Am 4. Dezember 1989 gelang in Erfurt die erste Besetzung einer Stasi-Zentrale. Weitere folgten. Die friedliche Entmachtung der DDR-Geheimpolizei war einer der Schlüssel zum Sieg "über die Angst" auf dem Weg zur Demokratisierung im Osten.
Die DDR-Geheimpolizei "Staatssicherheit" war, so wie Mauer und innerdeutsche Grenze, ein Machtinstrument der allein herrschenden Sozialistischen Einheits Partei (SED) in der DDR. War es ab 1961 die Funktion der Mauer und ihrer bewaffneten Bewacher, DDR-Bürger und Bürgerinnen vor einer Flucht in den Westen abzuschrecken, war es seit 1950 Funktion des "Ministeriums für Staatssicherheit" als sogenanntes "Schild und Schwert der Partei", Menschen einzuschüchtern, sich "feindlich-negativ", sprich oppositionell zu betätigen.
Offiziell arbeiteten zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der DDR etwa 85.000 bis 91.000 Menschen hauptamtlich für das MfS (im Volksmund Stasi), verteilt auf über 26 Abteilungen und Hauptabteilungen, dazu kam eine eigene Hochschule in Potsdam, eine geheime Werkstatt für Spitzeltechnik – der "Operativ Technische Sektor" OTS und als paramilitärischer Verband das Wachregiment "Feliks Dzierzynski" mit 11.000 Soldaten. Für jeden MfS-Bediensteten gab es spezifische Aufgabenzuschnitte, bis bin zur Zuständigkeit für die "Zurückdrängung von Übersiedlungsgesuchen" aus der DDR.
Außerdem halfen zuletzt bis zu 189.000 "inoffizielle Mitarbeiter" (IM) dem MfS sowie weitere Informanten der Staatssicherheit aus SED, Volkspolizei, Betriebskadern und anderen Bereichen. Die IM stellten der Stasi Briefkästen oder Wohnungen konspirativ zur Verfügung oder bespitzelten ihre Mitmenschen, Arbeitskollegen, Freunde, Mitschüler und sogar nahe Verwandte. Für einige wurden gezielt Laufbahnperspektiven entwickelt, um beispielsweise kirchliche Strukturen zu durchdringen. Ihre mündlichen und schriftlichen Berichte übermittelten die IM konspirativ an Stasi-"Führungsoffiziere", mitunter erhielten sie dafür Prämien, Honorare oder andere Vergünstigungen. Neben solchen IM standen der Stasi auch andere "Kontaktpersonen" und "Quellen" zur Verfügung, die aber nicht immer wussten, dass sie vom MfS "abgeschöpft" wurden.
Wer wurde vom MfS beobachtet? Das konnte jeden treffen, der es wagte, der offiziellen Parteilinie zu widersprechen oder der wegen Kontakten in den Westen unter Spionageverdacht geriet. Opfer der Stasi konnten aber auch Jugendliche werden, nur weil sie westliche Musik hörten, Passanten, die unbeabsichtigt einer Kaserne zu nahe kamen, Menschen, die achtlos in der Öffentlichkeit politische Witze erzählten oder Personen, die Kontakte zu Ausreisewilligen hatten oder sich in der vom SED-Staat verhassten Kirche engagierten und in den Bereichen Kunst und Kultur den Normen der Partei widersetzten. Mitunter wurden sogar Ehepartner aufeinander angesetzt, denen die Treue zu ihrem Führungsoffizier wichtiger war, als zur eigenen Familie.
In den 50er und 60er Jahren war das MfS auch an Entführungen beteiligt und an der "Liquidierung" von Oppositionellen, später auch an der Vertuschung von Todesfällen an der Berliner Mauer und an der Hinrichtung von Dissidenten aus den eigenen Reihen. "Mehr als die Hälfte der Macht der Staatssicherheit", so definierte es der in der DDR verbotene Liedermacher Interner Link: Wolf Biermann, "bestand aus der Angst der Menschen vor dieser 'Firma'."
Auflösung im Zuge der Friedlichen Revolution
im Zuge der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 verloren Bürger und Bürgerinnen aus der DDR mehr und mehr ihre Furcht vor der Staatssicherheit, insbesondere nach den Großdemonstationen in Leipzig am Interner Link: 9. Oktober und Berlin am Interner Link: 4. November 1989, wo offen Transparente getragen wurden wie "Rechtssicherheit spart Staatssicherheit" und "Stasi in die Produktion!".
Ab Anfang Dezember 1989 wurden DDR-weit MfS-Dienststellen von Demonstrierenden friedlich besetzt, den Anfang machte am 4. Dezember 1989 eine Gruppe engagierter Interner Link: Frauen in Erfurt, binnen weniger Tage folgten weitere Besetzungen in anderen Klein- und Großstädten der DDR.
Die couragierten Besetzer und Besetzerinnen pochten auf den Stopp begonnener Aktenvernichtungen und auf die Abschaffung der Stasi und ihren damals von SED und MfS geplanten Nachfolgeeinrichtungen, dem "Amt für Nationale Sicherheit" (AfNS) beziehungsweise einem "Verfassungsschutz der DDR", für den sich der letzte SED-Ministerpräsident der SED, Hans Modrow, noch stark gemacht hatte. Auch intern kam es in dieser Phase zu Richtungskämpfen innerhalb des MfS, in einzelnen Abteilungen gingen Mitarbeiter sogar in schriftlichen Erklärungen auf Distanz zur SED und verfassten Beschwerden über strenge oder korrumpierte Vorgesetzte.
Das endgültige Aus für den DDR-Geheimdienst beschloss der Runde Tisch der DDR Mitte Januar 1990. Zugleich, es war am Mittag des 15. Januar 1990, übernahmen regionale Bürgerkomiteevertreter und -vertreterinnen die Kontrolle über das Gelände der MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Am frühen Abend gelangten Demonstrierende auf das Terrain und bildeten auch hier ein sogenanntes "Interner Link: Bürgerkomitee". Das MfS setzte dem ein eigenes Auflösungskomitee entgegen, in der Hoffnung, doch noch Kontrolle über ihre Abwicklung zu behalten und begonnene Aktenvernichtungen fortsetzen zu können.
Nachdem feststand, dass es keine Nachfolgeorganisation mehr geben sollte, erhielten ab Februar 1990 zahlreiche MfS-Mitarbeiter ihre Entlassungspapiere, häufig wurden sie in ihren Arbeitszeugnissen ein letztes Mal legendiert - als ehemalige Mitarbeiter von Zoll, Volkspolizei oder als Personenschützer unter dem Dach des Innenministeriums der DDR. Einige erhielten sogar das fiktive Lob, "engagiert im Meinungsstreit" gewesen zu sein.
Im Zuge der Wiedervereinigungsverhandlungen mit der Bundesrepublik setzten Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen das Akteneinsichtsrecht für Betroffene durch. Als Druckmittel diente ihnen im September 1990 eine weitere spektakuläre Interner Link: Besetzung des Stasi-Archivs mit einem symbolischen Hungerstreik, unterstützt von mehreren Künstlern.
Durch dieses Bürgerengagement konnten zahlreiche Unterlagen, die die Staatssicherheit gesammelt hat, vor der weiteren Vernichtung gerettet werden. Und mehr noch: Es gelang den Demonstrierenden durchzusetzen, dass in einem Zusatzdokument zum Vertrag der Deutschen Einheit festgehalten wird, dass Stasi-Opfer Einblick in ihre DDR-Geheimdienst-Akten beantragen können sowie Medien und Wissenschaft deren Erforschung und Aufarbeitung ermöglicht wird. Interner Link: Dies auch politisch durchzusetzen, war aber nicht einfach.
Der Abteilung Auslandsaufklärung (HV A) des MfS gelang es im Herbst 1989 allerdings, fast alle ihre Unterlagen zu beseitigen. Einzelakten landeten jedoch bei ausländischen Geheimdiensten, wie die sogenannte Agentendatei "Rosenholz", die der amerikanische Geheimdienst CIA 1992 angeblich aus russischen Geheimdienstkreisen erwarb. Das MfS hatte zuvor dem KGB zahlreiche Akten überstellt.
Über 111 Kilometer erhalten gebliebene Stasi-Akten
Alle in der DDR erhalten gebliebenen Stasi-Dokumente wurden zunächst von einem am 2. Januar 1992 eröffneten Amt bewahrt. Das war die "Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR", abgekürzt BStU, seit dem 17. Juni 2021 ein Teil des Bundesarchivs. Dort lagern mehr als 111 Kilometer Akten, 41 Millionen Karteikarten und über 1,7 Millionen Fotos. Außerdem befinden sich in den Archiven annähernd 15.000 Säcke mit vorvernichtetem Aktenmaterial, das 1989 vom MfS zur Verbrennung vorgesehen war.
Mit Hilfe dieser Unterlagen kann nachgeforscht werden, wie intensiv die Stasi den Alltag in der DDR durchdrungen und beeinflusst hat. Das Ende 1991 beschlossene und danach mehrmals modifizierte Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) regelt genau, wer diese Akten einsehen darf, ohne dass das Persönlichkeitsrecht der Stasi-Opfer beeinträchtigt wird.
Zum ersten Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, dem "Bundesbeauftragten" für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR (BStU) wurde vom Deutschen Bundestag der Rostocker Pfarrer Joachim Gauck gewählt. Seine Nachfolgerin wurde 2002 für zwei Amtszeiten die DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, ihr folgte 2010 der Journalist Roland Jahn, der 1983 wegen seines Engagements in der DDR-Opposition zwangsweise aus der DDR ausgebürgert worden war. Er regte an, auf dem einstigen Gelände des MfS-Zentrale einen "Campus der Demokratie" einzurichten, wo anschaulich beschrieben, erforscht und diskutiert werden kann, wie es gelang, die DDR-Diktatur und ihre Machtinstrumente, wie die Stasi, zu überwinden und demokratische Rechte, wie zum Beispiel eine neutrale Justiz, Wahlfreiheit und angstfreien Meinungsstreit in der Demokratie, durchzusetzen (hk).
Zitierweise: Holger Kulick, „Das Ende der Stasi vor 35 Jahren“, in: Deutschlandarchiv 03.12.2014, www.bpb.de/557173, unter Verwendung von Materialien aus dem Interner Link: Stasi-Dossier der bpb. Alle Beiträge im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)