Die wirtschaftliche Situation in der Nachkriegszeit ist mehr als schwierig – Chaos und Unsicherheit prägen den Alltag, selbst das Überlebenswichtige gibt es nicht immer. Besonders dramatisch zeigt sich dies in den Wintermonaten 1946/47, als das Thermometer wochenlang weit unter Null sinkt und viele Menschen erfrieren. 1949 aber sind diese Tage zumindest in den Westzonen weitgehend vorüber. Viele Fabriken und Betriebe arbeiten, Brücken und Straßenverbindungen sind teilweise wiederaufgebaut oder nutzbar und die Nahverkehrs- und Fernzüge verkehren wieder.
In allen vier Besatzungszonen werden jene Industrieanlagen demontiert, die als Teil der Rüstungsindustrie gelten. Darüber hinaus werden ganze Betriebe abgebaut und als Entschädigung für die von der deutschen Wehrmacht zerstörten Bauten in die zuvor besetzten Gebiete verbracht. Insbesondere die letztgenannten Demontagen behindern den Wiederaufbau in der sowjetischen Besatzungszone, denn hier werden einzelne Betriebe nach Wiederaufbau erneut demontiert.
In den Jahren direkt nach Kriegsende sind verschiedene wirtschaftspolitische Entscheidungen gefallen, die für die kommenden Jahrzehnte prägend sein werden. In der sowjetischen Besatzungszone sind landwirtschaftliche Großbetriebe ebenso wie Industrieunternehmen schon 1945 enteignet worden – häufig unter Verweis auf die NS-Belastung der vorigen Besitzer. Ganz überwiegend werden diese Betriebe schon vor der Gründung der DDR 1949 an deutsche Stellen übergeben. Insbesondere militärisch bedeutsame Betriebe – wie etwa die Uranförderung durch die Wismut AG – bleiben wesentlich länger in sowjetischer Hand. Die großen landwirtschaftlichen Betriebe werden schon 1945/46 unter den sogenannten Neubauern aufgeteilt. Bei ihnen handelt es sich teils um Vertriebene und Flüchtlinge aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße, teils um ortsansässige Landarbeiter. Viele dieser Neubauernhöfe sind mehr schlecht als recht ausgestattet.
Auch in den Westzonen und der späteren Bundesrepublik gibt es politische Kräfte wie etwa die Gewerkschaften,
Wie unterschiedlich die westlichen und die sowjetischen Besatzungsbehörden vorgehen, lässt sich am I.G. Farben-Konzern sehen: Während die Anlagen in Sachsen-Anhalt demontiert werden, werden die in den westlichen Besatzungszonen liegenden Konzernteile zwar entflechtet, die daraus entstehenden Unternehmen – Agfa, BASF, Hoechst, Bayer und acht weitere – aber schon Ende der 1940er-Jahre zu vier Großunternehmen zusammengefasst.
Zahlungsmittel I
Alle vier Besatzungszonen sind nach dem Zweiten Weltkrieg gleichermaßen davon betroffen, dass der Bestand an Reichsbanknoten nicht zum verfügbaren Warenangebot passt. In ganz Deutschland gibt es viele, auch dringend benötigte, Lebensmittel nur auf dem Schwarzmarkt, wo nur mit ausländischer Währung (vorzugsweise mit US-Dollar) oder mit Zigaretten als Tauschwährung eingekauft werden kann.
Im legalen regulären Handel sind dagegen Marken und Bezugsscheine wichtiger als Banknoten, da jeder Person nur sehr knapp bemessene Rationen zustehen – zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Bezeichnend sind die inoffiziellen Namen für die in fünf verschiedene Kategorien unterteilten Marken – Kategorie V heißt demnach „Friedhofskarte“. Sie steht Kindern, Rentnern, ehemaligen NSDAP-Mitgliedern, Schwerbehinderten und Nichterwerbstätigen zu. Eine Möglichkeit, solche Hungerrationen zu umgehen, ist, in der Trümmerbeseitigung mitzuarbeiten; dafür werden auch Frauen als Schwer- oder gar Schwerstarbeitende eingeordnet.
Zunächst hat die Sowjetische Militäradministration nicht nur für ihre Zone, sondern auch für ganz Berlin eine neue Währung eingeführt.
Zahlungsmittel II
Zumindest eine Unsicherheit ist ab dem 20. März 1949 Geschichte: Von nun an kann in den Westsektoren nur noch mit DM gezahlt werden. Diese Entscheidung macht das Leben jedoch für eine Gruppe von Menschen deutlich schwieriger: all jene, die in einem der Westsektoren leben, aber im sowjetischen Sektor arbeiten und ihr Gehalt entweder ganz oder doch größtenteils in „Ost“-Währung erhalten – wie etwa die Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn. Diese bekommen, gleich, wo sie wohnen, nur Ostmark ausgezahlt und müssen diese in Westmark tauschen – was mit erheblichen Verlusten verbunden ist.
Für die Betroffenen ist das nicht akzeptabel, zumal ihre Gewerkschaft, die Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO), von der Reichsbahn nicht als Verhandlungspartnerin akzeptiert wird. Die Situation eskaliert: Schon in der Nacht vom 22. auf den 23. Mai kommt ein Fünfzehnjähriger vor dem Bahnhof Zoologischer Garten durch einen Schuss zu Tode.
Konsum
Das HO-Kaufhaus in Magdeburg, Breiter Weg, eröffnet am 15.11.1949. (© Bundesarchiv, 183-1983-0912-501, ADN Zentralbild)
Das HO-Kaufhaus in Magdeburg, Breiter Weg, eröffnet am 15.11.1949. (© Bundesarchiv, 183-1983-0912-501, ADN Zentralbild)
Der „schwarze Markt“ ist auch in den von der Sowjetunion besetzten Gebieten Deutschlands ein Ärgernis – vieles, was es „auf Marken“ in den Läden nicht zu kaufen gibt, ist hier zu horrenden Preisen zu haben. Angeblich kommt deshalb der FDGB auf die Idee, „freie Läden“ einzurichten, in denen Dinge ohne Marken, dafür aber zu teils sehr hohen Preisen verkauft werden dürfen. So könne man den illegalen Handel wirksam bekämpfen und die Gewinne aus diesem Handel zudem direkt dem Staat zugutekommen lassen, denn die Läden der volkseigenen Handelsorganisation (HO) unterstehen der obersten Wirtschaftsbehörde der SBZ, der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK). Die erste HO-Filiale eröffnet am 15. November 1948 an der Frankfurter Allee im Berliner Bezirk Friedrichshain, wobei es zu tumultartigen Szenen kommt, weil Tausende von Menschen versuchen, sich in den Laden zu drängen.
Demontagen I
Noch über 1949 hinaus werden in Ost- wie Westdeutschland Maschinen demontiert, um sie andernorts – in der Sowjetunion, in Griechenland oder anderswo – als Kompensation für die von den Deutschen vernichteten Industrieanlagen wiederaufzubauen. Auch Gebäude werden zerstört, weil sie vor 1945 für die Kriegsproduktion genutzt wurden. Beide Vorgänge basieren auf den bis 1945 von den Alliierten beschlossenen Maßnahmen. Grundlegend ist die Idee, dass nach 1914 und 1939 Deutschland nicht noch einmal in der Lage sein soll, einen Krieg anzufangen.
Die Auswirkungen der Demontagepraxis unterscheiden sich indes in Ost- und Westdeutschland dramatisch. Besonders gravierend wirken in der SBZ und späteren DDR die Eingriffe in die Infrastruktur, namentlich die Demontage von Bahngleisen.
Demontagen II
Proteste gegen die Demontagen in Westdeutschland: Inschrift auf dem Werksgelände der Salzgitter - Werke: `Jeder der an der Demontage teilnimmt macht sich eines Verbrechens schuldig!' - 1949 (© picture-alliance/dpa)
Proteste gegen die Demontagen in Westdeutschland: Inschrift auf dem Werksgelände der Salzgitter - Werke: `Jeder der an der Demontage teilnimmt macht sich eines Verbrechens schuldig!' - 1949 (© picture-alliance/dpa)
Doch auch in den westlichen Zonen und der Bundesrepublik werden Anlagen demontiert. In der ersten Nachkriegszeit unterstützen die westlichen Verbündeten sogar Lieferungen in die Sowjetunion. Besonderes Augenmerk gilt hier den Betrieben, die Güter für den Krieg produziert haben. Einer davon sind die ehemaligen Reichswerke „Hermann Göring“ in Salzgitter-Watenstedt. Rund 18.000 Menschen (neben den dort Beschäftigten auch deren Angehörige und Dienstleistungsunternehmen) in der Region sind wirtschaftlich von diesem Werk abhängig, dessen Produktion Mitte 1949 längst auf zivile Belange umgestellt ist. Dennoch steht das Werk auf der Liste der zu demontierenden Unternehmen. Daran ändern auch die Verhandlungen zwischen den Alliierten und dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im Herbst 1949 nichts – im Gegenteil. Das Petersberger Abkommen bestätigt die Demontagen in Salzgitter ausdrücklich.
Autobauer I
Der neue Volkswagen als Cabriolet auf dem Gelände der Berliner Waldbühne, aufgenommen im August 1949 (© Bundesarchiv, Bild 183-S87022, Illus/Kümpfel)
Der neue Volkswagen als Cabriolet auf dem Gelände der Berliner Waldbühne, aufgenommen im August 1949 (© Bundesarchiv, Bild 183-S87022, Illus/Kümpfel)
Andernorts verläuft der Wiederaufbau weniger problematisch – in Wolfsburg rollt am 13. Mai 1949 bereits der 50.000ste „Volkswagen“ vom Band. Trotz Kriegsschäden kann die Autoproduktion über das Kriegsende hinaus fortgesetzt werden. Zunächst bedeutet dies, dass beschädigte Autos instandgesetzt werden. Das Werk untersteht der britischen Militärregierung, die das nun „Volkswagen“ (zuvor „Kraft durch Freude“- oder kurz KdF-Wagen) genannte Auto, das Ferdinand Porsche ursprünglich entwickelt hatte, als nicht markt- oder gar konkurrenzfähig ansieht. Die Werkshallen einfach zu schließen, kommt aber wegen der wirtschaftlichen Bedeutung für die Region nicht in Frage: Die meisten, die hier wohnen, sind eigens wegen der Arbeit zugezogen – Wolfsburg ist erst durch das Werk entstanden. Entgegen der britischen Bedenken werden ab 1946 erste neue „Volkswagen“ montiert, die zunächst ausschließlich den Bedarf von Alliierten und Behörden decken sollen. Schon 1947 aber folgen die ersten Exporte in die Niederlande. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 bestimmen das Land Niedersachsen und die Bundesregierung über die Volkswagenwerk GmbH. Innerhalb weniger Jahre entwickelt sich der „Volkswagen“ in Deutschland und auf den internationalen Märkten zum Verkaufsschlager. Für den Export wird das Auto ab 1. Juli 1949 zusätzlich zur Standardversion in einer komfortableren Variante produziert – millionenfach. Bis zur Einstellung der Produktion in Mittel- und Südamerika im Jahr 2003 werden weltweit 21,5 Millionen „Käfer“ verkauft.
Autobauer II
Ein Jungaktivist aus den BMW-Werken in Eisenach bei Schweißarbeiten am neuen Personenkraftwagen BMW 340. (© Bundesarchiv, Bild 183-S92096, ADN, Zentralbild, Siegfried Voigt)
Ein Jungaktivist aus den BMW-Werken in Eisenach bei Schweißarbeiten am neuen Personenkraftwagen BMW 340. (© Bundesarchiv, Bild 183-S92096, ADN, Zentralbild, Siegfried Voigt)
Auch im thüringischen Eisenach, in der SBZ, werden nach Kriegsende weiter Autos hergestellt, zunächst vor allem für die Besatzungsmacht, erst ab 1949 ist die Lieferung an zivile Stellen geplant.
Die SAG Awtowelo zeigt sich davon zunächst unbeeindruckt. Anfang Oktober 1951 erscheint im Neuen Deutschland (ND) eine großformatige Anzeige: „BMW-Fahrzeuge sind Spitzenerzeugnisse der DDR.“
Messetätigkeit I
Gezeigt wird dieses neue, „vervollkommnete“ Auto – selbstverständlich – auf der Herbstmesse in Leipzig.
Original Bildunterschrift: "Die Leipziger Frühjahrsmesse 1949. Der Polte-Plattenspieler. Ein Dauerplattenspieler, der die größte Schonung der Platten garantiert, da sich die Platten nicht mehr berühren und ohne jede Hilfe selbstständig gewendet und aufgelegt werden." Zum historischen Hintergrund: Nach dem Zweiten Krieg und der weitgehenden Zerstörung und Demontage der Polte-Werke, die vor allem während der NS-Zeit in der Rüstungsindustrie aktiv war und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter beschäftigt hatte, wurden die Betriebsteile in der sowjetisch besetzten Zone am 18.12.1945 unter Fremdverwaltung gestellt. Anders als viele weitere Rüstungsbetriebe erfolgte für die Polte-Werke keine Überführung in eine Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG). Mit einer Anordnung der sachsen-anhaltischen Regierung vom 14.1.1946 wurden die Polte-Werke enteignet. Die Wiederaufnahme der Produktion gestaltete sich schwierig. Zunächst konnten mangels geeigneter Werkzeugmaschinen nur kleinere Produkte, wie Geschirrteile aus Aluminium, Plattenspieler, Rollenketten, Filmbüchsen und Tür- oder Fensterrahmen hergestellt werden. Nach der Enteignung lief die Firma ab 1946 als Magdeburger Armaturen- und Metallwarenfabrik (MAM), 1947 ging der Betrieb in den Besitz von Sachsen-Anhalt über. 1948 wurde daraus ein „volkseigener Betrieb“: VEB Sanar Großarmaturenfabrik Magdeburg aus der MAM und der ehemaligen Maschinen- und Armaturenfabrik AG. Ab 1952 hieß dieser dann VEB Schwerarmaturenwerk „Erich Weinert“. (© Bundesarchiv 183-2005-0810-504, Illus/Herbert Blunck)
Original Bildunterschrift: "Die Leipziger Frühjahrsmesse 1949. Der Polte-Plattenspieler. Ein Dauerplattenspieler, der die größte Schonung der Platten garantiert, da sich die Platten nicht mehr berühren und ohne jede Hilfe selbstständig gewendet und aufgelegt werden." Zum historischen Hintergrund: Nach dem Zweiten Krieg und der weitgehenden Zerstörung und Demontage der Polte-Werke, die vor allem während der NS-Zeit in der Rüstungsindustrie aktiv war und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter beschäftigt hatte, wurden die Betriebsteile in der sowjetisch besetzten Zone am 18.12.1945 unter Fremdverwaltung gestellt. Anders als viele weitere Rüstungsbetriebe erfolgte für die Polte-Werke keine Überführung in eine Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG). Mit einer Anordnung der sachsen-anhaltischen Regierung vom 14.1.1946 wurden die Polte-Werke enteignet. Die Wiederaufnahme der Produktion gestaltete sich schwierig. Zunächst konnten mangels geeigneter Werkzeugmaschinen nur kleinere Produkte, wie Geschirrteile aus Aluminium, Plattenspieler, Rollenketten, Filmbüchsen und Tür- oder Fensterrahmen hergestellt werden. Nach der Enteignung lief die Firma ab 1946 als Magdeburger Armaturen- und Metallwarenfabrik (MAM), 1947 ging der Betrieb in den Besitz von Sachsen-Anhalt über. 1948 wurde daraus ein „volkseigener Betrieb“: VEB Sanar Großarmaturenfabrik Magdeburg aus der MAM und der ehemaligen Maschinen- und Armaturenfabrik AG. Ab 1952 hieß dieser dann VEB Schwerarmaturenwerk „Erich Weinert“. (© Bundesarchiv 183-2005-0810-504, Illus/Herbert Blunck)
aller Welt ihre Spitzenerzeugnisse und Neuentwicklungen. Auf der Frühjahrsmesse im März 1949 sind es schon über 6.700 Unternehmen. Diese Messe ist – mehr noch als die vorangegangenen – wegen der Berlin-Blockade ein Politikum. Die Teilnahme als ausstellendes Unternehmen oder als interessiertes Publikum wird deshalb auch politisch interpretiert, als Zeichen mangelnder Solidarität mit West-Berlin. Diejenigen, die aus den Westzonen anreisen wollen, müssen sich mit Widrigkeiten arrangieren. Dazu gehört etwa, dass die ursprünglich geplanten Sonderzüge nicht fahren – obwohl auch diese Fahrten alles andere als komfortabel gewesen wären: Für die Zugfahrt von Radolfzell am Bodensee nach Leipzig hätten die Reisenden 24 Stunden einplanen müssen, inklusive der Formalitäten an der Zonengrenze und der Verteilung auf die Unterkünfte in Leipzig.
Immerhin fast 300 Aussteller aus den Westzonen lassen sich auch im Frühjahr 1949 nicht abschrecken. Die kommunistische Presse feiert auch diese Leipziger Messe als gesamtdeutsches Ereignis, „Der Augenzeuge“, die Ost-Wochenschau, widmet sich detailliert den Grußworten der Politiker und den Messeneuheiten. Kritischer fallen die Beobachtungen der Westpresse aus. So ist auch der Südkurier aus Konstanz von der guten Organisation in Leipzig beeindruckt. „Aber ein Vergleich mit der westdeutschen Produktion führt zu einem unsagbar traurigen Ergebnis. [...] Bestenfalls entspricht die Produktion in Qualität und Quantität jenem Zustand, der bei uns im Westen vor der Währungsreform herrschte.“
Messetätigkeit II
Ausbildung von Mannequins im ersten Mannequin-Studio Deutschlands, der Schule von Erika Weigt in München. Rechts Erika Weigt, aufgenommen 1949 (© picture-alliance, SZ Photo, Fotoarchiv Otfried Schmidt)
Ausbildung von Mannequins im ersten Mannequin-Studio Deutschlands, der Schule von Erika Weigt in München. Rechts Erika Weigt, aufgenommen 1949 (© picture-alliance, SZ Photo, Fotoarchiv Otfried Schmidt)
Der (wenigstens leicht) abschätzige Blick Richtung Osten ist die eine Sache. In den Jahren nach Kriegsende werden aber auch Fakten geschaffen – teilweise dadurch, dass die entsprechenden Unternehmen oder gar ganze Branchen aus der SBZ in die Westzonen abwandern. So ist das etwa im Fall der Modeindustrie, die traditionell in Berlin beheimatet ist. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg beginnt der Abstieg des deutschen Modezentrums rund um den Berliner Hausvogteiplatz. Schon in den frühen 1930er-Jahren beginnt die Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der jüdischen Inhaber von Modesalons und der Zwischenmeistereien. Nach dem Zweiten Weltkrieg liegt das Herz dieser Branche endgültig und sprichwörtlich in Trümmern. Zudem liegt der Hausvogteiplatz in Berlin Mitte und gehört damit zum sowjetischen Sektor. Zwar zieht die Branche recht schnell an den West-Berliner Kurfürstendamm (und damit in den britischen Sektor), aber spätestens die Berlin-Blockade zeigt, wie fragil die Situation auch dort ist. So setzt die erste Modemesse in Düsseldorf ein deutliches Zeichen für die Verlagerung einer ganzen Branche, obwohl gerade einmal 24 Aussteller ihre Modelle dort zeigen und sich der Laufsteg in jenem März 1949 unter freiem Himmel auf der Königsallee – oder abgekürzt auf der Kö – befindet. Düsseldorf liegt für die Produzenten geografisch wesentlich günstiger, Webereien und andere Zulieferbetriebe sind in einer Stunde Zugfahrt – meist im Sauerland – erreichbar. Genügend Menschen, die in Heimarbeit nähen können, gibt es auch – vor allem Frauen und Kriegsinvalide. Die erste Messe 1949 ist nur ein Anfang – bereits 1951 kommen 1.000 Aussteller an den Rhein.
Der Aufbau einer eigenständigen Modeindustrie in der DDR leidet nicht nur unter der Abwanderung von Fachleuten. Nach der Devise der sozialistischen Führung ist der Aufbau der Grundindustrie vordringlich wichtig – Konsumgüter haben demgegenüber zurückzustehen. Dennoch eröffnet schon im April 1949 ein HO-Kaufhaus für Textilien und Lederwaren an der Leipziger Straße in Ost-Berlin. Erst Ende 1952 wird, ebenfalls in Ost-Berlin, das dem Ministerium für Industrie und Bergbau unterstellte Institut für Bekleidungskultur gegründet.
Fazit
Bis 1949 sind eine Reihe von Weichenstellungen im Wirtschaftsbereich erfolgt: Beide deutschen Staaten gehen mit einer neuen Währung an den Start, Betriebe arbeiten wieder und in den Geschäften gibt es für das neue Geld Waren zu kaufen – auch wenn die Abschaffung der letzten Marken in der DDR noch bis 1958 dauern wird. Der schwarze Markt wird zunehmend bedeutungslos. Während allerdings in der Bundesrepublik in den Folgejahren eine konsumorientierte Marktwirtschaft entsteht, wird die Befriedigung der Nachfrage in der DDR – vollmundigen Versprechen zum Trotz – bis 1989 ein letztlich ungelöstes Problem der sozialistischen Planwirtschaft bleiben.
Was an der Verlagerung der Modeindustrie in den Westen deutlich wird, folgt in den kommenden Jahren auch für andere Wirtschaftsbereiche. Zahlreiche Unternehmer fliehen vor dem in der DDR auf sie ausgeübten Druck in die Bundesrepublik. Viele nehmen an neuen Standorten die Produktion wieder auf. Der Rechtsstreit zwischen BMW und dem Eisenacher Werk um die Namensrechte ist weder der erste noch der letzte seiner Art.
Zitierweise: Elke Kimmel, "1949: Weichenstellungen für die Zukunft ", in: Deutschland Archiv, 15.7.2024, Link: www.bpb.de/550445.