivität. Wir nehmen das ernst und arbeiten mit sachlicher Aufklärung dagegen. Ich erlebe aber auch, dass die Schüler den aktuellen Konflikt schon auseinanderhalten können vom Holocaust und dem Phänomen Antisemitismus, das ja bis weit über das Mittelalter hinaus zurückreicht. Da kommen auch ehrlich interessierte Fragen: Warum werden denn Juden seit so langer Zeit gehasst?
Ich habe nicht den Eindruck, dass es bei dem Thema eine grundsätzliche Abwehrhaltung gäbe. Wenn wir im Unterricht Externer Link: „Damals war es Friedrich“ lesen, wo die ganzen Etappen und Steigerungen von der Ausgrenzung bis zur Vernichtung genau beschrieben werden – das löst sichtlich was aus, dazu gibt es immer sehr viele Fragen. Genau wie unsere Besuche in der Externer Link: Gedenkstätte Sachsenhausen – wir merken, dass das bei den Schülern schon ankommt, dass das nicht irgendein Museum ist.
Für mich heißt Engagement gegen Antisemitismus: eine klare Positionierung und die Vermittlung von Wissen. Wichtig ist auch, dass es im Unterricht nicht nur um Ausgrenzung, Diskriminierung und Vernichtung geht, sondern auch um den Stellenwert jüdischer Kultur, damals und heute.
"Der Holocaust ist für die heutige Schülerschaft deutlich weiter weg als noch vor einigen Jahren".
Christine Behnken, Evangelische Schule Frohnau
Seit 25 Jahren organisieren wir an unserer Schule Schülerfahrten zu den Gedenkstätten in Externer Link: Oświęcim/Auschwitz. Dafür reist jede zehnte Klasse für ein paar Tage nach Polen. Die erste Fahrt habe ich mit einer ganz kleinen Gruppe unternommen, einem Chemiekurs. Wir haben das ehemalige Zwangsarbeiterlager der I. G. Farben in Externer Link: Monowitz besucht.
Ich bin selbst Chemielehrerin und habe mich deshalb viel mit dem italienischen Auschwitz-Überlebenden Externer Link: Primo Levi beschäftigt, der Chemiker war und dort an der Herstellung von synthetischem Kautschuk arbeiten musste. Es waren besonders die Begegnungen mit Überlebenden, die diese Fahrten so eindrücklich gemacht haben und dazu geführt haben, dass wir jedes Jahr dorthin reisen. Damit unser Nachbarland Polen nicht nur durch den Gedenkstättenbesuch erlebt wird, beinhaltet die Fahrt auch immer einen Besuch in der weltoffenen Studentenstadt Krakau.
Bei der heutigen Schülerschaft merke ich, dass der Holocaust für sie deutlich weiter weg ist als noch vor einigen Jahren. Unsere Schülerinnen und Schüler kommen eher aus dem bildungsbürgerlichen Milieu, sie bringen durchaus Vorwissen und ein Bewusstsein für das Thema mit. Aber während sie sich vor 25 Jahren vielleicht noch mit den Großeltern über die Zeit unterhalten konnten oder wussten, wie ihre Familienmitglieder während des Nationalsozialismus politisch orientiert waren, ist das heute nur noch selten der Fall. Es sind jetzt kaum noch Zeitzeugen am Leben – und die Urgroßeltern sind in der Familiengeschichte nicht mehr präsent. Die Schüler setzen sich heute eher noch mit den Narrativen der Ost-West-Geschichte ihrer eigenen Familie auseinander, die sie von ihren Großeltern erzählt bekommen. Umso wichtiger sind deshalb unsere Fahrten.
Die Gedenkstätte lässt durch die Begegnung mit dem Ort eine Auseinandersetzung zu, die durch Schulbuchlektüre und Filmmaterial allein nicht möglich ist. Der Besuch im Stammlager oder in Birkenau fordert heraus, sich über die Unmenschlichkeit zu unterhalten. Auf einige Räume der Gedenkstätte müssen die Schülerinnen und Schüler besonders vorbereitet werden: Kleidung, Koffer, Schuhe, Brillen, Haare sind auch nach 80 Jahren Dinge, die ein Menschenleben erkennen lassen.
Ein Schüler erzählte mir noch lange nach einer Gedenkstättenfahrt, dass er den Anblick der Puppen kaum ertragen konnte, an die sich irgendwann mal ein Kind geklammert hat. Wir merken auch, dass es wichtig ist, die Schüler nicht nur durch die Ausstellung zu schieben, sondern ihnen Zeit zu geben, allein über das Gelände zu gehen. Die Baracken, in denen die Geschichte der Auschwitz-Deportationen noch einmal aus der Perspektive einzelner Länder gezeigt wird, eignen sich dazu gut und lösen oft viele Gespräche der Schüler untereinander aus. Auf der Rückfahrt ist es meistens ziemlich still.
"Manche wischen das weg, als ginge es sie gar nichts an".
Andrea Haber, Lehrerin der Konrad-Wachsmann-Sekundarschule in Hellersdorf
Schon Siebtklässler wollen wissen, was damals passiert ist. Leider lässt uns die Stundentafel unglaublich wenig Zeit für den Komplex Nationalsozialismus, weil das Fach Geschichte insgesamt reduziert wurde. Es dauert oft bis zur zehnten Klasse, bis wir endlich bei 1933 angekommen sind. Wenn wir dann im Unterricht so weit sind, den Holocaust zu behandeln, merkt man: Es fällt den 15- bis 16-Jährigen unheimlich schwer, sich da reinzuversetzen. Manche wischen das weg, als ginge es sie gar nichts an. Es fehlt zum Teil auch Empathiefähigkeit.
Unsere Schülerinnen und Schüler kommen überwiegend aus Hellersdorf. Sie haben keine leichten Startbedingungen. Da kommt schon mal die Bemerkung, dass ihre Familien es schwer haben, dass aber „den Flüchtlingen“ alles geschenkt werde. Die soziale Angst ist groß. Da fällt es manchen nicht leicht, den Blick zu weiten in die Geschichte.
Einer meiner Kollegen führt Klassen durch Sachsenhausen. Sein Engagement ist wichtig, weil es über den Unterricht hinaus Einblicke in reale historische Orte ermöglicht. Ansonsten bekommen viele Schülerinnen und Schüler ihre Informationen bevorzugt aus dem Internet. Was sie dort in den sozialen Medien sehen, führt mitunter auch zu einer Art Abstumpfung.
Plakativen Antisemitismus erlebe ich in der Klasse nicht. Die Schüler wissen ziemlich genau, dass das nicht erwünscht ist, dass das eine Grenze ist. Daher reden sie darüber nicht offen. Es hilft uns aber, dass wir „Externer Link: Schule ohne Rassismus“ sind. Ich habe unsere Mitgliedschaft in dem Netzwerk im Jahr 2014 initiiert. Dadurch ist ein Rahmen gegeben, eine Art Grundkonsens, was tolerabel ist und was nicht.
"Es gibt wohl keine Schule in Berlin, in der nicht regelmäßig Hakenkreuze auftauchen".
Daniela Kramer, Lilienthal-Gymnasium in Steglitz-Lichterfelde
Der Holocaust-Gedenktag ist in unserem Bewusstsein viel zu wenig angekommen. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung des KZ Auschwitz diesen an unserer Schule zu organisieren, um unserer Schulgemeinschaft die Möglichkeit zu geben, an die Opfer des Holocaust und die Verbrechen des Nationalsozialismus gemeinsam zu erinnern.
Erst vor zwei Wochen bin ich von unserer Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz zurückgekehrt. Die Reaktion in der Auseinandersetzung unserer Schüler*innen war überwältigend. Es ist beeindruckend, wie emotional und reflektiert die jungen Leute mit dem Erlebten umgegangen sind und wie sie sich ihrer Verantwortung im Bewahren des Andenkens bewusst sind.
Doch trotz der vielfältigen politischen Arbeit an unserer Schule – wir sind „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, haben viele engagierte Kolleg*innen und eine äußerst ambitionierte Diversity-AG – bleiben auch wir von rassistischen oder antisemitischen Übergriffen nicht verschont. Oft geschieht dies im Kleinen und häufig unbemerkt. Es gibt wohl keine Schule in Berlin, in der nicht regelmäßig Externer Link: Hakenkreuze auftauchen. Deshalb ist es unsere Aufgabe, noch stärker dazu beizutragen, dass so etwas wie der Holocaust nie wieder passiert.
Zitierweise: Margarethe Gallersdörfer und Susanne Vieth-Entus, „Manche wischen das weg, als ginge es sie gar nichts an", in: Deutschland Archiv vom 12.02.2025. Link: www.bpb.de/559377. Der Beitrag erschien zunächst im Tagesspiegel vom 27.1.2025 unter dem Link https://www.tagesspiegel.de/berlin/schule/80-jahre-auschwitz-befreiung-was-berliner-lehrer-erleben-wenn-sie-den-holocaust-im-unterricht-behandeln-13086961.html. Alle Beiträge im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Interner Link: 32 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen. Sechs Perspektiven auf das Ausmaß rechtsextremer Gewalt seit dem Mauerfall und deren Folgen, darunter eine Schülerinnenreportage aus Rostock. Deutschland Archiv vom 24.8.2024.
Die Journalistin Margarethe Gallersdörfer arbeitet seit März 2023 mit dem Schwerpunkt Schule für den Berliner Tagesspiegel, zuvor arbeitete sie für die Berliner Zeitung.
Die Journalistin Susanne Vieth-Entus schreibt als Berlin-Redakteurin für den Tagesspiegel. Ihre Schwerpunktthemen sind Schule und Bildungsfragen.