Zwei Gespräche aus dem Buch von Uta Bretschneider und Jens Schöne „Provinzlust. Erotikshops in Ostdeutschland“ veröffentlichen wir im Deutschland Archiv. Sie erzählen Geschichten über die Transformationszeit, die etwas in den Blick nehmen, was es nur erst die deutsche Einheit geben konnte und was nach und nach wieder verschwindet, sich aber erstaunlicherweise im ländlichen Umfeld noch hält: Erotikshops in der ostdeutschen Provinz.
Wo der Sexshop besser ausgeschildert ist als das Rathaus - Oschatz
„Ich verkaufe die Sachen und gut ist“
Auf die Frage, ob sie sich noch an ihren ersten Besuch in einem Sexshop erinnern könne, antwortet Eike Wächtler-Rudolph (*1976): „Also ich war ja das erste Mal hier bei meinen Eltern im Laden, als ich dann endlich 18 geworden war und reindurfte.“ Sie lacht. „Ja, vom Erzählen her – man kriegt ja zu Hause einiges mit und hinterfragt das. (…) Ja, ich bin so reingewachsen. Ich hab im Schreibwarenladen gelernt, bei meiner Mutter, und hier galt das auch: Ich verkaufe die Sachen und gut ist. Also es war jetzt nichts Anstößiges oder etwas, womit ich überfordert gewesen wäre. Das war ganz normale Ware für mich und gut.“ Damit beantwortet Eike Wächtler-Rudolph nicht nur die Frage nach dem ersten eigenen Sexshopbesuch, sondern sie formuliert zugleich ihr Selbstverständnis als Erotikshopbetreiberin: „Ich verkaufe die Sachen und gut ist.“
Dies ist das erste Interview des Projekts. Wir sitzen Anfang August 2021 im sächsischen Oschatz mit Eike Wächtler-Rudolph im Hinterzimmer ihres Erotikshops zusammen, das ihr zugleich als Büro dient. Der Shop wurde 1990 gegründet und wird von Eike Wächtler-Rudolph – mit großer Unterstützung durch ihren Mann Sven Rudolph – mittlerweile in zweiter Generation geführt. Bis zum Renteneintritt im Jahr 2000 betrieb ihr Vater unter Mitwirken der Familie das Geschäft am Rand der Kleinstadt, zugleich leitete seine Frau den Schreibwarenladen, den inzwischen die Schwester unserer Interviewpartnerin übernommen hat.
Während sich das Schreibwarengeschäft im Zentrum des Ortes befindet, liegen die Räume des Erotikshops am Rand, in einer ruhigen Seitenstraße. Diese Lage bedeutet jedoch nicht, dass er ein verstecktes Dasein führen würde. An mehreren großen Oschatzer Straßen finden sich Schilder, die explizit auf den „Sex-Shop“ – mittlerweile ist der Besitzerin die Bezeichnung „Erotikshop“ lieber – verweisen. Eine Ambivalenz von geschäftlicher Präsenz und inhaltlicher Diskretion, die typisch ist für das Geschäft mit der Erotik. Selbiges habe sich in den letzten Jahren gewandelt, fasst Eike Wächtler-Rudolph zusammen: „Es ist lockerer geworden, auf alle Fälle. Ganz am Anfang war es, glaub ich, noch schlimmer. Aber jetzt – also meine Stammkunden machen sich überhaupt keinen Kopf.“ Und doch ist Diskretion nach wie vor ein zentrales Thema.
Es geht im Geschäft mit der Erotik um Waren und Geld, aber es gibt eine weitere Währung: Vertrauen. Das fängt bei der berühmten „neutralen“ Tüte an – „Das Einfache ist, es gibt nichts auf dem Markt, was nicht durchsichtig ist. Also muss es die braune Tasche sein“ – und endet nicht zuletzt bei der spezifischen Beziehung zwischen Verkäuferin und Kund:innen. Deren Erwartungen gerecht zu werden, bestimmt durchaus mit über den wirtschaftlichen Erfolg des Shops. „Ich würde nie einen Namen preisgeben. Würde ich nie machen, hab‘ ich nie gemacht.“ In einer kleinen Stadt wie Oschatz begegnet man sich zwangsläufig auch außerhalb des geschützten Raumes, den das Erotikgeschäft darstellt, das hat Eike Wächtler-Rudolph zu einer guten Beobachterin gemacht. Trifft sie Kund:innen in anderen Kontexten, achtet sie stets auf diskreten Blickkontakt und ob die oder der Andere zuerst grüßt. Sie habe bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht und betont, auch im Umfeld ihrer Kinder würden ihr keine Vorurteile entgegengebracht. Als ihre Kinder jünger waren und es um die Berufe der Eltern ging, sei eine kindgerechte Antwort gewesen: „Ich verkauf Schlüpper.“ „Ich hatte ja am Anfang ein bissel Angst in der Schule. Als meine Kinder eingeschult wurden, dachte ich: Na, mal sehen, wie sie dir gegenüber sind oder ob sie irgendwie … Nö, ich war im Elternrat, das war ganz normal. Keine Mutti hat jemals irgendwas geäußert.“
Doch Eike Wächtler-Rudolph kennt durchaus Läden, die dem Schmuddelimage des Erotikbusiness entsprechen. Ihr eigenes Geschäft, das stand für sie immer fest, sollte anders sein: „Ich mache mein Ding. Und ich will das so aufbauen, dass es nicht irgendwie schmuddelig ist. Nee, also hell, freundlich, sodass es auch für Frauen ansprechend ist.“ Mit diesem Anspruch ging auch die Umbenennung ihres Geschäfts einher: Ursprünglich hatten die Eltern bereits 1990 ein „Erotikgeschäft“ eröffnen wollen, aber durch die Konkurrenz in nächster Nähe wurde daraus ein „Sex-Shop“. „Wir mussten uns ja irgendwie absetzen. Klar, klingt Sex härter. Darum habe ich das dann mit der Zeit ein bisschen umgewandelt in Dessous- und Erotikshop, weil ja nun der andere Laden im Ort auch nicht mehr war. Klingt einfach angenehmer für alle.“ Nur im Internet firmiere sie noch als „Sex-Shop“, das mache einiges einfacher.
„Ein kleiner Tante-Emma-Laden hätte nicht überlebt …“
Aber von vorn: Mit dem Ende der DDR tat sich für die Eltern von Eike Wächtler-Rudolph, die beide gelernte Schneider waren, aber inzwischen im Elektrobau beziehungsweise im Handel arbeiteten, die Möglichkeit auf, selbständig zu werden, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Im Raum stand die Idee, einen sogenannten Tante-Emma-Laden zu gründen. Schnell waren Räume gefunden, sogar Regale standen schon bereit. „Dann fuhren sie halt mal durch den Westen und sahen da einen Supermarkt. Da wussten sie: ‚Nee, das funktioniert nicht auf Dauer. Die Supermärkte machen sich auch im Osten schnell breit, da kann so ein kleiner Tante-Emma-Laden nicht überleben.‘ Na ja, und dann war auf dem Weg auch ein Sexshop.“ Ihre Mutter sei sofort von der Idee überzeugt gewesen, einen Sexshop in Oschatz zu eröffnen, während der Vater zögerte. Zu viele Fragen waren offen: Wie kann das funktionieren? Wer kauft bei uns ein? Woher kommt die Ware?
Bald fuhren sie nach Wiesbaden zum Großhandel, aber hier wurden „die Ossis“ zunächst skeptisch beäugt und bekamen Ware nur gegen Bargeld. Beim zweiten Besuch ließ sich das Paar aus Oschatz beraten, man stellte ein Grundsortiment zusammen, der Pkw wurde gefüllt, und nun sollte es losgehen mit dem Erotikhandel am Rand der Kleinstadt. „Doch 14 Tage bevor meine Eltern endlich so weit waren, macht auf derselben Straße ein Sexshop auf!“ Die Eltern ließen sich nicht abschrecken, und so hatte Oschatz gleich zwei Erotikgeschäfte. „Ja, neun Jahre lang waren die auf einer Straße, nebeneinander. – Bis die anderen weiter in die Stadt gezogen sind, was in Oschatz nicht wirklich günstig ist. Also in Oschatz musst du schon ein bisschen abseits sein. Das ist kein Dresden oder Leipzig, wo der Sexshop in der Einkaufspassage ist.“ Zunächst hatte der Laden nur einen Raum, erst Ende der 1990er-Jahre kam ein zweiter hinzu, und zehn Jahre später erweiterte Eike Wächtler-Rudolph das Geschäft abermals.
„Am Anfang wurde alles gekauft“
Die räumlichen Veränderungen zeigen, dass es kein Fehler gewesen sein kann, vom Tante-Emma-Laden auf Erotikshop umzuschwenken. Mehr noch, später gehörten der Familie weitere Läden in Torgau und in Zehren bei Meißen. Allerdings erwiesen sich die Außenstellen nicht nur als herausfordernd, was das Familienleben betraf, sondern sie offenbarten – so schätzt es Eike Wächtler-Rudolph heute ein – auch unterschiedliche Mentalitäten an den Standorten. „Wir haben’s in Torgau versucht. Torgau ist nicht für Sexshops gemacht. Geht nicht. Die sind sehr verklemmt, wirklich ganz, ganz, ganz sehr verklemmt.“ Auch Werbung im Stadtraum sei kaum möglich gewesen.
Und wie war es in Zehren? „Es war dumm, irgendwie. Also es war nicht durchdacht. Es lief. Es wäre auch weitergelaufen. Aber halt nicht so, dass man jetzt irgendwelche Reichtümer hätte ansammeln können. Wir hätten direkt nach Meißen gehen sollen.“ Nach Streitigkeiten um den Parkplatz vor dem Mietobjekt entschied Eike Wächtler-Rudolph, dass fortan mehr Zeit für die Familie und die 2010 geborenen Zwillinge im Fokus stehen solle. Nach den gescheiterten Expansionsversuchen probierte sie es mit einem eigenen Onlinehandel, mit mäßigem Erfolg. „Ich hätte länger durchhalten müssen. Aber auf der anderen Seite wollte ich es auch gar nicht wirklich. Weiß nicht, ich konnte mich damit nicht so richtig anfreunden. Ich dachte: Nee, mein Laden und gut. Die Leute sollen hierherkommen. Ich verkaufe die Sachen lieber von Auge zu Auge, als dass ich sie irgendwohin verschicke, das machen alle.“
Vor einigen Jahren übernahm Eike Wächtler-Rudolph die Waren eines in Auflösung befindlichen Shops in Riesa. Sie beobachtet, dass die Erotikgeschäfte in der Provinz weniger werden. Und sucht nach Gründen: Das Alter und die fehlende Nachfolge zählen ebenso dazu wie die Konkurrenz des Internethandels. „Da wollten viele mit Macht reich werden. Durch das Internet funktioniert das schon mal gar nicht mehr. Du musst wirklich auch Internetpreise haben, sonst kann man das heute vergessen. Das war am Anfang anders. Die haben alles gekauft, so in etwa. Wirklich.“
„Wir verkaufen Spielzeug für Erwachsene“
„Am Anfang war schon richtig Bedarf da. Es gab ja zu DDR-Zeiten das Magazin, wo eine Nackige drin war, und mehr gab’s, glaub ich, nicht. Also gerade, was so Zeitschriften angeht, das war schon sehr gefragt.“ Neben den Zeitschriften brachten VHS-Kassetten in den Anfangsjahren einen beträchtlichen Teil des Umsatzes. Bisweilen gibt es dazu immer noch Nachfragen: „Es kommen auch noch viele Ältere und sagen: ‚Oh, Sie haben gar keine mehr!‘ Aber das ist halt schwierig, krieg ich auch nicht mehr ran.“ Ebenso seien sogenannte Kontaktmagazine, etwa Sex DDR oder Sachsen Express, vom Markt verschwunden. „Also das ist schon schade. Denn das würde immer noch gehen“, sagt sie mit einem Lachen. „Aber es ging wahrscheinlich nur bei mir. Ich weiß es nicht.“ Generell schätzt Eike Wächtler-Rudolph ein, dass sich die Produktwelten seit 1990 nicht maßgeblich verändert haben, allerdings Materialien und Technik große Fortschritte machten.
Das Sortiment in Oschatz umfasst Vibratoren, Dildos, Masturbatoren, Fetischartikel, Wäsche, Magazine, DVDs, erotische Scherzartikel. Ein Bestseller im Erotikshop von Eike Wächtler- Rudolph sei der „Womanizer“. Sie sagt: „Ich verkaufe nur das, wo ich mir sicher bin, dass es dem Kunden gefallen könnte. Ich bin kein Typ, war ich noch nie, dass ich jemandem etwas aufdrängeln oder aufquatschen will, nur damit ich Umsatz habe, und der ist dann irgendwann raus, und gut ist. Das mache ich nicht. Ich möchte meine Kunden auch so beraten, dass sie sagen: ‚Ach, da gehe ich wieder hin!‘“ Als wir sie nach dem größten Ladenhüter fragen, lacht die Geschäftsfrau: „Was ich jetzt schon lange habe, ist so ein Fahrradsattel mit Vibration. Na gut, irgendwann findet sich vielleicht auch dafür jemand.“
Hinsichtlich ihrer Kund:innen fasst Eike Wächtler-Rudolph zusammen, dass diese aus Riesa, Grimma, Döbeln, Torgau und Wurzen nach Oschatz kommen, mehr Männer als Frauen und viele Paare. „Jede Altersklasse. Wirklich jede Altersklasse. Und ich bin auch über meine alten Kunden froh, die wirklich noch kommen, muss ich sagen.“ Dabei variieren die Konsumbedürfnisse je nach Alter durchaus: „Die älteren Kunden holen halt noch DVDs und so, was die jüngeren sich natürlich aus dem Netz ziehen. Man sieht auch vom Sortiment her einen Unterschied. Die Jüngeren kaufen eher Dessous oder Spielzeug. Spielzeug gerade, weil sie es auch vorher angucken können, was im Internet nicht möglich ist.“ Das sei der Vorteil des stationären Erotikhandels: Größen können anprobiert, Materialien geprüft und Funktionen besser abgestimmt werden.
„Wenn irgendwas Neues auf den Markt kommt, dann belese ich mich. Und dann weiß ich auch, was damit los ist. Bei manchen Sachen siehst du schon gar nicht mehr, für was es ist.“ Sie informiert sich bei ihrem Großhandelspartner über neue Produkte – sei es via Homepage oder durch die Lektüre des monatlich erscheinenden Magazins. Zu Messen, die in der Vor-Internethandel-Zeit eine große Rolle fürs Netzwerken und die Produktinformation spielten, fahre sie jedoch nicht mehr. „Es wird auch mal was ausprobiert, klar. Also es ist jetzt nicht so, dass ich sage: ‚Nee, um Gottes Willen. Nehm ich selbst nicht.‘ Ich vergleich das gern mit dem Schreibwarenladen: Ich habe mir im Schreibwarenladen auch nicht jeden Füller oder jeden Kuli gekauft. Wenn mir was gefallen hat, okay. Und genauso ist es hier. Und genauso verkauf ich auch die Ware. Ganz normal.“ Diesen Aspekt des Handelns mit Waren, unabhängig davon, worum es geht, betont Eike Wächtler-Rudolph immer wieder. „Wir verkaufen Spielzeug für Erwachsene.“
Neben den nicht zu übersehenden Hinweisschildern im Stadtraum schaltet Eike Wächtler-Rudolph hin und wieder Anzeigen, etwa anlässlich von Geschäftsjubiläen. „Irgendwas Kleines mache ich immer. Ob eine Tombola oder Rabattwürfeln ... Irgendwas lasse ich mir einfallen. Außer halt, wenn sich’s nullt, wie zum 30., als die Vivian Schmitt da war, da war ganz schön Aufruhr. Das war in aller Munde in Oschatz. Das ist ja auch immer wieder Werbung.“
„Ich bereue es nicht“
Die Coronapandemie hat den Erotikgeschäften, die sich gegen die Konkurrenz im Netz behaupten konnten, nochmals stark zugesetzt. Auch Eike Wächtler-Rudolph musste ihr Geschäft schließen. Mietkosten fielen nicht an, das Haus gehört ihr, aber doch hat sie während der Lockdowns um ihre Existenz gebangt. „Also vor Corona hab ich immer gesagt: Ich mach das bis zur Rente. Was anderes kommt gar nicht in die Tüte. Jetzt überlegt man natürlich: Schaffst du es denn überhaupt bis zur Rente? Also vor hab ich’s. Wir werden sehen.“
Vielleicht hat sie es in diesen Tagen ein wenig bereut, den Laden im Jahr 2000 übernommen und ihren lang gehegten Berufstraum aufgegeben zu haben, denn eigentlich wollte sie Lehrerin werden. „Ich wollte erst mal Abitur machen, ich wollte studieren, ganz in Ruhe. Ja, und dann war halt der Laden. Meine Eltern sagten: ‚Wir gehen bald in Rente, was machen wir?‘ Also gesehen hätte ich mich hier drin nicht. Es war wirklich durch die Eltern gelenkt. Aber ich bereue es nicht. Um Gottes Willen, das soll jetzt nicht so klingen! Aber eigentlich wollte ich Lehrerin werden. Schon immer und ewig.“
Für den Erotikshop wünscht sich Eike Wächtler-Rudolph, „dass er weiter so läuft wie vor der Pandemie. Dass meine Kunden mir treu bleiben. Dass ich es durchhalte, auf jeden Fall gesundheitlich. Dass ich weiter so liebe Kunden habe. Ich bin glücklich, so wie es ist. Wie gesagt, ich habe noch ein bisschen Zeit für meine Kinder. Die können nachmittags hierher ins Büro kommen. Können Hausaufgaben machen, und ich kann helfen. Es soll alles so bleiben.“ Ob ihre Kinder den Laden irgendwann übernehmen?
„Vor zehn Jahren hätte ich sicherlich noch gesagt: Auf jeden Fall. Das wäre superschön. Ob ich’s jetzt noch will? Ich weiß es nicht. Weil es nicht leichter wird. Ich glaube, die sollen lieber irgendwo gutes Geld verdienen. Und ihren Feierabend genießen und nicht dann nach Feierabend noch rackern und überlegen und machen. Die sollen ihr Abitur machen und studieren. Die sollen wirklich ihren eigenen Weg gehen.“
Ein Sexshop im Nirgendwo – Herzberg (Elster)
„Denn die Westler, die waren ja alle misstrauisch“
Fährt man durch den Süden Brandenburgs, von Herzberg nach Falkenberg, glaubt man zunächst an eine Sinnestäuschung. Am Rande einer Landstraße, in Alleinlage, machen große Schilder auf den Sexshop von Patrick Heidler (*1969) aufmerksam. Nur Gebäude eines Landwirtschaftsbetriebes sind noch zu entdecken, ansonsten – nichts. Äcker und Felder, so weit das Auge reicht. Dass ausgerechnet hier Geschäfte mit der Erotik stattfinden, hat viel mit Heidlers Familiengeschichte zu tun, genauer gesagt: mit seinen Eltern.
Wolfgang Heidler, sein Vater, arbeitete zu DDR-Zeiten im staatlichen Handel: „Die Arbeit war stressig. Er musste zum Beispiel zehn Bananenkisten auf 200 Läden verteilen, die Partei quatschte ihm immerzu rein, und die Russen auch, bis er mit Anfang vierzig einen Herzinfarkt bekam und Invalidenrentner wurde.“ Das hatte unter anderem zwei richtungsweisende Folgen: Um ruhiger zu leben und zugleich weiterhin Geld zu verdienen, zog die Familie in das einsam gelegene Gehöft mit Wohnhaus, Ställen und Scheune. Dort betrieb Vater Heidler eine Kaninchenzucht: „Zu DDR-Zeiten hat man für die Karnickel einen Haufen Geld gekriegt. Die wurden vom Staat zu teureren Preisen aufgekauft, als sie dann im Laden kosteten.“
Ein weiterer Vorteil des Invalidenrentner-Status: Wolfgang Heidler durfte schon vor Erreichen der Altersrente in die Bundesrepublik reisen. Das tat er hin und wieder – und kam dort mit dem Erotikgeschäft in Kontakt: „Wenn man nach Hamburg fährt, muss man einfach zur Reeperbahn, und in Frankfurt am Main wurden die Besucher ins Bahnhofsviertel mit den ganzen Sexshops und Bordellen geschleppt.“ Natürlich wusste der Vater zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er dereinst ins Erotikgeschäft einsteigen würde, doch er erinnerte sich daran, als die Zeit reif war.
Patrick Heidlers eigene Zukunft schien am Ende der 1980er- Jahre festgeschrieben, erzählt er uns. Im Sommer 1989 hatte er eine Lehre als Fliesenleger abgeschlossen und nun einen Arbeitsvertrag mit dem Kreisbaubetrieb in der Tasche. In der DDR kam das einer Lebensanstellung gleich. Anfang November 1989 wurde er zur Nationalen Volksarmee eingezogen, hatte 18 Monate Wehrdienst vor sich – und dann änderte sich die Welt. Allerdings ging das an ihm zunächst vorbei: „Ich hab bei der Armee von der Wende praktisch gar nichts mitbekommen. Wir hatten Ausgangssperre.“ Wie viele seiner Altersgenossen nutzte er im Frühjahr 1990 die Gelegenheit, in den Zivildienst zu wechseln, den es nun erstmals in der DDR gab. Fortan arbeitete er in Herzberg als Hausmeister eines Kindergartens und wohnte wieder bei seinen Eltern.
Seine Mutter, Carola Heidler, die bislang in einer Gärtnerei angestellt war, wurde schon Anfang 1990 entlassen: „Blumen wollte keiner mehr haben, und die Karnickel wollte keiner mehr aufkaufen – da standen sie da und überlegten, womit man die Leute hier rauslocken könnte, irgendein Geschäft wollten sie eröffnen. Und da ist die Idee mit dem Sexshop geboren. Mit einem Sortiment, das hier noch keiner hatte.“ Was zunächst als Nachteil erschien, sollte nun als Vorteil dienen: die Alleinlage des Hofes. Hier hätten – das war die Hoffnung – potenzielle Kund:innen weniger Scheu als in der Stadt, sich auf den völlig neuen Geschäftszweig einzulassen. Unbeobachtet, im Nirgendwo.
Gesagt, getan. Dass die Gründungsphase des Ladens ein großes Abenteuer werden sollte, wussten die Heidlers, doch sie gingen es, mit Unterstützung ihres Sohnes, entschlossen an. Zunächst mussten geeignete Räume gefunden werden. Kurzerhand räumten sie zu dritt den Kaninchenstall und statteten ihn mit Regalen aus der örtlichen Tischlerei aus – die noch heute ihren Dienst tun. Nun standen 30 Quadratmeter zur Verfügung, doch wie sollten die mit Ware gefüllt werden? Die ganz pragmatische Lösung: „Zu DDR-Zeiten kannte man ja bloß den Orion- und den Beate-Uhse-Katalog. Die beiden schrieben meine Eltern einfach an. Beate Uhse wollte nicht, die belieferte nur ihre eigenen Läden in den größeren Städten.“ Orion aber zeigte Interesse.
„Wir fuhren mit meinem Auto nach Flensburg, eine Tasche voller Geld dabei. Denn die Westler, die waren ja alle misstrauisch. Die wollten nichts in den Osten liefern, weil sie nicht wussten, ob sie Geld kriegen. Außerdem kannten wir keine Großhändler. Deshalb haben wir unsere ersten Bestellungen in Flensburg direkt aufgegeben.“ Hier zeigt sich ein allgemeines Phänomen der frühen Shopgründungen: Es war ein großer Vorteil, über genügend Bargeld zu verfügen, denn auf Rechnung wurde nicht verkauft, und die örtlichen Kreditinstitute finanzierten Erotikgeschäfte nur selten. Also flossen die angesparten Einnahmen aus der Kaninchenzucht in den Sexshop. Nachdem am 1. Juli 1990 die deutsch-deutsche Währungsunion in Kraft getreten war und die bundesdeutsche D-Mark in der DDR Einzug hielt, handelten die Heidlers schnell. Bereits am 22. August 1990 eröffneten sie ihren Laden.
„Hier waren Himmel und Menschen“
Von Anbeginn unterstützte Patrick Heidler seine Eltern, zunächst neben dem Zivildienst, später hauptberuflich. Alternativen gab es ohnehin kaum. Die Arbeitslosigkeit in Südbrandenburg schnellte in die Höhe, und auch Patrick Heidler erwischte es gleich 1990: „Als ich vom Zivildienst zurückkam, war meine Arbeit weg. Da hatte die Treuhand den Betrieb schon geschlossen. Ich wurde entlassen, und dann habe ich eben hier mitgemacht.“ Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit stieg er vollends ins elterliche Geschäft ein. Zu tun gab es gerade in den ersten Jahren mehr als genug, denn der Plan der Heidlers ging tatsächlich auf: Die Leute standen Schlange, um an die bisher nicht greifbaren oder gänzlich unbekannten erotischen Konsumgüter zu gelangen. „Hier waren Himmel und Menschen. Wir hatten am Anfang sechsstellige Jahresumsätze, in dem einen Raum. Darauf kommt man gar nicht. Das Problem war, die Ware ranzukriegen, man kannte ja keinen. Das war das Hauptproblem: die Ware ranzuschaffen, um die Menschen glücklich zu machen.“
Da Mutter und Vater gemeinsam im Laden standen, fiel die Warenbeschaffung vor allem dem Sohn zu. Wie aber vorankommen, wenn man außer Orion niemanden kannte? Wiederum war Pragmatismus gefragt, und den legte Patrick Heidler erneut an den Tag: „Ich fuhr nach West-Berlin und dort in die nächste Telefonzelle. Da hingen ja noch so Telefonbücher und Branchenbücher. Ich suchte die Sexshops raus, um neue Kontakte zu knüpfen. Manche haben mir dann die Sachen ein bisschen billiger verkauft, und die brachte ich in unseren Laden. Nach und nach lernte man auch die anderen Sexshops kennen und die Firmen, wo man Ware bekam.“
Die Nachfrage blieb vorerst riesig. Erotische Hefte wurden für 50 D-Mark verkauft, Videokassetten für 100 D-Mark und mehr – je nachdem, wie ausgefallen die Wünsche waren. Die Kundschaft störten die hohen Preise nicht, gekauft wurde, was vorrätig war. Auf die Frage, wer denn genau diese Kundschaft war, antwortet Patrick Heidler trocken: „Da sind alle gekommen.“ Aus der Nähe, aus der Ferne, jedes Alter, jede Berufsgruppe. Mehr noch: In den frühen Jahren herrschte ein unverkrampfter, offener Umgang mit den Themen Sex und Erotik, erinnert er sich heute. „Die Leute fragten ihre Bekannten: ‚Was hast du denn da gekauft?‘ Die tauschten sich aus, auch hier im Laden. Das ist heute undenkbar.“
Und dann erzählt er von einer besonderen Kundengruppe: „Auch die Russen waren regelmäßig hier. Die haben nichts gekauft. Aber die haben auch nichts angefasst. Sie hatten eben kein Geld, freuten sich aber immer, wenn ich ihnen Prospekte mitgab, die konnten ja nichts kaufen.“ Mit den „Russen“ meint Patrick Heidler Angehörige der sowjetischen Streitkräfte und deren Nachfolgeeinrichtungen, die bis 1994 in Deutschland stationiert, im Allgemeinen streng kaserniert und sehr neugierig auf das Leben jenseits ihrer Quartiere waren. In der DDR gehörten sie zum Alltag, und nun nahmen sie auch am rasanten Wandel Ostdeutschlands teil.
Da das Geschäft bestens lief, erweiterten die Heidlers ihren Laden schon 1991. Die Wand zum Nachbarraum wurde durchbrochen und die Verkaufsfläche verdoppelt. Doch bald zeigte sich, dass der Boom des Erotikgeschäfts fast so schnell verschwand, wie er begonnen hatte: „1993 war der erste Run vorbei.“ Als der Nachholeffekt abklang, kamen immer weniger Kund:innen. Patrick Heidler sieht für dieses Phänomen noch zwei weitere Gründe: „Hier herrschte ja Massenarbeitslosigkeit, weil immer mehr Betriebe durch die Treuhand geschlossen wurden.“ Die Kundschaft hielt das Geld zusammen und sparte, wo immer es möglich war – dazu gehörte auch der Kauf von Erotikartikeln.
Zugleich begann das Sterben der Dorfgaststätten. Hatte es sie bislang in fast jeder kleinen Gemeinde gegeben, wurden sie nun immer weniger. Damit brach aber auch ein Geschäftsfeld für die Sexshops weg: Gaststätten waren in den frühen 1990er-Jahren wichtige Orte für Verkaufsveranstaltungen und Stripteaseshows gewesen, regelmäßig war Heidlers Shop dort präsent. Zudem kauften die Tänzerinnen oft Wäsche im Laden, was wiederum neugierige Männer anlockte. All das fiel jetzt weg, und das machte sich in weiteren Umsatzeinbußen bemerkbar.
Für Familie Heidler bestand nun die Gefahr, die für den Hausumbau laufenden Kredite auf lange Sicht nicht mehr bedienen zu können. Da sie sich nicht der Illusion hingaben, dass das Geschäft noch einmal so gut laufen würde wie in den letzten drei Jahren, musste ein zweites Standbein her. Auch das ist in der Gesamtschau über die ostdeutschen Erotikshops typisch: Wer nach den ersten, den „fetten“ Jahren keine neuen Ideen umsetzte oder nicht zumindest miet- und kreditfrei wirtschaftete, dessen Geschäft hatte langfristig kaum eine Überlebenschance.
Die Heidlers aber hatten eine Idee und knüpften im weitesten Sinne an frühere Unternehmungen an: Wieder sollten Tiere gezüchtet und verkauft werden, der nötige Platz war ja vorhanden. „Im November 1993 eröffneten wir einen zweiten Laden, hinten in der Scheune, den Aquaristikshop. Mein Vater und ich verkauften Meerwasser-, Gartenteich- und Aquarienfische.“ Der Vater konzentrierte sich also fortan auf die Fischzucht, die Mutter auf den Sexshop. Patrick Heidler, der jetzt formal nur an der Aquaristik beteiligt war, half auch bei der Mutter aus, besorgte weiterhin die Ware und übernahm, wenn nötig, auch den Verkauf.
Seit dem Jahr 2001 ist Patrick Heidler alleiniger Inhaber beider Läden, was unter anderem zu kuriosen Einträgen in Adressverzeichnissen geführt hat. So ist dort schon mal die Rede von „Patricks Sex- und Aquaristikshop“ oder von der auf den ersten Blick merkwürdigen Kombination aus „Zoologischer Bedarf & Erotikartikel“. Eigentlich hatte mit dem Renteneintritt der Mutter – der Vater verstarb 2003 – Schluss sein sollen mit dem Sexshop. Carola Heidler hatte das so geplant, ließ keine neue Ware mehr kommen und unterrichtete auch die Kundschaft vom bevorstehenden Ende des Unternehmens. Doch dann wurde 2006 ihr Antrag auf Frühverrentung wegen fehlender Beitragsjahre abgelehnt und ein neuer Plan musste her.
Also blieb der Laden offen, der Sohn kaufte wieder Ware, stellte die Mutter an und beschäftigte sie bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 2011. Inzwischen ist Patrick Heidler froh, dass er beide Läden hat, denn sie tragen sich gegenseitig: „Im Winter ist hier im Sexshop immer mehr los, weil hinten bei den Fischen nichts los ist. Im Sommer ist hinten mehr los und vorn weniger.“ Was im Übrigen nicht nur mit den Außentemperaturen zu tun hat, sondern auch mit dem inzwischen verschämteren Umgang der Kund:innen mit dem Thema Erotik: „Im Winter, wenn es dunkel ist, halten sie eher mal an und kommen rein.“
„Heute ist alles heimlich, mehr oder weniger“
Und heute? Nachdem man den dunkel gehaltenen Laden betreten hat, erlebt man die eine oder andere Überraschung. Denn zwischen den üblichen Produkten finden sich immer wieder Dinge, die aus der Zeit gefallen scheinen, wie etwa altmodische Scherzartikel. „Überbleibsel“ aus den 1990er-Jahren seien das, bekennt Patrick Heidler, die ihm aber „zum Wegschmeißen zu schade“ seien. „Heute ist der Humor irgendwie anders“, daher seien sie quasi Ladenhüter, davon trennen möchte er sich aber auch nicht. Aus einer Ecke grüßt das zu DDR-Zeiten allerorts anzutreffende Porträt Erich Honeckers. Keineswegs aus nostalgischen Gründen, doch auch ihn könne man ja nicht einfach wegwerfen. Das Bild sei natürlich käuflich, wenn denn jemand Interesse hat – ebenso wie manch andere „Antiquität“, die zum Teil noch von den Großeltern stammt. Und wer auf der Suche nach erotischen Videokassetten ist, im Sexshop von Herzberg findet man sie noch – gleich im Bündel, wenn man mag.
Die Kund:innen seien in den letzten Jahren deutlich weniger geworden, erzählt Patrick Heidler. Zwar gebe es noch immer einige, die schon seit Beginn bei ihm einkaufen, ansonsten habe sich jedoch vieles verändert. Immerhin hat er noch einen festen Kund:innenstamm, und zwar aus einem einfachen Grund: Sein Laden ist „der einzige weit und breit“. Gleichwohl spürt auch er die Konkurrenz aus dem Internet deutlich, „der Umsatz wird immer schlechter“. Werbung der großen Anbieter im Fernsehen oder Kampfpreise auf der Grundlage von Massenverkäufen, da könne er einfach nicht mithalten. Eine eigene Website oder gar einen Onlineshop hat er nicht, und dafür gibt es einen handfesten Grund: Bis vor wenigen Jahren existierte im südbrandenburgischen Nirgendwo kein verlässliches Internet.
Wer aber meint, Patrick Heidler würde sich einfach in sein Schicksal ergeben, irrt gewaltig. Rührig und einfallsreich stemmt er sich gegen den Niedergang. Er entwirft eigene Werbegimmicks und verteilt sie: vom Kugelschreiber bis zu Chips für den Einkaufswagen. Zudem hat er sich eine Art Guerillataktik ausgedacht: Vor ein paar Jahren ließ er sein Auto auffällig mit Werbung für seinen Laden bekleben: „Sex Shop Heidler. Fachgeschäft für Ehehygiene, seit 1990“. Damit fährt er zu Orten mit hohem Personenaufkommen.
Neben offenen, freundlichen Gesprächen resultieren daraus aber auch absurde Situationen: „Mit meinem Auto fuhr ich dann auch zu Kaufland, weil das der größte Parkplatz ist, mit den meisten Kunden. Stellte mich genau vor die Tür. Ich saß im Auto, Fenster runter, ein bisschen Musik an. Auf einmal hämmerte es wie blöd auf meinem Autodach, ich bin richtig zusammengefahren. Steht die Chefin von Kaufland da und verscheucht mich.“ Offensichtlich sah man seinen Wagen als potenzielle Gefahr, Kunden zu verlieren, und bestand energisch auf seiner sofortigen Abfahrt – was Patrick Heidler aber nicht davon abhielt, sich hinterher schriftlich zu beschweren und als Entschädigung ein oder zwei Einkaufsgutscheine vorzuschlagen.
Oder die Geschichte mit dem Trödelmarkt in Dahme, einer der größeren Städte in der Nähe. „Da hatte ich den perfekten Parkplatz: an der Straße, wo die Leute zum Flohmarkt mussten. Mein Auto konnte keiner begrabbeln, weil ein Zaun dazwischen war. Dann bin ich eine Weile auf dem Flohmarkt rumgeturnt, und als ich zurückkam, dachte ich, mein Auto ist geklaut.“ Tatsächlich war etwas anderes passiert: „Die Trödelhändler oder die Marktleitung hat genau neben meinem Auto Stofflaken über den Zaun gehängt, sodass man die Werbung nicht mehr erkennen konnte. Nur der Bereich, wo mein Auto stand, war mit Stoff zugehangen“, berichtet Patrick Heidler – und lacht. Nachdenklich fährt er fort: „Heute ist alles heimlich, mehr oder weniger. Ja, das ist viel schlimmer geworden. Auch wenn mehrere Leute hier im Laden sind, das ist ganz schlimm. Da traut sich keiner, was zu kaufen. Jeder steht in seiner Ecke, und keiner macht den Anfang.“ Was dereinst so offen, neugierig und unverkrampft begonnen habe, sei inzwischen wieder mit einer gehörigen Portion Prüderie belegt. Das zeige sich immer wieder im Verhalten der Kund:innen. Mittlerweile sind die meisten auf Durchreise oder kommen von außerhalb. „Es gibt auch Bekannte, die fragen: ‚Können wir nach Feierabend kommen?‘ Ja, manche sagen erst: ‚Hoftor auf, wir wollen nicht gesehen werden.‘ Dann wollen sie von hinten rein.“ Jugendliche und junge Erwachsene verirren sich nur selten in den Laden: „Wenn die mit dem Fahrrad vorbeikommen, dann johlen sie und rufen: ‚Sexshop!‘, auch heute noch. Aber rein traut sich keiner.“ Trifft er seine Kundschaft in der Stadt, seien die Reaktionen sehr unterschiedlich: Manche wollen gar nicht angesprochen werden, andere kommen ganz offen auf ihn zu.
Überhaupt, erzählt Patrick Heidler, sei er über die Jahre älter geworden – und seine Kund:innen eben auch. Hauptsächlich kommen Männer, meist schon im Rentenalter, Frauen eher selten, und wenn, dann in Gruppen. Im Wesentlichen gleich geblieben seien hingegen die Produkte, die er verkauft, und das, obwohl er immer wieder auch andere Sexshops besucht und sich auf Messen über Neuigkeiten informiert. „Hauptsächlich Vibratoren und DVDs, Letztere verkaufe ich am meisten.“ Besondere Verpackungen für die Einkäufe biete er nicht an: „Ich wickele das in Papier ein, und dann bekommen sie eine Tüte dazu. Manche wollen das nicht. Die gehen dann so damit raus, ob sie eine Puppe haben oder DVDs oder irgendwas“, sagt Patrick Heidler und lacht wieder. Auch hier zahlt sich die Alleinlage seines Sexshops aus.
Durchaus stolz ist er darauf, dass er als einer von wenigen so lange durchgehalten hat. Fragt man ihn nach der Zukunft, antwortet er in der ihm eigenen abwägenden Weise: „Na, weitermachen, so lange es geht.“ Daher habe er sich trotz aller Schwierigkeiten auch nicht von der Coronapandemie aus der Ruhe bringen lassen: „Eigentlich war es ganz gut, eigentlich. Ich hab‘ mal ein halbes Jahr Urlaub gemacht. Wir hatten vorher ja nie Urlaub. Das Geld war da, aber man dachte immer nur an die Kunden und wurschtelte immer weiter.“ Dann wird er noch einmal nachdenklich. Das alles funktioniere ohnehin nur, „weil es Tradition ist. Und weil ich der Letzte bin, der das Licht ausmacht, sozusagen.“ Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin für den Laden ist nicht in Sicht. Die Eltern haben die Geschäfte schon zu Lebzeiten auf ihn überschrieben, „damit es weitergeht“. Das sei auch eine gewisse Verpflichtung. Und so wird Patrick Heidler wohl weiterwurschteln, unermüdlich, in seinem Sexshop mitten im Nirgendwo.
Die beiden Kapitel sind aus dem Buch von der Kulturwissenschaftlerin Uta Bretschneider und dem Historiker Jens Schöne "Provinzlust. Erotikshops in Ostdeutschland", 224 Seiten, erschienen 2024 im Ch. Links-Verlag.