Am 1. Juli 1949 findet in der Möhlstraße in München eine Polizeirazzia statt. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die überwiegend von jüdischen KZ-Überlebenden und „Displaced Persons“ bewohnte Straße gilt als Zentrum des Schwarzmarkts in der Stadt. Hier leben in den Augen von Polizei und nichtjüdischen Nachbarn „unerfreuliche Elemente“, die billige, weil unversteuerte Lebensmittel verkaufen – sehr zum Ärger vieler Münchner Geschäftsleute. Schon in den Tagen zuvor kam es wiederholt zu Festnahmen. An diesem Freitag aber eskaliert die Situation: Die teils berittenen Polizisten kreisen den gesamten Bereich weiträumig ein und dreschen mit Knüppeln unterschiedslos auf alle ein. Die Gejagten wehren sich mit Steinwürfen. Es kommt zu tumultartigen Szenen und über 30 Festnahmen. Zahlreiche Menschen werden verletzt. Die Süddeutsche Zeitung berichtet wenig später über die Ereignisse und druckt Zuschriften ab, die sie infolge dieses Berichts erhält. Einer der Briefe stammt von einer Person, die sich selbst „Adolf Bleibtreu“ nennt: Demnach verzeihen die amerikanischen Besatzer den Deutschen nur eines nicht – dass sie nicht alle Juden ermordet hätten. Die SZ verteidigt den Abdruck: Sie habe nur die neuen Spielregeln befolgen und keine Zensur ausüben wollen. Etwa 2 000 Personen protestieren am 10. August 1949 gegen diese Haltung und fordern Maßnahmen gegen die Zeitung. Die Münchner Polizei reagiert erneut mit überzogener Gewalt – mindestens drei Anwesende werden durch Schüsse schwer verletzt.
München, Bayern, Möhlstraße
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Der Bogenhausener Hof in der nahegelegenen Ismaninger Straße ist eines der Gebäude, die im Zuge der Razzia kontrolliert werden, 1951. Heute befindet sich dort ein Restaurant. (© Möhlstraße: Stadtarchiv München, DE-1992-FSSTB- 0767/ Foto 2023 und Bildmontage Alexander Kupsch)
Dr.; geb. 1966, Historikerin. Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin u. a. für das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR Eisenhüttenstadt, die Stiftung Berliner Mauer, das Museum Neuruppin, das Deutsche Historische Museum und die Unabhängige Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Bis Ende 2020 Leiterin des Barnim Panoramas Wandlitz. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte.