(Die) Mütter der Gleichberechtigung in der DDR
Die frauenbewegte Gründerinnenzeit des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) 1945 - 1949
Grit Bühler
/ 13 Minuten zu lesen
Link kopieren
Die Gründerinnen des DFD bereiteten den Weg für die Gleichberechtigung in der DDR, der energiegeladen wie konfliktreich verlief, aber keineswegs ein Selbstläufer war – und der bis heute nachwirkt.
„Der DFD ist eine Organisation, die nicht am Rande der politischen Ereignisse herumschwimmt. Wir sind kein abseits der Geschehnisse philosophierender Klub. Wir nehmen zu allen grossen Fragen Stellung und wollen die Entwicklung unseres Landes in eine ganz bestimmte Richtung drängen. Ein friedliches, fortschrittliches und demokratisches deutsches Volk, das ist es was wir wünschen. Ehe wir dieses Ziel erreichen wird mancher von uns alt und grau sein, aber kämpfen müssen wir heute dafür mit allen unseren Kräften.“
In „schwesterlicher Verbundenheit“ entstand mit Gründung des DFD 1947 ein feministisches Manifest:
Zitat
„Wir dürfen niemals mehr zulassen, daß über Deutschlands Gestaltung und Geschicke ohne uns Frauen entschieden wird. Wir werden von jetzt ab mitwissen, mitverantworten und mitbestimmen.“
Das exponentielle Wachstum der Mitglieder im DFD – bereits im Gründungsjahr waren es über 200.000 Frauen – spiegelte das neue feministische Selbstbewusstsein und die gemeinsame kollektive Identität, erfahren beispielsweise auf tausendköpfigen spektakulären Kongressen und Frauenversammlungen. Entsprechend gipfelte diese Erfahrung in der Selbstbeschreibung als „neue demokratische Frauenbewegung“ – ein historisch hervorragender selbstbestimmter Aufbruch.
Die Zeit nach 1945 war nicht nur geprägt durch den großen Wandel der Lebenswirklichkeit, sondern auch von einer dynamischen Wende in Bezug auf das Geschlechterverhältnis. Intrinsisch motiviert erkannten die Protagonistinnen die Zeichen der Zeit und traten in ein geschlechterpolitisches Experimentierlabor ein. Die Notwendigkeit einer tatsächlichen, parteiübergreifenden „Bottom-up“-Frauenbewegung wurde vielstimmig artikuliert. Die Arbeit von und für Frauen war eines der großen Potenziale der Frauenausschüsse und des jungen DFD – eine Plattform, auf der Frauen gemeinsam neue politische und soziale Regeln verhandelten und frauenspezifische Interessen vertreten lernen sollten. Und dies gelang ihnen bis auf kommunale Ebenen. Geprägt durch die Erfahrungen der eigenen Überlebenskraft im Krieg, übernahmen viele Frauen Funktionen, die vormals Männern zugedacht worden waren.
Eigenmächtigkeit und Erfahrungen von realer Schwesterlichkeit, Emanzipation und Empowerment
Ausgehend von einer antifaschistischen Haltung, von Vorstellungen von Demokratie und einem gemeinsamen Friedenswillen stellten sich die Akteurinnen konkrete Aufgaben zur Verwirklichung ihrer Gleichberechtigung. Sie definierten diese Aufgaben selbst, denn es gab zu diesem frühen Zeitpunkt keine höhere demokratisch gewählte öffentliche Instanz, die sie hätte kontrollieren können. Sie organisierten sich autonom, erlangten Handlungsautonomie und erhoben Forderungen, die als Zeichen der Stärke eines pragmatischen Nachkriegsfeminismus und zugleich als emanzipatorischer Ansatz angesehen werden können. Ihre Positionen, ihre Haltung und ihr Handeln waren feministisch. Immer wieder thematisierten sie eigene Fraueninteressen und sprachen über zu erlangende Durchsetzungsfähigkeit.
Die Akteurinnen ermächtigten sich, zentrale Entscheidungspositionen einzunehmen, indem sie Arbeitskommissionen bildeten, die sich mit Rechts- und Verfassungsfragen (Paragraph 218 Strafgesetzbuch, Nichtehelichengesetz), Aspekten der Sozial-, Gesundheits-, Arbeits- und Beschäftigungspolitik (arbeitsrechtliche Probleme, Lohn- und Tarifpolitik), Erziehungsfragen (Schulreform), Kulturpolitik, Pressearbeit und mit der Zusammenarbeit mit demokratischen Frauenorganisationen anderer Länder beschäftigten. Die Frauen stellten weitgehende Gleichheitsforderungen, wie etwa jene nach der Öffnung traditioneller Männerberufe auch für Mädchen und Frauen, bis hin zur Gleichstellung mit Männern im künftigen Ehe- und Familienrecht und nach einer Quotenregelung.
Die Frauenausschüsse
Bereits im Juni 1945 wurden in Berlin die ersten sogenannten Frauenausschüsse spontan und als Initiative zur Linderung der unübersehbaren Not gebildet. In den noch rauchenden Trümmern Berlins und in allen Regionen der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), wie später auch deutschlandweit, kamen diese Frauenausschüsse freiwillig zustande. Sie gingen aus einer Reihe von öffentlichen Frauenversammlungen hervor – initiiert von einem breiten Spektrum von politisch erfahrenen Frauen unterschiedlicher politischer Herkunft. Organisiert durch die Frauenausschüsse, hatten Hunderttausende Frauen begonnen, Überlebenshilfe zu leisten: Es entstanden Nähstuben, Wärmehallen, Frauen- und Kinderheime, Schulspeisungen, Einrichtungen zur Betreuung von Heimkehrenden, Frauenberatungsstellen (mit Beratung zum Eherecht, zur Berufstätigkeit, zum Thema Abtreibung und Verhütung, zum Sorgerecht sowie zur Rechtslage in Bezug auf die Tätigung von Bankgeschäften) und vieles mehr. In diesem einzigartigen, selbstgeschaffenen Erfahrungsraum lebten Frauen praktische Frauensolidarität und nutzten ihre zahlreichen informellen Austauschstellen. Dieser selbstbewusste Aufbruch signalisierte vor allem eines: Stärke und Einheit.
Frauenbewegte Gründung
Hervorgehend aus diesen Frauenausschüssen, wurde der DFD während des dreitägigen „Deutschen Frauenkongresses für den Frieden“ am 9. März 1947 gegründet. Konzipiert als gesamtdeutsche Organisation, hatte dieser Frauenbund den emanzipatorischen Anspruch, einheitlich, demokratisch und überkonfessionell zu agieren. Generationenübergreifend kamen hier selbstbewusste, teils international erfahrene Verfechterinnen der Gleichberechtigung mit ihren Überzeugungen aus kommunistischen, sozial-, liberal- und christdemokratischen, gewerkschaftlich orientierten sowie parteiungebundenen Kontexten zusammen. Meist schon vor 1933 frauenpolitisch engagiert, erhoben die Gründerinnen nach 1945 den Anspruch, als überparteiliche „neue demokratische Frauenbewegung“ in ausdrücklich allen Bereichen der Gesellschaft Fraueninteressen zu vertreten.
Vor allem Elli Schmidt , Emmy Damerius-Koenen , Maria Rentmeister , Käthe Kern , Helene Beer , Wilhelmine Schirmer-Pröscher und Paula Hertwig bestimmten den frauenpolitischen Kurs und orientierten sich darin an der Union französischer Frauen, die von ihnen ausdrücklich als Ideal benannt wurde. Dabei standen konzeptionell die Überparteilichkeit sowie ihre überkonfessionelle Ausrichtung im Mittelpunkt. Keineswegs entsprach dies dem bis heute gängigen Narrativ einer „Sowjetisierung“ durch Import der Frauenverbandsarbeit nach sowjetischem Vorbild. Die Orientierung an der französischen Frauenbewegung wurde von der DDR-Historiografie weitgehend ignoriert. Mit ihrem feministischen Bekenntnis zur Schwesterlichkeit und dieser bewusst gewählten Formulierung waren Männer ausdrücklich nicht genannt. Gewürdigt wurden im Besonderen der Bewusstwerdungsprozess, das feministische Selbstverständnis und die politische Identifikation von Frauen. Die Gründerinnen demonstrierten ihre Entschlossenheit, den Nationalsozialismus mit seiner radikalen Männerdominanz überwinden zu wollen und diesem einen parteiübergreifenden Feminismus gegenüberzustellen. Die Konzeption einer deutschlandweit einheitlichen Frauenorganisation aus der SBZ heraus bestand seitens des DFD lange explizit – und drückte sich nicht zuletzt im gewählten Namen aus. Sie wurde als eine Vereinigung definiert, „in der die Wissenschaftlerin, die Arbeiterin, die Vorkämpferin für Frauenrechte, die Bäuerin, die Künstlerin, die Schriftstellerin, die Hausfrau, die Abgeordnete, die Frau in der Verwaltung und Regierung ihren Platz finden.“ Neben diesem bildungs- und klassenübergreifenden Ideal wurden vor allem die Bedingungen formuliert, unter denen eine neue
Rechte und Hoffnungen, die die Erste Frauenbewegung erstritten und gehegt hatte, waren nach 1933 in einem frauenfeindlichen Klima rigoros zunichte gemacht worden. Von diesen Erfahrungen der Entrechtung waren auch die DFD-Gründerinnen geprägt: Praktisch alle waren schon vor 1933 als Kämpferinnen für Gleichberechtigung in Erscheinung getreten, wurden ins Exil getrieben oder im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt. Diese Prägung beeinflusste auch ihr Engagement nach Kriegsende. In der Not der ersten Nachkriegsjahre hatten sie die Schwesterlichkeit und ihre Stärken erlebt und gelebt. Diese Erfahrungen und Stärken wollten die aus der Zwischenkriegszeit politik- und frauenbewegungserfahrenen Akteurinnen in nachhaltigen politischen Einfluss umwandeln: in umfassende und institutionalisierte politische und gesellschaftliche Partizipation und gesetzlich umfassend garantierte Gleichberechtigung.
Die parteilose Gynäkologin, Sexualreformerin und erste gewählte DFD-Vorsitzende Anne-Marie Durand-Wever forderte, den Frauenbund nicht auf einen „Mütterbund“ zu reduzieren. Seine Ziele müssten viel weiter gesteckt werden. Das Prinzip der Überparteilichkeit mit einer entschiedenen Abgrenzung von einer Parteiendominanz hatte höchste Priorität und sollte zudem eng mit dem Gedanken eines konfessions- und berufsübergreifenden Bündnisses von Frauen verbunden werden. Das frauenbewegte Momentum war groß, sowohl rational und politisch, als auch auf der Erfahrungsebene. Weltanschauliche und parteibezogene Differenzen konnten die Protagonistinnen, wenigstens in der Gründungsphase, zugunsten ihrer größeren Idee eines neuen, dauerhaften Zusammenschlusses von Frauen teilweise ausblenden und zurückstellen. Zur Gründung des DFD und den bemerkenswert feministischen Gründungsdokumenten wäre es ansonsten gar nicht erst gekommen.
Gespeist aus ihrem Selbstverständnis als Avantgarde, hatte der DFD die Vision, in eine Weltgemeinschaft von 80 Millionen Frauen der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) aufgenommen zu werden – und dies gelang ihnen bereits im Dezember 1948: „und dann lag man sich in den Armen und küsste sich.“ Durch die erfolgreiche Sammlung von mehr als fünf Millionen Unterschriften von Frauen aus ganz Deutschland zur Ächtung von Atomwaffen konnte sich das Neumitglied mit einem Paukenschlag profilieren. Mit diesem Zugang zur „Weltfrauenbewegung“ legten die Gründerinnen den Grundstein zu einer bis 1989 kontinuierlich hergestellten Weltöffentlichkeit im DFD, die sich auch in zahlreichen internationalen Treffen widerspiegelte. Westlichen Frauenorganisationen gelang erst Jahre später der internationale Anschluss.
Desillusionierung: Interne und externe Konflikte
Doch bereits kurz nach Gründung des DFD kam es zu Irritationen, Umdeutungen und einer organisatorisch-personellen Neuordnung, die sich wegen der Einmischung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) konfliktreich gestaltete und infolgedessen es zu verbreiteter Enttäuschung, dem Abgang sowie der Ablösung der Hauptakteurinnen kam. Zu ihnen gehörten im Zeitraum von 1948 bis 1953 Durand-Wever, Rentmeister, Damerius-Koenen und Schmidt. Sie gerieten schon bald zwischen die Fronten von Parteiegoismen, SED-Dominanz, eigenen Ambivalenzen und Kaltem Krieg. Flankiert auch von äußeren Einflüssen des Kalten Krieges und der Berlin-Blockade, wurde der DFD der SED als „Top-down“-Organisation untergeordnet und zunehmend fest in das patriarchal geprägte SED-Diktatursystem eingebunden. Ersichtlich wurde dies bereits im Kontext der Regierungsbildung der DDR, Anfang Oktober 1949. Den Akteurinnen der Nachkriegsfrauenbewegung wurde keine leitende Regierungsverantwortung übertragen, obwohl sie vehement eine angemessene Repräsentation einforderten.
Der ursprünglich feministische Anspruch des DFD wandelte sich, und auch sein Anspruch der Parteienunabhängigkeit geriet ins Wanken. Nach wenigen Jahren des Aufbruchs wurde der Frauenbund inhaltlich, politisch und organisatorisch auf die SED ausgerichtet. Diese übernahm sukzessive das Definitions- und Organisationsmonopol über die Frauenorganisation – der DFD agierte zunehmend als Vermittler der Parteibeschlüsse, als sogenannter Transmissionsriemen, und fungierte als Akklamationsorgan. Der DFD befand sich im Spannungsverhältnis zwischen seinen Ansprüchen und der gezielten politischen Einflussnahme durch die energisch entgegenarbeitenden Kräfte.
Dies führte bis 1949 unausweichlich zum Ende der sehr kurzen explizit feministischen Phase im DFD – ein Wimpernschlag in der Verbandsgeschichte. Der DFD blieb bis zum Ende der DDR die einzige staatliche Frauenorganisation. Die staatsloyalen Jahrzehnte des Bundes waren von einem beschleunigten Bedeutungsrückgang infolge von Anpassungsprozessen und einem Ansehensverlust bei einem Großteil der Bevölkerung geprägt. Die politische Emanzipation von Frauen stagnierte oder wurde im Verborgenen vorangetrieben, wie es mit der Bildung verschiedener Frauengruppen, die teils unter dem Schutz und Schirm der Kirchen entstanden, Interner Link: zu Beginn der 1980er-Jahre zu beobachten war.
Trotz dieser letztlich ernüchternden Entwicklung ist in der relativ kurzen Zeit des Aufbruchs durch die Frauenaktivitäten in den Frauenausschüssen und im jungen DFD in der „Geschichte der Frauenbewegung [und darüber hinaus] ein Markstein“ gesetzt worden. Das Geschlechterverhältnis und die Lage von Frauen änderten sich nachhaltig. Mit Gründung des DFD institutionalisierte sich die Förderung von Fraueninteressen, und es gelang den Akteurinnen, einen frauenpolitisch feministischen Horizont neu zu kartieren und zu bestimmen. Der politische Effekt dieser Nachkriegsfrauenbewegung wurde insbesondere im späteren Zivilrecht der DDR sichtbar. Bei der Überarbeitung des Familiengesetzbuches und der Verabschiedung des „Gesetzes über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ war der DFD mit seiner Rechtskommission federführend. Bei einer Vielzahl gleichstellender Gesetze wie etwa zum Thema „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, dem Erstellen von Frauenförderplänen in Betrieben bis hin zur Arbeit der DFD-Fraktion in der ersten (provisorischen) Volkskammer der DDR 1949 – überall gestaltete die DFD-Gründerinnengeneration erfolgreich mit. Der DFD war bei der Entstehung der künftigen Verfassung mit seinem Anspruch auf Gleichberechtigung der Geschlechter treibende Kraft. Dass die Externer Link: Gleichberechtigung in Artikel 7 der Verfassung der DDR 1949 festgeschrieben wurde, resultierte aus einer beharrlich geführten Debatte, die insbesondere von den Protagonistinnen des DFD bestimmt wurde. In der faktischen Politik der DDR klafften jedoch Anspruch und Wirklichkeit politischer Partizipation und Gleichberechtigung immer wieder stark auseinander.
Gleichwohl blieben die Forderungen und Anliegen der Akteurinnen auch durch den Erfahrungstransfer auf die nächste Generation nicht wirkungslos. Dieses kräftige Echo hallt auch über politisch-gesellschaftliche Umbrüche hinweg nach. Es zählte für Frauen in der DDR zur gesellschaftlichen Normalität, einen Beruf zu ergreifen und ökonomisch unabhängig zu sein, auch im Falle einer Ehescheidung, sowie selbstbestimmt über den eigenen Körper das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch wahrzunehmen. Auch vor diesem Hintergrund sind ostdeutsche Lebensleistungen und Biografien anzuerkennen. Im direkten Vergleich hatte die Mehrzahl der Frauen in der DDR nach der Zäsur 1989/90 durch ihre Sozialisation tatsächlich einen Emanzipationsvorsprung gegenüber den Frauen aus der Bundesrepublik.
Die DFD-Gründerinnen waren die „Mütter“ der Gleichberechtigungsgesetzgebung. Sie bereiteten den Weg für die Gleichberechtigung in der DDR, die keineswegs rein utilitaristisch begründet war, wie oft behauptet wird. Der feministische Aufbruch von Frauen nach 1945 war eben nicht nur ein politisch-rhetorischer oder theoretisch-programmatischer. Er war ein Aufbruch der Tat, eine – wie auch schon die Erste Frauenbewegung – im Sinne ihrer Definition soziale Bewegung, mit umfassenden Anliegen zur Gesellschaftsveränderung. Darüber hinaus kennzeichnet diese Bewegung mindestens zwei einzigartige Merkmale: Die idealtypischen Phasen der Bewegung liefen erstens wie im Zeitraffer ab, vom Zusammenfinden der Akteurinnen und ihrer Gruppierungen über das Aufkommen von Gegnerschaften und Ambivalenzen bis hin zur Auflösung, in diesem Fall durch „höhere Mächte“, Weltpolitik und den Führungsanspruch der sozialistischen Kaderpartei SED, die patriarchal geprägt war. Zweitens agierten die Frauen in einer einzigartigen historischen Situation, in der es ihnen zugleich um die politische, geistig-moralische und um die praktische Reorganisation und geschlechterdemokratische Neugestaltung einer ganzen Gesellschaft und Nation nach deren „totalem“ Zusammenbruch ging.
Durch ihre vor aller Augen stehenden sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen in den ersten Nachkriegsjahren hatte die Nachkriegsfrauenbewegung ihre Existenzberechtigung untermauert und allgemeines Ansehen erworben, auch wenn die überparteiliche Bewegungsstimmung die ererbten alten Vorkriegskonflikte und die neuen Konflikte an der Ost-West-Bruchlinie der zwei konkurrierenden Weltsysteme nur zwei, drei Jahre überdecken konnte. Aus den Ansichten und Äußerungen der Akteurinnen und gemessen an ihren Taten und deren praktischen und bis heute anhaltenden positiven Wirkungen, kann von einem Feminismus der Nachkriegszeit gesprochen werden. Und von einer praktischen Patriarchatskritik mit einem – aus heutiger Sicht und bis heute – wirksamen sozialpsychologischen und ökonomischen Empowerment von und für Frauen.
Postskriptum - Neue Erkenntnisse nach der Erstveröffentlichung
Mit ihren fortschrittlicheren Verfassungsdiskussionen und -formulierungen inspirierten die DFD-Gründerinnen offenbar auch die „Mütter“ der Gleichberechtigungsgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland.
Die DFD-Frauen hatten in den Verfassungsentwurf der SED für die DDR den Artikel 7 eingebracht: „Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben.“ Diese prägnante Formulierung war der Frauensekretärin im SPD-Parteivorstand Herta Gotthelf bekannt - in Berlin war sie gut vernetzt, nachweislich auch mit der Vorsitzenden der bereits seit 1947 existierenden DFD-Verfassungskommission Käthe Kern, mit der sie seit dem gemeinsamen Besuch der Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main in den 1920er-Jahren eine langjährige Zusammenarbeit in der SPD-Frauenpolitik verband. Herta Gotthelf forcierte daraufhin die fast gleich lautende Übernahme in den SPD-Verfassungsantrag – der wiederum von Elisabeth Selbert in den Parlamentarischen Rat eingebracht und letztendlich als Art. 3, Abs. 2 GG festgeschrieben wurde: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Zitierweise: Grit Bühler, „(Die) Mütter der Gleichberechtigung in der DDR. Die frauenbewegte Gründerinnenzeit des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) 1945 - 1949", in: Deutschland Archiv, 7.11.2023 (Erstveröffentlichung), 7.3.2024 Aktualisierung/Postskriptum, Link: www.bpb.de/542468.
Dr.; Historikerin, geboren 1969 in Thüringen, studierte Angewandte Sozialwissenschaften und absolvierte einen Studienaufenthalt in New York, USA. Sie promovierte an der Universität Erfurt in Geschichtswissenschaften, forscht und publiziert zu Frauen- und Geschlechtergeschichte. Im August 2022 wurde ihre Dissertation „Eigenmächtig, frauenbewegt, ausgebremst. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands und seine Gründerinnen (1945–1949)" veröffentlicht. Ihre Monografie „Mythos Gleichberechtigung in der DDR“ erschien 1997 ebenfalls im Campus Verlag Frankfurt am Main/New York.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).