Im Norden von München, sechs Kilometer westlich von Dachau im Stadtteil Feldmoching-Hasenbergl, liegt in der heutigen Siedlung Ludwigsfeld das Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Allach.
Luftbild einer ursprünglich 1944 errichteten Baracke im ehemaligen KZ-Außenlager Allach in der heutigen Siedlung Ludwigsfeld. Sie wurde ab November 1944 als Sanitärbaracke genutzt. Eine späterer Umbau zur Kantine für Auswanderer diente danach zeitweilig auch als Saal für Filmveranstaltungen oder Tanzabende. (© Piritta Kleiner)
Luftbild einer ursprünglich 1944 errichteten Baracke im ehemaligen KZ-Außenlager Allach in der heutigen Siedlung Ludwigsfeld. Sie wurde ab November 1944 als Sanitärbaracke genutzt. Eine späterer Umbau zur Kantine für Auswanderer diente danach zeitweilig auch als Saal für Filmveranstaltungen oder Tanzabende. (© Piritta Kleiner)
Der Außenlagerkomplex entstand ab 1942 und war das drittgrößte in einem Netz von 140 Außenlagern des Konzentrationslagers Dachau. Die Firma Bayerische Motorenwerk (BMW) nutzte Allach als Flugmotorenfabrik. Es war das zentrale BMW-Lager in Süddeutschland. Bis Kriegsende mussten dort tausende Häftlinge Zwangsarbeit leisten.
Am 30. April 1945 gegen elf Uhr morgens befreite die 7. US-Armee Rainbow Division das Lager. Was die Amerikaner auf dem Gelände vorfanden, war ein Bild des Schreckens. Der Überlebende Marcel-G. Rivière beschreibt in seinen Erinnerungen: „In den Blöcken der Schwerkranken versuchen die Häftlinge aufzustehen. Die meisten fallen, regungslos, einige erschöpft vor Freude. Als ein paar völlig bestürzte und vor diesem schrecklichen Bild sprachlose US-Soldaten diese Blöcke betreten, finden sie ein überwältigendes Strammstehen lebender Skelette vor.“
Transitort Allach – Umnutzungen und Nachnutzungen in der Nachkriegszeit
Das ehemalige KZ-Außenlagergelände Allach war in der Nachkriegszeit ein Ort des Transits, dessen schnell wechselnde Bewohnerschaft und die unterschiedlichen Nutzungsformen sehr verdichtet einen Teil der westdeutschen Nachkriegsgeschichte widerspiegeln.
Vorerst wurden die Allacher DPs weitestgehend auf andere bayerische Lager verteilt
Die Entscheidung der Alliierten, Deutschland zu entmilitarisieren und wirtschaftliche Betriebe für Reparationsleistungen zu demontieren, traf auch das Allacher BMW-Werk. Die Kriegsgefangenen wurden als Arbeitskräfte im Karlsfeld Ordnance Depot (KOD)
Die Kriegsgefangenen brachten die Baracken in einen annehmbaren Zustand. Neben den baulichen Veränderungen verwandelten die Kriegsgefangenen die Baracken auch in kleine Handwerksläden: „(…) common kitchen, two washhouses, a hutmen with tailor’s, cobbler’s, joiner’s, carpenter’s, locksmith’s shops, and turnery etc. The hutments are 43 m long, 10 m broad and 3 m high. Wooden partitions form rooms, holding 10 men each. Double-decker beds with mattresses and three blankets. Heating and lighting are excellent. (…) There are 100 taps with running water for the morning wash.”
Die Karte zeigt das Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Allach. Die rot umrandeten Baracken wurden zum Bundesauswandererlager München-Karlsfeld umgebaut. (© Bayerisches Hauptstaatsarchiv / HStA LaFlueVerw 782-1)
Die Karte zeigt das Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Allach. Die rot umrandeten Baracken wurden zum Bundesauswandererlager München-Karlsfeld umgebaut. (© Bayerisches Hauptstaatsarchiv / HStA LaFlueVerw 782-1)
Ab September 1948 kam es abermals zu einer Umnutzung des Geländes: die Staatliche Erfassungsgesellschaft für öffentliches Gut (StEG) übernahm sowohl das im ehemaligen Außenlager lagernde Material als auch die verbliebenen Steinbaracken im östlichen Teil des Lagers. Die StEG war ein weiteres Produkt der Nachkriegszeit. Ihre Aufgabe war die Verwertung von noch vorhandenen brauchbaren Gütern der Wehrmacht und später auch der alliierten Streitkräfte. Der gute Zustand, in den die Kriegsgefangenen das ehemalige KZ-Außenlager versetzt hatten, existierte nicht mehr: „Das Gelände ist ohne Wasserleitung und ohne Strom (…) Fast alle Hallen sind ohne Fensterscheiben und Türen.“
Nachdem die StEG 1950 ihr Lager schloss, wurden im selben Jahr wieder Menschen auf dem Gelände untergebracht. In den Baracken 1-4, die in dem Winkel der heutigen Granat- und Smaragdstraße damals noch existierten, entstand ein Flüchtlingslager.
Für ungefähr ein Jahr diente nun ein Teil des östlichen Außenlagergeländes als Durchgangslager für Ausreisende.
Nach der Schließung des Bundesauswandererlagers standen die Baracken für zwei Jahre leer obwohl bereits eine weitere Gruppe nach Westdeutschland strömte, die sogenannten Sowjetzonenflüchtlinge
Ein neues Viertel entsteht – die Neue Siedlung Ludwigsfeld
Im westlichen Teil des ehemaligen KZ-Außenlagergeländes entstand die Neue Siedlung Ludwigsfeld. Auf dem Plan sind die Gebäude grau markiert. (© Staatsarchiv München / Staatsbauamt MünchenCIM G 4807)
Im westlichen Teil des ehemaligen KZ-Außenlagergeländes entstand die Neue Siedlung Ludwigsfeld. Auf dem Plan sind die Gebäude grau markiert. (© Staatsarchiv München / Staatsbauamt MünchenCIM G 4807)
Direkt daneben, dort wo einst sogenannte Pferdestallbaracken des KZ-Außenlagers gestanden hatten, entstand 1952 eines der größten, bayerischen Bauprojekte für die Unterbringung von ehemaligen DPs: die Neue Siedlung Ludwigsfeld.
Bereits vor der Fertigstellung des Projekts kam es jedoch zu Verteilungskämpfen um den neuen Wohnraum. Somit erhoben Mitarbeitende im direkt danebengelegenen BMW-Werk ebenfalls Anspruch auf die entstehende Wohnsiedlung. Viele von ihnen waren Vertriebene, die in weiteren Barackenlagern rund um das BMW-Werk lebten,
In der neu angelegten Siedlung kamen nun knapp acht Jahre nach Kriegsende Menschen verschiedener Herkunft und mit unterschiedlicher Kriegserfahrung zusammen: ehemalige Zwangsarbeiter:innen und KZ-Häftlinge, ehemalige Kriegsgefangene sowie deutsche Vertriebene aus den unterschiedlichsten Ländern. Bereits im März 1953 waren fast alle Wohnungen belegt und die Regierung von Oberbayern erfasste in einem Belegungsschlüssel die Nationalitäten und Religionen der Bewohner:innen. Demnach waren unter den 2.908 Bewohner:innen 19 Nationalitäten vertreten, die identifiziert werden konnten. Das Zusammenwohnen verlief nicht reibungslos, wie der Zeitzeuge H.T. erzählte, der in dem Flüchtlingslager aufwuchs und heute noch in der Siedlung Ludwigsfeld lebt:
„In der Kneipe, da gings schon rund, da waren dann zum Beispiel Leute an einem Tisch gesessen, zum Beispiel die Turkmenen damals, die waren ja wirklich fremdartig für uns (…). Und dann kommen ehemalige...da waren ja einige Nazis noch hier. Es gab ja auch hier in der Siedlung die Deutschen. Die haben dann am Tisch „die Fahne hoch“ gesungen. Und dann hatte man Zwangsarbeiter (…) also das war schon nicht ohne. Es gab Messerstechereien, ja. (…) Sonst hat man sich gemieden.“
Die sozialen Herausforderungen der Siedlung wurden aber nicht nur durch politisch konträr zueinanderstehende Schicksale der einzelnen Personen ausgelöst. Hinzu kam noch die Tatsache, dass die ehemaligen DPs, die in der Siedlung untergebracht worden waren, sogenannte hard core-Fälle waren, also zu dem Teil der DPs gehörten, die nicht auswandern wollten oder konnten, aus gesundheitlichen oder politischen Gründen. Dementsprechend trifft es zu, wenn eine Zeitzeugin die Siedlung in der Anfangszeit als „Seuchensiedlung“ bezeichnete. Der Großteil der Untergebrachten, waren Menschen, die durch Krieg und Krankheit schwer gezeichnet waren und zudem kaum etwas besaßen.
Die geographische Randlage erklärte sich die Ludwigsfelder Bewohnerschaft später damit, dass sie „weit genug entfernt, um möglicherweise die deutsche Bevölkerung vor den ‚Exoten‘, ‚Slawen‘ und den ‚TBC-Kranken‘ zu schützen“
Was bleibt? – Die Erinnerung an das KZ-Außenlagergelände und seine Nachkriegsgeschichte
Im öffentlichen Diskurs und in der Forschung wurde die (Nachkriegs)geschichte des ehemaligen KZ-Außenlagergeländes, bis auf wenige Ausnahmen, lange Zeit vergessen. Das bildet sowohl die kaum vorhandene Literatur als auch der Umgang der Behörden mit Ludwigsfeld bis heute ab.
Die Stadt München gab mit Beginn der Grabungen eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, um die Möglichkeiten eines Erinnerungsortes in Allach auszuloten. Zwischenzeitlich beschloss ein Zusammenschluss verschiedener Institutionen, darunter die KZ-Gedenkstätte Dachau und das NS-Dokumentationszentrum München, die Skelette der zwölf NS-Opfer, die auf dem Gelände gefunden wurden, in einer multireligiösen Zeremonie auf dem Waldfriedhof in Dachau zu beerdigen. Daraufhin erstattete die Lagergemeinschaft Dachau Anzeige wegen Störung der Totenruhe.
An der einzigen Erinnerungstafel in Ludwigsfeld sind auf einer kleinen Erhöhung in Erinnerung an die Toten nach jüdischem Brauch Steine abgelegt. (© Piritta Kleiner)
An der einzigen Erinnerungstafel in Ludwigsfeld sind auf einer kleinen Erhöhung in Erinnerung an die Toten nach jüdischem Brauch Steine abgelegt. (© Piritta Kleiner)
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass 1948 vier Orte existierten, an denen die Toten von Allach zerstreut waren: der Leitenberg bei Dachau, das ehemalige KZ-Außenlagergelände Allach, der Feldmochinger Friedhof sowie der Waldfriedhof in Dachau.
Die Lagergemeinschaft fühlte sich in die Entscheidungsfindung rund um den Umgang mit den Toten nicht eingebunden und setzte durch die Anzeige ein medienwirksames Signal. Aus erinnerungskultureller Sicht kann man sagen, dass erneut Allacher Opfer von ihrem ursprünglichen Ort entfernt wurden und abermals versäumt wurde, diesen Ort zu kennzeichnen. Danach ruhte das Thema und die Diskussion, die 2017 um die würdige Erinnerung an die Geschichte des Ortes aufflammte.
Die Neue Siedlung Ludwigsfeld, die einst als Siedlung für die zurückgebliebenen DPs entstand, existiert heute noch. Viele der dort lebenden Menschen sind Nachfahren der einst dort angesiedelten Menschen, weshalb Ludwigsfeld nach wie vor eine ungewöhnlich heterogene Bewohnerschaft auf kleinstem Raum vereint. Das Gefühl des Ausschlusses aus der (Münchner) Gesellschaft, das von Beginn an bestand, setzte sich über die Jahrzehnte fort. „Wir sind irgendwie übrig geblieben hier draußen“
Bei mehreren Besuchen, die ich während meiner Forschungsarbeit über die Siedlung 2019 unternahm, wurde mir in Interviews das gewisse „Ludwigsfelder Feeling“ genannt, womit ein besonderer Zusammenhalt und eine besondere Vertrautheit mit den Biografien der anderen umschrieben wird.
Welche Spuren an das einstige KZ-Außenlager und die unmittelbare Nachkriegszeit gibt es also heute noch in Ludwigsfeld und wie wird an diese Geschichte erinnert? Das größte erhaltene Relikt ist die bereits erwähnte, ehemalige Baracke in der Granatstraße 10. Es handelt sich dabei um ein im Sommer 1944 aus Schlackesteinen errichtetes einstöckiges Gebäude, das ab November 1944 als Sanitärbaracke genutzt wurde. Im Bundesauswandererlager wurde sie weiterhin als Sanitärbaracke verwendet. Die Erweiterung der Baracke, die als Kantine für die Auswanderer gebaut wurde, diente danach zeitweilig als Saal für Filmveranstaltungen oder Tanzabende.