Wolf Biermann: Free Palestine...? ...from Hamas!
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Wolf Biermann über den 7. Oktober 2023 in Israel und die Folgen. Eine Reaktion auf Kinderpost an ihn, gezeigt in der Ausstellung über den 1976 aus der DDR ausgebürgerten Liedermacher, die noch bis Juni 2024 im Deutschen Historischen Museum läuft, unterstützt vom Deutschland Archiv der Bundeszentrale für politische Bildung. "Free Palestine, Wolf!" hatte dort ein Jugendlicher an den 87-jährigen Künstler appelliert. Biermann reagierte mit folgendem literarischen Text, in dem auch die Geschichte seines Vaters Dagobert Biermann eine Rolle spielt, der im Februar 1943 von den Nazis in Auschwitz ermordet wurde.
Wenn die Sonne eine Stunde
Später zu mir kommt am Morgen
westwärts bis nach Altona
Auf dem Weg von Israel, dann
Lieg ich wach und warte schon auf
ihre News und Totenklagen
Steine, Pizzeria, Panzer
In Jerushalajm Al-Aksa
Hamas, Libanon, Hisbolla
Sederabend in Netanya
Tel Aviv. Tod in der Disco
Haifa, Bethlehem und Jaffa
Siehste: Ick brauch jar keene Zeitung
Tagesschau, die doppelt quält
meine Sonne hat mir schon alles
hier in Deutschland über alles
viel wahrhaftiger erzählt
Schlimmer als am Bauch die Bomben
Schlimmer als in Knabenhänden
die Kalaschnikow, die Steine da
Schlimmer noch ist dieser blinde
Haß von klein auf eingefüttert
in die mörderische Brut da, ja ...
Paradiesisch siebzig Jungfraun
winken jedem Selbstmordmörder
Ruhm und Rente winken irdisch
Der Familie solcher Opfer
Denn wo Gott so übergroß wird,
schrumpfen seine Menschenkinder
Siehste: Ick brauch jar keene Zeitung
Tagesschau, die doppelt quält
meine Sonne hat mir schon alles
hier in Deutschland über alles
viel wahrhaftiger erzählt
Und blutjunge Juden stiefeln
Angstvoll, von der Welt geächtet
als Besatzer durch die Westbank da
Rache wird gerächt mit Rache
Keiner kommt mit saubren Händen
aus dem Bruderkrieg am Jordan
Ob die Palästina-Fahne
Überm Sarg liegt, ob der blaue
Davidstern auf weißem Laken
Ach! bei dem Begräbnis sind auf
Beiden Seiten Müttertränen
salzig salzig salzig salzig
...voilà die Sonne bringt es an den Tag: Müttertränen salzig salzig salzig salzig;
so rappelte und rappte mein Herz reimlos Lyrik ratlos in die Kälten des Jahres 2002
Seine junge ägyptische Sklavin Hagar gebar Ismael, den späteren Stammvater aller Araber. Endlich gelang es dem Greis doch noch, mit Gottes Hilfe, auch seine schon betagte Ehefrau Sarah zu schwängern. So wurde ihm Sohn Isaak geboren, der Stammvater des Volkes Israel. Egal, ob Notwehr oder Totschlag oder Mord! Egal wer da wann, wen, wo liebte oder brutal fickte. Das F-Wort reimt sich brutal auf Konflikte. Für die gilt seit uralter Zeit im ewigen Streit der Welt für Menschen, wie für die Völker, im wechselnden Elend der Zeiten:
„Es gibt historische Konflikte, die haben keine Lösung, sondern nur eine Geschichte.“
FREE PALESTINE, WOLF!
In der Biermann-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums ist eine Kuschel-Kiddy-Nische eingerichtet, wo genug Buntstifte bereitliegen, und dazu weiße Papierblätter mit einem Loch oben. Kinder schau´n sich, zu- sammen mit ihren Eltern, die Externer Link: Ausstellung an (bis 18 Jahre Eintritt frei)
Auf einem Zettelchen zeigen sie, was für ihr eignes Leben ähnlich wichtig ist: Mama, Papa, Blume, Sonne, Mond und Sterne, unser Blauer Planet, Freunde, Family, Frieden, also ihre eigene große kleine Welt. Wenn´s vollbracht ist, stülpen die kleinen Künstler und Künstlerinnen ihr Werk auf eins der vielen Rundholzstöckchen an der Wand. Es mögen schon über Tausend sein. Das wird noch ´ne Weile so weitergeh´n, denn die Ausstellung ist soeben um ein halbes Jahr verlängert worden, bis Sommer 2024.
Auf dem Foto aus dem DHM ist das vergrößerte Portrait meines Vaters zu seh´n, ergänzt mit dem Wort: „Das ist meine Erinnerung: Urvertrauen.“ Ein obligates Verbrecherfoto des Staates in der Nazizeit. Im Februar 1943 hat es der Bremer Gefängnis-Pfarrer, offenbar auf eigenes Risiko, beherzt rausgerissen, aus der Häftlings-Akte meines Vaters im Bremischen Zuchthaus.
Und das kam so: Alle drei Monate stand meinen Eltern ja eine halbe Stunde „Sprecher“ zu – im Strafvollzug. Das versteht sich: natürlich unter Kontrolle eines Wächters. So war die Ehefrau Emma des Häftlings Biermann all die Jahre, von Hamburg nach Bremen Oslebshausen gefahren. Aber einen Strafgefangenen Dagobert Biermann gab´s da plötzlich gar nicht mehr:
„Biermann? Kenn´ wa nich. Einen Biermann gibt’s hier nich.“
Meiner Mutter stockte das Herz. Sie weinte und kreischte und irrte immer panischer durch die Flure. Sie wurde rausgeschmissen. Danach suchte sie und fand den offiziellen Gefängnis-Geistlichen. Der hatte routinemäßig jahrelang die Briefe meiner Eltern gelesen, zur Kontrolle. Natürlich im Auftrag der Gestapo. Er durfte nur Briefe durchlassen, in denen nichts Politisches geschrieben war, geschweige denn konspirative Kassiber.
Wenn ich an die strukturierte DDR-Knast-Kultur der Staatssicherheit denke, wundere ich mich bis heute, wieso die Gestapo eine dermaßen hochsensible politische Kontrollarbeit einem Gottesdiener überließ. Der Priester, hochwahrscheinlich ein Heil-Hitler-Hirte, also ein evangelischer Nazi, einer von den „Deutschen Christen“. Aber, wer weiß, doch a Mentsch. Verzweifelt jammerte meine Mutter dem Knast-Seelsorger dieses Wort in die beamtete Christen-Seele: „Und ich hab nicht mal ein Foto von meinem Mann, kein einziges, seit sechs Gefängnis-Jahren!!!“
Zernichtet fuhr sie mit der Reichsbahn zurück nach Hamburg.
Paar Tage später kam Post an, bei uns in Hammerbrook. Der Pastor hatte, offenbar aus Mitleid, das kleine Steckbrief-Foto aus der Biermann-Akte gerissen und in ein Kuvert gesteckt. Sein Briefchen kam gut an, ohne Absender, ohne Kommentar mit der normalen Post. Und Emma ahnte auch warum. Sie sagte mir: „Der kannte ja über die Jahre all unsere Briefe. Der wußte, daß wir Menschen sind. Der merkte wohl wie lieb wir uns haben.“
Das passierte im Februar 1943, als der wegen Hochverrats verurteile Kommunist Dagobert Biermann nach sechs Jahren aus seiner Zelle entlassen worden war. Ja, leider entlassen! Denn als ein „nur Politischer“ hätte der Jude Biermann hinter Gittern vielleicht trotzalledem überleben können, vielleicht bis zum Kriegsende. Genau so wie Erich Honecker am Leben blieb: 11 Jahre als Kalfaktor im Knast Brandenburg. Oder so wie mein Freund Robert Havemann durchkam, der sogar in seiner Chemie-Labor-Todeszelle, in der riesigen Strafanstalt bei Berlin, in Brandenburg-Görden. Unsere Biermannfamilien-Historikerin Pamela Biermann konnte also das gerettete originale Knast-Foto der Museumskuratorin Dr. Monika Boll übergeben, sie gestaltete ja die ganze Biermann-Ausstellung im DHM.
Die Kinderzeichnung „FREE PALESTINE, WOLF!“, auf die ich dort stieß, ist politisch zum Kotzen. Aber auch zum Küssen, rein menschlich.
Das Blatt ist von einem klug-empathischen und schuldlosen Kind geschaffen worden. Natürlich ist es erzogen und indoktriniert in seiner pro-palästinensischen Familien-Blase. Aber das muß grade ich aushalten, denn solche ideologische, stalinistisch-totalitäre Blindheit kenne ich aus meiner eigenen Kindheit. Ich tappte genau so wahrhaftig in die Lügenwelt.
Wenn ich erfahren könnte, wer dies skandalöse Kunstwerk im DHM mit den panarabischen Farben der Palästina-Fahne schwarz, weiß, grün und rot, geschaffen hat, dann würde ich solchem jungen Menschenkind geduldig genug erklären, dass nach meiner Meinung die Losung „Free Palestine!“ gewiss goldrichtig ist, aber da fehlt was. Die komplette Losung sollte richtig heißen:
Free Palestine from Hamas !! und nicht irgend ein kleiner Wolf sollte Palästina endlich befreien von den Hamas-Terroristen sondern Ismael selber: Free Palestine from Hamas, dear Ismael!!
Die panische Angst der Hamas-Terroristen vor einem Friedensvertrag zwischen Arabern und Juden im Abraham-Abkommen ist womöglich der Hauptgrund für das pervers-orgastische Pogrom der Hamas am 7. Oktober. Trump und Netanjahu müssen abgewählt, Totalitäre Diktatoren wie Putin, Xi, Kim und die Mullahs in Teheran, all solche Macht-Kanaillen müssen entmachtet werden. Ich blutjunger Greis werde einen haltbaren Frieden im Nahen Osten kaum noch erleben. Aber die Enkel fechten´s vielleicht besser aus... Konkreter gesagt: Die Juden wie die Araber müssen tapfer sein – vor allem gegen all die fanatischen Friedensfeinde in ihren eigenen Reih´n.
Von meinem väterlichen Freund, dem Historiker des jüdischen Widerstands, Arno Lustiger, merkte ich mir eine Sentenz:
"Die Palästinenser wollten von Anfang an bis heute alle Juden töten und den Staat Israel vernichten. Wenn diese Mörder endlich die Waffen niederlegen, wird es den alten Bruderkrieg nicht mehr geben. Wenn aber Israel die Waffen niederlegt, gibt es schon morgen kein Israel mehr."
Worüber man nicht sprechen kann
darüber muß man schweigen.
(Ludwig Wittgenstein im „Tractatus“)
Abrahams Herzen
´s ist Krieg!! Und Phrasen, die ich nicht sprechen kann
All meinen Kummer muß ich mir selber schon schweigen
So Schrecken, die ich nicht tuten noch blasen kann
Den Hamas-Krieg will ich weder posaunen noch geigen
Mein Grauen, ich schweige es dir in diesem Dschihad
Zerdichtete Worte will ich nicht singen noch sagen
Paar passende Antworten hätt ich von vordem parat
Mein Elend: Ich weiß nicht mal mehr die richtigen Fragen!
Kein Wittgenstein fällt mir in diesem Kriege vom Herz:
Nicht ich hab die Angst, die Angst hat mich nun, todesbang
Auf Israel reimt sich nur noch das Kitschwort Schmerz
Denn Abrahams Herzen verbluten in Trümmer-Steinen.
Kein Wolfsgeheul mehr, kein Klageton-Abgesang
Mein Schweigen ist nur noch ein wutwund verdorrtes Weinen.
Wolf Biermann am 15.11.2023
Ergänzend:
Wolf Biermann über Putin:
Zu über 50 weiteren DA-Reflexionen über
Zitierweise: Wolf Biermann, "Free Palestine...?...from Hamas!", in: Deutschland Archiv, 01.12.2023, www.bpb.de/543130. Erstveröffentlichung in privatem Rahmen am 15. November 2023 als "Spickzettelchen für des Greises Gäste" zu Wolf Biermanns 87. Geburtstag, nachdenklich gefeiert in Hamburg-Altona. Das Copyright liegt bei Wolf Biermann und dem Deutschland Archiv (hk).
Weitere Inhalte
Der Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann (85) siedelte 1953 von Hamburg in die DDR über und veröffentlichte 1960 erste Lieder und Gedichte. Vom überzeugten Kommunisten wandelte er sich zu einem scharfen Kritiker der Sozialistischen Einheitspartei SED und der DDR, weswegen 1965 ein Auftritts- und Publikationsverbot gegen ihn verhängt wurde. 1976 wurde ihm nach einem Konzert in Köln die Wiedereinreise in die DDR verweigert, und er wurde ausgebürgert. Diese Entscheidung des SED-Politbüros löste in der DDR breite Proteste aus und führte zur Ausreise bzw. Ausbürgerung zahlreicher weiterer KünstlerInnen. Mehr unter diesem Externer Link: Link.
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