Flughafen Schönefeld - das "Berliner Loch"
Der Flughafen Schönefeld südlich von Ost-Berlin als Devisenquelle, Tor zur Welt der DDR und Schauplatz des Kalten Krieges. Auch als Drehscheibe für Terroristen.
Sven Goldmann
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Schönefeld diente der DDR im Kalten Krieg als politisches Instrument: Der Flughafen brachte dem Staat Westgeld, bot Unterstützung für Terroristen der RAF und lenkte gezielt einen Strom von Geflüchteten nach West-Berlin um innenpolitische Spannungen zu erzeugen.
In der öffentlichen Darstellung präsentierte die Deutsche Demokratische Republik den Flughafen Schönefeld im Süden Ost-Berlins als ihr Tor zur Welt. Hier plante die DDR ein Drehkreuz zwischen Ost und West. Hier starteten Flugzeuge mit Urlaubern zu den Stränden von Bulgarien oder Rumänien. Hier landeten Staatsgäste wie Leonid Breschnew, Fidel Castro, Michail Gorbatschow oder prominente Sympathisanten wie Angela Davis und Harry Belafonte. Schönefeld stand für eine vermeintlich internationale DDR, für ihren Anspruch auf Anerkennung über den Ostblock hinaus. Passend dazu drehte das Fernsehen der DDR 1986 die Serie „Treffpunkt Flughafen“, die in Schönefeld ihren Anfang nahm und ein beinahe schon mondänes Lebensgefühl transportierte.
Doch weltläufig war das sozialistische Deutschland an seinem Zentralflughafen nur dem Schein nach. Auch über den Wolken war die Freiheit in der DDR keineswegs grenzenlos. Von und nach Schönefeld flog, neben ausgewählten Urlaubern, vor allem die Prominenz aus Wirtschaft, Politik, Unterhaltung und Sport. Ansonsten nutzte die DDR-Regierung den Flughafen zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele im Kalten Krieg.
Ein Drehkreuz für Renommee und Devisen
Die DDR sprach offiziell vom „Zentralflughafen Berlin-Schönefeld“, aber diese Bezeichnung ist irreführend. Anders als Tempelhof und Tegel lag Schönefeld nicht in, sondern bei Berlin und fiel damit nicht unter die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens. Der Standort in unmittelbarer Nähe der Berliner Bezirke Treptow (Ost) und Neukölln (West) hatte weitreichende Auswirkungen: In Tempelhof und Tegel durften nur Gesellschaften aus Frankreich, Großbritannien und den USA mit dort registrierten Flugzeugen verkehren. Schönefeld stand Linien aus der gesamten Welt offen, theoretisch auch der westdeutschen Lufthansa. Mit der günstigen Lage des Flughafens direkt an der Grenze zu West-Berlin lockte die nationale Fluggesellschaft Interflug Kundschaft aus dem Westen mit Dumpingpreisen und bescherte dem Staat beträchtliche Deviseneinnahmen.
Aber nicht nur Touristen nutzten Schönefeld. Die westdeutsche Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) nutzte Schönefeld von 1970 an als Rückzugsgebiet und Drehkreuz für ihre Operationen im Ausland. Und in den Achtzigerjahren versuchte Ost-Berlin ganz bewusst, über die Weiterleitung von Asylbewerberinnen und -bewerbern von Schönefeld nach West-Berlin gesellschaftliche Spannungen zu schüren.
Im Verkehrsministerium der DDR wachte seit 1961 die Hauptverwaltung der Zivilen Luftfahrt (HVZL) über den Flugverkehr. Ihr strategisches Ziel war es, den Flughafen Schönefeld zur Drehscheibe zwischen Ost und West zu machen. Dies erforderte die Akquise eines Kundenkreises, dem nach dem Bau der Berliner Mauer der direkte Zugang nach Schönefeld verwehrt worden war. Über zahlungskräftiges Publikum aus dem Westen bemühte sich die DDR, international an Akzeptanz zu gewinnen. Außerdem wollte sie Fluggesellschaften, die die West-Berliner Flughäfen Tegel und Interner Link: Tempelhof anflogen, wirtschaftlichen Schaden zufügen. Beide Maximen prägten bis zum Ende der DDR die strategische und operative Ausrichtung des Flughafens.
Sogar ein eigener Grenzübergang
Voraussetzung für das ostdeutsche Geschäftsmodell war eine Transitverbindung aus West-Berlin nach Schönefeld. Zwei Jahre nach dem Bau der Mauer richtete die DDR zwischen dem West-Berliner Stadtteil Rudow und der Brandenburger Gemeinde Schönefeld den Grenzübergang Waltersdorfer Chaussee ein, ausschließlich für Passagiere des knapp zwei Kilometer entfernten Flughafens. Die Ost-Berliner Verkehrsbetriebe stellten eine im 30-Minuten-Takt verkehrende Busverbindung vom Zentralen (West-)Berliner Omnibusbahnhof am Funkturm nach Schönefeld bereit. Es war Erich Mielke, der Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, der den neuen Grenzübergang und die Anreise der Kundschaft aus dem Land des Klassenfeindes persönlich genehmigte.
In den ersten Wochen nach der Eröffnung des Übergangs kam es noch zu sporadischen Behinderungen auf westlicher Seite. Doch West-Berlins Regierender Bürgermeister Heinrich Albertz räumte schnell seine Ohnmacht vor den kapitalistischen Anwandlungen des sozialistischen Deutschlands ein: „Wenn diese Behörden (...) an einer bestimmten Stelle einen neuen Durchlass schaffen, ist es für den Senat von Berlin, der unverrückbar nach den Grundsätzen der Freizügigkeit handelt, politisch unmöglich, einen solchen Übergang von westlicher Seite zu schließen.“ Die Buslinie diente den Fluggästen aus dem Westen als Zubringer für die Interflug-Verbindung von Schönefeld nach Wien. Interflug ersparte ihnen den dreistündigen Umweg über Frankfurt am Main oder München und verlangte gut 100 D-Mark weniger. Weitere Verbindungen folgten, immer zu deutlich geringeren Preisen, als sie die Konkurrenz im Westen anbot.
Bis zur deutschen Wiedervereinigung hatten britische, französische und US-amerikanische Fluglinien in West-Berlin ein Monopol, das sie sich teuer bezahlen ließen. Davon profitierte Interflug und damit die DDR in Form von Deviseneinnahmen, auf die das nahezu ohne Rohstoffe ausgestattete Land dringend angewiesen war. Interflug gehörte nicht zur „International Air Transport Association“ (IATA), dem Dachverband der Fluggesellschaften, der damals Mindestpreise festlegte. Da die Betriebskosten niedrig waren und die DDR ihr Kerosin auf Rubelbasis über lange Zeit günstig aus der UdSSR bezog, konnte Interflug konkurrenzlos günstige Preise anbieten.
Der DDR-Zentralflughafen bot auch für Westdeutsche mit Reisezielen in Osteuropa praktische Vorteile. Sie reisten mit aus Bonn subventionierten Flügen nach West-Berlin, fuhren mit dem Transitbus nach Schönefeld und flogen mit Interflug weiter Richtung Budapest oder Prag. Im Angebot waren vor allem Charterflüge, aber auch Linienverbindungen nach Amsterdam, Wien, Athen, Rom, Kopenhagen und Istanbul, zum Teil mehrmals in der Woche.
Später kamen klassische westdeutsche Urlaubsziele auf spanischen oder griechischen Inseln hinzu. Interflug baute Kooperationen mit Reiseagenturen in West-Berlin auf, insgesamt 39 waren es in den Achtzigerjahren, als jährlich eine halbe Million Passagiere aus dem Westen den Flughafen Schönefeld nutzten. Interflug unterhielt eine Verkaufsstelle in einem Zwischengeschoss des Bahnhofs Friedrichstraße. Der lag zwar mitten in Ost-Berlin, hatte aber einen gesondert zugänglichen Transitbereich für die Nahverkehrslinien der West-Berliner Verkehrsbetriebe.
Über Flüge von und nach Schönefeld gewann der ostdeutsche Staat an internationalem Renommee. Sehr viel problematischer gestaltete sich die Instrumentalisierung des Flughafens im Umgang der DDR mit dem westdeutschen Linksterrorismus. Die RAF nutzte die Schönefelder Kapazitäten zum ersten Mal im Juni 1970, vier Wochen nach der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader aus West-Berliner Haft.
Evakuiert via Schönefeld: Die RAF
Als der Fahndungsdruck in der eingemauerten Halbstadt wuchs, plante die RAF eine Evakuierung ihrer Führungskräfte in ein palästinensisches Militärcamp in Jordanien. Der kürzeste Weg dorthin führte über Schönefeld und einen Flug der Interflug nach Beirut.
Eine erste, von Horst Mahler angeführte Gruppe machte sich am 8. Juni mit Pässen der Vereinigten Arabischen Emirate über den Bahnhof Friedrichstraße auf den Weg nach Ost-Berlin und mit der S-Bahn weiter nach Schönefeld. Es gab weder am Grenzübergang noch am Flughafen Schwierigkeiten mit den DDR-Grenzern, sodass Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof am 22. Juni 1970 auf derselben Route hinterherreisten. Mit ausdrücklicher Genehmigung Mielkes entzog sich die gesamte Führungsebene der Interner Link: RAF über Schönefeld dem Zugriff der West-Berliner Polizei.
Als Gegenleistung forderte das MfS Informationen über die Aktivitäten der RAF. Dokumentiert ist das im Fall von Hans-Jürgen Bäcker. Sein Name stand im Westen noch nicht auf den Steckbriefen, als er am 6. August 1970 als Vorhut der RAF-Gruppe zurück nach Deutschland flog. Bei der Einreise in Schönefeld nahm ihn nach dem Vorzeigen eines arabischen Passes das MfS in Gewahrsam. Das Protokoll seiner Vernehmung dokumentiert, wie ausführlich Bäcker Auskunft gab, bevor ihn das MfS nach West-Berlin abschob.
Eine konkrete Struktur nahmen die Beziehungen zwischen MfS und RAF im Frühjahr 1978 an, als Inge Viett versuchte, aus Prag über Schönefeld nach West-Berlin zu reisen. Die Mitbegründerin der „Bewegung 2. Juni“ und spätere RAF-Terroristin notierte in ihrer Autobiographie, wie Harry Dahl, der Leiter der für Terrorabwehr zuständigen Abteilung XXII des MfS, sie in ein zwangloses Gespräch verwickelte. Bei dieser Gelegenheit ließ sich Inge Viett die Solidarität des ostdeutschen Staates zusichern sowie die Möglichkeit, jederzeit über den innerstädtischen Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße der westdeutschen Strafverfolgung zu entkommen.
Inge Vietts Erinnerungen sollten jedoch mit Vorsicht betrachtet werden, da sie möglicherweise der Legendenbildung dienen. Die Journalisten Andreas Kanonenberg und Michael Müller vermuten, dass sie schon 1976 unter dem Decknamen „Maria“ Verbindung zur Stasi aufnahm. Kurz nach dem angeblich ersten Kontakt in Schönefeld befreite sie gemeinsam mit zwei mutmaßlichen Komplizinnen den Terroristen Till Meyer aus der Untersuchungshaftanstalt Moabit in West-Berlin. Über den Bahnhof Friedrichstraße setzte sich das Trio in die DDR ab.
Als Inge Viett auf der weiteren Flucht im Juni 1978 nach Prag kam und dort im Gefängnis landete, reiste Harry Dahl zu ihrer Befreiung an. Im Juli 1978 durfte sie weiter nach Bagdad fliegen und pendelte in den folgenden Jahren regelmäßig zwischen dem Nahen Osten und Schönefeld. Als 1980 immer mehr RAF-Mitglieder des bewaffneten Kampfes müde waren, sprach Viett bei Dahl vor. Über diesen Kanal arrangierte sie für die Aussteigewilligen ein Leben unter falscher Identität in der DDR, unter anderem für sich selbst.
Gezielt gelenkte Flüchtlingsströme nach West-Berlin
Im Umgang mit der RAF steht Schönefeld als Symbol für das gespaltene Verhältnis der DDR zu den Prinzipien der friedlichen Koexistenz beider deutscher Staaten und für den dramatischen Imageverlust des ostdeutschen Staates in der zweiten Hälfte seiner Existenz. Ähnlich verhält es sich bei den Mitte der Achtzigerjahre über Schönefeld eingeflogenen und im Transit nach West-Berlin weitergeleiteten Asylbewerberinnen und -bewerbern, die für die DDR kaum mehr als menschliche Manövriermasse waren. Entscheidend war, dass sie mit den Geflüchteten Geld verdienen und den ideologischen Gegner im Kalten Krieg kompromittieren konnte.
1985 und 1986 kamen monatlich Tausende Schutzsuchende aus Asien und Afrika in die Bundesrepublik Deutschland. Damals wie heute war Berlin ein bevorzugter Anlaufpunkt. Allerdings mussten sie sich in den 1980er-Jahren nicht zwangsläufig über Wochen oder Monate auf eine gefährliche Reise um die halbe Welt begeben. Es genügte, in der Heimat ein Flugzeug der Interflug oder der sowjetischen Fluglinie Aeroflot zu besteigen und nach Schönefeld zu fliegen. Die Menschen reisten auf einem hermetisch abgeriegelten Terminal in die DDR ein, bekamen für 5 D-Mark ein Transitvisum und für weitere 7 D-Mark ein Ticket für den Bus zum Bahnhof Friedrichstraße. Dort wurden sie in den für die einheimische Bevölkerung gesperrten Transitbereich durchgewunken und fuhren mit der U- oder S-Bahn weiter nach West-Berlin.
Was der Bevölkerung der DDR verwehrt blieb, war für Zehntausende mit Personaldokumenten aus Sri Lanka, Iran, Libanon, Ghana, Pakistan oder Syrien problemlos möglich. Nach ihrer Ankunft in West-Berlin konnten sie sich auf Artikel 16 des Grundgesetztes berufen und politisches Asyl beantragen. Allein im Jahr 1985 reisten insgesamt 73.832 Schutzsuchende ohne gültige Einreisedokumente in die Bundesrepublik ein. Mehr als 60 Prozent von ihnen wählten den Weg über den Flughafen Schönefeld und den Bahnhof Friedrichstraße nach West-Berlin.
Die DDR berief sich auf das Übereinkommen von Barcelona über den Transit im Reise- und Transportverkehr durch andere Länder: „Durch das Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik kann jeder Ausländer – ungeachtet seiner Nationalität, seiner Rasse, seiner Religion, seiner politischen Überzeugung und seines Herkunftslandes – ohne jegliche Beschränkung im Transit reisen.“ Als Reaktion auf westliche Vorwürfe, die DDR schüre gezielt sozialen Unfrieden, gab das Außenministerium der DDR am 11. August 1986 im SED-Zentralorgan Neues Deutschland eine Erklärung ab: „Es gab eine Zeit, in der Berlin (West) um internationalen Zuzug von Arbeitskräften warb. Daß von über 200.000 ausländischen Bewohnern der 1,9 Millionen Einwohner von Berlin (West) jetzt viele arbeitslos sind, dafür ist die DDR nicht verantwortlich.“
Bewusst geschürte Überfremdungsängste?
Über die Geflüchteten konnte Ost-Berlin innenpolitische Auseinandersetzungen im Westen provozieren. Der Strom von Asylbewerberinnen und -bewerbern schürte Überfremdungsängste in West-Berlin und hatte im Januar 1989 mutmaßlich Anteil am Einzug der rechtsextremen Partei Die Republikaner ins Abgeordnetenhaus. Die „Arbeitsgruppe Gezielte Ausländerüberwachung“ (AGA) der West-Berliner Polizei griff bei der Verfolgung illegal einreisender Immigrantinnen und Immigranten zu einer Methode, die heute als „Racial Profiling“ bekannt ist. Die Historikerin Lauren K. Stokes analysiert: „Allein 1984/85 kontrollierten AGA-Beamte 15.000 Personen ohne jeden Anlass aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres ‚ausländischen‘ Aussehens. Einen Höhepunkt erreichte diese Praxis 1986 nach dem mutmaßlich von libyschen Terroristen verübten Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek ‚La Belle‘. (...) Bei der Stadt gingen in den folgenden Wochen säckeweise Beschwerden ein: Die Berliner Polizei unterhalte ein ‚Einsatzkommando zur Kontrolle der Schwarzköpfe‘ und vertreibe türkische Familien mit Jahreskarten der Berliner Verkehrsbetriebe aus den U- und S-Bahnen, nur weil sie keinen Pass bei sich trügen.“
Auch die Bundesregierung geriet unter Druck, weil viele der illegal über Schönefeld Eingereisten in westeuropäische Nachbarstaaten weiterzogen. Frankreich drohte mit der Aufkündigung des 1984 geschlossenen Saarbrücker Abkommens über einen freizügigeren Grenzverkehr, sollte Bonn das „Berliner Loch“ nicht schließen.
Darüber hinaus war Ost-Berlin daran interessiert, auf der westlichen Seite der Berliner Mauer offizielle Grenzkontrollen zu provozieren. Diese wären auf eine völkerrechtliche Anerkennung der Berliner Teilung und der von der DDR propagierten Drei-Staaten-Theorie hinausgelaufen. Doch mit jedem Menschen, der ohne gültige Einreisedokumente aus Schönefeld nach West-Berlin gelangte, wankte die westliche Position. Selbst für Bayerns erzkonservativen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß war der Status der geteilten Stadt nicht von so großer Bedeutung, dass dafür ein unkontrollierter Zustrom von Geflüchteten hätte hingenommen werden müssen.
Wirtschaftlich lohnte sich das Geschäft für Ost-Berlin. Nach Recherchen des Historikers Jochen Staadt verdiente die auf Devisen angewiesene DDR bis zu 3,5 Millionen D-Mark im Jahr mit dem Verkauf von Flugtickets an Geflüchtete. In ihren Auslandsvertretungen warb sie für Flüge nach Schönefeld mit dem Hinweis auf die kurze Weiterreise nach West-Berlin. Das Zugeständnis, ab Juli 1985 keine Schutzsuchenden aus dem tamilischen Bürgerkrieg mehr in den Westen weiterzuleiten, ließ sich die DDR mit der Verlängerung eines Kredits über 100 Millionen D-Mark vergüten. Zusätzlich führte der von Ost-Berlin gesteuerte Menschenstrom zu einer politischen Aufwertung des sozialistischen Deutschlands. Innerhalb kürzester Zeit sprachen westdeutsche Spitzenpolitiker wie Wolfgang Schäuble, Franz-Josef Strauß und Egon Bahr in Sachen Asyl in der DDR vor. Bundeskanzler Helmut Kohl bat den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in einem Brief um einen Richtungswechsel.
Ende durch ein politisches Geschäft mit der SED?
Am Ende brachte ein Kompensationsgeschäft zwischen der DDR und der SPD den Strom von Geflüchteten zum Versiegen. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 1987, Johannes Rau, versprach für den Fall eines Wahlsieges, er würde sich für eine Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft aussprechen. Im Gegenzug würde Ost-Berlin keinen Transit aus Schönefeld nach West-Berlin für Menschen ohne gültige Einreisepapiere mehr zulassen. Der SPD-Ostexperte Egon Bahr schrieb an Erich Honecker: „Ich kann bestätigen, dass J. Rau eine verbindliche Erklärung in der Vorstellung seines Regierungsprogramms zum Thema der Respektierung der Staatsbürgerschaft abgeben wird, deren Wortlaut Sie ebenfalls vorher bekommen werden.“
Jetzt kam Bewegung in die Angelegenheit. Ost-Berlin wies seine Auslandsvertretungen an, Transitvisa ab Oktober 1986 nur noch auszustellen, wenn die Antragsteller Einreisevisa für die Bundesrepublik oder andere westliche Staaten vorweisen konnten. Oppositionsführer Rau durfte die Neuerung am 18. September als Erster bekanntgeben. In der Tat kamen ab November 1986 keine Schutzsuchenden mehr über Schönefeld nach West-Berlin. Die Bundestagswahl zwei Monate später aber gewann, trotz der östlichen Wahlkampfhilfe, nicht die SPD. Helmut Kohl und die CDU regierten in Bonn noch bis 1998, als es in Schönefeld zwar noch einen Flughafen, aber drumherum längst keine DDR mehr gab.
Zitierweise: Sven Goldmann, „Flughafen Schönefeld - das "Berliner Loch“, in: Deutschlandarchiv 22.11.2024, www.bpb.de/556861. Alle Beiträge im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Sven Goldmann ist Journalist und Historiker mit Schwerpunkt auf deutscher Zeitgeschichte. In seinen Arbeiten setzt er sich mit den politischen und gesellschaftlichen Spannungsfeldern während der deutschen Teilung auseinander.
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