Mit dem Anstieg der globalen Fluchtbewegungen in den letzten Jahren treten die Orte der Notunterbringung und -versorgung von Millionen Geflüchteter gerade auch in Deutschland wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein. Gewöhnlich verbindet man hiermit eilig geplante und umgesetzte Not- und Übergangslösungen, zumeist aus standardisierten vorgefertigten Elementen wie Zelten oder Containern. Während in Deutschland Bund, Länder und Kommunen für die Unterbringungen zuständig sind, hat sich weltweit ein komplexes, durch internationale Spenden finanziertes Konstrukt humanitärer Hilfsorganisationen mit dem UNHCR an der Spitze herausgebildet, das einen Großteil der weltweit über 100 Millionen Geflüchteter und Zwangsvertriebenen mit Notunterkunft, Nahrung, Bildung und Gesundheitsleistungen versorgt.
Doch die Umsetzung des positiven Gedankens humanitären Schutzes führt in der Praxis zu vielen Schwierigkeiten und zu einer zunehmenden Kritik an den verantwortlichen Akteuren. In der Praxis wird aus dem universellen Hilfsgedanken schnell eine technokratisch handelnde Versorgungsbürokratie. Die Soziologin Sophia Hoffmann fragte provokativ – „Wen schützen Flüchtlingslager?“
Auf der Suche nach Wegen aus dieser quasi vorprogrammiert erscheinenden Krise betrachtete das Forschungsprojekt „Architekturen des Asyls“
Camp City Zaatari
Mit circa 1,3 Millionen syrischen Geflüchteten ist Jordanien das größte Aufnahmeland der seit 2011 andauernden syrischen Flüchtlingskrise und zugleich eine der größten Konzentrationen internationaler Hilfsorganisationen weltweit zu der auch das UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees). Neben zahlreichen Versorgungs- und Logistikzentren für urbane Geflüchtete unterhält das UNHCR die drei syrischen Flüchtlingslager Zaatari, Azraq und Emirates im unwirtlichen Wüstengebiet nahe der syrischen Grenze unterhält. Geostrategische Überlegungen der internationalen Gemeinschaft spielten hierbei eine wesentliche Rolle. Im geordneten und kontrollierten Umfeld eines Flüchtlingslagers fern der urbanen Zentren lassen sich ankommende Geflüchtete besser registrieren und kontrollieren und mögliche eingeschleuste IS-Kämpfer herausfiltern. Die Janusköpfigkeit von Flüchtlingslagern als Instrumente der Versorgung und Kontrolle zeigt sich in den Planungs- und Managementleitlinien für den Aufbau und die Betreibung von UNHCR Flüchtlingslagern, die als universell einsetzbare Konventionen und Standards im „Handbook of Emergencies“iii definiert sind.
Als sich abzeichnete, dass das am 9. Juli 2012 gegründete Lager weit mehr als 100.000 Geflüchtete aufnehmen würde, wurde dem UNHCR die vollständige Kontrolle des Managements überfragen. Das Handbook of Emergencies wurde zur Blaupause für einen gigantischen Masterplan einer neuen Flüchtlingsstadt, die bis März 2013 umgesetzt wurde.
Für die Gesamtanlage wurde ein 5,3 Quadratkilometer großer Bereich planiert, mit Kies eingestreut, um Staubwirbellungen einzudämmen, und durch ein Wegeraster von ungefähr 75 mal 50 Meter strukturiert. Ein bereits vorhandener Querungsweg wurde zur Hauptachse ausgebaut, die zwölf Sektoren mit jeweils circa sechs Blöcken, sowie zentrale Versorgungsbereiche verband. Jeder der Sektoren gliederte sich wiederum in zwölf Blöcke mit jeweils 84 im Raster angeordneten Containern, angeordnet in zwölf Reihen à sieben Containern. Jeder Block erhielt zudem einen Trinkwassertank und vier Gemeinschaftstoilettenanlagen. Grundmodul für die Gesamtanordnung bildeten die circa 16 Quadratmeter großen Container für jeweils vier bis fünf Personen. Geberländern lieferten große Stückzahlen, die das Raster schrittweise ausfüllten und schließlich 200.000 Geflüchteten Unterkunft boten.
Die strenge Ordnung der Containeraufstellung aus den frühen Satellitenbildern hinterlässt den Eindruck eines geordneten humanitären Managements. Doch schon nach kurzer Zeit begannen die Bewohnenden die im Raster aufgestellten Container zu verschieben und neu zu ordnen. Da die Container auch leicht per Hand (durch mindestens sechs Personen) verschoben, gedreht beziehungsweise über kurze Strecken transportiert werden konnten, erfolgte dies oft auch im Schutz der Dunkelheit.
Ziel war geschlossene oder zumindest teilweise nach Außen abgeschirmte Cluster zu bilden und so dem Bedürfnis nach offenen, jedoch vor Einblicken geschützte Hofsituationen zu bilden, wie sie auch in den Herkunftsorten aufzufinden sind. Durch An- und Umbauten konsolidierten sich diese Anordnungen später oft zu komplexen introvertierten Blockstrukturen in denen Großfamilien zusammenleben und halböffentliche Gassen und Höfe miteinander teilen.
Containerelemente wurden zum wichtigsten Baumaterial in Zaatari. Nach dem forcierten Rückgang der Einwohnerzahl entstand aus freiwerdenden Containern ein florierender informeller Markt für den Weiterverkauf von herausgelösten Einzelelementen. Diese wurden für die Erweiterung privater oder halböffentlicher Räume genutzt. Auch ganze neue Gebäudetypen wie Läden oder Moscheen wurden durch Dekonstruktion, Handel und neue Assemblage möglich. Nach anfänglich vergeblichen Versuchen des Einschreitens blieb dem UNHCR nichts anderes übrig als diese Raumproduktion zu tolerieren.
Neben der Differenzierung der Wohnbereiche entwickelten sich in Zaatari durch Kleinhandel geprägte Zonen. So entstanden zentrale, von der Gesamtbewohnerschaft genutzte marktähnliche Zonen entlang der umgangssprachlich auch „Champs Elysee“ genannten Nord-Süd Haupterschließungsstraße, sowie entlang der zentralen Ost-West-Achse – dem Saudi Market (Abb. 02).
Auch um die UNHCR-Versorgungsbereiche mit Schulen und Krankenhäusern entstanden Läden oder Cafés. Geflüchtete wurden wo immer möglich zu Unternehmerinnen und Unternehmern. Die dafür im Handbook of Emergencies nicht vorgesehenen Räume wurden selbst geschaffen.
Tempohomes, Berlin
Seit 2016 wird die Unterkunft und Versorgung von Geflüchteten in Deutschland auf kommunaler Ebene organisiert und verwaltet. Von den rund eine Million Geflüchtete, die 2015 nach Deutschland kamen, wurden etwa 55.000 in Berlin registriert. Seit 2015 wurden die bürokratischen Versorgungsroutinen und Unterbringungsstrategien in Berlin stark weiterentwickelt. Während zu Beginn viele Geflüchtete in Notunterkünften (darunter kommunale Gebäude wie Schulen, Sporthallen, leerstehende Verwaltungs- und Industriegebäude, Hotels, Hostels, Pensionen oder Notzelte) untergebracht wurden, gelang es durch einen organisatorischen Neustart durch Gründung des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) schließlich, die Unterbringung von Geflüchteten und Asylsuchenden durch temporäre Containerlösungen zu normalisieren.
2016 wurden erstmals Container eingesetzt. Erste Experimente mit aus gestapelten Containern errichteten Baukörpern erwiesen sich jedoch als unzureichend und das LAF entwickelte eine verbesserte Container-basierte Gestaltungslösung für 18 Standorte: die sogenannten Tempohomes – einstöckig, bestehend aus kleinen wohnungsähnlichen Einheiten aus jeweils drei Containern mit integrierter Kochgelegenheit und Bad. Später wurden auch Vordächer und Außeninfrastruktur wie Spielplätze oder Gemeinschaftseinrichtungen zu einem Designstandard.
Tempohomes sind das Resultat eines Lernprozesses der zuständigen Behörden und sollen den sie bewohnenden Menschen mehr Privatsphäre, Sicherheit und wohnungsähnliches Leben ermöglichen und somit ihren Integrationsprozess fördern. Regeln legen allerdings fest, dass alle Möbel innerhalb der Einheit verbleiben müssen, egal ob diese genutzt werden oder nicht. Trotzdem gelang es den Bewohnerinnen und Bewohnern, die Containersettings umzuwandeln und an ihre persönlichen Bedürfnisse, an ein „Zuhause“
Dadurch entstehen flexible, räumliche Mehrfachnutzungen: Ein Bett wird zum Hausaufgaben-Machen, Essen, Plaudern, zum Bügeln und Falten von Kleidung und zum Spielen benutzt; Kleidung und Papiere werden unter Matratzen gelagert oder hängen an den oberen Etagenbetten, als Wäscheleinen werden Zäune und an die Container gespannte Schnüre im Freien verwendet. Soweit es die finanziellen Mittel erlauben, kaufen die Bewohnenden Vorhänge oder zusätzliches Besteck, Teppiche, (Sitz-)Kissen und andere Möbel sowie Dekorationsartikel.
Innererer Sichtschutz vor der Tür eines Tempohomes. (© Misselwitz)
Innererer Sichtschutz vor der Tür eines Tempohomes. (© Misselwitz)
Das soziale Leben in und um die Container prägt den gesamten Ankunfts- und Integrationsprozess: Um dieses umso bedeutsamere soziale Leben in den Containern vor unangemeldeten Besuchen oder vor den neugierigen Blicken von außen zu schützen, versuchen viele der Bewohnerinnen und Bewohner, Vorhänge an der Innenseite der Türen anzubringen, die Fensterläden herunterzulassen oder die Vorbauten zu verschließen. Dieser Sichtschutz ist besonders wichtig für praktizierende Muslima, die nur in sichtgeschützten Räumen das Kopftuch ablegen.
Die Eingangsbereiche und kleinen Vorbauten vor der Eingangstür der Containerkomplexe, die erst 2017 vom LAF im Rahmen von Designanpassungen angebaut wurden, bieten weitere Möglichkeiten für räumliche Anpassungen und Aneignungen: Viele BewohnerInnen hatten die Vorbauten mit Decken abgehängt oder Plastikfolien und -planen organisiert, um sie in Übergangsbereiche zwischen der „öffentlichen“ Zufahrtsstraße und dem privaten Innenraum ihres Containers zu verwandeln (Abb. 05).
Die Vorstellungen und Erfahrungen mit früheren Wohnorten lassen sich anhand der Umgestaltung und Nutzung der Vorbauten und Eingangsbereiche einerseits als zusätzliche materielle Infrastruktur, aber auch als Symbol von persönlichem Raumgewinn und -aneignung interpretieren: Ein Bewohner der Tempohomes in der Wollenberger Straße verwandelte den Vorbau und die angrenzenden Grünflächen in einen kleinen kunstvoll angelegten und eingezäunten Garten, der ihn an sein Haus in Syrien erinnern sollte.
Allerdings verlangten der Sicherheitsdienst und die Verwaltung der Unterkunft die Beseitigung des Gartens unter Hinweis auf die Brandgefahr durch die Versperrung der Tür und das Holzmaterial, das für den Zaun und die verlängerte Pergola verwendet worden war, bereits kurz nachdem er errichtet worden war. Nachdem der Bewohner sich weigerte, seinen mühevoll angelegten Garten, der zu einem sozialen Treffpunkt geworden war, zu beseitigen, handelte er mit dem Betreiber der Unterkunft einen Kompromiss aus. Schließlich durfte er seinen Garten einige Meter von seinen Containern entfernt neu aufbauen. Weitere erzwungene Umzüge folgten, und jeder Wiederaufbau wurde durch ergänzte Funktionen und Details komplexer. Auch aufgrund der zunehmenden Professionalisierung und seiner Funktion als sozialer Treffpunkt wagte es die Unterkunftsverwaltung schlussendlich nicht mehr, den Garten, trotz des Verstoßes gegen offizielle Regularien, infrage zu stellen. Für den Bewohner wurde die Verteidigung des Gartens zu einem wichtigen Akt der Emanzipation, autarken Handelns und zumindest teilweise zurückgewonnener Autonomie.