Die Aufgaben, mit denen sich die Besatzungsmächte in Deutschland nach dem 8. Mai 1945 konfrontiert sehen, sind kaum überschaubar: Nicht nur ist die Infrastruktur in vielen Teilen Deutschlands stark beschädigt und haben Millionen Menschen ihr Zuhause verloren. Zudem müssen möglichst rasch Verwaltungs- und Rechtsstrukturen aufgebaut werden, die das Zusammenleben der Menschen organisieren. Dies ist auch deshalb schwierig, weil viele der früheren Funktionsträger sich durch ihr Tun im Nationalsozialismus disqualifiziert haben. Angesichts des unfassbaren Ausmaßes der Verbrechen, so sind sich die Alliierten einig, müssen wenigstens die Hauptverantwortlichen für diese vor ein internationales Gericht gestellt werden. Grundzüge für den Umgang mit Deutschland sind auf den Konferenzen in Jalta und Teheran gesetzt worden. Auf der Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 bekräftigen die Regierungschefs der USA, der Sowjetunion und Großbritanniens ihre Absicht, Deutschland als Ausgangspunkt von Kriegsgefahr dauerhaft auszuschalten.
V.l.: Churchill, Truman und Stalin während der Potsdamer Konferenz im Schloss Cecilienhof in Potsdam, 17. Juli - 2. August 1945. Die Alliierten fassen Beschlüsse über die Behandlung des besiegten und besetzten Deutschland. (© picture-alliance/akg)
V.l.: Churchill, Truman und Stalin während der Potsdamer Konferenz im Schloss Cecilienhof in Potsdam, 17. Juli - 2. August 1945. Die Alliierten fassen Beschlüsse über die Behandlung des besiegten und besetzten Deutschland. (© picture-alliance/akg)
Recht bald wird klar, dass die politischen Vorstellungen der Sowjetunion auf der einen und der USA und Großbritannien auf der anderen Seite auseinanderdriften: Der Kalte Krieg zeichnet sich ab und beide Seiten versuchen, einen möglichst großen Teil Deutschlands nach ihren Vorstellungen zu gestalten.
Das letzte amerikanische Transportflugzeug mit Hilfsgütern für Berlin steht am 30.9.1949 kurz vor dem Start auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt. Am Himmel eine Staffel von C-54 Flugzeugen bei einer Ehrenrunde. Als Reaktion auf die Währungsreform in den Westsektoren am 23.6.1948 verhängte die UdSSR am 24.6.1948 eine Blockade über Berlin. Alle Land- und Wasserwege wurden für den Personen- und Güterverkehr zwischen West-Berlin und Westdeutschland gesperrt. Die Versorgung der Westberliner Bevölkerung und der westalliierten Besatzung erfolgte daraufhin durch eine von den USA und Großbritannien errichtete Luftbrücke. Die Blockade wurde am 12. Mai 1949 aufgehoben. (© picture-alliance/dpa, UPI)
Das letzte amerikanische Transportflugzeug mit Hilfsgütern für Berlin steht am 30.9.1949 kurz vor dem Start auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt. Am Himmel eine Staffel von C-54 Flugzeugen bei einer Ehrenrunde. Als Reaktion auf die Währungsreform in den Westsektoren am 23.6.1948 verhängte die UdSSR am 24.6.1948 eine Blockade über Berlin. Alle Land- und Wasserwege wurden für den Personen- und Güterverkehr zwischen West-Berlin und Westdeutschland gesperrt. Die Versorgung der Westberliner Bevölkerung und der westalliierten Besatzung erfolgte daraufhin durch eine von den USA und Großbritannien errichtete Luftbrücke. Die Blockade wurde am 12. Mai 1949 aufgehoben. (© picture-alliance/dpa, UPI)
Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und die westlichen Besatzungszonen auseinander. Zeitweise – am deutlichsten während der Berlin-Blockade von Juni 1948 bis Mai 1949 – spitzt sich der Konflikt sogar so dramatisch zu, dass die Gefahr einer Eskalation bis hin zu einem neuen Krieg besteht.
Die sowjetische Besatzungsmacht behauptet gemeinsam mit der von ihr protegierten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die Einheit Deutschlands wahren zu wollen. Die westdeutschen Politikerinnen und Politiker wollen hingegen in erster Linie eine handlungsfähige und länderübergreifende Verwaltung einrichten und sind bereit, diese (notgedrungen) zunächst auf den Machtbereich der westlichen Besatzungszonen zu begrenzen. Vor allem die von Konrad Adenauer geführte CDU ist sich sicher, dass die von der Sowjetunion angebotene Lösung – staatliche Einheit Deutschlands bei Wahrung der Neutralität (nach dem Vorbild Österreichs) – letztlich dazu führen würde, dass ganz Deutschland in den sowjetischen Machtbereich fallen würde.
Grundsatzentscheidungen I
Hinweisschild zum Parlamentarischen Rat in Bonn, September 1948 (© Bundesregierung, B 145 Bild-00047316, Foto: Hanns Hubmann)
Hinweisschild zum Parlamentarischen Rat in Bonn, September 1948 (© Bundesregierung, B 145 Bild-00047316, Foto: Hanns Hubmann)
Am 1. September 1948 findet im vom Krieg verschonten Lichthof des Bonner Naturkundemuseums Alexander König der Festakt zur Konstituierung des Parlamentarischen Rates statt. Zuvor hat im August ein Expertengremium auf Herrenchiemsee in Bayern einen Verfassungsentwurf als Verhandlungsbasis ausgearbeitet.
Knapp drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Infrastruktur vielerorts weiterhin lückenhaft, Schienen- und Straßennetz sind schwer beschädigt, viele Brücken zertrümmert. Immerhin liegt Bonn verkehrsmäßig einigermaßen günstig, verfügt im Gegensatz zu anderen Städten über genügend intakte Unterkünfte und besitzt mit der Pädagogischen Akademie einen geeigneten Versammlungsort. Hier, am heutigen Platz der Vereinten Nationen, finden – von der Bonner Bevölkerung neugierig verfolgt – die öffentlichen Debatten über die Grundzüge der Verfassung statt. Hitzig wird etwa über das Für und Wider der Todesstrafe und über die Aufnahme des Paragrafen gestritten, der Asyl für alle politisch Verfolgten gewährt.
Kontinuitäten zu nationalsozialistisch geprägten Denkmustern werden in den Debatten mehrfach deutlich, etwa wenn es um Artikel 11 Grundgesetz – die Freizügigkeit – geht.
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Grundsatzentscheidungen II
Erster Deutscher Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden, Tagung im Admiralspalast (Deutsche Staatsoper) in Berlin: Blick auf das Präsidium während der Ansprache des Vorsitzenden der SED Wilhelm Pieck. aufgenommen am 06.12.1947. (© picture-alliance/dpa)
Erster Deutscher Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden, Tagung im Admiralspalast (Deutsche Staatsoper) in Berlin: Blick auf das Präsidium während der Ansprache des Vorsitzenden der SED Wilhelm Pieck. aufgenommen am 06.12.1947. (© picture-alliance/dpa)
Parallel zum Geschehen in Bonn ist die Bevölkerung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) dazu aufgerufen, die Delegierten für den „Volkskongreß“ zu „wählen“.
Gerichtsurteile I
Am 19. Februar 1949 wird im schwäbischen Tübingen der Raubmörder Richard Schuh hingerichtet. Schuh hat ein Jahr zuvor einen Lkw-Fahrer erschossen, um dessen Fahrzeug zu stehlen. Beim Versuch, die Reifen zu verkaufen, ist er verhaftet worden. Das Gericht stellt bei dem jungen Mann eine besondere Gefühlskälte fest, die sich auch durch die Zeitumstände nicht erklären lasse.
Nach der Verabschiedung im Parlamentarischen Rat am 8. Mai sind nach Art. 102 Grundgesetz demnach in der Bundesrepublik keine Hinrichtungen mehr zulässig. Noch aber gilt dies nicht für West-Berlin: Dort wird am 11. Mai 1949 der 24-jährige Raubmörder Berthold Wehmeyer hingerichtet, nachdem die Proteste seines Rechtsanwalts abgewiesen worden sind.
Gerichtsurteile II
Eröffnung des Verfahrens im Nürnberger Justizpalast. Ernst Freiherr von Weizsäcker steht am Mikrophon und erklärt sich für `nicht schuldig'. (© picture-alliance/dpa)
Eröffnung des Verfahrens im Nürnberger Justizpalast. Ernst Freiherr von Weizsäcker steht am Mikrophon und erklärt sich für `nicht schuldig'. (© picture-alliance/dpa)
Von ganz anderem Format sind die Prozesse im Nürnberger Justizpalast: Seit Herbst 1945 stehen dort zunächst die Hauptkriegsverbrecher
Gerichtsurteile III
Sind sich Presse und Bevölkerung im Falle Weizsäckers weitgehend einig, so gehen die Meinungen in einem anderen Prozess weit auseinander. Der Regisseur Veit Harlan muss sich mehrfach vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Vorgeworfen wird ihm seine Arbeit für das NS-Propagandaministerium, namentlich im Zusammenhang mit dem antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“. Harlan argumentiert, dass er sich dieser Aufgabe nicht habe entziehen können – eine Aussage, der vor Gericht von mehreren Regisseuren widersprochen wird. Doch auch wenn klar ist, dass „Jud Süß“ von den Nazis gezielt eingesetzt wurde, um die nichtjüdische Bevölkerung gegen Jüdinnen und Juden aufzuhetzen, kommt das Gericht zu dem Schluss, dass Harlan ein direkter Zusammenhang zwischen seinem Film und dem Völkermord an den Juden nicht nachzuweisen sei.
Originalbildunterschrift: "Veit Harlan freigesprochen. Nach fast achtwöchiger Verhandlung, die sich zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Frage der künstlerischen Verantwortung entwickelte, fällte das Hamburger Schwurgericht am 23-4-49 vormittags das Urteil gegen Veit Harlan, den Regisseur des umstrittenen Films "Jud Süss"- und sprach ihn frei. Unser Bild zeigt Veit Harlan, der auf den Schultern seiner Anhänger das Gerichtsgebäude verlässt." (© Bundearchiv, Bild 183-R76220, Illus-dpd)
Originalbildunterschrift: "Veit Harlan freigesprochen. Nach fast achtwöchiger Verhandlung, die sich zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Frage der künstlerischen Verantwortung entwickelte, fällte das Hamburger Schwurgericht am 23-4-49 vormittags das Urteil gegen Veit Harlan, den Regisseur des umstrittenen Films "Jud Süss"- und sprach ihn frei. Unser Bild zeigt Veit Harlan, der auf den Schultern seiner Anhänger das Gerichtsgebäude verlässt." (© Bundearchiv, Bild 183-R76220, Illus-dpd)
Der vorsitzende Richter Walter Tyrolf,
Überlebende des NS-Regimes I
Die alliierten Truppen befreiten bei ihrem Vormarsch in allen Teilen Deutschlands Konzentrationslager, in denen die Nationalsozialisten ihre Opfer zusammengepfercht hatten. Die Soldaten stießen auf Menschen, die nach oft jahrelanger Misshandlung kaum noch lebensfähig und dauerhaft traumatisiert waren. Viele dieser Überlebenden waren im Zuge des Vormarsches der deutschen Wehrmacht aus ihrer Heimat verschleppt worden, sie waren aus ihren Familien gerissen worden und wussten meist nicht, ob und wo sie noch überlebende Angehörige hatten. Als Anlaufstelle wird von der amerikanischen Besatzungsmacht schon 1946 eine Suchagentur ins Leben gerufen, aus der der ITS, der International Tracing Service, hervorgeht. Es sind überwiegend selbst KZ-Überlebende, die sich dieser Aufgabe im hessischen Arolsen widmen und aus NS-Archiven Informationen sammeln, um den Weg von Menschen durch den Verfolgungs- und Terrorapparat nachzuvollziehen. Im Laufe der Jahre kann so der Verbleib von Millionen Menschen geklärt werden, können viele Familien wieder zusammenfinden.
Hunderttausende „Displaced Persons“ (DP), KZ-Überlebende und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, leben ohne echte Bleibe in den vier Besatzungszonen und sind zum Überleben auf die Hilfe der Besatzungsmächte angewiesen. Ganz überwiegend wollen sie in ihre Heimatländer zurückkehren, in die USA oder nach Palästina auswandern. Hinzu kommen viele Jüdinnen und Juden, die nach ihrer Befreiung in Polen hatten leben wollen, dann aber vor gewalttätigen Pogromen geflüchtet sind.
Überlebende des NS-Regimes II
Eine andere Opfergruppe erfährt noch weniger Empathie seitens der deutschen Mehrheitsbevölkerung: die sogenannten Asozialen. Mitte März 1948 befasst sich der Konstanzer Südkurier mit einem Mann, der sechs Jahre im Konzentrationslager Buchenwald überlebt hatte.
Andernorts diskutieren gar Parlamentarier über die angeblichen Gefahren, die von „Asozialen“ und „Arbeitsscheuen“ ausgehen. Im Bayerischen Landtag schlägt der CSU-Abgeordnete Hans Hagn im Januar 1948 vor, das ehemalige KZ Dachau zu nutzen, um dort „arbeitsscheue Elemente“ zu „erziehen“.
Strafverfolgung I
Die Verfolgung von NS-Straftätern hat in der SBZ eine hohe Priorität. Gerade in den ersten Monaten nach Kriegsende bemüht sich die Sowjetische Besatzungsmacht, unbescholtenes, häufig nicht-kommunistisches Personal zu finden, das Positionen auf lokaler Ebene einnehmen kann. Zur Strategie gehört es außerdem, breite antifaschistische Bündnisse zu schmieden, in denen in aller Regel aber zuverlässige Parteigenossen den Ton angeben. So ist etwa die Freie Deutsche Jugend (FDJ) in ihren Anfängen als überparteiliche Jugendorganisation konzipiert. Bemüht man sich also um aufbauwillige, möglichst unbelastete Menschen, sollen zugleich all jene „unschädlich“ gemacht werden, von denen eine Gefahr für den antifaschistischen Wiederaufbau droht. Menschen, die das NS-Regime (teils maßgeblich) unterstützt haben, sollen möglichst vollständig aus den Verwaltungen entfernt werden. Insbesondere der Polizei-, Bildungs- und Justizapparat werden gründlich entnazifiziert – wesentlich gründlicher, als dies in den Westzonen und in der Bundesrepublik der Fall ist. Verschiedene Fälle belegen indes, dass auch in der DDR der vollständige Ausschluss von belastetem Personal nicht gelingt: So kann etwa Gerhard Pchalek, der im Zweiten Weltkrieg als Richter mindestens 20 Todesurteile wegen geringer Vergehen verhängt hat, nach 1945 bis zum stellvertretenden Thüringer Generalstaatsanwalt aufsteigen.
Tatsächlich werden in der gleichen Zeit Hunderte Jugendliche mit dem Verweis auf angebliche „Werwolf“-Tätigkeit verschleppt und in den sogenannten Speziallagern interniert.
Strafverfolgung II
Ganz anders gelagert ist das Vergehen, das den Eheleuten Käthe und Werner Türk in Hönow bei Berlin angelastet wird: Die Landwirte sollen Mitte Oktober 1948 versucht haben, erhebliche Mengen Kartoffeln über die grüne Grenze nach West-Berlin zu schmuggeln – das macht sie in den Augen der Berliner Zeitung zu „Volksschädlingen“.
So wie Werner Türk handeln bis zum Mauerbau 1961 viele Menschen, um (weiteren) Konflikten mit dem SED-Regime zu entgehen; darunter sind viele Landwirte wie er, aber auch Lehrerinnen und Lehrer, Ärztinnen und Ärzte, Unternehmerinnen und Unternehmer und andere. Sie flüchten vor politischem Druck, beruflicher und wirtschaftlicher Reglementierung. In der Bundesrepublik und West-Berlin können sie – nach anfänglichen Schwierigkeiten bis etwa 1953 – meist gut Fuß fassen.
Fazit
Das Tempo, in dem sich die bis zur deutschen Kapitulation vereinten Mächte auseinanderentwickeln und sich in einem kalten Krieg unversöhnlich gegenüberstehen, ist rasant. Dass in kaum einer Frage Einigkeit besteht, zeigt sich schon in den ersten Monaten nach Kriegsende. Unter anderem wird es deutlich im Umgang mit den deutschen Tätern und ihren Opfern. Nicht wenige der letzteren geraten, kaum, dass sie der Verfolgung durch die Nationalsozialisten entgangen sind, zwischen die Fronten des Kalten Krieges, werden etwa als Gegner der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED-Politik verfolgt.
In allen Besatzungszonen werden Menschen diffamiert, deren Misshandlung im Nationalsozialismus angeblich nachvollziehbare Gründe gehabt habe. Dies betrifft insbesondere sogenannte Asoziale: Für viele von ihnen kommt eine Anerkennung ihrer Leiden spät oder gar zu spät.
Zitierweise: Elke Kimmel, "1949: Staatsgründung, Justiz und Verwaltung", in: Deutschland Archiv, 2.7.2024, Link: www.bpb.de/550289.