Als der achtmonatige Kurs im April 1964 seine Premiere an der damaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) erlebte, konnte niemand diese lange Dauer erahnen. Neue Aktenfunde zeigen, wie sehr der ITK in die damals entstehende Afrikapolitik der DDR integriert war und welche Debatten im Innenleben des DDR-Sports damit einhergingen.
Sechs Wochen, nachdem Äthiopiens Laufwunder Abebe Bikila den Olympia-Marathon in Rom (barfuß laufend) gewonnen und so Afrikas damalige Freiheitseuphorie symbolisiert hatte,
Dem ersten Afrika-Plan des SED-Politbüros vom 4. Januar 1960 gemäß (der dem DTSB mehr Afrika-Wettkämpfe auftrug)
„Falsches DDR-Bild verwischen”
Beschlossen hatte das Politbüro daher in seinem Afrika-Konzept zur Gewinnung künftiger afrikanischer Eliten (nach sowjetischem Vorbild
„Streng vertrauliches” Westafrika-Dossier des DTSB
Seit seiner Gründung 1957 hatte der DTSB „zur Stärkung des internationalen Ansehens“ der DDR „beizutragen“
Am Ende einer Trainingseinheit werden von der Studiengruppe Volleyball die besonders beanspruchten Muskelpartien mit Entspannungsübungen gelockert. Im Zeitraum von acht Monaten werden die Teilnehmer mit neuen Erkenntnissen der Sportwissenschaft vertraut gemacht und vervollkommnen ihr Wissen in der Trainingsmethodik. (siehe auch Motiv 2 N). Bisher kamen Trainer, Sportwissenschaftler und Funktionäre aus 92 Ländern zur Ausbildung an das 1972 gegründete Institut für Ausländerstudium. (© Bundesarchiv Bild 183-1989-1019-001, ADN-ZB Kluge)
Am Ende einer Trainingseinheit werden von der Studiengruppe Volleyball die besonders beanspruchten Muskelpartien mit Entspannungsübungen gelockert. Im Zeitraum von acht Monaten werden die Teilnehmer mit neuen Erkenntnissen der Sportwissenschaft vertraut gemacht und vervollkommnen ihr Wissen in der Trainingsmethodik. (siehe auch Motiv 2 N). Bisher kamen Trainer, Sportwissenschaftler und Funktionäre aus 92 Ländern zur Ausbildung an das 1972 gegründete Institut für Ausländerstudium. (© Bundesarchiv Bild 183-1989-1019-001, ADN-ZB Kluge)
DTSB-Funktionär Heinze verfasste daher nach seiner Afrika-Tour im Frühjahr 1960 ein „streng vertrauliches“ Westafrika-Dossier.
Erste Afrika-Pläne auch im StaKo
Das StaKo war nach der Arbeitsgruppe Sport des ZK und neben dem DTSB oft dann mit der Sportauslandsarbeit befasst, wenn diese die staatlich verankerten Ressorts Sportmedizin, -bildung oder -wissenschaft und so Ministerien, Staatssekretariate (Volksbildung, Hoch-/Fachschulwesen, Gesundheit) oder andere staatliche Einrichtungen wie die DHfK tangierte. Folglich bezog das MfAA ab 1961 DTSB und StaKo in seine Afrika-Pläne ein.
Vorerfahrungen, Vorbereitungen und politische Prioritäten
Die DHfK hatte Sportlehrer der ägyptischen Sportinstitute in Kairo und Alexandria erstmals 1957 für zwei Wochen und 1958/59 ein Jahr lang fortgebildet. Nun geplante Afrika-Seminare lehnten sich an reguläre Trainerkurse der DHfK an,
Dort, wo das StaKo noch keine Kontakte zu afrikanischen Sportbehörden hatte, wurden die als Einladung versandten DHfK-Angebote bei „Übernahme der vollen Kosten“ (ein teures Unterfangen – Reisekosten fielen oft in Devisen an) auch über die Afrika-Netzwerke der Freien Deutschen Jugend, die Kulturabteilung des MfAA und über Diplomaten vor Ort verteilt (unter anderem im Sudan, Liberia, Mali). DHfK-Rektor Günter Erbach bot gar in der SED-Zeitung der DHfK, dem „Speer“, offiziös zwei Studienplätze der „Regierung der Republik Kongo“ an, die kurz nach ihrer Unabhängigkeit während der international brisanten „Kongo-Krise“ Ende 1960 diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion etabliert hatte.
72 Sportler, Sportlehrer und Funktionäre aus neun Ländern Afrikas und Asiens nehmen an einem achtmonatigen Trainerlehrgang teil, der im April begonnen hat und mit der Vergabe von Trainerdiplomen in den Sportarten Leichtathletik, Fußball, Turnen, Schwimmen, Volleyball, Boxen und Basketball im November seinen Abschluss finden wird. Hochschullehrer Edgar Dressel (r.) bei der Ausbildung im Fach Basketball mit jungen Sportlern aus der Vereinigten Arabischen Republik, Mali, Syrien und Guinea. (© Bundesarchiv Bild 183-J0502-0001-001, ZB, Kluge)
72 Sportler, Sportlehrer und Funktionäre aus neun Ländern Afrikas und Asiens nehmen an einem achtmonatigen Trainerlehrgang teil, der im April begonnen hat und mit der Vergabe von Trainerdiplomen in den Sportarten Leichtathletik, Fußball, Turnen, Schwimmen, Volleyball, Boxen und Basketball im November seinen Abschluss finden wird. Hochschullehrer Edgar Dressel (r.) bei der Ausbildung im Fach Basketball mit jungen Sportlern aus der Vereinigten Arabischen Republik, Mali, Syrien und Guinea. (© Bundesarchiv Bild 183-J0502-0001-001, ZB, Kluge)
Die spätere Vergabe der 41 Teilnehmerplätze in den beiden Afrika-Kursen ab Frühsommer 1961 folgte weiteren politischen Prioritäten, wobei Ghana (vor dem DDR-Besuch von Präsident Kwame Nkrumah im August 1961) mit 15 Sportlern im Fokus stand. Aber auch Mali (4 Teilnehmer) war mit von der Partie, das im April 1961 mit der DDR ein Handelsabkommen abschloss, oder Tunesien (5) und Marokko (3), wo die DDR im April 1960 beziehungsweise Juni 1961 Handelsvertretungen einrichten konnte (weitere waren Guinea mit 9 Kursplätzen, Togo mit 3 und Indonesien mit 2 Kursplätzen).
Schulung ägyptischer Sportler „politisch außerordentlich wichtig“
Zudem studierten ab 1961 13 Ägypter an der DHfK. Ihr Sportlehrerstudium, so Rektor Erbach, „genießt an den Sportinstituten in Kairo und Alexandria größte Achtung. Wir haben dort eine starke Position inne, die weiter ausgebaut werden müßte”, was er „politisch für außerordentlich wichtig“ hielt. In Ägypten böten sich „beste Ansatzpunkte für eine größere Massenbeeinflussung“, zum Beispiel mit medienwirksamen Fußballspielen. Erbach drängte daher auf weitere DHfK-Studienplätze für Ägypter und die dazu diplomatisch erhofften „offiziellen Abschlüsse zwischen den Ministerien“.
Wenig Begeisterung an der DHfK
DTSB-Präsident Manfred Ewald und Alfred Heil, DTSB-Sekretär für Bildung und Leiter der internationalen Kommission beim DTSB-Präsidium, waren indes weniger optimistisch. Sie zogen im März 1962 in der Kulturabteilung des MfAA eine mäßige erste Bilanz (ohne das diplomatisch als staatliche Anlaufstelle für ausländische Partner im Sport benötigte StaKo).
Im Mai 1962 hielten Erbach und Rudolf Reimann, stellvertretender StaKo-Leiter für Wissenschaft, zwar einjährige Lehrgänge an der DHfK für afrikanische und nun auch lateinamerikanischen Staaten für eine „dringliche politische Notwendigkeit, um den neokolonialistischen Einfluss der imperialistischen Länder, insbesondere Westdeutschlands, in diesen Ländern entgegenzuwirken“. Doch ein Kursstart schon im September 1962 sei nur möglich, wenn die DHfK anderweitig entlastet würde. Auch stünden die für einen Auslandskurs noch 1962 benötigten Gelder von 100.000 Mark (kalkulierte Gesamtkosten: 250.000 DM) nicht bereit, weshalb die beiden Funktionäre eine Verschiebung eines solchen Kurses auf das Wintersemester 1963/64 vorschlugen.
Außenpolitische Impressionen und Präzisionen
Hinzu kamen Eindrücke, die eine Delegation um Georg Wieczisk (Präsident des DDR-Leichtathletikverbandes) und Siegfried Sippel (Leiter der DTSB-Auslandsabteilung) im November 1962 aus Westafrika mitbrachte. Denn die Kenntnisse in der DDR über die Lage des Sports in Afrika waren oft nur vage. Schon jetzt schienen den beiden Funktionären die vielen Anfragen aus Afrika nach Sporthilfe „von der DDR allein nicht erfüllbar“. Ihr Gedanke, mit anderen sozialistischen Staaten des Warschauer Paktes, die keinen diplomatischen Anerkennungsdruck wie die DDR spürten und bezüglich Afrika daher defensiver agierten, kostensparend eine vereinte sportpolitische Afrika-Strategie zu entwerfen, wurde nie Realität.
Auch angesichts erster BRD-Sportprojekte in Afrika (wie der Entsendung von Fußballtrainer Rudi Gutendorf 1961 nach Tunesien
Malische Einflüsse und aufkommende „Knackpunkte“
Vor diesen Intentionen führte die DHfK ab Januar 1963 zwei mehrmonatige französischsprachige Kurse durch. Sie galten als „Pilotstudien“ für den späteren ITK. Ein Seminar organisierte eine „ad-hoc-Arbeitsgruppe“ der DHfK für 20 Trainer des nun unabhängigen Algeriens,
Der zweite Kurs für sechs guineische und fünf malische Trainer wurde gleich zu Beginn inhaltlich angepasst, da die mäßige Vorbildung der Teilnehmer und ihre Erwartungen zuvor unbekannt waren. Nun wurden angesichts „der realen Verhältnisse [des Sports] in Guinea und Mali nicht Funktionäre, sondern Übungsleiter ausgebildet“. Im Seminarfokus standen daher nun praktische Inhalte für in Guinea und Mali populäre Sportarten sowie die Vermittlung von Kenntnissen im Kampfrichterwesen. Zudem schien es „unzweckmäßig“, die „bei einem langfristigem Hochschulstudium angewandten Lehrmethoden auf jene Kurse zu übertragen“.
Ewalds Brandbrief
Damit zeichnete sich ein Streit zwischen DTSB und StaKo nicht nur zur Frage ab, wer die (nicht zuletzt finanzielle) Hauptlast solcher Afrika-Projekte zu tragen hatte, sondern auch darüber, ob sich das StaKo und auch das MfAA in der Sportauslandsarbeit der Federführung des DTSB zu beugen hatten. Denn erörterte Entwicklungen hin zu einem jährlichen internationalen Kurs der DHfK waren nicht nur ein Ausdruck für die gezielte Einbeziehung des Sports in die Afrikapolitik der DDR. Sie standen auch dafür, dass der in den 1960er-Jahren immer erfolgreicher werdende DDR-Sport damit (nicht nur) in Afrika Erwartungen weckte, denen er sich nun stellen musste.
Internationaler Trainerlehrgang an der DHfK. Frau Feldmann bildet die Lehrgangsteilnehmer im Fach Massage aus. Hier übt sie mit Mamadou Balde (liegend) und Dauda Sylla (beide aus Guinea). (© Bundesarchiv Bild 183-J0506-0013-001, ZB Kluge)
Internationaler Trainerlehrgang an der DHfK. Frau Feldmann bildet die Lehrgangsteilnehmer im Fach Massage aus. Hier übt sie mit Mamadou Balde (liegend) und Dauda Sylla (beide aus Guinea). (© Bundesarchiv Bild 183-J0506-0013-001, ZB Kluge)
Das führte dazu, dass sich in der Sportauslandsarbeit die Aktionsfelder von DTSB und StaKo immer öfter überschnitten und ihre Maßnahmen in Diplomatenkreisen als „zersplittert“, „zufällig“ und wenig effektiv galten. Speziell das für internationale staatliche Sportkontakte vom MfAA diplomatisch benötigte StaKo stieß dabei an seine Grenzen. Immer öfter forderte es ab 1963 eine bessere Ausstattung für seine internationale Arbeit (wozu es erst ab 1965 in Folge der staatsbesuchartigen Ägypten-Reise von Walter Ulbricht kam).
Schon im November 1962 hatte DHfK-Rektor Erbach vorgeschlagen, an der DHfK eine Fakultät für das Ausländerstudium einzurichten, um dem wachsenden Betreuungsbedarf internationaler Sportstudenten gerecht zu werden.
Mehr noch: „Auf Grund der [aktuellen] Lage stehen uns keine großen Beträge zur Verfügung, obwohl wir mehr Geld natürlich dringend gebrauchen könnten. Wir können aber nicht auf eine Linie gehen, derzufolge für die Entwicklung des DDR-Sports dringend notwendige Maßnahmen zurückgestellt werden und [wir] gleichzeitig gewaltige Summen für [die] Auslandsarbeit aufwenden. Auch hier ist nach unserer Auffassung Bescheidenheit entsprechend der Lage in unserem Lande angebracht.“ Damit lautete die Priorität des üppig subventionierten DTSB ein Jahr vor Olympia 1964 in Tokio sinngemäß: „DDR-Sport zuerst!“ Der im anfangs erwähnten Afrika-Beschluss des DTSB von 1960 enthaltene Vorbehalt (Afrika-Hilfe „soweit möglich“) kam damit trotz aller Solidaritätsbekundungen für Afrika deutlich zum Ausdruck. Und drohend legte Ewald (ab 1963 Mitglied im ZK der SED) „mit sozialistischem Gruß“ nach: „Falls es erforderlich wird, müssen derartige Probleme der Parteiführung zur Entscheidung unterbreitet werden.“
Zitierweise: Daniel Lange, "Turnschuhdiplomatische Bildungsarbeit: Die politische Genese des renommierten Internationalen Trainerkurses vor 60 Jahren in Leipzig", www.bpb.de/555891, Deutschlandarchiv vom 29.10.2024.