Brandwände dienen dazu, das Übergreifen von Feuer und Hitze auf andere Gebäudeteile zu verhindern. Der Hitzezustand, in den das westliche Demokratiemodell geraten ist, kommt allerdings nicht von außen, sondern von innen. Der Glaube an das Ende des Zeitalters globaler Konfrontation ist ermattet, und der illiberal gewendete Zeitgeist folgt heute dem Lockruf der entschlossenen Grenzziehung lieber als dem der Freiheit. Vermögen politische Brandmauern ihn noch aufzuhalten?
Nach 1989 kannte das politische Leben der vereinigten Bundesrepublik eine Brandmauer noch nicht als Namen, wohl aber in der Sache, nämlich nach links und in der konsequenten Ausgrenzung der PDS und später Linkspartei. Diese Brandmauer bröckelte allerdings auf Länderebene schon 1994, und rückblickend hat die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei zur politischen Integration der erweiterten Bundesrepublik mehr beigetragen als die Weigerung, das Wählermilieu der postdiktatorischen Linken als Teil der demokratischen Kultur zu akzeptieren.
Nachkriegszeit: Auf Brandmauer verzichtet
In der Alt-Bundesrepublik hingegen verzichtete die CDU/CSU in der Nachkriegszeit auf eine Brandmauer gegen nicht als verfassungsfeindlich eingestufte Rechtsparteien, was deren Integration in die Bonner Demokratie erheblich erleichterte. Nach ihrer Aufnahme in die CDU-geführte Bundesregierung 1957 wurde die nationalkonservative Deutsche Partei von der CDU förmlich aufgesogen und löste sich 1961 auf. Diese Offenheit nach rechts hat allerdings auch die Entwicklung der CDU/CSU zu einer Partei der liberalen Mitte über Jahrzehnte erschwert und nicht zuletzt zu der langen Verdrängung der NS-Vergangenheit aus dem öffentlichen Gedächtnis beigetragen, die heute parteiübergreifend als schweres Versäumnis anerkannt wird.
In beiden Fällen aber haben weniger parteipolitische Taktik als vielmehr die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zur demokratischen Integration beigetragen. Was aber, wenn dieser Klimawandel die Ränder so sehr stärkt, dass sie die Mitte zu überwölben drohen? Spätestens jetzt kommt die Weimarer Republik ins Spiel. Auf die Frage, ob die Demokratie im Umgang mit der Rechten eher von der Bekämpfung durch Abgrenzung profitiert oder von der Entzauberung durch Einbindung, scheint die Geschichte der Demokratiezerstörung bis 1933 eine klare Antwort zu geben.
Weimarer Republik: Von der Stützmauer zum Brandbeschleuniger
Die Weimarer Koalition von SPD, Zentrumspartei und Deutscher Demokratischer Partei verlor ihre Mehrheit schon den ersten Reichstagswahlen 1920 und gewann sie nie mehr zurück. Alle Reichsregierungen waren seither darauf angewiesen, mit Rechtsparteien zusammenzugehen, die die republikanische Verfassung nur bedingt anerkannten. Aber damit vermochten die drei Parteien der Weimarer Koalition den Zerfall der demokratischen Mitte nicht aufzuhalten. Einzig die SPD hielt vierzehn Jahre lang unbeirrt das Banner der demokratischen Republik hoch. Die DDP hingegen, Hort des bürgerlichen Linksliberalismus in den Weimarer Jahren, fand sich vor der Reichstagswahl 1930 sogar dazu bereit, mit der antisemitischen „Volksnationalen Reichsvereinigung“ zu koalieren, um ihr Überleben zu sichern, und versank dennoch in der Bedeutungslosigkeit.
Das katholische Zentrum wiederum, die von 1919 bis 1933 vier Reichskanzler stellte und nach 1945 in der CDU aufging, wandelte sich im Laufe der Weimarer Jahre von der demokratischen Stützmauer zum konservativen Brandbeschleuniger. Nachdem es sich bereits 1925 auf eine Koalition mit der bis zu Hitlers Aufstieg stärksten deutschen Rechtspartei DNVP eingelassen hatte, rückte es in den Folgejahren immer weiter in das rechtskonservative Lager. 1930 vermochte die Zentrumsführung nicht mehr im Streit um eine Erhöhung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung zu vermitteln, den die DVP angeheizt hatte, um die SPD zum Austritt aus der Reichsregierung zu nötigen. Dem letzten sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller folgte ein Präsidialkabinett mit dem Zentrumspolitiker Heinrich Brüning an der Spitze, das sich allein auf die Verfassungsmacht des Reichspräsidenten stützte und die Zerstörung der parlamentarischen Republik vorantrieb – die vermeintliche Entzauberung durch Einbindung entpuppte sich als Verführung durch die Kraft der autoritären Herrschaft.
Das aber ist nicht die ganze Wahrheit über Weimar: Denn die aus der Weltkriegsniederlage geborene erste deutsche Demokratie hielt erstaunliche vierzehn Jahre durch, ohne jemals über eine klare Mehrheit in der von den Härten des Versailler Vertrags geschüttelten Konfliktgesellschaft zu besitzen. Die Deutschen waren nach 1918 vielfach in militaristischem Freund-Feind-Denken ebenso gefangen wie in nationalistischem Revanchedenken und verächtlicher Kompromissverweigerung. Die Weimarer Parteien stellten ein Spiegelbild der zerklüfteten Gesellschaft dar, und sie wurden von andauernden Flügelkämpfen durchzogen.
Aber sie vermochten es dennoch, ihre Spaltungstendenzen immer wieder einzuhegen und als Fraktionen im Reichstag geschlossen aufzutreten. Mehr noch: Die Republik verdankte ihr angesichts der Umstände langes Überleben nicht zuletzt der Bereitschaft der demokratischen Parteien, auch mit antidemokratischen Kräften zusammenzuarbeiten. Die politischen Verhältnisse verlangten ihnen dabei viel ab: Die Bereitschaft der SPD, mit Stresemann einen Kanzler der Deutschen Volkspartei zu akzeptieren, bahnte den Weg aus der fast tödlichen Krise 1923, und die anschließende ruhige Phase der Weimarer Republik verdankte sich auch der Zustimmung der Parteien der Mitte, in eine von den Deutschnationalen geführte Regierung einzutreten.
Wenn die Zeitgeschichte ohne klare Antwort bleibt
Einbindung oder Abgrenzung? Die Zeitgeschichte gibt hier keine klare Antwort. Was sie aber lehrt, ist zweierlei: Das Konzept der Entzauberung populistischer Demagogie durch den Praxistest hat noch nirgendwo funktioniert. Wer dem Rechtsextremismus die Macht überlasst, damit er an sich selbst scheitern möge, verhilft nicht der Gesellschaft zur Einsicht, sondern gibt das Land preis. Das deutsche Beispiel führt es drastisch vor Augen: Selbst nach der völligen Zerstörung und dem Verlust aller materieller Güter und allen moralischen Ansehens war die deutsche Bevölkerung nach 1945 in ihrer überwältigenden Mehrheit wenig bereit, mit sich selbst ins Gericht zu gehen, umso mehr aber mit ihrer Behandlung durch die alliierten Sieger.
Auf der anderen Seite aber sind politische Brandmauern nicht mehr wert als das gesellschaftliche Fundament, auf dem sie ruhen. Wenn es bröckelt, hilft kein Beharren auf einer kategorischen Abgrenzung, die sich das Gesetz des Handelns von den populistischen Verächtern der Demokratie diktieren lässt und unter dem Druck der Verhältnisse auf kommunaler Ebene längst stillschweigend unterlaufen wird.
Was hilft, ist allein eine politische Zielorientierung, die die Kluft zwischen demokratischer und rechtspopulistischer Politik im praktischen Alltagshandeln verdeutlicht statt in der bloßen Selbstbestätigung. Eine Zukunftsprogramm aber, das in der aktuellen Flüchtlingsdebatte überzeugend für die Vereinbarkeit von Migrationskontrolle und Menschlichkeitsanspruch wirbt, braucht keine Brandmauer mehr, weil es sich in der Sache vom Rechtspopulismus abgrenzt und nicht bloß in der Geste.
Zitierweise: Martin Sabrow, „Von Nutzen und Nachteil der Brandmauer", in: Deutschland Archiv vom 08.02.2025. Der Text basiert auf einem Beitrag, der in kürzerer Fassung am 31.1.2025 im Berliner Tagesspiegel veröffentlicht worden ist. Link: www.bpb.de/559041. Alle Beiträge im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Ergänzend:
Martin Sabrow, Interner Link: Der Weg des Erinnerns, DA vom 27.1.2025.
Wilhelm Heitmeier, Interner Link: Autoritärer Nationalradikalismus? DA vom 16.12.2023.
Wolfgang Benz, Interner Link: Deutsche Erinnerungskultur: Rituale, Tendenzen, Defizite, DA vom 26.1.2025