Jüdisch sein in Frankreich und in der DDR
Der Versuch eines Vergleichs
Sonia Combe
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Wie lebten Juden in Frankreich nach 1945? Wurde die Kollaboration von Vichy-Frankreich mit den Nazis thematisiert? Gab es in der DDR ähnliche Erfahrungen? Diesen Fragen spürt Sonia Combe nach.
Im Jahr 2023 besuchte ich in Berlin mehrere Podiumsdiskussionen zum Thema „Jüdisch sein in der DDR“. Manchmal war ich hinterher ratlos. Wenn ich hörte, dass man in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nicht sagen konnte, dass man jüdisch war, dass über Auschwitz zu sprechen tabu war und dass der Antisemitismus in der Gesellschaft nicht bekämpft wurde, konnte ich nicht anders, als Parallelen zu meiner eigenen Erfahrung in Frankreich zu ziehen. Dort erwähnte man in meiner Jugendzeit nicht, ob man jüdisch war, und es wurde kaum über Auschwitz gesprochen. Wenn man gelegentlich antisemitische Anklänge wahrnahm, zuckte man nur mit den Schultern. Natürlich ist Frankreich nicht Deutschland, und natürlich hat man dort nicht das gleiche Verhältnis zur Vergangenheit. Aber die Vichy-Regierung hatte ab 1940 zur Verfolgung und Deportation von 75.000 Jüdinnen und Juden beigetragen – eine Verantwortung, die französische Historikerinnen und Historiker lange Zeit unterschätzt haben.
Frankreich war eine demokratische Gesellschaft, die DDR war es nicht, und doch geschah dort das Gleiche. Wie kann man das erklären? Handelte es sich wirklich um ein Tabu, wie oftmals suggeriert wurde? Dieser Versuch eines Vergleich soll zeigen, wie sehr die Geschichte der DDR, sei es im öffentlichen Diskurs oder in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, immer noch mit den beiden größten Mängeln behaftet ist, vor denen Historikerinnen und Historiker bereits im ersten Semester an der Universität gewarnt werden: Anachronismus und teleologische Geschichtsbetrachtung – mit anderen Worten, die Interpretation eines historischen Moments im falschen zeitgeschichtlichen Zusammenhang und, was genauso schlimm ist, vom Ende der Entwicklung her betrachtet. Dies geschieht, wie mir scheint, gerade im Fall der Situation der Jüdinnen und Juden in der DDR und ihres Verhältnisses zum Judentum. Doch kehren wir zum Kontext der Nachkriegszeit (1949–1989) in Frankreich und der DDR zurück und schauen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden.
Ich schließe den Vergleich mit der „alten Bundesrepublik“ vorerst aus, denn wenn es hier im Folgenden vor allem um die Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“, die damit verbundenen Vorträge und die zahlreichen Veröffentlichungen geht, steht nur die DDR im Fokus. Das ist zweifellos bedauerlich, denn die Einbeziehung der „alten Bundesrepublik“ würde das oben erwähnte Urteil relativieren. Konnte man zur gleichen Zeit im Westen leicht sagen, dass man Jüdin beziehungsweise Jude sei, sprach man hier wirklich so oft von Auschwitz, gab es hier keinen Antisemitismus? Es ist inzwischen bekannt, dass man in den elf „alten“ Bundesländern die Augen und Ohren vor antisemitischen Äußerungen verschloss. Erinnern wir uns an die Schwierigkeiten, auf die der Staatsanwalt Fritz Bauer Mitte der 1960er-Jahre stieß, als er den Wächtern von Auschwitz den Prozess machte.
Oder an die Ermordung des jüdischen Verlegers Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke 1980 in Erlangen, bei der die Ermittlungen so schnell eingestellt wurden, dass die Täter nicht gefunden werden konnten. Die westdeutschen In- und Auslandsgeheimdienste (Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst) widmeten ihre Energie der Jagd nach Kommunistinnen und Kommunisten oder Mitgliedern der Roten Armee Fraktion, während sie die Überwachung rechtsextremer Netzwerke vernachlässigten.
Aber wenn ich die frühere „Bonner Republik“ von diesem Vergleich ausschließe, dann auch wegen des Defizits in ihrer Erinnerungspolitik. Nach den sogenannten Nürnberger Prozessen (1945–1949) wurde mit den Reparationszahlungen an Israel gemäß dem 1952 von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und dem israelischen Staatschef David Ben-Gurion unterzeichneten Luxemburger Abkommen ein neues Kapitel aufgeschlagen. Schnell waren Amnestiegesetze für ehemalige Nazis verabschiedet worden, eine allgemeine Amnesie war die Folge. Um Missverständnissen vorzubeugen: Wenn man im Westen von Erinnerungsarbeit sprechen kann, dann vor allem in der Kulturszene und bei einigen Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen, weniger bei Bundes- und Regierungsinstitutionen – abgesehen von obligatorischen Sonntagsreden. So wurde beispielsweise die Geste von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), der 1972 vor dem Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos niederkniete, von der westdeutschen politischen Klasse durchaus unterschiedlich bewertet, um es vorsichtig auszudrücken.
Das Erbe des kommunistischen Widerstands in der DDR und das der Resistance in Frankreich – ein ähnliches Narrativ?
Das Verhältnis zur Vergangenheit, das das kommunistische Deutschland und Frankreich damals pflegten, kann hingegen nicht nur verglichen werden, es war auch in vielerlei Hinsicht ähnlich. Die DDR behauptete (was ihre Führung betraf, aus ziemlich guten Gründen), das Erbe des Widerstands gegen Hitler angetreten zu haben, während Frankreich die Vorstellung aufrechterhielt, dass die Mehrheit der Bevölkerung Widerstand geleistet hätte. Im Jahr 1971 widersetzte sich die ehemalige französische Staatsministerin und Präsidentin des Europäischen Parlaments, Simone Veil, die aus rassischen Gründen nach Auschwitz deportiert worden war, der Vorführung des Dokumentarfilms „Le chagrin et la pitié“ aus dem Jahr 1969 (deutscher Titel: Das Haus neben an – Chronik einer französischen Stadt im Kriege) von Marcel Ophuls, der ein wenig ruhmreiches Frankreich während der Besatzungszeit zeigte, im staatlichen Fernsehen Office de Radiodiffusion Télévision Française (ORTF). Simone Veil war der Ansicht, dass der Film das Andenken der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer beschmutzte – eine Art Kritik, die auch ein Kulturapparatschik in der DDR für den Fall hätte äußern können, dass die ostdeutsche antifaschistische Erzählung infrage gestellt worden wäre (Simone Veils Zensurversuch bewirkte übrigens das Gegenteil von dem, was er bezweckte: Der Film wurde zwar im Fernsehen verboten, aber in den Kinos gezeigt, und die Generation der Babyboomer strömte in die Säle). Sowohl in Frankreich als auch in der DDR lebte man in der Verehrung von Heldinnen und Helden, nach denen Straßen, Parks, Stadien und Schulen benannt wurden. Das öffentliche Leben war von Gedenkfeiern rund um den Zweiten Weltkrieg geprägt. Die bewegende Trauerrede des Kulturministers André Malraux im Jahr 1964, als die Asche Jean Moulins, des Führers eines Résistance-Netzwerks, in das Pantheon einging, ließ die ganze Nation erschauern. Jean Moulin, so hieß es, hätte niemals jemanden unter der Folter verraten, selbst wenn der Folterer Klaus Barbie gewesen wäre. Jean Moulin war ein Held, wie Ernst Thälmann in der DDR ein Held war. Es gibt in jeder französischen Stadt eine nach ihm benannte Straße oder Avenue. Es sind wahrscheinlich genauso viele, wie in der DDR nach dem ehemaligen, in Buchenwald ermordeten Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) benannt wurden.
Dort wurde die jüdische Identität von Helden, wie die des Widerstandskämpfers Herbert Baum, auf die gleiche Weise unterdrückt wie in Frankreich, wo die aus rassischen Gründen Deportierten nicht als Juden, sondern als „für Frankreich Gestorbene“ bezeichnet wurden. Von den Opfern wurde kaum gesprochen. Oder nur diskret in der Familiensphäre. In Frankreich wird viel darüber diskutiert, ob die Überlebenden nach ihrer Rückkehr aus den Lagern gesprochen haben oder ob sie geschwiegen haben, weil man sie nicht hören wollte. Wir werden hier nicht auf diesen Streit um die richtige Interpretation eingehen, denn er ist viel zu komplex und individuell. Fest steht aber, dass in der Öffentlichkeit hauptsächlich über die vielen Heldinnen und Helden gesprochen wurde, auch wenn unsere Lehrerinnen und Lehrer uns gelegentlich zu verstehen gaben, dass vielleicht nicht jeder und jede im Widerstand gewesen war.
Eine Abweichung von der offiziellen Erinnerungspolitik, die in einer Gesellschaft möglich war, in der Meinungsvielfalt zugelassen ist. Ich bezweifle, dass es in der DDR eine Geschichtslehrerin oder ein -lehrer gewagt hätte, den antifaschistischen Diskurs infrage zu stellen, der zu einer Art „säkularer Religion“ geworden war. Umgekehrt bin ich mir aber sicher, dass die Episode, von der ich berichten werde, in der DDR (und übrigens auch in der Bundesrepublik) nicht hätte passieren können.
Eine jüdische Alltagserfahrung in einer französischen Schule in den 1960er-Jahren
Im Jahr 1963 war ich 13 Jahre alt und besuchte die siebte Klasse. Auf dem Lehrplan stand das Stück „Esther“ des französischen Dramaturgs Jean Racine, das 1689 erstmalig aufgeführt worden war. Unsere Lehrerin, eine elegante, gebildete, alleinstehende Frau in den Vierzigern (sie hatte den Krieg also als Erwachsene miterlebt) mit dem höchsten akademischen Grad (Agrégation), gab uns die berühmten Verse zu lernen:
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„Aus allen Juden soll die Rasse ausgerottet werden, dem blutrünstigen Haman werden wir alle ausgeliefert, die Schwerter, die Messer sind schon bereit, die ganze Nation auf einmal ist geächtet, Haman, der gottlose Haman, die Rasse der Amalekiter [...].“
Ich wurde gebeten, an die Tafel zu gehen und diese Passage vor der Klasse zu rezitieren. Normalerweise spulten wir unsere Rezitationen ab, ohne auf Tonfall oder Diktion zu achten, wir wollten nur zeigen, dass wir sie auswendig gelernt hatten. Aber hier zitterte ich am ganzen Körper, als ich diese furchtbaren Verse aus voller Kehle deklamierte, sodass die Lehrerin mich erschrocken unterbrach: „Achtzehn – setzen!“ Achtzehn, die beste Note, aber vorgebracht mit einem Unterton, der ausdrückte: Das reicht so. Hatte Mademoiselle B. überhaupt eine Verbindung hergestellt zwischen einer Tragödie aus dem Alten Testament und der Tragödie, die sich weniger als 20 Jahre zuvor ereignet hatte? War ihre Auswahl auf Gleichgültigkeit oder Antisemitismus zurückzuführen?
Mein Familienname sagt nichts über meine Herkunft aus. Mein Vorname hingegen könnte darauf hindeuten. Auf jeden Fall kennzeichnete er mich als Person ausländischer Herkunft. Als Kind wurde ich regelmäßig gefragt, warum ich diesen russischen Vornamen habe (im postkolonialen Frankreich ist das heute anders, da es sich, wie bei Nadia, um einen unter arabisch-muslimischen Menschen üblichen Vornamen handelt). Am Abend verkündete ich meiner Mutter stolz meine Note. Sehr gut, sagte sie, ohne sich nach der Rezitation zu erkundigen. Diese scheinbar harmlose Episode ist mir wahrscheinlich deshalb im Gedächtnis geblieben, weil ich mich für meine Deklamation geschämt hatte, als wäre sie fehl am Platz gewesen. Und überhaupt, waren wir Juden? Auf diese Frage antwortete meine Mutter, deren Geburtsurkunde 1917 vom Vorsitzenden des Sowjets von Belokurakino auf den Namen P. Levi ausgestellt worden war, nur: „Es gibt Juden in der Familie.“ Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass viele Jüdinnen und Juden meiner Generation in der DDR eine ähnliche Antwort hätten erhalten können.
Jüdischsein? Unaussprechlich!
Beim Schreiben dieser Zeilen fällt mir ein, dass die Schulkinder in dem Alter, das ich damals hatte, in der DDR Johannes R. Bechers Gedicht „Kinderschuhe aus Lublin“ aus dem Jahr 1946 lernten. Lublin ist die Stadt in der Nähe des Vernichtungslagers Majdanek. Das Wort „Jude“ kam in diesem Gedicht nicht vor, ebenso wenig wie in dem Dokumentarfilm „Nuit et brouillard“ (1956) (deutscher Titel: Nacht und Nebel) des französischen Regisseurs Alain Resnais oder in dem gleichnamigen Lied von Jean Ferrat („Sie waren zwanzig und hundert ... in den plombierten Waggons“). Das Wort „Jude“ kam dort nicht vor, aber alle konnten es hören und verstehen. Wie in Bechers Gedicht. Auf Druck der bundesdeutschen Botschaft wurde Resnais’ Film bei den Filmfestspielen in Cannes nicht gezeigt, aber auf französischen Druck hin musste im Film das Käppi eines französischen Gendarmen entfernt werden, der das Lager Pithiviers bewachte. Es sollte nicht daran erinnert werden, dass die Französinnen und Franzosen an der Deportation beteiligt waren. Was Jean Ferrats Lied über die Deportierten betrifft, so war es eine Zeit lang im französischen Radio verboten, da sich Frankreich und Deutschland 1963 mitten im Versöhnungsprozess befanden.
Der französische Psychoanalytiker Gérard Miller schrieb kürzlich: „Ich gehöre zu einer Generation von Juden, die nach dem Krieg geboren wurden, für die es schon als Teenager selbstverständlich war, links zu sein, die alles, was auch nur im Entferntesten mit der extremen Rechten zu tun hatte, aus tiefstem Herzen hasste und für die Israel in erster Linie die Zuflucht war, die unseren Eltern und Großeltern, die Opfer des Nationalsozialismus geworden waren, gefehlt hatte, selbst wenn wir unsere Sympathie für die Palästinenser nicht verhehlten.“
Mit einigen Vorbehalten hätten Jüdinnen und Juden in der DDR dieser Feststellung beipflichten können. Der im Sommer 2023 verstorbene Pariser Journalist Alexandre Adler wurde in eine Familie nichtreligiöser, russischstämmiger und linksgerichteter Juden hineingeboren. Als junger Mann trat er der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) bei, bevor er langsam nach rechts driftete. Von der linksliberal verankerten Tageszeitung Libération wechselte er zur als neutral geltenden Tageszeitung Le Monde und danach zum sehr konservativen Figaro. Er behielt aber immer eine gewisse Sympathie für die DDR bei und nach der Wende auch für Gregor Gysi, mit dem er eine physische Ähnlichkeit zu haben glaubte. Dasselbe, was für sein Verhältnis zur DDR galt, traf auch auf den Regisseur von „Shoah“, Claude Lanzmann, zu. Adler und Lanzmann, die ich persönlich kannte, waren säkulare Juden.
In der DDR sahen sie vor allem die Antifaschistinnen und Antifaschisten an der Macht, darunter viele „nichtjüdische Juden“. Was wir auch waren. Ob wir nun in der KPF oder in einer der Organisationen waren, die die KPF unfreundlich als „linksradikal“ bezeichnete, wir alle hatten Isaac Deutscher und natürlich Jean-Paul Sartre gelesen. Von Sartre und seinen „Überlegungen zur Judenfrage“ hatten wir uns gemerkt, dass es der Blick des anderen ist, der einen zum Juden macht. Dies entsprach der (etwas einfachen und hier vereinfachten) existenzialistischen These, dass die Existenz dem Wesen vorausgeht. Von Deutscher wusste man dank seines Buches „Essais sur le problème juif“, dass er zur Reihe der nichtgläubigen Juden gehörte, die das Judentum transzendiert hatten, um zu versuchen, die höchsten Ideale der Menschheit zu erreichen. Deutscher wie Heinrich Heine, Karl Marx, Rosa Luxemburg, Leo Trotzki und Simon Freud – diese „gottlosen Juden“, wie der Vater der Psychoanalyse sich selbst bezeichnete, hatten „die Grenzen des Judentums“ überschritten, das wie jede Religion repressiv war.
Der Sechstagekrieg 1967 dauerte nicht lang genug, um uns zu beunruhigen. Einige Monate später empörte uns der berühmte Satz, den Charles de Gaulle während seiner Konferenz am 27. November 1967 sagte, schon ein wenig. Der damalige General und Staatschef hatte sich dazu hinreißen lassen, von den Juden zu sprechen,
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„[…] die bis dahin verstreut waren und die das geblieben waren, was sie von jeher gewesen waren, nämlich ein elitäres, selbstbewusstes und herrschendes Volk […]“.
Ein solcher Satz wäre aus dem Munde eines deutschen Politikers, geschweige denn eines ostdeutschen, undenkbar gewesen. Kann man sich vorstellen, dass Albert Norden, der sich wenig aus seiner jüdischen Identität machte, aber immerhin Sohn eines Rabbiners war, oder Hermann Axen oder sogar Klaus Gysi ihn sagen würden, ohne zu murren?
Andererseits hätte das SED-Politbüro in der DDR diese Warnung de Gaulles an Abba Eban, den Außenminister des hebräischen Staates, der Ende Mai 1967, also wenige Tage vor dem Krieg, in Paris zu Besuch war, aussprechen können: „
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Wenn Israel angegriffen wird“, hatte de Gaulle gewarnt, „werden wir nicht zulassen, dass es zerstört wird, aber wenn Sie angreifen, werden wir Ihre Initiative verurteilen.“
Später präzisierte er: „Grundlage einer Regelung muss die Räumung der Gebiete sein, die gewaltsam eingenommen wurden, das Ende aller Kriegshandlungen und die Anerkennung jedes beteiligten Staates durch die anderen.“ Dies war auch die Position der DDR, die sie wiederum von der Sowjetunion übernahm, und der scharfe Ton der Kommentatorinnen und Kommentatoren des Konflikts auf dem ostdeutschen Sender Radio Berlin International konnte zu Recht als eine Rückkehr des Verdrängten interpretiert werden – des Antisemitismus wohlgemerkt.
Es wurde als Schadenfreude empfunden, das ehemalige Opfer des NS-Regimes als den nunmehrigen Aggressor zu beschreiben. Stefan Jerzy Zweig („Das Buchenwald-Kind“), der damals in der DDR studierte, sagte, er sei zu Brechts Witwe Helene Weigel gegangen, die jüdischer Abstammung war, um ihr über diesen Ton zu berichten und seine Empörung mitzuteilen. Sie habe zum Telefon gegriffen und den Leiter von Radio Berlin International gescholten.
Etwas später, im Mai 1968 in Paris, riefen wir alle gemeinsam „Wir sind alle deutsche Juden!“, um auf einen antisemitischen Angriff der extremen Rechten zu reagieren, dem der Studentenführer Daniel Cohn-Bendit ausgesetzt gewesen war.
In der Tageszeitung der KPF, L‘Humanité, sind keine Stellungnahmen von Intellektuellen zu finden, die als Jüdinnen und Juden Israel verurteilten, im Gegensatz zu der Erklärung, welche die Tageszeitung Neues Deutschland am 9. Juni 1967 nicht ohne Schwierigkeiten veröffentlichen konnte. Auch in der Monatszeitschrift der KPF, Nouvelle critique, die von Francis Cohen herausgegeben wurde, der drei Jahre lang Korrespondent der kommunistischen Tageszeitung in Moskau gewesen war, erschien keine Erklärung. Cohen sollte in dem 1978 gemeinsam mit Alexandre Adler verfassten Buch „L‘URSS et nous“ („Die UdSSR und wir“) von der sowjetischen Linie abweichen, aber der quasi offizielle russische Antisemitismus war diesen bedingungslosen Anhängern des Landes der Oktoberrevolution nicht ins Auge gesprungen, während der „Nestor“ der Sozialwissenschaften in der DDR, Jürgen Kuczynski, ihn in seinen (nach 1989 veröffentlichten) Memoiren festhielt und der Schriftsteller Stephan Hermlin sich in der SED oder im Schriftstellerverband immer wieder darüber beschwerte. Sowohl in der KPF als auch in den „linksradikalen“ Organisationen waren Juden überrepräsentiert. Damals kursierte der Witz: „Warum spricht man im Politbüro der Kommunistischen (trotzkistischen) Liga kein Jiddisch? Antwort: Wegen Bensaïd“. Der Philosoph Daniel Bensaïd hatte einen sephardischen Vater. Aber meistens – und das ist es, was mich nie bereuen lässt, Mitglied gewesen zu sein – ignorierte man die sozialen und ethnischen Hintergründe der einen wie der anderen nicht nur, sondern kümmerte sich überhaupt nicht darum. In Bezug auf Israel schlugen die universalistischen und per Definition nicht zionistischen „nichtjüdischen Juden“ eine Lösung vor, nämlich einen einzigen, säkularen und sozialistischen Staat für alle, Juden und Araber.
Dies war und ist leider immer noch eine Utopie, ebenso wie die Aussicht auf eine sozialistische Gesellschaft, die der französische Präsident François Mitterrand (für den die politisch linksorientierten französischen Jüdinnen und Juden mehrheitlich zur Wahl aufgerufen hatten) beendete. Es war übrigens kurz nach seiner Wahl, dass ich einmal einen Dialog zwischen meinem Sohn und einem kleinen Mitschüler mitbekam. Dieser sagte zu ihm: „Weißt du, ich bin ein bisschen jüdisch.“ Daraufhin erwiderte mein Sohn (in kindlicher Sprache): „Und ich bin sehr jüdisch!“ Ich weiß noch, dass ich mich fragte: Woher weiß er das? Ich sprach abends mit seinem Vater darüber, und er fand die Antwort: Es kommt von meiner Mutter! Ja, wir hatten die Großeltern vergessen, die seit Langem in Paris lebten und nicht ganz „nichtjüdische Juden“ waren, da wir an den Jom Kippur-Abenden zu ihnen zum Abendessen gingen, an denen sie nicht fasteten, sondern das Ende des Fastens feierten.
„Nichtjüdische“ Jüdinnen und Juden in Frankreich
Für meine Generation – Juden, „nichtjüdische Juden“ und natürlich auch Nichtjuden – spielte Claude Lanzmanns Dokumentarfilm „Shoah“ (1985, Dauer: 9,5 Stunden) eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung unserer Sensibilität. Meine Schwester und ich hatten ein ganzes Wochenende für den Film geblockt und waren am Ende völlig erschlagen. Dabei kannten wir die Geschichte bereits sehr gut. Etwa zu dieser Zeit führten mich meine Recherchen in die DDR, und bei dieser Gelegenheit lernte ich Töchter und Söhne von Antifaschistinnen und Antifaschisten kennen, die oft jüdischer Herkunft waren, aber dem Thema noch weniger Bedeutung beizumessen schienen als wir „nichtjüdischen Juden“ in Frankreich, sodass ich mich wunderte.
Eines Tages machte ich mit einer Freundin, die wie ich Historikerin war und die einen jüdischen Großvater hatte, eine Fahrradtour um Berlin herum. Plötzlich sahen wir an einer Dorfkreuzung einen kleinen, völlig verwahrlosten jüdischen Friedhof. Das rostige Tor am Eingang war umgefallen und die Gräber von Gestrüpp überwuchert – eine kleine Enklave der Verwüstung in der näheren Umgebung eines gepflegten Dorfes. Ich stellte mein Fahrrad ab und machte mich daran, ein wenig Ordnung zu schaffen. Es gab höchstens 20 Grabsteine. Dabei fiel mir ihr spöttischer Blick auf – so interpretierte ich ihn zumindest. Fand sie es albern, dass ich den alten Friedhof etwas aufräumte? Schließlich schloss sie sich mir doch an, um kleine Steinchen auf die Grabsteine zu verteilen. Wollte sie damit einfach nur Zeit sparen, um schneller weiterradeln zu können? Wir sprachen nicht darüber.
Später, als in Berlin die Gruppe „Wir für uns“ gegründet wurde, die sogenannte Babyboomer zusammenbrachte, die die jüdische Tradition kennenlernen wollten, nahm ich während meiner Aufenthalte in der DDR gern an diesen Treffen teil, weil mir das Umfeld vertraut war und ich mich wohlfühlte: Es war egal, ob man Jude war, aber man war unter
„nichtjüdischen Juden“ – mehr oder weniger Juden, nebenbei bemerkt. Dennoch hielt ich sie für sehr vorsichtig, diese ostdeutschen „nichtjüdischen Juden“. Es war keiner von ihnen, der mich über den Plan informierte, eine Straße durch den in Weißensee gelegenen, größten jüdischen Friedhof Europas zu bauen, damit die DDR-Nomenklatura schneller in ihre Gated Community in Wandlitz gelangen konnte. Es war Pastor Johannes Hildebrandt, der ehemalige Pfarrer an der Sophien-Kirche in Berlin-Mitte. Als ich sie nach der Wende darauf ansprach, sagten mir diese Freunde, dass sie zwar vage davon gewusst hatten, aber so an die Respektlosigkeit gegenüber der Religion gewöhnt waren, dass sie kaum darauf geachtet hatten ... .
Ich glaube, in diesem Moment habe ich den Unterschied zwischen ihnen und uns gespürt: Im kommunistischen Deutschland kam die Aufforderung zur Distanzierung von der jüdischen Identität sowohl von oben als auch von unten. Die Erinnerungspolitik (institutionelles Gedächtnis) hatte das Familiengedächtnis gestärkt und umgekehrt. Diese doppelte Aufforderung war daher stärker verinnerlicht worden als in Frankreich. Grundsätzlich hatte sie die gleichen Wurzeln, die aus der historischen Verbindung zwischen jüdischem Universalismus und Sozialismus stammten, eine Verbindung, die noch nicht vollständig aufgelöst worden war. Daher rühren die Ähnlichkeiten zwischen dem Verhältnis zum Judentum in Frankreich und in der DDR, die der heute überall zu beobachtende identitäre Rückzug nicht vergessen lassen sollte, da er sonst zu einem Anachronismus wird. Vor vierzig, fünfzig und mehr Jahren war das Jüdischsein in Frankreich für die meisten von uns zweitrangig und zufällig. Auf deutschem Boden war es zweifellos schwieriger, aber man bemühte sich.
Zitierweise: Sonia Combe, „Jüdisch sein in Frankreich und in der DDR. Der Versuch eines Vergleichs", in: Deutschland Archiv, 18.3.2024, Link: www.bpb.de/546426.
Dr. habil., ist eine französische Historikerin. Sie ist assoziierte Forscherin am Centre Marc Bloch Berlin und arbeitet zur Geschichte kommunistischer und postkommunistischer Gesellschaften Europas. Veröffentlichungen u.a.: Ein Leben gegen ein anderes. Der „Opfertausch“ im KZ Buchenwald und seine Nachgeschichte, aus dem Französischen übersetzt von Dr. Marcel Streng, Berlin 2017.
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