Gleichberechtigung in heterosexuellen Partnerschaften in der DDR
Eine Betrachtung der DEFA-Filme "Hostess" und "Bis dass der Tod euch scheidet"
Layla Kiefel
/ 18 Minuten zu lesen
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Der Beitrag setzt sich mit der Darstellung der Geschlechterverhältnisse in der DDR in den Filmen "Hostess" von Rolf Römer und "Bis dass der Tod euch scheidet" von Heiner Carow auseinander.
Trotz einer traditionell bürgerlichen und ehemals religiösen Verankerung gehörte die Ehe zur gesellschaftlichen Realität der DDR. Sie hatte zwar nicht länger die Funktion, Frauen wirtschaftlich abzusichern, da die sozialistische Gesellschaft verlangte, dass Frauen erwerbstätig und somit finanziell unabhängig sein sollten. Stattdessen wird erwartet, dass die Ehe hauptsächlich auf Liebe basiert und auf die Stabilität der Familie und des Nachwuchses abzielt. Der Alltag der Frauen entsprach jedoch nicht dem gesetzlich verankerten Ziel der Gleichheit der Geschlechter: Frauen wurden weiterhin in erster Linie als Mütter und Ehefrauen betrachtet und blieben für die Hausarbeit zuständig. Es entwickelte sich also ein gesellschaftliches Spannungsfeld zwischen der offiziellen Forderung nach der Emanzipation der Frauen einerseits und dem Fortbestehen patriarchaler Strukturen und Haltungen andererseits.
Diese Spannung wird auch im DDR-Film sichtbar: In den 1970er-Jahren entstanden und dominierten sogenannte Alltagsfilme, in denen die Hauptrolle in mehr als der Hälfte der Filme von Frauen gespielt wurde. Ihr Schicksal wirft ein Schlaglicht auf die Geschlechterverhältnisse in der DDR. Sie werden im Folgenden am Beispiel von zwei Filmen aus dieser Zeit analysiert, Hostess von Rolf Römer (1976) und Bis dass der Tod euch scheidet (im Folgenden „Bis dass der Tod“) von Heiner Carow (1979), die beide ein Paar in der Krise inszenieren – in Hostess auf unterhaltsame, in Bis dass der Tod auf dramatische Weise. Wie reflektieren sie über heterosexuelle Partnerschaft und Ehe? Welche Ungleichheiten zeigen sie auf? Diesen Fragen geht dieser Beitrag nach.
I Weibliche Emanzipation als Störfaktor
1. Eine elliptische Liebesidylle
Beide Filme beginnen mit einer Liebesidylle: der von Jette und Johannes in Hostess und der von Sonja und Jens in Bis dass der Tod. In beiden Fällen wird das Leben des jeweiligen Paares in Ellipsen (durch den Schnitt bewirkte Zeitsprünge) dargestellt, bis als auslösendes Moment der Filme ein Streit ausbricht. Der Streit stellt eine Übereinstimmung der Erzählzeit und der erzählten Zeit her, was ihm eine stärkere Intensität verleiht als der elliptischen und dadurch illusorisch wirkenden Liebesgeschichte.
Vordergründig führen beide Frauen eine erfüllte Partnerschaft: Jette und Johannes genießen ihre Zweisamkeit in einer kleinen Berliner Dachwohnung, Sonja und Jens feiern ihre Hochzeit. Allerdings zeichnen sich von Anfang an Missverhältnisse ab. In Hostess sticht die Heldin im rosa Bademantel in einer Wohnung heraus, deren Dekoration typisch männlich konnotiert ist: An den Wänden hängen Autoplakate und eine Bierdeckelsammlung. In Bis dass der Tod kommen bei Jens bereits auf der Hochzeitsfeier Ärgernisse auf: erstens seine Eifersucht auf Sonjas Chef und zweitens, dass er seinen besten Freund und seine Schwester in seinem Bett vorfindet, während sich sein Schwager im Nebenzimmer aufhält. Während Sonja noch in der Illusion einer glücklichen Ehe lebt, hat Jens’ Vorstellung bereits erste Kratzer bekommen.
Das größte Missverhältnis in beiden Paaren besteht jedoch in der Verteilung der Hausarbeit, die nur von Frauen geleistet wird. Sonjas Chef unterstreicht dies etwa, indem er ihr einen Ratgeber für das Familienleben schenkt. Auf diese Art wird ihr symbolisch die Verantwortung für ein gelungenes Familienleben übertragen. Außerdem verschleiern in beiden Filmen Ellipsen die Zeit, die die Hausarbeit in Anspruch nimmt, was zu ihrer Unsichtbarkeit beiträgt.
2. Der Streit offenbart die Geschlechternormen
Die Streitigkeiten finden im intimen Moment des gemeinsamen Essens statt. In Bis dass der Tod ergreift Sonja die Initiative: Ein Jahr zuvor ist ihr Sohn geboren worden, und sie möchte nun wieder arbeiten. Seit 1977 hatten Frauen in der DDR einen Anspruch auf 26 Wochen Mutterschutz; ein Anrecht auf Lohnfortzahlung für einen der beiden Elternteile bestand bis zu einem Jahr nach der Geburt. Nun will Sonja an ihren Arbeitsplatz zurück, sie weiß aber, dass ihre Ankündigung Ärger in der Beziehung auslösen kann. Deshalb will sie ihr Anliegen mit einem sorgsam zubereiteten Essen befördern.
In Hostess löst Johannes‘ „Heiratsantrag“ Streit aus. Jette ist verletzt durch seine profane Art: „Weißt du was, wir werden heiraten. Böhl hat jetzt auch geheiratet, soll ganz prima gewesen sein. Wir haben gesammelt und ihm einen Fresskorb geschenkt. Er war ziemlich gerührt.“ In beiden Fällen handelt es sich um einseitig getroffene Entscheidungen. Aber Sonjas Wunsch betrifft Jens persönlich weniger, während Johannes‘ Idee das Leben beider Personen stark beeinflusst. Die geschlechterstereotypen Machtverhältnisse zwischen den jeweiligen Partnern werden entlarvt, wenn man Sonjas Gründlichkeit und Johannes‘ Unbekümmertheit vergleicht.
Die Gesprächspartner:innen diskutieren daraufhin darüber, warum die Veränderung stattfinden muss, aber es sind vor allem die Männer, die ihren Standpunkt erläutern. Jens führt drei Argumente für seine Position an: Er verdiene genug, möchte seinen Sohn nicht in den Kindergarten schicken – und er versucht, Sonjas Mutterrolle aufzuwerten. So deutet er an, dass seine Frau froh sein solle, nicht arbeiten zu müssen, während er sich für das Wohl der Familie aufopfere. Sonja und Jens verkörpern insofern die widersprüchlichen Diskurse, die auf Frauen lasten. Jens verteidigt die traditionellen Zuschreibungen, die auch in der DDR fortbestehen, da es de facto die Aufgabe der Mütter ist, sich um die Kinder zu kümmern. Sonja stützt sich auf die Position des Staates, der Frauen durch ein gutes Angebot von Krippen und Kindergärten einen starken Anreiz zur Erwerbstätigkeit bot. Ende der 1970er-Jahre stand für jedes Kind ein Platz in einer staatlichen oder kirchlichen Kinderbetreuungseinrichtung zur Verfügung.
Johannes hat seinerseits den praktischen Aspekt der Ehe in der DDR verinnerlicht und wundert sich, dass Jette sich nicht freut und er sich für seinen Antrag rechtfertigen muss: Alle machen es, es ist steuerlich günstig und sie könnten endlich aus dieser „Bude“ herauskommen. Jettes unzufriedene Reaktion führt bei ihm zum Verdacht, dass sie ihn betrüge – womit er indirekt die Bezogenheit einer Frau auf einen Mann unterstellt und ihr somit ihre Unabhängigkeit abspricht. Jette ihrerseits hadert mit der Routine und wünscht sich eine romantischere Beziehung. Beide verkörpern Geschlechterstereotypen: der Rationale gegenüber der Romantikerin, die Vernunftehe gegenüber der Liebesheirat. In beiden Filmen wird die Dominanz der Männer in der Ehe abgebildet: Sie sprechen viel und laut, nehmen viel Platz ein und bewegen sich im Bild, während Sonja und Jette statisch oder sogar in sich zusammengekauert bleiben. Die Binarität der Geschlechternormen spiegelt sich auch in ihrem Verhalten wider: Sonja und Jette handeln behutsam, Jens und Johannes sind unfähig, andere Emotionen als Wut auszudrücken und Empathie zu zeigen. Dieser Aspekt wird während des zweiten Streits zwischen Jette und Johannes explizit verbalisiert: Sie möchte wissen, warum er ihr in zwei Jahren Beziehung nie gesagt habe, dass er sie liebe, woraufhin er antwortet, dies sei „kitschig“. Auch das Ende der Streitszenen ähnelt sich und gipfelt in beiden Filmen in zerbrochenen Tellern. Um sich Gehör zu verschaffen, wenden Sonja und Jette eine Form von Gewalt an. Sie greifen jedoch nicht ihre Partner, sondern ihr eigenes Bemühen um eine schöne Atmosphäre an: den liebevoll gedeckten Tisch. Dieses absichtliche Zerstören von Tellern symbolisiert ihren Willen zur Emanzipation und verleiht dieser klischeehaften Geste in Ehestreitigkeiten eine neue Bedeutung. Als Gegenreaktion versuchen Jens und Johannes, die Frauen mit sexistischen und manipulativen Beleidigungen zu unterwerfen, indem Jens Sonjas Mutterinstinkt infrage stellt und Johannes Jette als „hysterisch“ bezeichnet, obwohl man dem einen vorwerfen könnte, dass er sich überhaupt nicht um das Kind kümmert, und dem anderen, dass er aus der Haut fährt. Nach dem Streit packt Jette ihren Koffer und zieht aus der Wohnung aus; Sonja möchte hingegen versuchen, die Missverständnisse zu lösen.
Auffällig ist auch, dass Sonjas und Jettes Krisen im Paarleben ein Echo im öffentlichen Raum erleben. Beide Frauen werden im Laufe des jeweiligen Films von einem Unbekannten belästigt. Sie reagieren selbstbewusst und schüchtern die Männer ein: Ihre Schlagfertigkeit zeigt ihren Emanzipationswillen und ihre Selbstbehauptung. Streit bestimmt weiterhin den Rhythmus der Handlungen, mit Variationen derselben filmischen Motive und der gleichen Unstimmigkeiten beider Paare. Die Figuren, insbesondere die Männer, scheinen in den Geschlechternormen gefangen, während die Frauen versuchen, sich von ihnen zu befreien.
II Der Backlash oder die Auswirkungen der Männlichkeitskrise auf die Frauen
In der DDR wurde die vom Staat geförderte Emanzipation der Frauen insbesondere von den Männern nicht immer verstanden und unterstützt. Männer gaben ihre traditionellen Rollen nur schwer oder oberflächlich auf – erst in den letzten Jahren der DDR lässt sich ein Umdenken beobachten. Beide Filme veranschaulichen die Demütigungsgesten von Jens und Johannes angesichts der Emanzipation ihrer Partnerinnen. Als Backlash demonstrieren sie ihre Männlichkeit, indem sie Sonja und Jette herabsetzen und dabei auch körperlich gewalttätig werden.
1. Die Erniedrigung der Frauenarbeit als Backlash-Symptom
Es wurde schon erwähnt, dass beide Protagonisten sexistische Geschlechterstereotypen als Mittel benutzen, um bei Streitigkeiten zu dominieren. Regelmäßig diskreditieren sie die Arbeit, die ihre Partnerinnen ausüben. Zwar arbeiteten in der DDR genauso viele Frauen wie Männer, aber die staatlichen Maßnahmen führten nicht zur Überwindung der rollenspezifischen Aufteilung in sogenannte Frauen- und Männerberufe. In den untersuchten Filmen ist Jette Fremdenführerin, und Sonja arbeitet in einem Supermarkt. Beide haben nur weibliche Kolleginnen und männliche Chefs.
Schon im ersten Streit bedauert Jette, dass Johannes und sie nie ausgehen, worauf er antwortet: „Ich bin berufstätig! Ich hab‘ nicht so viel Zeit wie du!“ In einer Rückblende ärgert sich Johannes erneut über Jettes Beruf: „Schöner Beruf, wo du dauernd aussehen musst, als ob du noch zu haben bist.“ Er zählt die Kosmetika auf, die sie benutzt, und wirft ihr vor: „Da weiß man überhaupt nicht mehr, wie eine wirklich aussieht! Und so was nennt sich Arbeit!“ Herablassend und eifersüchtig nimmt Johannes nur die Äußerlichkeit des Berufs wahr. Der Film entlarvt diese Position, weil die Intensität und die Vielfalt der Aufgaben an einem Arbeitstag der „Hostess“ gezeigt werden. Johannes‘ Arbeitsalltag wird ebenfalls dargestellt: Er ist Automechaniker und führt bestimmte Leistungen nur aus, wenn er dafür bestochen wird. Außerdem sammelt er Autoteile ein, um daraus Profit zu schlagen, was Jette als egoistisch und geizig ansieht. Ihre Meinungsverschiedenheiten betreffen den Wert, den sie jeweils ihrer Arbeit beimessen.
In Carows Film kristallisiert sich der Dissens beider Ehepartner an Sonjas Arbeit. In einem anderen Streit formuliert sie die Ungerechtigkeit, die sie durch Jens‘ patriarchale Vorstellung von der Ehe erfährt:
Zitat
Sonja: Lässt du mich denn arbeiten, ja? Du ja, du darfst kommen, gehen, Geld verdienen, Bier trinken, warum du, warum nicht ich? Jens: Weil meine Arbeit Arbeit ist! Sonja: Ach und meine? Jens: Ausgezogen an der Kasse sitzen, Schenkel zeigen, Kittel am Nabel, rosa Unterwäsche zeigen, so viel Fleisch wie möglich! Sag’s mir wenn’s nicht so ist! Das geilt sich gegenseitig an [sic], das stinkt nach Schweiß […] Und das alles für die paar Kröten! Sonja: Du irrst dich mein Lieber, und der Ruheraum wird umgebaut zum Puff! […] Für 3,50 anfassen und für 2,50 da zeigen wir uns!
Jens ist gewalttätiger als Johannes, bedient sich aber der gleichen sexistischen und sexualisierten Motive, um Sonjas Arbeit – und die Arbeit von Frauen im Allgemeinen – zu verunglimpfen. Indem er ihren Beruf nicht als echte Arbeit ansieht, leugnet er die Gleichheit von Frauen und Männern in Bezug auf ihre Produktivität und ihre Fähigkeit, sozialistische Menschen zu sein. Er geht sogar so weit, sie mit Prostituierten zu vergleichen. Sonja reagiert auf Jens‘ Worte, indem sie sich ihre Bluse aufreißt und ihre Brüste entblößt. Sie knüpft damit an Jens‘ Vorwürfe an, aber dieses Verhalten ist ihr so fremd, dass sie ihm gleichzeitig beweist, dass er falsch liegt. Durch diese Geste provoziert die Protagonistin ihn in der gleichen Weise wie Jahrzehnte später die feministischen Aktivistinnen der Femen-Gruppe, um ihm klar zu machen, dass sie das Recht hat, über ihren eigenen Körper zu verfügen. Er schreit und ohrfeigt sie, aber dieses Mal gewinnt nicht er die Konfrontation: Mit aller Kraft gibt sie ihm die Ohrfeige zurück und verlässt den Raum, obwohl er ihr befiehlt, zu bleiben. Dieser vermeintliche Sieg in der Auseinandersetzung führt dazu, dass Sonja wieder arbeiten geht. Jens‘ Chef rät ihm daraufhin, die Prüfung zum Facharbeiter abzulegen:
„Alles ist wie im Fernsehspiel von vorgestern: sie hat sich qualifiziert, er ist vorübergehend etwas zurückgeblieben, gleich gibt’s Spannung. Jetzt wird er sich zum Meister qualifizieren. Und kommt der Beruf in Ordnung, kommt das Leben in Ordnung und die Ehe und alles flutscht wieder.“
Diese Bemerkung kann als doppelte Kritik gelesen werden, sowohl an den Machtverhältnissen in der Ehe als auch an ihrer Darstellung und Legitimierung durch die Medien der DDR. Jeder weiß es, aber niemand greift ein. Monika Schröttle stellt in ihrer Studie fest, dass eine der Situationen, die die Entstehung von Gewalt gegen Frauen in der Partnerschaft begünstigte, mit dem beruflichen Aufstieg der Frau zusammenhing. Der Partner fühle sich in seiner traditionellen männlichen Identität gefährdet und bekräftige diese durch Gewalt.
2. Häusliche Gewalt als Folge der Krise
Bis dass der Tod verurteilt das Verhalten von Jens sehr deutlich. Im Film werden mehrere Identifikationsstrategien in Bezug auf Sonja verwendet, auch in der Szene, in der eine Vergewaltigung dargestellt wird. Sonjas Gesicht mit abwesendem Blick nimmt den größten Teil der Einstellung ein. In dieser Hinsicht hat der Film eine Vorreiterrolle: Frauengruppen in der DDR thematisierten Vergewaltigung in der Ehe erst Ende der 1980er-Jahre, und im wiedervereinigten Deutschland wurde sie erst 1997 als Straftat anerkannt. Der Film schildert den Teufelskreis der häuslichen Gewalt: Je mehr Sonja sich emanzipieren kann, desto gewalttätiger wird Jens, um seine körperliche Überlegenheit zu demonstrieren und seine Dominanz auszubauen. Doch schon in der ersten Versöhnungsszene droht Jens in zärtlichem Ton, Sonja zu töten, sollte sie ihn anlügen. Der Film deutet damit an, dass Femizid ein möglicher Ausgang einer ungleichen Partnerschaft ist.
Sonja möchte sich zwar durch Arbeit emanzipieren, bleibt aber in ihrer Rolle als Ehefrau gefangen: Neben der Hausarbeit, die sie alleine erledigt, ist sie der Meinung, dass sie ihrem Mann um jeden Preis helfen muss, selbst wenn es sie ihre eigene Gesundheit kostet. Sie vertraut ihrer Freundin und Kollegin Tilli an: „Was bin ich wert, wenn ich ihm nicht helfe? Dann hat mein ganzes Leben keinen Sinn!“ Sonja hat somit die Care-Arbeit verinnerlicht. In einer symmetrischen Bewegung zu jener von Jens, der sich immer mehr hinter seiner Männlichkeit verschanzt, um seine Dominanz zu sichern, spielt sie ihre Weiblichkeit aus, indem sie sich für ihn schön macht und alle Aufgaben der perfekten Ehefrau ausführt. Diese Kompensation für das Aufbrechen hergebrachter Hierarchien wurde bereits 1929 von Joan Rivière in „Weiblichkeit als Maskerade“ analysiert: Sie definierte Weiblichkeit als Performance, als Verteidigungssystem von Frauen zur Beruhigung der Männer.
Sonja erobert sich ihren Körper zurück, insbesondere, als sie sich nach der Vergewaltigung für eine Abtreibung entscheidet. Als Jens davon erfährt, folgt eine noch brutalere Gewaltszene. Er schreit: „Wer hat dir das Recht dazu gegeben?“ Daraufhin wiederholt sie: „Das Gesetz, mein Gesetz, mein Gesetz, meins!“ Der Film inszeniert hier sehr explizit die direkte Konfrontation der traditionellen Werte von Jens, der den Körper seiner Frau als sein Eigentum betrachtet, mit den vom Staat und seinem Rechtssystem vermittelten Werten, auf die sich Sonja stützen kann, um ihn ins Unrecht zu setzen.
Der Film setzt aber auch die Tabuisierung und Verharmlosung der Gewalt gegen Frauen in der DDR-Gesellschaft in Szene: Als Jens seinem Chef eines Tages betrunken mitteilt, dass er Sonja geschlagen hat, reagiert dieser überhaupt nicht darauf. Welche Alternativen gibt es für die Protagonisten in dem engen Korsett der noch immer verankerten Geschlechternormen?
III Rückkehr zu den Normen trotz eingeleiteter Alternativen
1. Die queere Alternative
So wie sie in beiden Filmen dargestellt wird, führt Heterosexualität nicht zur erhofften Erfüllung. In Hostess sucht Jette in ihrem Umfeld nach Vorbildern, um ihre Beziehung wieder in Ordnung zu bringen.
Sie beobachtet die Männer ihres Umfeldes im Licht ihrer Ehe und muss feststellen, dass keiner von ihnen einen idealen Ehemann verkörpert. Ihr Bruder erniedrigt seine Frau regelmäßig, während ihr Chef seine Frau durch Mansplaining am Reden hindert. In Bis dass der Tod euch scheidet ist der Ausgang der Ehe fast so radikal wie der Titel. Nach der letzten Szene häuslicher Gewalt warnt Sonja Jens nicht davor, dass die Bierflasche, die er gerade trinkt, mit Säure gefüllt ist. Er stirbt nicht daran, aber seine Stimmbänder sind verätzt und er ist eine Zeit lang zum Schweigen verurteilt. Sein Geschrei – die erste Gewaltform, die er seiner Frau zufügte – hört auf. Sonja wird jedoch von Schuldgefühlen geplagt.
An einigen subtilen Stellen gehen die Filme über den Rahmen der Heterosexualität hinaus. Nur wenige DEFA-Spielfilme thematisieren Homosexualität so explizit wie Heiner Carows letzter Film vor dem Mauerfall, Coming Out (1989). Allerdings lohnt sich eine queere Lektüre von DDR-Filmen, denn Homosexualität wurde in den Filmen durchaus thematisiert.
Als Sonja ihren Abschluss mit Tilli feiert, ziehen sie nachmittags durch die Bars und kehren zu Sonjas Wohnung zurück, die zum Spaß in ihr Hochzeitskleid schlüpft. Tilli zieht eine schwarze Jacke und einen Zylinderhut an, und sie tanzen zusammen kichernd Tango zu einer Melodie aus der Oper Carmen. In diesem Moment kommt Jens nach Hause. Diese zunächst lustige und völlig harmlose Szene wird durch die Einstellung auf Jens unterbrochen: Sein Blick ist entsetzt, er versucht nicht, seine Eifersucht oder seinen Unmut zu verbergen. Die Gegenaufnahme zeigt, was er sieht und erzeugt einen sogenannten Externer Link: Koulechov-Effekt: Von hinten aus gesehen tanzen ein Mann mit Zylinder und eine Frau in einem Hochzeitskleid.
Allerdings ändert sich der Gesichtsausdruck von Jens nicht, als er erkennt, dass die Person, die er für einen Mann hielt, in Wirklichkeit Tilli ist. Einerseits wird Jens durch diese Verwechslung lächerlich gemacht, gleichzeitig drängt er dem Zuschauer einen male gaze auf, seine männliche Perspektive, die Frauen als Lustobjekte wahrnimmt, indem er die Szene als homosexuell interpretiert. Als Sonja schließlich Jens glücklich ihr Diplom zeigt, bekommt sie als Antwort von ihm eine Ohrfeige und bleibt fassungslos zurück. Jens‘ gewalttätige Präsenz kontrastiert mit der Freude der beiden Frauen, bevor er die Szene betritt, und offenbart auf diese Weise eine homosexuelle, glücklichere Alternative. Seine Präsenz beendet den „Karneval“, wie Bachtin ihn definiert, als die vorübergehende Umkehrung von Werten und Hierarchien, um zu einer traditionellen Ordnung zurückzukehren, deren Vertreter er ist. Im Fall von Hostess ist es Jettes Kollegin und ehemalige Mitbewohnerin, die die queere Alternative verkörpert. Connys Beziehung zu einem Marineoffizier geht in die Brüche. Sie versucht, ihr Unbehagen in Worte zu fassen, das weit über die Trennung hinausgeht. Sie liest Jette einen Romanauszug vor, in dem der Geschlechtsakt als etwas absolut Lächerliches dargestellt wird und erklärt, dass die Götter schwarzen Humor haben mussten, um den Menschen sowohl mit Vernunft als auch Begierde zu versehen. Jette versteht, dass ihre Freundin nach einer platonischen Liebesbeziehung sucht, aber beiden fehlen die Worte, diesen Wunsch nach Asexualität auszudrücken. Als Jette versucht, die Aussagen des Romans zu relativieren, wird Conny wütend auf ihre Freundin und bricht aus: „Meine Situation ist, dass ich dauernd vorn, immer vorbildlich, immer irgendwo aktiv sein soll, das ist meine Situation!“ In dieser Figur drückt sich noch eine allgemeinere Frustration aus, die sie zu einer Rebellin macht, die sich nicht den Normen und Erwartungen der Männer, ihres Arbeitgebers und des Staates insgesamt beugen möchte.
2. „Machtlose Heldinnen“
Der Medienhistoriker Henning Wrage stellt fest, dass sich die Handlungsspielräume der weiblichen Protagonistinnen in den DDR-Filmen der 1960er- und 1970er-Jahre als Täuschungsmanöver erweisen: Er spricht von „machtlosen Heldinnen“.Hostess und Bis dass der Tod bilden da keine Ausnahme. Die Filme zeigen keine emanzipatorischen Auswege für die Frauen auf.
Auf ihrer Suche nach einer erfüllteren Liebesbeziehung stellt Jette fest, dass die Frauen um sie herum den alltäglichen Sexismus in Kauf nehmen. Darüber hinaus wird sie auch Zeugin der schöneren Momente, die Paare miteinander verbringen. Anstatt andere Alternativen in Betracht zu ziehen, kehrt Jette am Ende des Films zu Johannes zurück. Sie putzt die Wohnung von Grund auf und wartet auf ihn. Das Ende soll einen Neuanfang signalisieren. Es ist dennoch eine Rückkehr zu den Normen, einerseits auf der Ebene der Beziehung – sie beendet das, was ihr gesamtes Umfeld als Laune zu betrachten scheint, um Johannes endlich zu heiraten. Andererseits befindet sie sich auf der Ebene der Geschlechterrollen im Haushalt in einer Warteposition, und wie zu Beginn des Films übernimmt sie die Hausarbeit. Immerhin eignet sie sich den Raum wieder an: Sie entfernt die Dekoration aus Bierdeckeln und Schnapsflaschengirlanden. Da Jette denselben Weg mit dem selben Koffer zurückgeht, um wieder in die gleiche Wohnung einzuziehen, kann die Schlussszene als Resignation interpretiert werden, die durch die Wiederholung der Motive unterstrichen wird. Es besteht also eine Diskrepanz zwischen dem Happy-End-Effekt, der mit dem leichten Ton des Films und der hoffnungsvoll gestimmten Jette einhergeht, und dem rückwärtsgewandten Charakter dieser Heimkehr. Diese Diskrepanz kann nicht eindeutig interpretiert werden: Ist sie kritisch oder doch reaktionär? Nur die letzte Einstellung auf Jettes Gesicht mit Kamerablick, in der sie ziemlich melancholisch und unsicher erscheint, lässt vermuten, dass es sich eher um eine traurige Ironie handelt.
Dasselbe lässt sich für das Ende von Bis dass der Tod behaupten: Wie am Anfang findet eine Hochzeit statt. Trotz der Erfahrungen wie jener der Protagonistin und der hohen Scheidungsraten wird die Ehe immer wieder reproduziert. Tilli und ihr zukünftiger Ehemann tauschen das Ehegelübde aus und tragen sich in das Register ein. Die Stimmung ist jedoch nicht heiter, Tilli schaut auf den Boden und das Paar lächelt nicht. Die Tränen einer Frau hinter ihnen bewirken eher einen Eindruck von Trauer als den einer positiven Emotion. Diese traurige Hochzeitsszene deutet an, dass hier eher ein Todesurteil als ein Ehevertrag unterzeichnet wird und gibt dem Titel Bis dass der Tod euch scheidet eine neue Bedeutung. Sonja stört schließlich die Feier, indem sie sich selbst bezichtigt, ihren Mann das Gift trinken gelassen zu haben. Indem sie ihre glückliche Ehe als Lüge entlarvt, versucht die Protagonistin, sich von ihrer Schuld zu befreien und die Kontrolle über ihr Leben und ihre Ehe zurückzugewinnen. Doch wie Kassandra wird sie von ihrer Umgebung und der Gesellschaft für verrückt erklärt und somit dieses erhofften Handlungsspielraums gleich wieder beraubt.
Schlussfolgerung
Die Filme Hostess und Bis dass der Tod nutzen das Paar als Labor, um bestehende Ungleichheiten aufzudecken und im weiteren Sinne gesellschaftliche Probleme in der DDR zu kritisieren. Die Filme prangern Sexismus und die widersprüchlichen Rollenerwartungen an Frauen zwischen Tradition und sozialistischem Diskurs an. Die Streitigkeiten der Paare stellen diese Konflikte in den Vordergrund, die durch eine binäre Inszenierung und durch geschlechterstereotype Figuren verschärft werden. Die Frauen wollen sich von den Normen zwar befreien, die Männer aber halten hartnäckig an ihnen fest. Ihre sexistischen und manipulativen Strategien gegenüber den Frauen können als Backlash gegenüber dem Emanzipationsbestreben ihrer Partnerinnen verstanden werden.
Alle Alternativen, die sich den Frauen bieten, bestätigen nur die bestehenden Ungleichheiten oder ihre Ohnmacht. Die Filme prangern Tatsachen an, bieten aber keine befriedigenden Lösungen für ihre Figuren. Der Fokus liegt auf der Aufrechterhaltung der Partnerschaft, der Ehe und den Bräuchen. Die Rückkehr zu den Normen am Ende der Filme kann sowohl als konservativ als auch als Kritik an der DDR-Gesellschaft gesehen werden, in der die Handlungsspielräume für die Bürger:innen – und die Filmemacher:innen – begrenzt waren. Der implizite Appell, sich einzuordnen, hinterlässt den bitteren Beigeschmack einer gescheiterten Revolution. Aus der Perspektive der Post-MeToo-Ära wird die Modernität dieser Filme aus den Jahren 1976 und 1979 jedoch sichtbar: Die Forschungsgegenstände und Themen des feministischen Aktivismus waren damals bereits aktuell oder wurden zumindest schon wahrgenommen, auch wenn sie nicht immer explizit gemacht oder analysiert wurden.
Zitierweise: Layla Kiefel, „Gleichberechtigung in heterosexuellen Partnerschaften in der DDR. Eine Betrachtung der DEFA-Filme 'Hostess' und 'Bis dass der Tod euch scheidet'", in: Deutschland Archiv, 15.10.2024, Link: www.bpb.de/553440.
ist seit 2020 Doktorandin an der Universität Bordeaux Montaigne und an der Universität Konstanz. Sie legte an Ecole Normale Supérieure (ENS) in Lyon ihren Bachelor, die Agrégation (2. Staatsexamen) und ihren Master in Germanistik und deutscher Geschichte ab. Sie promoviert nach dem deutsch-französischem Coutelle-Verfahren und ist am Centre Marc Bloch in Berlin tätig. Ihre Masterarbeit befasste sich mit der Darstellung von Prostitution in deutschen Fernsehdokumentarfilmen nach der Legalisierung im Jahre 2002.
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