Turnschuhdiplomatische Bildungsarbeit
Die politische Genese des renommierten Internationalen Trainerkurses vor 60 Jahren in Leipzig
Daniel Lange
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Ein weltweites Aushängeschild des deutschen Sports und Relikt der DDR erfährt aktuell seine 60. Auflage. Über 5.500 Absolventen aus über 150 Ländern durchliefen seit 1964 das Weiterbildungsangebot für Sportausbilder aus ärmeren Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas an der Universität Leipzig, das heute Teil der kulturellen Auslandsarbeit Deutschlands ist.
Als der achtmonatige Kurs im April 1964 seine Premiere an der damaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) erlebte, konnte niemand diese lange Dauer erahnen. Neue Aktenfunde zeigen, wie sehr der ITK in die damals entstehende Afrikapolitik der DDR integriert war und welche Debatten im Innenleben des DDR-Sports damit einhergingen.
Sechs Wochen, nachdem Äthiopiens Laufwunder Abebe Bikila den Olympia-Marathon in Rom (barfuß laufend) gewonnen und so Afrikas damalige Freiheitseuphorie symbolisiert hatte, besuchte mit Walter Ulbricht am 22. Oktober 1960 der Erste Sekretär des Zentralkomitees (ZK) der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und Staatsratsvorsitzende der DDR die Feier zum zehnten Jahrestag der DHfK. An ihr nahmen auch Gäste aus Afrika teil. Eingeladen hatte sie Günther Heinze, der Vizepräsident für Internationales des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB), als er im Frühjahr 1960 auf einer ersten Afrika-Reise Kontakte in Tunesien, Liberia, Ghana, Guinea und nach Togo geknüpft hatte.
Dem ersten Afrika-Plan des SED-Politbüros vom 4. Januar 1960 gemäß (der dem DTSB mehr Afrika-Wettkämpfe auftrug) verkündete Ulbricht am 26. September 1960 vor Diplomaten, unter dem Motto „Afrika den Afrikanern!“ seien fortan die dortigen nationalen Freiheitsbestrebungen zu unterstützen – auch mittels Sport, weshalb die DHfK „noch stärker” afrikanischen Ländern beim Aufbau eigener Sportsysteme helfen müsse. Das sei „von großer nationaler und internationaler Bedeutung für unsere [DDR]“, was unter anderem auf die Schulung von Trainern und Übungsleitern abzielte. Denn den oft provisorischen Sportstrukturen in Afrikas „jungen Nationalstaaten“ fehlten nach der Kolonialzeit die nötigen Fachkräfte.
„Falsches DDR-Bild verwischen”
Beschlossen hatte das Politbüro daher in seinem Afrika-Konzept zur Gewinnung künftiger afrikanischer Eliten (nach sowjetischem Vorbild) aus dem Jahr 1960 auch, 150 Studenten aus Afrika in der DDR auszubilden. Zu planen hatten dies für das ZK-Sekretariat der SED ab Mai 1960 die außenpolitische Kommission des Politbüros und das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA). Befeuert werden sollte damit eine Kulturoffensive in Afrika, Arabien und Asien, mit der die DDR ihr Streben nach ihrer – durch die Hallstein-Doktrin der Bundesrepublik blockierten – diplomatischen Anerkennung untermauern wollte. Simuliert werden sollte so in dortigen Ländern eine alternative Dauerpräsenz der DDR, um deren Regierungen Kooperationen mit ihr als zwangsläufig nahezulegen, ihnen den Abschluss staatlicher Verträge als Vorstufe zu diplomatischen Beziehungen anzutragen und so „gleichberechtigt im Vergleich zu Westdeutschland“ behandelt zu werden. Der für Afrika zuständigen 4. Außereuropäischen Abteilung (4. AEA) im MfAA war dabei „besonders wichtig“, bei Gästen aus Afrika „das zum großen Teil noch vorhandene falsche Bild über die DDR zu verwischen“. Wolfgang Kiesewetter, Generaldirektor des MfAA, betonte dazu: „Die Sportbeziehungen müssen mehr in den Vordergrund treten.“ Damit war der DTSB am Zug.
„Streng vertrauliches” Westafrika-Dossier des DTSB
Seit seiner Gründung 1957 hatte der DTSB „zur Stärkung des internationalen Ansehens“ der DDR „beizutragen“ und mit internationalen Wettkämpfen die Außenpolitik der Regierung „voll zu unterstützen“. Eine Vorgabe, die in ihrer für den DDR-Sport typischen und durch die SED geprägten Entstehung 1956 im Politbüro bestimmt worden war (und an der zuvor unter anderem Ulbricht und auch Erich Honecker als ZK-Sekretär für Sport mitwirkten).
DTSB-Funktionär Heinze verfasste daher nach seiner Afrika-Tour im Frühjahr 1960 ein „streng vertrauliches“ Westafrika-Dossier. Daraus folgte der erste Afrika-Beschluss des DTSB im Juni 1960. Er entsprach der von der SED proklamierten Einbindung des Sports in die Außenpolitik. Denn da diese in Afrika anders als die „Politik der Westzone auf der Basis der friedlichen Koexistenz“ beruhe, wollte der DTSB den Freiheitskampf der „afrikanischen Völker” und ihren Sport „soweit möglich” unterstützen, inklusive Fortbildungen an der DHfK. Er beschloss dafür zwei dreimonatige (englisch-/ französischsprachige) Kurse für je 20 Übungsleiter und Trainer speziell aus Westafrika (für die Sportarten Fußball, Boxen, Basketball und Leichtathletik) und ein vierjähriges Diplomsportlehrerstudium einer „Afrika-Klasse“ mit 25 Studenten (inklusive Deutschkurs) schon ab Anfang 1961. Dafür zuständig war das Staatliche Komitee für Körperkultur und Sport (StaKo), dem die DHfK unterstand.
Erste Afrika-Pläne auch im StaKo
Das StaKo war nach der Arbeitsgruppe Sport des ZK und neben dem DTSB oft dann mit der Sportauslandsarbeit befasst, wenn diese die staatlich verankerten Ressorts Sportmedizin, -bildung oder -wissenschaft und so Ministerien, Staatssekretariate (Volksbildung, Hoch-/Fachschulwesen, Gesundheit) oder andere staatliche Einrichtungen wie die DHfK tangierte. Folglich bezog das MfAA ab 1961 DTSB und StaKo in seine Afrika-Pläne ein. Da das StaKo nach der DTSB-Gründung bis 1966 keine Auslandsabteilung besaß, legte dort die Abteilung Wissenschaft erste Ideen für die nahenden Afrika-Kurse vor. Maßgeblich dafür waren auch dort der „Grundsatz der Afrika-Politik unserer [DDR] ‚Afrika den Afrikanern‘” sowie der „Abzug sämtlicher Sportlehrer durch die ehemaligen Kolonialmächte”.
Vorerfahrungen, Vorbereitungen und politische Prioritäten
Die DHfK hatte Sportlehrer der ägyptischen Sportinstitute in Kairo und Alexandria erstmals 1957 für zwei Wochen und 1958/59 ein Jahr lang fortgebildet. Nun geplante Afrika-Seminare lehnten sich an reguläre Trainerkurse der DHfK an, die aber eigene Sorgen hatte. So befahl das Politbüro im März 1961 den Ausbau der DHfK, wobei ihr Institut für Sportmedizin entstand und ihre Forschungsstelle zur „Vorbereitung der Olympiakämpfer” für 1964 und 1968 erweitert wurde. Ohnehin führten die Afrika-Projekte an der DHfK zu Problemen. So lehnte der StaKo-Vorstand das Budget für die beiden dreimonatigen Afrika-Kurse (circa. 200.000 Deutsche Mark der Deutschen Notenbank (DM) und die baldige „Afrika-Klasse“ (140.000 DM ) zunächst ab (monetär half hier der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund aus, der Afrikaner bereits an seiner Hochschule in Bernau schulte). Ebenso monierte die StaKo-Spitze die geringe politische Prägung der Kurse, denn im Curriculum fehlte noch das Thema Marxismus-Leninismus, und deren fehlende Orientierung am Bedarf Afrikas, der aus der Ferne kaum bekannt war. Hinzu kam die schwierige Teilnehmerakquise. Post nach und aus Afrika ließ oft monatelang auf sich warten. Von Interesse waren vor allem Länder, zu denen die DDR schon erste staatliche Bezugspunkte initiiert hatte.
Dort, wo das StaKo noch keine Kontakte zu afrikanischen Sportbehörden hatte, wurden die als Einladung versandten DHfK-Angebote bei „Übernahme der vollen Kosten“ (ein teures Unterfangen – Reisekosten fielen oft in Devisen an) auch über die Afrika-Netzwerke der Freien Deutschen Jugend, die Kulturabteilung des MfAA und über Diplomaten vor Ort verteilt (unter anderem im Sudan, Liberia, Mali). DHfK-Rektor Günter Erbach bot gar in der SED-Zeitung der DHfK, dem „Speer“, offiziös zwei Studienplätze der „Regierung der Republik Kongo“ an, die kurz nach ihrer Unabhängigkeit während der international brisanten „Kongo-Krise“ Ende 1960 diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion etabliert hatte.
Die spätere Vergabe der 41 Teilnehmerplätze in den beiden Afrika-Kursen ab Frühsommer 1961 folgte weiteren politischen Prioritäten, wobei Ghana (vor dem DDR-Besuch von Präsident Kwame Nkrumah im August 1961) mit 15 Sportlern im Fokus stand. Aber auch Mali (4 Teilnehmer) war mit von der Partie, das im April 1961 mit der DDR ein Handelsabkommen abschloss, oder Tunesien (5) und Marokko (3), wo die DDR im April 1960 beziehungsweise Juni 1961 Handelsvertretungen einrichten konnte (weitere waren Guinea mit 9 Kursplätzen, Togo mit 3 und Indonesien mit 2 Kursplätzen). Auch die Besetzung der „Afrika-Klasse“ im Sportlehrerstudium war außenpolitisch motiviert (unter anderem mit Studienplätzen für Ghana, Guinea, Mali, Togo, Sudan, Marokko, Nigeria, Kuba). Die öffentliche deutschlandpolitische Inszenierung jener Studenten im „Speer“ schloss das ein, etwa nach dem Mauerbau 1961: „Wir wissen, welche Politik des Hasses und der Diskriminierung von der Bonner Regierung betrieben wird.“
Zudem studierten ab 1961 13 Ägypter an der DHfK. Ihr Sportlehrerstudium, so Rektor Erbach, „genießt an den Sportinstituten in Kairo und Alexandria größte Achtung. Wir haben dort eine starke Position inne, die weiter ausgebaut werden müßte”, was er „politisch für außerordentlich wichtig“ hielt. In Ägypten böten sich „beste Ansatzpunkte für eine größere Massenbeeinflussung“, zum Beispiel mit medienwirksamen Fußballspielen. Erbach drängte daher auf weitere DHfK-Studienplätze für Ägypter und die dazu diplomatisch erhofften „offiziellen Abschlüsse zwischen den Ministerien“.
Wenig Begeisterung an der DHfK
DTSB-Präsident Manfred Ewald und Alfred Heil, DTSB-Sekretär für Bildung und Leiter der internationalen Kommission beim DTSB-Präsidium, waren indes weniger optimistisch. Sie zogen im März 1962 in der Kulturabteilung des MfAA eine mäßige erste Bilanz (ohne das diplomatisch als staatliche Anlaufstelle für ausländische Partner im Sport benötigte StaKo). Sie fanden, „die bisherige Ausbildung von ausländischen Sportstudenten in der DDR bringt keinen großen Nutzen ein”. Es bräuchte mehr Studenten und eine einjährige Lehrgangsdauer, vor allem „unter Berücksichtigung der außenpolitischen Erfordernisse“. Das aber stieß an der durch ihren Umbau strapazierten DHfK auf Abwehr.
Im Mai 1962 hielten Erbach und Rudolf Reimann, stellvertretender StaKo-Leiter für Wissenschaft, zwar einjährige Lehrgänge an der DHfK für afrikanische und nun auch lateinamerikanischen Staaten für eine „dringliche politische Notwendigkeit, um den neokolonialistischen Einfluss der imperialistischen Länder, insbesondere Westdeutschlands, in diesen Ländern entgegenzuwirken“. Doch ein Kursstart schon im September 1962 sei nur möglich, wenn die DHfK anderweitig entlastet würde. Auch stünden die für einen Auslandskurs noch 1962 benötigten Gelder von 100.000 Mark (kalkulierte Gesamtkosten: 250.000 DM) nicht bereit, weshalb die beiden Funktionäre eine Verschiebung eines solchen Kurses auf das Wintersemester 1963/64 vorschlugen. Durchsetzen konnten sie sich nicht. Die StaKo-Vorstandstagung vom 30. Mai 1962 (an der auch DTSB-Präsident Ewald teilnahm) beauftragte sie, ihre Pläne so zu modifizieren, dass der erste einjährige Kurs im Januar 1963 starten konnte. Ausgebildet werden sollten dabei „Sportfunktionäre der mittleren Ebene”, die den Sport- und Leistungsaufbau in ihren Ländern organisieren und dort einzelne Sportarten unterrichten konnten.
Außenpolitische Impressionen und Präzisionen
Hinzu kamen Eindrücke, die eine Delegation um Georg Wieczisk (Präsident des DDR-Leichtathletikverbandes) und Siegfried Sippel (Leiter der DTSB-Auslandsabteilung) im November 1962 aus Westafrika mitbrachte. Denn die Kenntnisse in der DDR über die Lage des Sports in Afrika waren oft nur vage. Schon jetzt schienen den beiden Funktionären die vielen Anfragen aus Afrika nach Sporthilfe „von der DDR allein nicht erfüllbar“. Ihr Gedanke, mit anderen sozialistischen Staaten des Warschauer Paktes, die keinen diplomatischen Anerkennungsdruck wie die DDR spürten und bezüglich Afrika daher defensiver agierten, kostensparend eine vereinte sportpolitische Afrika-Strategie zu entwerfen, wurde nie Realität.
Auch angesichts erster BRD-Sportprojekte in Afrika (wie der Entsendung von Fußballtrainer Rudi Gutendorf 1961 nach Tunesien ) empfahlen sie den häufigeren Einsatz von Auslandsexperten (bisher waren DDR-Trainer in Afrika selten, eine Ausnahme war etwa Boxcoach Horst Franz 1960-62 in Guinea). Dies sei „die wirksamste Hilfe, die auch politisch am zweckmäßigsten erscheint. … Auf alle Fälle ist es besser für uns, diesen Weg zu gehen, als das Terrain Westdeutschland zu überlassen.“ Und bei Kursen in der DDR sollten „mehr als bisher die Besonderheiten dieser Länder berücksichtigt werden. Es nützt diesen Ländern nicht viel, wenn Instrukteure ausgebildet werden, die vor allen Dingen gelernt haben, unter idealen, dazu noch europäischen Bedingungen, zu arbeiten.“ Parallel hatte das MfAA das Vorgehen der DDR in der damals sogenannten Dritten Welt weiter präzisiert und dabei den Sport gemäß „der außenpolitischen Zielsetzung unseres Staates“ integriert. So war auf eine stärkere Präsenz der DDR in Weltsportverbänden zu drängen und „großer Wert auf die Aktivierung der Sportbeziehungen zu legen, die mit großer Massenwirksamkeit verbunden sind. Neben dem allgemeinen Sportverkehr, dem auch außenpolitische Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden müssen“, bekamen StaKo und DHfK den Auftrag zur „langfristigen Entsendung von Dozenten, Lehrern und Trainern sowie deren Ausbildung in der DDR“. Ziel in den Entwicklungsländern sei es, so das MfAA, „Kurs auf feste staatliche Beziehungen durch vertragliche Vereinbarungen zu nehmen und [so in diesen Staaten] dauerhaft Fuß zu fassen“. Jene Vorgabe sollte sich an „die führenden Kräfte in diesen Ländern richten und die unmittelbare Förderung der progressiven Kräfte im Auge haben. Auf dem Gebiet von Körperkultur und Sport muss der Schwerpunkt der Beziehungen besonders auf die politischen Funktionäre gerichtet sein.“
Malische Einflüsse und aufkommende „Knackpunkte“
Vor diesen Intentionen führte die DHfK ab Januar 1963 zwei mehrmonatige französischsprachige Kurse durch. Sie galten als „Pilotstudien“ für den späteren ITK. Ein Seminar organisierte eine „ad-hoc-Arbeitsgruppe“ der DHfK für 20 Trainer des nun unabhängigen Algeriens, das von der DDR im Juli 1962 einseitig anerkannt worden war und Sportpersonal für die 1965 in Algier geplanten Weltjugendspiele benötigte. Kurz danach (im April 1963) besuchte der stellvertretende Außenminister Otto Winzer Algerien, wo die DDR im Mai 1963 eine Handelsvertretung einrichten konnte.
Der zweite Kurs für sechs guineische und fünf malische Trainer wurde gleich zu Beginn inhaltlich angepasst, da die mäßige Vorbildung der Teilnehmer und ihre Erwartungen zuvor unbekannt waren. Nun wurden angesichts „der realen Verhältnisse [des Sports] in Guinea und Mali nicht Funktionäre, sondern Übungsleiter ausgebildet“. Im Seminarfokus standen daher nun praktische Inhalte für in Guinea und Mali populäre Sportarten sowie die Vermittlung von Kenntnissen im Kampfrichterwesen. Zudem schien es „unzweckmäßig“, die „bei einem langfristigem Hochschulstudium angewandten Lehrmethoden auf jene Kurse zu übertragen“. Die Chance zur weiteren Auswertung jener Seminare bot das Deutsche Turn- und Sportfest in Leipzig als internationale Kontaktbörse des DDR-Sports im August 1963, zu dem auch viele Gäste aus Afrika eingeladen waren. Es waren Sportfunktionäre Malis, die anregten, die Kurse auf zehn Monate zu strecken und von „Frühjahr bis Herbst durchzuführen, um die für afrikanische Teilnehmer ungünstige Frostperiode des Winters als hemmenden Faktor auszuschalten“ – zwei Ideen, die in den ab 1964 jährlich im April startenden und bis zu acht Monate dauernden ITK einflossen. Dennoch sah das StaKo im April 1963 die bisherigen DHfK-Auslandsangebote kritisch. So bräuchten die „meisten“ Studenten aus Entwicklungsländern eine „längere Vorbereitung“ darauf. „Angebotene Plätze können vielfach von den schwach entwickelten Nationalstaaten nicht genutzt werden, da sie keine ausreichende Zahl von Kadern mit der erforderlichen Bildungsstufe zur Verfügung haben. (…) Besonders die schwach entwickelten afrikanischen Nationalstaaten (Schwarzafrika) brauchen vorerst Übungsleiter und Trainer. Die bisherigen Lehrgänge entsprechen diesem Erfordernis noch nicht. Die Besetzung der Lehrgänge ist im Bildungsniveau und der sportpraktischen Qualifikation der Teilnehmer sehr stark differenziert und die Durchführung der Lehrgänge wird besonders durch eine Vielzahl der [gelehrten] sportlichen Disziplinen (6-8) erschwert. Die Ausbildung dieser Kader entspricht nicht dem Hochschulcharakter der DHfK. Es wäre richtiger, diese Form der Ausbildung ausländischer Kader in den Verantwortungsbereich des DTSB zu legen und unter Patenschaft der DHfK zu stellen.“
Ewalds Brandbrief
Damit zeichnete sich ein Streit zwischen DTSB und StaKo nicht nur zur Frage ab, wer die (nicht zuletzt finanzielle) Hauptlast solcher Afrika-Projekte zu tragen hatte, sondern auch darüber, ob sich das StaKo und auch das MfAA in der Sportauslandsarbeit der Federführung des DTSB zu beugen hatten. Denn erörterte Entwicklungen hin zu einem jährlichen internationalen Kurs der DHfK waren nicht nur ein Ausdruck für die gezielte Einbeziehung des Sports in die Afrikapolitik der DDR. Sie standen auch dafür, dass der in den 1960er-Jahren immer erfolgreicher werdende DDR-Sport damit (nicht nur) in Afrika Erwartungen weckte, denen er sich nun stellen musste.
Das führte dazu, dass sich in der Sportauslandsarbeit die Aktionsfelder von DTSB und StaKo immer öfter überschnitten und ihre Maßnahmen in Diplomatenkreisen als „zersplittert“, „zufällig“ und wenig effektiv galten. Speziell das für internationale staatliche Sportkontakte vom MfAA diplomatisch benötigte StaKo stieß dabei an seine Grenzen. Immer öfter forderte es ab 1963 eine bessere Ausstattung für seine internationale Arbeit (wozu es erst ab 1965 in Folge der staatsbesuchartigen Ägypten-Reise von Walter Ulbricht kam).
Schon im November 1962 hatte DHfK-Rektor Erbach vorgeschlagen, an der DHfK eine Fakultät für das Ausländerstudium einzurichten, um dem wachsenden Betreuungsbedarf internationaler Sportstudenten gerecht zu werden. Dass es erst 1972 dazu kam, deutet den noch lange anhaltenden Gegenwind des stark auf den Leistungssport fokussierten DTSB für ein solch kostenintensives Vorhaben an. Derlei Investitionen in die Auslandsarbeit des StaKo lehnte DTSB-Präsident Ewald im Juli 1963 in einem Brandbrief an StaKo-Vize Reimann rigoros ab. Er hielt sie für „völlig überflüssig und außerdem noch für Verschwendung. … Um die Sportbeziehungen zu den jungen Nationalstaaten auszudehnen, braucht der hauptamtliche Apparat bei keiner Institution verstärkt zu werden.“
Mehr noch: „Auf Grund der [aktuellen] Lage stehen uns keine großen Beträge zur Verfügung, obwohl wir mehr Geld natürlich dringend gebrauchen könnten. Wir können aber nicht auf eine Linie gehen, derzufolge für die Entwicklung des DDR-Sports dringend notwendige Maßnahmen zurückgestellt werden und [wir] gleichzeitig gewaltige Summen für [die] Auslandsarbeit aufwenden. Auch hier ist nach unserer Auffassung Bescheidenheit entsprechend der Lage in unserem Lande angebracht.“ Damit lautete die Priorität des üppig subventionierten DTSB ein Jahr vor Olympia 1964 in Tokio sinngemäß: „DDR-Sport zuerst!“ Der im anfangs erwähnten Afrika-Beschluss des DTSB von 1960 enthaltene Vorbehalt (Afrika-Hilfe „soweit möglich“) kam damit trotz aller Solidaritätsbekundungen für Afrika deutlich zum Ausdruck. Und drohend legte Ewald (ab 1963 Mitglied im ZK der SED) „mit sozialistischem Gruß“ nach: „Falls es erforderlich wird, müssen derartige Probleme der Parteiführung zur Entscheidung unterbreitet werden.“ Entfacht war damit ein Zuständigkeitskonflikt, der noch bis zum Anfang der 1970er-Jahre zwischen StaKo und DTSB schwelte und auch später noch in Einzelfragen der internationalen Arbeit immer wieder aufbrach.
Zitierweise: Daniel Lange, "Turnschuhdiplomatische Bildungsarbeit: Die politische Genese des renommierten Internationalen Trainerkurses vor 60 Jahren in Leipzig", www.bpb.de/555891, Deutschlandarchiv vom 29.10.2024.
Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Leistungssport & Trainerbildung der Deutschen Hochschule für Gesundheit & Sport (Berlin). Sportwissenschaftliche Promotion an der Universität Potsdam zur außenpolitischen Rolle des Sports in der Afrikapolitik der DDR („Turnschuhdiplomatie“; mit Förderung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur). Zuvor Magisterarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin zur deutsch-deutschen Beteiligung am Unabhängigkeitsprozess der Vereinten Nationen 1989/90 in Namibia. Vorstandsmitglied Sport der Deutsch-Namibischen Gesellschaft. E-Mail: daniel.lange@go4more.de
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