Verordnete Feindbilder über Israel in der DDR: Eine Zeitungs-Selbstkritik
Maritta Adam-Tkalec
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Verordnete Feind- und Heldenbilder prägten die parteilich gelenkten Tageszeitungen in der DDR. Dies widerspiegelte sich auch bei der Thematisierung des Nahost-Konflikts: Die PLO heroisieren, Israel verteufeln – das war die Parteilinie bis 1989. Die Journalistin Maritta Adam-Tkalec wirft einen verstörenden Blick in die Geschichte ihres eigenen Blatts - der Berliner Zeitung in der Zeit vor dem Mauerfall. Damals wurden Klischees und Feindbilder verbreitet, die bis heute nachwirken - in vielen Medien der DDR.
Die DDR stand solidarisch an der Seite des für sein Selbstbestimmungsrecht kämpfenden palästinensischen Volkes unter Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Dessen Führer, Jassir Arafat, war so häufig in Ost-Berlin zu Gast wie kaum ein anderer der Anführer der nationalen Befreiungsbewegungen mit Kultstatus. Die PLO hatte eine Vertretung in Berlin, Hauptstadt der DDR, die 1982 in den Rang einer Botschaft erhoben wurde.
In der Kaserne der nationalen Volksarmee (NVA) in Prora hing in einer Turnhalle von der Decke bis zum Boden eine riesige Palästinenserfahne: Hier stählten sich PLO-Führungskräfte militärisch. Die DDR lieferte Waffen und vielerlei andere Solidaritätsgüter. An der Internationalen Journalistenschule in Friedrichshagen absolvierten PLO-Kader Kurse, junge Männer, die gerne ihre Narben vorführten. Soweit einige Beispiele aus der Beziehungsgeschichte PLO-DDR.
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Gemeinsam stand man gegen Israel, das in der Berichterstattung fast ausnahmslos mit Wörtern wie Aggressor, Okkupant, Terrorstaat mit gewalttätiger Soldateska gebrandmarkt wurde. Als Arafat 1982 zu Gast war, formulierte Erich Honecker beim Staatsempfang allgemeiner: Er verurteile die „Attacken des Imperialismus gegen die PLO“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Stalin noch die Gründung eines Staates für die Juden nach dem Holocaust befördert, doch die Sowjetunion entzog Israel ihre Sympathie, als klar wurde, man werde den Staat nicht in die eigene Einflusssphäre einbinden können. Im Gegensatz zu den anderen Staaten des früheren Ostblocks hat die DDR Israel trotz dessen Vollmitgliedschaft in der Uno nie diplomatisch anerkannt – dem standen vor allem mögliche Entschädigungsforderungen im Wege und die Weigerung, eine historische Mitverantwortung für die Shoah zu akzeptieren. Auch Israel strebte keine diplomatischen Beziehungen mit dem Staat an, der zu den wichtigsten Unterstützern der PLO zählte. Nie kam es für die DDR infrage, Holocaustüberlebenden ihr geraubtes Eigentum zurückzugeben.
Andererseits hatten sich zahlreiche Juden für die DDR entschieden, vor allem Kommunisten. In der Machtzentrale der DDR, dem SED-Politbüro, saßen der jüdische-kommunistische Auschwitzüberlebende Hermann Axen und der Rabbinersohn Albert Norden, der ins US-Exil entkommen war. Auch ihnen galt Israel als kapitalistischer Staat, als treuester Verbündeter der USA, als Hort des Imperialismus schlechthin.
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Liest man heute Texte, die in der Berliner Zeitung zum Thema Nahost in den 1970er- und 1980-Jahren erschienen, erschreckt man sich über den aggressiven Ton. Diese Schärfe war selbst mir, die ich seit 1984 in der Berliner Zeitung Redakteurin bin, so nicht in Erinnerung.
Deshalb sollen ein paar Beispiele die Erinnerung auffrischen. Bemerkenswert ist dabei eine Figur, ein Journalistenkollege mit respekteinflößender Biografie: Klaus Wilczynski, 1920 in Berlin als Sohn eines jüdischen Zahnarztes geboren, früh schon von offenem Judenhass betroffen. 1937 begleitete ihn seine Mutter nach Bremen zu einem Schiff, das ihn wie Tausende andere jüdische Kinder und Jugendliche ins sichere Großbritannien bringt.
Dort wurde er als Deutscher 1940 interniert und nach Australien deportiert, wo er in die Armee eintrat und unter anderem in Papua-Neuguinea gegen die japanischen Truppen kämpfte. 1947 kehrte er nach Berlin zurück und wurde Journalist. Wenn er den jungen Kollegen der Berliner Zeitung aus seinem Leben erzählte, verfiel ich, die Journalismus-Anfängerin, in Bewunderung. Womöglich hatte ich deshalb seine Texte – vor allem die Kommentare – nicht mehr in ihrer Härte in Erinnerung. Doch das Archiv ist unerbittlich.
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Da nennt der Kollege 1984 den israelischen Geheimdienst Mossad die „zionistische Gestapo“, sieht im (rechtskonservativen) Likud „faschistoide Tendenzen“. Im selben Jahr liest man in Kommentaren, Israel säe „Drachensaat“ und nennt als dessen „erklärtes Ziel die Vernichtung der nationalen Existenz des palästinensischen Volkes“.
Terror oder Befreiungskampf?
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Dieser Tenor zieht sich über die Jahre in an- und abschwellender Intensität durch die Texte der Berliner Zeitung: Palästinensischer Terror ist kein Terror, sondern Befreiungskampf. Von der anderen Seite geht „israelischer Mordterror“ aus; Reaktionäre und Imperialisten wollen das Volk von Palästina vernichten. Zionisten foltern, morden, überfallen, okkupieren. Bei all dem bleibt das Existenzrecht des Staates Israel unbestritten – generell von der DDR-Politik und demzufolge auch in der Berliner Zeitung.
Die DDR existierte nicht mehr, als Israel im Oslo-Abkommen zur Lösung des Nahost-Konfliktes vom 13. September 1993 die legitimen Rechte der Palästinenser anerkannte und die Palästinenser sich verpflichteten, aus ihrer Charta alle Passagen, welche die Vernichtung Israels zum Ziel erklärten, zu streichen. Die Knesset ratifizierte das Abkommen eine Woche später, die Ratifizierung durch die PLO blieb aus. Das gilt bis heute. Die Hamas kämpft erklärtermaßen für die Vernichtung Israels. Daraus bezieht Israel das uneingeschränkte Recht zur Selbstverteidigung.
Zurück zur DDR: Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es auch andere als die extrem scharfen Töne gegeben hat. Als gemäßigtes Beispiel sei ein Text von Ernst Schumacher erwähnt, dem großen Theaterkritiker der Berliner Zeitung. Er schrieb 1981 über eine Aufführung des Stückes „Dreyfus“ des Autors Jean-Claude Grumberg im Deutschen Theater. Das Stück handelte von der Selbstverständigung einer polnischen Laienspielgruppe im Polen von 1930 und von der Frage, wie man dem zeitgenössischen Antisemitismus widerstehen soll. Schumacher schrieb: „Das Stück drängt unnachsichtig zur Folgerung, dass nicht der fromme Wunsch ‚Nächstes Jahr in Jerusalem!‘, sondern nur die Losung ‚Proletarier aller Länder, vereinigt euch!‘ die richtige historische Orientierung auch für Juden sein kann.“
Damit war der Kritiker zwar voll auf der DDR-Hauptlinie: Zionismus ist kein akzeptabler Weg, schon gar nicht in einem kapitalistisch-imperialistischen Staat Israel, vielmehr gehören Juden an die Seite der sozialistischen Länder. Aber er verzichtet auf verbale Granaten. So ging es also auch. Schumachers jüdischem Kollegen und Altersgenossen mit der eindrucksvollen Biografie wird man keinen Judenhass, keinen Antisemitismus vorwerfen können – aber es bleibt doch nicht restlos erklärbar, warum auch bei ihnen keinerlei Verständnis für das existenzielle Bedürfnis von Juden nach einem Leben in der Sicherheit eines Staates mit eigener Armee und dem Recht auf Selbstverteidigung aufscheint.
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In den 1980er-Jahren änderte die SED ihre Haltung zum Judentum, nicht aber zu Israel. Erich Honecker strebte nach Vollendung der internationalen Anerkennung der DDR. Bessere Beziehungen zu den USA waren dafür eine Voraussetzung, Honecker wünschte, sein Werk mit einem USA-Besuch zu krönen. Man hielt den jüdischen Einfluss in den USA für erheblich und suchte Kontakte.
So gelang es zum Beispiel, mit Edgar Bronfman, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, freundliche Beziehungen aufzubauen.
Der feine Unterschied: Antizionismus versus Antisemitismus
1988 wurde im Zusammenhang mit dem Gedenken zum 50. Jahrestag der Pogromnacht die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum gegründet, mit dem Ziel, die Neue Synagoge wieder aufzubauen und ein Zentrum für jüdische Kultur zu schaffen. Wie man dies mit der Treue zur PLO auf eine Linie brachte, lässt sich am 16. November 1988 auf der Seite 1 der Berliner Zeitung besichtigen: Oben wird die Proklamation des Staates Palästina am 15. November gefeiert; unten findet sich unter der Überschrift „Wärme und Geborgenheit in unserer Gesellschaft“ eine Danksagung der Jüdischen Gemeinden der DDR nach dem 9. November.
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Man sollte das so verstehen: Der Staat Israel und das Judentum haben im Grunde nichts miteinander zu tun; offener Antiisraelismus ist nicht Antisemitismus. Die DDR blieb bis zur Wende bei ihrem moralisch anklagenden Antiisraelismus und brachte es nicht fertig, Verantwortung für den Holocaust und die Folgen zu übernehmen.
Vernimmt man heute mit Schrecken den Sound der aktuellen pro-palästinensischen Demonstrationen oder Videos, gerade derer von links, schleicht sich die Einsicht an: Da ist tatsächlich eine „Drachensaat“ aufgegangen – die einer Propaganda, die Israel verteufelte und alles Palästinensische heroisierte und verklärte.
75 Jahre nach der Proklamation Israels erleben wir, dass die Wunden des von Deutschen begangenen millionenfachen Judenmords noch offen sind. Dieser Tage hörte man aus einer pro-palästinensischen Demonstration in Berlin heraus den Ruf: „Free Palestine from German Guilt“ („Befreit Palästina von deutscher Schuld“). Will heißen: Deutschland solle das schlechte Gewissen wegen der Shoah ablegen. Unmöglich, erst recht nach den Massakern der Hamas.
Zitierweise: Maritta Adam-Tkalec, „DDR, Palästina und die Drachensaat: Eine Zeitungs-Selbstkritik“, in: Deutschland Archiv, 3.11.2023, Link: www.bpb.de/542366. Erstveröffentlichung in der Berliner Zeitung vom 30. Oktober 2023, Online-Linkhttps://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/die-ddr-die-palaestinenser-und-die-drachensaat-ein-verstoerter-blick-in-die-eigene-zeitung-li.2151824. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen Autor:innen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar. (hk)
Maritta Tkalec arbeitet seit 1984 als Redakteurin der Berliner Zeitung. Zuvor studierte sie Lateinamerikawissenschaft in Rostock und Journalistik an der Uni Leipzig. Ihre ersten Berufsjahre verbrachte sie als Dolmetscherin für Portugiesisch und Spanisch in verschiedenen afrikanischen Ländern. Diesen gilt bis heute ihr besonderes Interesse. Seit 2017 verantwortet sie die wöchentliche Seite Stadtgeschichte und schreibt Leitartikel und Kommentare zum aktuellen Geschehen.
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