Krieg als Geschäft
Das risikoreiche Prinzip des „Rent-a-Soldier“: Söldner und private Militärfirmen von Wallenstein bis Wagner – kann man sie regulieren?
Herbert Wulf
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Kriege werden nicht nur von Streitkräften ausgetragen. Häufig sind nicht-staatliche Akteure beteiligt, die oft noch schwieriger zu befrieden sind – Söldner, private Militärfirmen, Rebellen, Milizen, bewaffnete Parteien und viele mehr, von der russischen Firma Wagner im Ukrainekrieg und Blackwater in den USA bis zu anderen nicht-staatlichen Akteuren wie der Hamas im Nahen Osten. Aber auch die deutsche Geschichte kennt das Söldnertum. Ein Überblick von Herbert Wulf, der auch Lösungansätze konzipiert, wie diese Entwicklung wieder kontrollierbar werden könnte. Denn die privaten Soldaten operieren weltweit in einer rechtlichen Grauzone und untergraben das staatliche Gewaltmonopol. Somit sind sie eine wachsende Gefahr für Frieden, Stabilität und die Einhaltung der Menschenrechte.
Caspar gewidmet. Die Redaktion.
Ein weites Feld
Die Söldner, zumeist ehemalige Elitesoldaten, marschierten in großer Zahl auf die Hauptstadt zu. Ihr „Einsatz (…) und die durch die Firma geschaffene ‚Stabilität‘ dienten dem Zugriff auf die Ressourcen des Landes, namentlich auf Öl- und Diamantenvorkommen, durch Firmen, die [über ein] Netzwerk verbunden waren.“
Was wie eine aktuelle Beschreibung der Rolle der dubiosen russischen Militärfirma Wagner klingt, dessen Chef Jewgeni Prigoschin am 23. August 2023 beim offenkundig gezielt herbeigeführten Absturz seines Flugzeuges in Russland ums Leben kam, bezog sich tatsächlich auf die südafrikanische Militärfirma „Executive Outcomes“ in Sierra Leone. Executive Outcomes, eine der ersten sogenannten Privaten Militärfirmen, machte in den 1990er Jahren Schlagzeilen, weil sie ihre Dienste in verschiedenen Konflikten in Afrika gegen gute Bezahlung anbot: „Privater Profit, der durch den Akt des Kampfes selbst generiert wird.“
Die Rebellion der russischen Wagnergruppe und deren kurzfristig abgebrochener Marsch auf Moskau sowie deren heutige Aktivitäten in Afrika sind also keineswegs neu. Im Gegenteil: Söldner, Warlords, Milizen, Kriegsunternehmer und private Militär- und Sicherheitsfirmen spielten in der Geschichte der Kriege und Konflikte immer eine Rolle. Über Jahrhunderte waren sie – und nicht staatliche Heere – der Standard. Diese nicht-staatlichen Akteure waren teilweise die dominanten militärischen Verbände. In der Regel versuchten sie, die eigenen politischen und ökonomischen Ziele durch Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen zu erreichen.
Der brutale Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 wirft ein Licht auf eine andere Motivation der Kriegsführung durch nicht-staatliche Akteure. Gruppen wie Boko Haram im Norden Nigerias und angrenzenden Staaten, Al-Shabaab in Somalia, Hisbollah im Libanon, die Moslem-Bruderschaft in Ägypten oder die FARC in Kolumbien sind von vielen Regierungen als Terrorgruppen geächtet.
Die Hamas existiert seit 1987 und besteht aus paramilitärischen Brigaden mit geschätzt 40.000 Kämpfern, einem Hilfswerk und einer politischen Partei. Wie viele der anderen genannten Milizen will die Hamas einen islamischen Staat schaffen und vor allem den Staat Israel mit militärischen Mitteln vernichten. Im Gaza-Streifen, von der Außenwelt weitgehend abgeschottet, hat die Hamas seit 2007 die Staatsmacht de facto übernommen. Sie bestimmt die öffentliche Ordnung. Unterstützt wird sie dabei von Katar und vom Iran, der auch die Hisbollah im Libanon fördert.
Diese Milizen kämpfen nicht primär aus wirtschaftlichen Gründen, sondern vorrangig religiös beziehungsweise ideologisch motiviert. Sie wollen die bestehende Regierung stürzen und den Staat nach den eigenen Vorstellungen und Gesetzen so gestalten wie die Taliban in Afghanistan.
Wer sind diese privaten, nicht-staatlichen Akteure, die in Konflikte eingreifen? Es gibt keine universell akzeptierte Definition der unterschiedlichen Akteure, die an der Privatisierung oder Kommerzialisierung der Gewalt beteiligt sind. Zumeist stehen folgende Gruppen im Fokus:
1. Söldner: Söldner sind Personen, die von Regierungen oder Rebellengruppen angeheuert werden, um Kampfhandlungen durchzuführen. Nach wie vor gibt es den überlieferten Typus der Söldner für den direkten Kampfeinsatz, obwohl Söldner durch die Genfer Konvention als illegal eingestuft sind. Als klassische Form der privat organisierten Beteiligung an Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen ist das Söldnertum seit der Antike bekannt
2. Paramilitärische Truppen und Milizen: Es handelt sich dabei um die oben bereits erwähnten Milizen, Rebellen und Warlords, aber auch um gut organisierte Kriminelle und ähnliche Gruppierungen, die aus politischen, meist aber wirtschaftlichen Gründen Bürgerkriege anzetteln, eine Regierung stürzen, Verunsicherung in der Bevölkerung auslösen und Gewaltverbrechen systematisch ausüben.
3. Private Sicherheitsfirmen: In zahlreichen Ländern übernehmen private Firmen bestimmte, früher von der Polizei durchgeführte Funktionen, wie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in U-Bahnen oder auf Straßen (Wachdienste).
4. Servicefirmen: Vorrangig betriebswirtschaftliche Überlegungen haben Verteidigungs-ministerien in einer Reihe von Ländern dazu veranlasst, das Management und den Betrieb militärischer Liegenschaften wie Kasernen oder auch Wohnquartiere, die Uniformierung der Soldaten, die Bewirtschaftung der Kantinen sowie die Finanzierung und den Betrieb des Fuhrparks der Streitkräfte ganz oder teilweise an Firmen zu übertragen.
5. Private Militärfirmen: Die Unternehmen sind bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge in Kriegen und Krisen anstelle der Streitkräfte oder neben ihnen tätig. Statt die staatlich legitimierten Streitkräfte zu beauftragen, schließen Regierungen Kontrakte mit privaten Spezialfirmen ab. Zunehmend sind diese Firmen auch in Kampfhandlungen involviert, wie jüngst die russische Firma Wagner, die um die ukrainische Stadt Bachmut kämpfte.
6. Rüstungsfirmen: In den meisten Ländern werden staatlich finanzierte Waffen und anderes militärisches Gerät von privaten Firmen mit Genehmigung der jeweiligen Regierung entwickelt, hergestellt und exportiert.
Vergleicht man das Verhältnis dieser sechs unterschiedlichen Akteure zum Staat, insbesondere ihre Funktion hinsichtlich des staatlichen Gewaltmonopols, so sind die Söldner und paramilitärischen Gruppen in der Regel illegal oder auch kriminell tätig und werden oftmals von staatlichen Stellen bekämpft. Aber auch staatliche Unterstützung wird gewährt, wie beispielsweis im Falle der Hamas in Gaza oder der Hisbollah im Libanon.
Die privaten Sicherheitsfirmen haben ein weniger kritisches Echo gefunden als die Militärfirmen, obwohl auch durch sie mit der Übernahme klassischer Polizeiaufgaben staatliche Hoheitsfunktionen unterhöhlt oder aufgegeben werden. Die Servicefirmen sind in Abgrenzung zu den Militärfirmen in ihrer Funktion weit entfernt von den Kampfhandlungen der Streitkräfte. Da deren Tätigkeit vorrangig organisatorischer Art ist und als Projektmanagement bezeichnet werden kann, scheint diese Art des Outsourcens weniger umstritten zu sein.
Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt von unten und oben
Zur Einordnung der unterschiedlichen Funktionen kann man die Anwendung von Gewalt durch nicht-staatliche Akteure von von oben und unten unterscheiden. Die Privatisierung von unten ist durch Aktivitäten nicht-staatlicher Akteure gekennzeichnet, die ohne Autorisierung staatlicher Organe oder gegen deren erklärten Willen Gewalt anwenden, um eigene politische oder ökonomische Ziele zu erreichen.
Die zweite Form der Privatisierung, die auch als Privatisierung oder Kommerzialisierung von oben bezeichnet werden kann, ist staatlicherseits gewünschtes und gefördertes Outsourcen militärischer Aufgaben an private Unternehmen. Deren Dienstleistungen sind breit gefächert; sie arbeiten für Streitkräfte im Krieg, aber nicht nur für staatliche Institutionen, sondern auch für internationale Einrichtungen und Hilfsorganisationen in Post-Konfliktgesellschaften, für Regierungen, die sich von Rebellen oder Aufständischen bedroht fühlen, wie auch für multinationale Konzerne.
Nicht-staatliche Gruppen, deren Prototyp die Warlords und Milizen sind, sorgen für Unsicherheit und Staatszerfall. Der schwache oder in manchen Ländern kaum existierende Staat kann das staatliche Gewaltmonopol nicht durchsetzen. Angriffe auf den Staat, ineffiziente und korrupte staatliche Institutionen – vor allem Militär, Polizei und Justiz – sorgen für Unsicherheit, ungehemmte Kriminalität und Instabilität. Die Aufrechterhaltung von Gesetz und öffentlicher Ordnung wird immer schwieriger oder ist in kritischen Fällen gar nicht mehr möglich.
Diese Entwicklungen hängen eng mit dem generellen Trend der Globalisierung zusammen. Die Integration in den Weltmarkt führte nicht nur zu Wachstum und internationaler Verflechtung, sondern auch zu bedeutsamen Verwerfungen, die oft in gewaltsam ausgetragene innergesellschaftliche Konflikte münden.
Durch diese Politik wuchsen nicht nur die ökonomischen Chancen, sondern auch die Möglichkeiten der systematischen, profitorientierten Beteiligung an Kriegen. Mehr noch: Krieg wird wegen wirtschaftlicher Vorteile geführt. Ressourcenknappheit hat kriegerische Konflikte befördert, und nicht von ungefähr spielen private Militärfirmen in diesen Kriegsökonomien und Ressourcenkriegen eine wichtige Rolle.
Die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols von oben wird durch Regierungen und internationale Organisationen veranlasst. Sie versuchen, sich gegen die Gefahren bewaffneter Gewalt zu schützen, und heuern dazu private Militärfirmen an. Die Liberalisierung des Marktes, die Deregulierungskonzepte und neokonservative wirtschaftliche Programme haben zum freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen geführt, aber auch zur global organisierten Rekrutierung von Soldaten und Söldnern und zur Finanzierung von Kriegen.
Die Privatisierung der Gewalt von oben kann man auch als deregulierten Krieg bezeichnen. Nicht nur die russische Regierung hat sich bei ihrer Beteiligung am Krieg in Syrien, bei der Aggression gegen die Ukraine und in einigen afrikanischen Ländern privater Militärfirmen bedient. Die seit Russlands Angriff auf die Ukraine in der Öffentlichkeit breit diskutierten Wagner-Aktivitäten sind lediglich die jüngste Entwicklung in einer langen Geschichte der Anwendung von Gewalt durch private Gruppierungen, zu denen in Russland neben Wagner auch andere „militärische Strukturen“ und Privat-Firmen gehören, aber nicht nur dort.
Skandalträchtige und schießwütige Firmen
Auch für die US-Streitkräfte, die nach dem Ende des Kalten Krieges von 2,3 Millionen Soldaten auf unter 1,5 Millionen schrumpften, wurde es immer schwieriger, für ihre Kriegs- und Postkonflikteinsätze – ob auf dem Balkan, in Afghanistan oder im Irak – Nachschub bereit zu halten. In zunehmendem Maße verließen sie sich bei der Ausbildung der Soldaten, der Reparatur von Waffen, beim Sammeln von kriegsrelevanten Informationen, beim Verhör von Kriegsgefangenen oder bei der Versorgung der Soldaten in den Kampfgebieten mit Essen und sauberer Wäsche auf die Dienste privater Firmen. Wie Pilze schossen hunderte private Militärunternehmen aus dem Boden – aber nicht nur in den USA. Dem Beispiel Executive Outcomes folgend, entstanden international in Kampfhandlungen operierende Firmen wie Blackwater, CACI Systems, DynCorp und Triple Canopy in den USA, Sandline, Aegis Defense Services und Armor in Großbritannien, Omega Support in Hong Kong und Saracen in Südafrika (um nur einige Beispiele zu nennen).
In Deutschland blieb das Outsourcen von Verteidigungsaufgaben im Wesentlichen auf Bereiche wie Fuhrpark und Immobilienverwaltung beschränkt. Es etablierten sich nur wenige private Militärfirmen, wie beispielsweise die schon öfter in die Schlagzeilen geratene Firma "Asgaard German Security Guards", die auf ihrer Webseite Hamm, Bagdad und Tripolis als Firmensitze angibt. Asgaard war unter anderem 2010 in Somalia aktiv, um den dortigen Machthaber Darman an der Macht zu halten, während die Bundesregierung zusammen mit der EU die Übergangsregierung Somalias unterstützte.
Genannt wird auch die Result Group, die insbesondere militärischen Schutz von Schiffen gegen Piraten anbietet. Eine kleine Anfrage im Bundestag beantwortete die Bundesregierung im Jahr 2016 wie folgt: „Der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse über die Aktivitäten privater deutscher Sicherheits- und Militärfirmen in Krisen- oder Kriegsgebieten vor.“ Sie stellte aber auch klar, dass sie keine Übersichten zur Tätigkeit „deutscher privatwirtschaftlicher Sicherheits- und Militärfirmen in Drittstaaten“ führt.
Von Ende der 1990er bis Ende der 2000er Jahre herrschte eine regelrechte Goldgräberstimmung. Heute werden zu Recht russische Militärfirmen wegen ihrer brutalen Vorgehensweise und möglicher Kriegsverbrechen ins Visier genommen. Doch derartige Verhaltensweisen sind eher die Regel als die Ausnahme, wenn private Kontraktoren für Kampfhandlungen angeheuert werden. Immer wieder gab und gibt es Skandale um private Militärfirmen.
Die US-Firma CACI beispielsweise, die sich zum Generalunternehmer des Verteidigungsministeriums entwickelt hatte, erhielt einen Großauftrag vom Pentagon zum Verhör irakischer Gefangener, in dessen Rahmen CACI-Nachrichtenspezialisten einsetzte, die mit dubiosen Methoden Verhöre in irakischen Gefängnissen durchführten. DynCorp, ebenfalls aus den USA, die auch im Irak und in Afghanistan tätig war, geriet schon während des Bosnienkrieges in Verruf, als sieben ihrer Angestellten in Bosnien Mädchen im Alter von 12 Jahren prostituierten. Die Firma trennte sich nach öffentlicher Kritik von den entsprechenden Mitarbeitern. Aber auch die Whistleblower, die den Skandal öffentlich gemacht hatten, feuerte die Firma, weil sie keine „Nestbeschmutzer“ in ihren Reihen halten wollte. Die beschuldigten Angestellten wurden jedoch nie gerichtlich belangt.
So wie Blackwater hat die gesamte Branche der privaten Militärfirmen einen schlechten Ruf, weil zahlreiche Firmen regelmäßig in Skandale verwickelt sind. Bei einer wilden Schießerei im September 2007 in Bagdad waren 17 Iraker ums Leben gekommen. Ein weiteres Dutzend wurde verletzt. Die Opfer waren unschuldige Passanten. Die Schützen waren weder Aufständische noch irakische oder amerikanische Soldaten, sondern Angestellte der privaten amerikanischen Militärfirma Blackwater. Die irakische Regierung reagierte mit der Ankündigung, Blackwater die Arbeitserlaubnis im Irak zu entziehen und die Mitarbeiter der Firma auszuweisen.
Die damaligen Blackwater-Vorfälle verweisen auf ein generelles Problem: Privatarmeen tummeln sich mit Wissen und Wollen der Regierungen in Kriegen und Konflikten. In manchen Kriegen übertrifft die Zahl der Kontraktoren die Zahl der Soldaten. Der Krieg wird dadurch privatisiert und zu einem guten Geschäft für Firmen und Mitarbeiter, die bereit sind, ein hohes Sicherheitsrisiko einzugehen. Wenn der politische Wille bei Regierungen vorhanden ist, bestehen durchaus Möglichkeiten für eine wirksame legislative Kontrolle. Aber die Verlockung für Regierungen, private Militärunternehmen zu nutzen, führt oft zu Unklarheiten, inwieweit internationale Normen für solche Unternehmen gelten.
Es zeigte sich auch, dass zum Beispiel die irakische Regierung keine juristische Handhabe gegen die Angestellten der US-Firma hatte. Auch das vor Ort ermittelnde amerikanische FBI fuhr unverrichteter Dinge wieder nach Hause, denn Blackwater-Mitarbeiter genossen im Irak Immunität. Schließlich kündigte die Regierung des Iraks den Vertrag mit Blackwater. Auch beim Folterskandal von Abu Ghraib zogen Gerichte lediglich einige rangniedrige amerikanische Soldaten, nicht aber die beteiligten Mitarbeiter der Firma CACI zur Rechenschaft. Die wenigen verurteilten amerikanischen Mitarbeiter privater Militärfirmen wurden 2020 von Präsident Trump begnadigt.
Die Firmen operieren in einer rechtlichen Grauzone, und das Pentagon selbst hatte, angesichts der großen Zahl der Firmen mit Hunderten von Subunternehmern, längst den Überblick darüber verloren, welche und wie viele Personen und Firmen für die US-Regierung tätig waren und wie sie sich verhielten. Selbst die Kommandeure der Streitkräfte wissen oft nicht, was die Privatarmeen der Firmen tun, da ihre zumeist kampferprobten Spezialisten nicht in die Kommandostrukturen der Armee eingegliedert sind.
Blackwater war im März 2004 erstmals öffentlich in die Schlagzeilen geraten: Vier Mitarbeiter der Firma waren an diesem Tag in der Nähe von Fallujah im Irak in einen Hinterhalt geraten und von Aufständischen ermordet worden. Ihre Körper wurden verstümmelt und kopfüber an einer Brücke über den Euphrat aufgehängt. Die Aufständischen stellten selbst ein Video ihres Überfalls her, das dann medial rund um die Welt ging. Die amerikanischen Marines, die damals für die Niederschlagung des Aufstandes im Gebiet um Fallujah zuständig waren, wussten nichts von der Anwesenheit des Blackwater-Teams.
Dass Mitarbeiter der Firmen in den Kriegen den Finger ständig am Abzug haben, kommt nicht von ungefähr. Denn viele von ihnen werden bei den Kämpfen getötet. Jewgeni Prigoschin, ehemaliger Chef der russischen Firma Wagner, benutzte seine zum großen Teil in Gefängnissen angeheuerten Kontraktoren ungeniert als Kanonenfutter und brüstete sich sogar damit. Ideologisch überhöhen die Firmen gerne ihre Tätigkeit, beispielsweise als vaterländische Pflicht im „Kampf für Russland“. Auf der Webseite der Firma Blackwater hieß es, bevor die Firma dann wegen ihrer Skandale in Academi umbenannt wurde, pathetisch: „Geleitet von Integrität, Innovation und dem Wunsch nach einer sicheren Welt.“
Internationale Kämpfer in der Ukraine
Im Ukrainekrieg kämpfen Freiwillige, Söldner und Militärfirmen nicht nur auf der Seite Russlands, wie die Wagner-Gruppe und andere. Auch die Ukraine rekrutiert Freiwillige aus anderen Ländern. Kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges rief Außenminister Dymitro Kuleba bei Twitter dazu auf, der „Internationalen Territorialverteidigungslegion“ der Ukraine beizutreten.
Wie viele Freiwillige sich in der Ukraine im Kampf gegen die russische Besetzung engagieren, wird von der ukrainischen Regierung nicht bekannt gegeben. Angeblich sollen in dieser Legion Kämpfer aus 55 Nationen vertreten sein, darunter Menschen aus den USA, Polen, Portugal, Spanien, Australien und Belarus. In Presseberichten hieß es, dass mehr als 22.000 Freiwillige in diese internationale Legion eingetreten sind. Auch aus Deutschland haben sich Freiwillige gemeldet, zumeist ehemalige Soldaten. Rund 1.000 Kämpfer aus Deutschland sollen sich in diesem Krieg für die Ukraine engagieren, obwohl es nach dem deutschen Strafgesetzbuch strafbar ist, zugunsten einer ausländischen Macht in einer militärischen oder militärähnlichen Einrichtung aktiv zu sein.
Eine spanische Firma, angeblich mit Kontakten zum ukrainischen Verteidigungsministerium, bietet Verträge bis zu 3.400 Euro monatlich an. Dieser Sold erscheint gering, wurden doch schon vor mehr als 12 Jahren bis zu 1.800 Dollar täglich angeboten. Durchgängig werden Söldner deutlich besser bezahlt als einfache Soldaten, was gelegentlich zu erheblichen Interessenkonflikten zwischen Kontraktoren und Soldaten führte.
Die Frage im Zusammenhang mit Freischärlern in der Ukraine ist, ob sie vom Söldnerverbot betroffen sind. Das Lieber Institute der amerikanischen Militärakademie West Point führte aus, dass nach Angaben der ukrainischen Regierung die Einheiten der internationalen Kämpfer formell den regulären ukrainischen Streitkräften und ukrainischen Kommandeuren unterstehen. Russland kündigte dagegen an, die ausländischen Kämpfer in der Ukraine „als Söldner zu betrachten.“ Russischen Beamten zufolge hätten sie „im Falle einer Gefangennahme keinen Anspruch auf den Status als Kriegsgefangene.“ Das russische Verteidigungs¬ministerium behauptet, eine große Gruppe ausländischer Söldner in der Ukraine getötet zu haben.
Neben den Kämpfern gibt es in der Ukraine auch eine Nachfrage nach Sicherheitsfachleuten, vor allem für humanitäre Projekte, die angeblich aus privaten Mitteln bezahlt werden. Aber welche Tätigkeiten als zivile Sicherheitsdienstleistung und welche als Kampfhandlung zu bezeichnen sind, ist in der Kriegssituation äußerst schwierig zu beurteilen. Es gibt keine klare Trennlinie zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten.
Russische Militärfirmen
Das U.S. Treasury Department klassifizierte die russische Wagner Gruppe bei der Durchsetzung der Sanktionen gegen Russland als „Transnationale Kriminelle Organisation“. Dabei kopierte Wagner-Chef Prigoschin lediglich die Kommerzialisierung der Gewalt, wie sie zwei Jahrzehnte zuvor in großem Stile vor allem von Firmen in den USA praktiziert worden war.
Die Mitte 2023 geschätzt 30.000 bis 50.000 Mann starke Wagner-Gruppe erhielt viel Aufmerksamkeit im Ukrainekrieg: zunächst bei dem brutalen und verlustreichen Kampf um die ukrainische Stadt Bachmut, später dann im Juni 2023, als Tausende Söldner auf Moskau zumarschierten. Auf ihrem Weg nach Moskau schossen sie mehrere Hubschrauber und Flugzeuge der russischen Luftwaffe ab.
Der nur kurz andauernde Putschversuch war gegen den Kreml und vor allem gegen die russische Militärführung gerichtet. Auch nach Prigoschins Tod spielt diese private Truppe nach wie vor eine wichtige Rolle, vor allem in einigen afrikanischen Ländern. Sie wurde, wie auch andere russische Militärfirmen, über viele Jahre als außenpolitisches Instrument des Kremls benutzt, indem die Firmenmitarbeiter, zunächst ehemalige Soldaten, später dann auch Gefängnisinsassen, in einigen Konfliktzonen eingesetzt wurden, um Russlands Interessen zu verfolgen.
Auch diese Praxis ist nicht neu. Wer sich beispielsweise als Krimineller in der französischen Fremdenlegion verdingte, hatte damit eine Chance, die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen und sich zu rehabilitieren.
Rund 5.000 Wagner-Kämpfer und reguläre russische Soldaten kämpften in Syrien, um das Regime von Baschar al-Assad bei der Niederschlagung des Arabischen Frühlings zu unterstützen und den „Islamischen Staat“ und die Kurden, die auf die ihre Unabhängigkeit drängen, zu bekämpfen. Als Bezahlung erhielt Evro Polis, ein Unternehmen, an dem Prigoschin beteiligt war, großzügige Ölkonzessionen.
In Mali verurteilte die UNO Verbrechen wie Folter, Plünderungen und Vergewaltigungen durch die malischen Streitkräfte. Sie werden seit dem Putsch 2021 von Wagner-Söldnern und mit russischen Waffenlieferungen an der Macht gehalten. Die Regierung Malis hat den von den Vereinten Nationen mandatierten Friedenstruppen aus verschiedenen Ländern, darunter Frankreich und Deutschland, unmissverständlich klargemacht, dass sie ihre Dienste nicht mehr benötigt. Sie fühlen sich wohler mit Wagner-Truppen. Seit 2017 bildet die Firma Wagner auch die sudanesischen Streitkräfte aus und kontrolliert den Abbau von Bodenschätzen in der Region Darfur. Goldexporte nach Russland sind eine wichtige Einnahmequelle.
In der Zentralafrikanischen Republik wiederum sollen seit 2018 zwischen 1.000 und 2.000 Wagner-Kämpfern eingesetzt worden sein, um die Regierung gegen Rebellen zu verteidigen. Auch dort werden die Wagner-Unternehmen mit Abholzungsrechten und Schürfrechten für Gold- und Diamantenminen bezahlt. Die New York Times zitierte Ende 2022 den Bergbauökonomen Abdoul Aziz Sali aus der Zentralafrikanischen Republik mit den Worten: "Die Russen kontrollieren alles."
Wagners Engagement in Mosambik endete schnell, nachdem es der Truppe nicht gelungen war, den Aufstand in der vom Islamischen Staat besetzten Region Cabo Delgado zu unterdrücken. Und schließlich sind Wagner-Söldner seit fast einem Jahrzehnt in Libyen im Einsatz, um den im Osten des Landes herrschenden Khalifa Haftar in seinem Kampf gegen die Regierung in Tripolis zu unterstützen.
Es gibt deutliche Parallelen zwischen Wagners Geschäftsmodell und den skandalträchtigen privaten Militärfirmen der 2000er Jahre. Das betrifft sowohl die Kommerzialisierung von Gewalt als auch die brutalen und völkerrechtswidrigen Herangehensweisen in Kriegssituationen.
In Russland ist aber nicht nur die Wagener-Gruppe als private Militärfirma tätig. Es existieren schätzungsweise 30 größere Militärfirmen, auf die die russische Regierung seit den 2010er Jahren zunehmend zurückgreift, zumeist außerhalb Russlands. Auch die sogenannten „grünen Männer“, die 2014 auf der Krim auftauchten und in der Ostukraine die Separatisten in der Donezk-Region unterstützten, kann man dieser Kategorie der irregulären Truppen und Militärfirmen zuordnen. Die privat geführten Truppen hatten sich als eine Art Armee in der Armee entwickelt. Das Verteidigungsministerium hatte versucht, als einzelne dieser Gruppen zu mächtig und zu eigenständig wurden, die Kontrolle über die Firmen zurückzugewinnen. Zum Teil ließen sie sich vom Ministerium registrieren, Prigoschin aber widersetzte sich dem Kontrollversuch.
Es existieren noch eine Reihe anderer Gruppen, die teilweise in Kriege eingegriffen haben oder als Truppen zum Schutz von großen Firmen dienen. „Shchit“ für die Special Airborne Forces und „Redut“ zum Schutz von Gennadi Timtschenkos Firmen operierten in Syrien. Die Firma Patriot soll direkt für Verteidigungsminister Sergej Schoigu ebenfalls in Syrien tätig gewesen sein. Die RSB-Gruppe der Russischen Sicherheitskräfte bietet Schutz gegen Terrorgruppen an, ebenso „Antiterror Orel“. Die Moran Security Group ging aus Orel hervor und bietet ebenfalls Sicherheitsdienste an.
Daneben werden genannt: die Achmat-Truppe des tschetschenischen Diktators Rasman Kadyrow, (der seine Militärdienste Russland auch in der Ukraine anbot), das Sparta-Battalion (in der Ostukraine eingesetzt), das Slawische Korp (von Mitarbeitern der Moran Security Group in Hong Kong registriert und in Syrien eingesetzt), die Kosaken-Einheit (eine para-militärische Organisation), die E.N.O.T. Corp. (eine rechtsgerichtete Gruppe, die ebenfalls in der Ukraine eingesetzt wurde) sowie Fakel und Plamya (zwei staatlich genehmigte Milizen des Energiekonzerns Gazprom, die vor allem Gazprom-Beschäftigte in Syrien und der Ukraine beschützen).
Die russische Regierung betreibt ein politisches Versteckspiel, indem sie diese Gruppierungen und Firmen toleriert, registriert und sponsert, gleichzeitig aber behaupten kann, für deren Aktionen nicht verantwortlich zu sein.
Exkurs in die Geschichte. Die Renaissance privater Gewalt
Der Irak mit US-Kontraktoren, Syrien oder der Krieg in der Ukraine mit russischen Firmen, die britische Firma Sandline International, mit Affären in Papua-Neuguinea und dem Bruch eines UN-Waffenembargos in Sierra Leone belastet, oder auch Executive Outcomes in Angola und Sierra Leone sind keine Einzelfälle, und die heutige Situation ist nicht ohne Vorbilder in den vergangenen Jahrhunderten.
Schon im Mittelalter waren Kriegsunternehmer präsent. Während der Zeit der Renaissance boten sich in der Republik Florenz Condottieri als Vertragsheerführer den einflussreichen Patriziern für die Realisierung ihrer politischen Ziele an. Sie vermieteten sich meistbietend. Niccolò Machiavelli analysierte in seinem berühmten Werk „Il Principe“ (Der Fürst) deren Rolle und versuchte, die Fürsten davon zu überzeugen, dass es diesen Söldnerführern an der notwendigen Loyalität fehle. Sie seien daran interessiert, den eigenen Profit zu erhöhen und wechselten deshalb schnell die Seiten der Konfliktparteien.
Machiavelli empfahl den Fürsten, ein eigenes Heer aufzubauen, um sich von der Abhängigkeit von diesen Söldnern freizumachen. Doch Machiavellis Reformvorschläge wurden nur bedingt umgesetzt. Die Condottieri „waren Kriegsunternehmer, die ihr Geld im Auftrag von Staaten verdienten und dementsprechend ein Interesse daran hatten, dass Italien nicht zur Ruhe kam.“
Der Einsatz von Söldnern war auch die klassische Form militärischer Auseinandersetzungen in Europa während des 30-jährigen Krieges (1618-1648). Viele Heerführer, vor allem Adelige, waren wegen mangelnder Bezahlung auf eigene Rechnung tätig und verdingten sich bei den Finanziers der Kriege.
Die Kriege dieser Zeit in Europa wurden in der Regel zwischen Privatarmeen geführt, so wie das auch die Condottieri in Italien taten. Fast in ganz Europa führten die Kriegsunternehmer Kriege auf eigene Rechnung und mit den von ihnen finanzierten Waffen, Ausrüstung und Verpflegung. Auch im 30-jährigen Krieg hatten sie ein wirtschaftliches Interesse daran, den Krieg am Laufen zu halten. Der bekannteste Kriegsunternehmer während dieser Zeit war der böhmische Adelige Albrecht von Wallenstein. Friedrich Schiller hat ihn, seine Taten und Untaten in einer dramatischen Theatertrilogie verewigt. Schiller lässt einen seiner Protagonisten proklamieren: „Der Krieg ernährt den Krieg.“ Einen anderen bekannten Kriegsunternehmer jener Zeit verewigte Johann Wolfgang von Goethe in dem gleichnamigen Stück „Götz von Berlichingen“.
Von Wallenstein avancierte mit seinen Kriegsgeschäften zum reichsten Mann Europas. Er verstand es, seine Armeen logistisch zu versorgen und sie in den verheerenden Kriegen gewinnbringend einzusetzen. Er erwies sich als Meister der Führung von Kriegen und der Beschaffung der hierfür erforderlichen Ressourcen. Obwohl in Europa primär private Söldnerheere im Einsatz waren, kann man nicht von einer Privatisierung des Gewaltmonopols sprechen. Denn das staatliche Gewaltmonopol gab es damals noch nicht. Erst der Westfälische Friede (1648) führte zur Staatsbildung in Europa und der Zurückdrängung der privaten Militärführer.
Die Eroberungen der Spanier, Niederländer und Briten, euphemistisch auch als „Entdeckungen“ bezeichnet, überließen die koloniale Expansion lange den privaten „Chartered Companies“. Es waren Kaufleute mit einer Privatarmee. Besonders erfolgreich waren dabei die Offiziere der British East India Company, obwohl sie zunächst eine Gruppe von Hasardeuren war, die es mit der Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber nicht so ernst nahmen. Erst im Laufe der Zeit, mit der Einbindung der East India Company in den britischen Staat, entstanden professionalisierte Heere. Immer aber bediente sich die East India Company auch lokal rekrutierter Soldaten, von denen bis heute die berühmten nepalesischen Gurkahs existieren.
Die Überführung der Söldnerheere in Europa zum stehenden Heer hat seinen Ausgangspunkt im 30-jährigen Krieg. Es bedurfte jedoch der französischen Revolution und der Militärreformen Napoleons, dass die Söldner regulären, staatlichen Institutionen unterstellt wurden und das Söldnerwesen ein vorläufiges Ende fand.
Eine andere Form des Kriegsgeschäfts wurde im 18. Jahrhundert praktiziert, als mehrere deutsche Kleinstaaten kampferprobte Truppen auf Leihbasis anderen Ländern zur Verfügung stellten. Das prominenteste Beispiel sind die Hessen, die während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges in der britischen Armee dienten. Landgraf Friedrich II. von der kleinen Landgrafschaft Hessen-Kassel stellte König Georg III., mit dem er verwandt war, 12.000 Soldaten zur Verfügung. Im Jahr 1776 hatte er sich gemäß eines sogenannten Subsidienvertrages verpflichtet, entsprechende Truppen zur Verfügung zu stellen. Infolge der Kämpfe in Europa und der ständigen Kriege waren diese Soldaten gut ausgebildet, und Friedrich II. verdiente einen erheblichen Teil seines Staatshaushaltes, indem er diese Soldaten vermietete. Hessen-Kassel wurde zu einer der am stärksten militarisierten staatlichen Einheiten Europas. Bis zu acht Prozent der Bevölkerung meldeten sich freiwillig oder wurden zum Militärdienst eingezogen.
Am Kampf Simón Bolivars für die Unabhängigkeit Südamerikas beteiligten sich ebenfalls Kämpfer aus Westeuropa. In den anti-kolonialen Kämpfen nach dem Zweiten Weltkrieg griffen Söldner in die Konflikte ein, so beispielsweise im Bürgerkrieg im Kongo. Vor allem ehemalige Soldaten der europäischen Mächte verdingten sich in Afrika als Söldner.
Besonders öffentlichkeitswirksam gerierte sich der ehemalige deutsche Wehrmachtssoldat Siegfried Müller, der sich als „Major Müller“ oder auch „Kongo-Müller“ bezeichnen ließ und für die kongolesische Regierung mit einem kleinen Kommando Freischärler eine Rebellion mit brutalen Mitteln niederschlug.
Quantitativ bedeutsamer als diese vereinzelten Abenteurer und Glücksritter war jedoch die oben beschriebene „Goldgräberstimmung“ in den 2000er Jahren, die für die Regierung von George W. Bush in den USA charakteristisch war. In dieser Zeit profitierten viele alte und neu gegründete Firmen von der Auftragspraxis des Pentagons. Outsourcing war ein Steckenpferd von Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die fest daran glaubten, dass der Markt (und die privaten Militärfirmen) militärische Aufgaben effizienter erledigen könnten.
Ursachen, Motive, Interessen
Haben wir es bei der Kommerzialisierung des Militärs in den vergangenen Jahrzehnten mit einer Rückkehr der Condottieri oder der Söldnerführer des 30-jährigen Krieges zu tun, die als militärische Machtinstrumente damals kriegerische Auseinandersetzungen dominierten?
Es besteht heute ein entscheidender Unterschied: Das staatliche Gewaltmonopol existiert heute (zumindest idealiter), während sich in der Zeit der Staatsbildung in Europa die öffentliche Kontrolle über Kriegsunternehmer erst allmählich durchsetzte. Schließlich wurde Individuen und Unternehmen die Anwendung von Gewalt durch die Norm des staatlichen Gewaltmonopols entzogen. Heute dagegen ist ein gegenläufiger Trend festzustellen. Zwar wird das staatliche Gewaltmonopol konzeptionell nicht in Frage gestellt, in der Praxis jedoch aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen de facto ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt oder unterhöhlt. Regierungen nehmen die durch die privaten Militärfirmen entstehenden Risiken in Kauf.
Ähnlich wie im 30-jährigen Krieg, als vor allem in der Schweiz, in Süddeutschland und in Böhmen regelrechte Söldnermärkte entstanden, ist dies heute global der Fall. Militärfirmen rekrutieren kampferprobte ehemalige Soldaten weltweit. Sie beschäftigen unter anderem auch Soldaten, die in lateinamerikanischen Streitkräften zur Durchführung verdeckter Operationen und offen repressiver Maßnahmen ausgebildet wurden, ebenso Kämpfer, die ihre Erfahrungen in den Jugoslawienkriegen sammelten, die in Afghanistan und im Irak dienten.
Wagners Kämpfer rekrutieren sich ebenfalls aus den in Tschetschenien, Georgien und Syrien kampferprobten Truppen. Erst als die Kampftruppen durch die Kämpfe in der Ukraine ausgedünnt wurden, rekrutierte Prigoschin mit Genehmigung der russischen Regierung Strafgefangene mit dem Versprechen auf Freilassung nach dem Ende des Einsatzes.
Waffen und anderes Gerät werden von ihnen gekauft oder geliehen – zumeist mit ordentlicher Lizenz der Regierung. Immer häufiger übernehmen private Militärfirmen die Aufgaben von staatlich beschäftigten Soldaten. Für diesen Geschäftserfolg gibt eine ganze Reihe militärischer, wirtschaftlicher, gesellschaftspolitischer und ideologisch-konzeptioneller Gründe:
Bei der heutigen Renaissance der privaten Militärfachleute spielte die Nachfrage schwacher oder in Bedrängnis geratener Regierungen im Globalen Süden eine wichtige Rolle. In verschiedenen Fällen, so in Papua-Neuguinea, Sierra Leone und Zaire, hatten die Regierungen unter dem Druck des Ansturms von Rebellen und der Gefahr, gestürzt zu werden, auf private Milizen und Firmen zurückgegriffen.
Statt die staatlich legitimierten Streitkräfte mit dem Abwehrkampf oder der Sicherung des Regierungssitzes zu beauftragen, haben vor allem afrikanische Regierungen Kontrakte mit privaten Spezialfirmen geschlossen, weil das Militär die Aufgaben nicht erfüllen konnte oder sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren sollte.
Nach dem Ende des Interner Link: Kalten Krieges fand ein Wechsel von traditionellen Söldnern hin zu privaten Militärfirmen statt. Viele Länder reduzierten den Militärbereich. Gleichzeitig stieg die Nachfrage, besonders bei den Friedensoperationen der UNO. Durch den Personalabbau fühlten sich manche Streitkräfte überfordert. Regierungen reagierten darauf mit dem Konzept des Outsourcens militärischer Funktionen. Wirtschaftliche und personelle Engpässe im Militärbereich und Abrüstung beschleunigten die Privatisierung. Die reduzierte Stückzahl dislozierter Waffensysteme in den Streitkräften eröffnete den zivilen Militärdiensteanbietern neue Geschäftsfelder. So kauften beispielsweise viele Streitkräfte weniger Trainingsflugzeuge und ließen ihre Piloten von privaten Firmen ausbilden, die ihr eigenes Gerät zur Verfügung stellen.
Nebenfolge: Waffenschwemme
Die Kehrseite der Demobilisierung qualifizierter Soldaten ist deren Suche nach neuen Jobs, eine Entwicklung, die der oben angesprochenen Situation der Condottieri und den Gewaltmärkten im 30-jährigen Krieg ähnelt. Die Abrüstung in den 1990er Jahren hat nicht nur zu einer Schwemme gebrauchter Waffen geführt, die aus Europa in zahlreiche Länder der Welt verkauft oder verschenkt wurden, sondern ebenso einen Überschuss qualifizierten militärischen Personals hervorgebracht, das dann in den privaten Militärfirmen neue Betätigungsfelder suchte und fand.
Auch die veränderte Art der Kriegsführung spielt eine Rolle. Die Streitkräfte setzen immer mehr auf modernes Gerät, ohne jedoch selbst in der Lage zu sein, das technisch komplexe Gerät zu bedienen und zu warten. Sie kommen ohne den logistischen Service der Firmen nicht mehr aus. Diese Entwicklung ist zwar nicht völlig neu; sie hat sich jedoch nach dem Ende des Kalten Krieges deutlich verstärkt. Ein „Heer“ von Ingenieuren und Technikern, IT-Fachleuten und Logistikern, Piloten und Ausbildern privater Firmen sorgt für die Funktionsfähigkeit komplexer Waffensysteme.
Auch die verstärkte Nachfrage nach dem Einsatz der Streitkräfte im „Krieg gegen den Terror“ bot privaten Militärfirmen nach dem 11. September 2001 neue Geschäftsfelder. Zunehmend fühlte sich die Armee durch die vielfältigen Einsätze im Kampf gegen den Terrorismus überfordert. Im Golfkrieg 1991 hatte das US-Heer noch 711.000 aktive Soldaten zur Verfügung. Während der Zeit des Irakkrieges im Jahr 2003 war es mit 487.000 ein Drittel weniger. Diese Lücke sollten die privaten Firmen füllen.
Der Einfluss der öffentlichen Meinung ist für den Aufschwung der Militärfirmen nicht zu unterschätzen. Wenn Regierungen militärische Macht durchsetzen wollen, um sich in einer Region eine Vormachtstellung zu sichern, greifen sie gelegentlich lieber auf Privatfirmen zurück als auf die eigenen Truppen. Die „grünen Männer“ auf der Krim 2014 sind ein Beleg hierfür. Einerseits versuchen Regierungen, international die Verantwortung für diese verdeckten Operationen zu leugnen.
Andererseits zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit, dass wachsende Kritik, beispielsweise in der amerikanischen und britischen Öffentlichkeit an der steigenden Zahl gefallener und verwundeter Soldaten im Irak, bei Entscheidungen für Auslandseinsätze noch immer eine wichtige Rolle. Ein toter Kontraktor scheint weniger problematisch zu sein als ein gefallener Soldat. Hinzu kommt, dass sich die privaten Militärfirmen für ihre Handlungen nicht öffentlich verantworten müssen. Während eine Regierung gegenüber dem Parlament rechenschaftspflichtig ist, sind private Firmen dies nur gegenüber ihren Aktionären und Auftraggebern. In den westlichen Demokratien ist es deshalb wichtig, darauf zu achten, dass durch die Privatisierung militärischer Aufgaben die parlamentarische Kontrolle nicht ausgehebelt wird.
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Der wichtigste Grund für die Privatisierung der Gewalt, so meine These, ist das kommerzielle Interesse und die lange vorherrschende, normativ positiv besetzte Politik der Privatisierung. Das ökonomisch neoliberale Konzept, den Staat zu verschlanken und seine Aufgaben zu beschneiden und zu privatisieren, machte auch vor den Kasernentoren nicht halt.
In den USA sprach der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei der großen Welle der Privatisierung davon, dass jede Funktion, die vom privaten Sektor übernommen werden kann, keine Kernfunktion der Regierung sei.
Doch die groß angekündigte Entlastung der Streitkräfte durch die Effizienz des privaten Sektors ist nicht eingetreten. Die Erfolge blieben oftmals aus, egal, ob man Executive Outcomes in Sierra Leone betrachtet, die privaten Firmen in Afghanistan oder die Rolle der Privaten und Irregulären im Ukrainekrieg. Wo immer möglich, nutzen die Firmen ihre besondere Stellung aus, um entsprechenden Profit zu machen, während den Regierungen weiterhin häufig die Kompetenz zur Überwachung der Firmen fehlt. Damit wird der sensible Bereich der Sicherheit zum Selbstbedienungsladen privater Akteure.
„Rent-a-Soldier“ ist also keine Utopie mehr. Viele der Tätigkeiten dieser Firmen sind durchaus legal. Manche aber operieren in einer Grauzone. Die offene Frage ist, ob der Rückgang nach dem Goldrausch die Umkehr eines schon damals überzogenen Trends ist oder ob ein rasch wachsender „Sicherheits-Markt“ zu weiterer Privatisierung führt.
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Wir können davon ausgehen, dass Regierungen die Dienste privater Militärdienstleister in Anspruch nehmen werden, wenn es, wie jüngst im Falle Russlands, die Situation zu erfordern scheint. Diese Privatisierung von Militäreinsätzen birgt eine große Gefahr. Eine wichtige Funktion des Staates – die alleinig autorisierte Institution zu sein, Gewalt anzuwenden, um Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten – wird unterhöhlt, in manchen Ländern ganz aufhoben.
Wie kriegt man die Militärfirmen in den Griff?
Es ist schwierig, eindeutig zu bestimmen, wann mit der Privatisierung militärischer Aufgaben eine kritische Grenze überschritten wird, durch die das Gewaltmonopol unterlaufen oder gefährdet wird. In schwachen oder zerfallenden Staaten, in denen bewaffnete nicht-staatliche Akteure unterschiedlicher Art das staatliche Gewaltmonopol faktisch ausgeschaltet haben, ist die Situation eindeutig.
Die privaten Militärfirmen verfügen über militärische Macht, die sich öffentlichen Kontrollen und Gesetzen weitgehend entzieht. Das Gesetz des Marktes regiert. Die Unternehmen können ihre Dienste prinzipiell jedem anbieten, der dafür zu zahlen gewillt ist, seien es Regierungen, multinationale Konzerne, UN-Unterorganisationen, Hilfswerke, Rebellentruppen oder Drogenkartelle. Die vorhandenen internationalen Normen greifen für die privaten Militärfirmen nur dann, wenn diese Firmen das in der Charta der Vereinten Nationen festgelegte Recht der Selbstbestimmung der Völker verletzen (das heißt, wenn sie in die inneren Angelegenheiten eines Staates eingreifen) oder wenn sie sich direkt an Kampfhandlungen beteiligen. Aber die Beispiele Blackwater im Irak oder Wagner in der Ukraine zeigen, dass selbst diese völkerrechtliche Normen nicht oder kaum durchsetzbar sind.
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Es gibt unterschiedliche Ansätze für den Umgang mit der unregulierten Tätigkeit der Militärfirmen: ein Verbot, Verlass auf die Selbstregulierung der Firmen oder internationale und nationale gesetzliche Regelungen.
Ein umfassendes Verbot wäre die direkteste Form der Kontrolle, doch nationale Gesetze und Exekutiven benötigen die Mittel, um dieses Verbot extraterritorial auch durchsetzen zu können. Sonst könnten die Firmen sich, so wie Executive Outcomes in Südafrika, an einem anderen Ort der Welt niederlassen. Außerdem ist eine klare Definition schwierig, wer oder welche Tätigkeit unter dieses Verbot fallen soll.
Manche Firmen leisten durchaus wertvolle Dienste, beispielsweise in der Logistik bei Katastropheneinsätzen. Ein generelles Verbot würde auch diese Dienstleistungen unterbinden. Es würde bis in die Rüstungsexportregelungen hineinreichen, und bei kaum einer Regierung besteht ein Interesse daran, sich selbst die Hände zu binden – weder im Falle von Rüstungsfirmen, noch von Militärfirmen. Im Bericht von International Alert wird eine Liste von verbotenen Aktivitäten vorgestellt, die unter anderem die direkte Teilnahme an Konflikten und Akte enthält, die zur Verletzung der Menschenrechte oder interner Repression beitragen könnten.
Sich auf die Selbstregulierung der Firmen zu verlassen, wie dies beispielsweise die International Peace Operations Association, ein Mitgliedsverband privater Militär- und Sicherheitsfirmen, vorschlug, kommt einem Nichtstun oder Ignorieren des Problems gleich. Das sogenannte Montreux Document über internationale legale Verpflichtungen von Militärfirmen während bewaffneter Konflikte ist eine solche Initiative, an der private Militärfirmen aktiv mitarbeiteten, ebenso der International Code of Conduct for Private Security Providers.
Beide Initiativen sollen vor allem Menschenrechtsverletzungen der privaten Militärfirmen verhindern. Sie sind jedoch zu vage formuliert, um wirklich Wirkung zu erzeugen.
Ein solcher Ansatz erscheint völlig unzureichend, da die Firmen nicht durch einen von einem Branchenverband verabschiedeten Verhaltenskodex verpflichtet werden können. Auch die skandalträchtige und schießwütige Firma Blackwater betonte immer wieder, internationale Normen zu beachten und Professionalität hochzuhalten. Außerdem würden sich die „schwarzen Schafe“ der Branche ohnehin nicht an die Selbstverpflichtung halten. In einigen Bereichen (zum Beispiel „Blutdiamanten“) haben aber derartige Kodices zu Verbesserungen geführt und manche unsauberen Praktiken beschränkt.
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Die Mindestnorm für einen solchen Kodex wäre die Achtung der Menschenrechte, der internationalen humanitären Gesetze und des Kriegsvölkerrechtes, die Achtung der Souveränität von Staaten sowie Transparenz der Geschäftstätigkeit.
Initiativen von Verbänden und Firmen sind durchaus zu begrüßen; sie sind jedoch keinesfalls ausreichend, da weder die problematischen Grenzfälle zwischen Legalität und Illegalität noch die schlimmsten Exzesse verhindert und gerichtlich verfolgt werden können. Der Vorteil dieser Konzeption liegt in der einfachen Handhabung; es bliebe jedoch eine Regulierung „light“.
Stattdessen böte sich eine ganze Reihe unterschiedlicher, zum Teil komplementärer Möglichkeiten zur Regulierung der Firmen an:
Erstens: Die Fortentwicklung der Genfer Konvention. Nach der Genfer Konvention ist der Einsatz von Söldnern illegal. Das Kriegsvölkerrecht unterscheidet zwischen Kombattanten (Personen die berechtigt sind, in Kriegen eingesetzt zu werden, also Soldaten) und Nicht-Kombattanten. Rebellengruppen, Söldner, die Mitarbeiter privater Militärfirmen und irreguläre Verbände sind de facto, aber nicht de jure Kombattanten.
Da Kontraktpersonal nicht mehr nur mit logistischen Aufgaben befasst ist und sich Firmen in Kriegen auch auf dem Gefechtsfeld tummeln, bedarf die Genfer Konvention einer Revision. Mitarbeiter privater Militärfirmen sind keine „Nicht-Kombattanten“, da sie zumeist Waffen tragen und im Auftrag von Regierungen tätig werden. Sie sind jedoch nach dem internationalen Kriegsrecht ebenso wenig „Kombattanten“, da sie keine regulären Uniformen tragen und nicht der militärischen Befehlsgewalt unterstellt sind. Da auch die Definition „Söldner“ nicht auf sie zutrifft, haben sie zurzeit als „ungesetzliche Kombattanten“ rechtlich einen vagen, interpretationbedürftigen Status.
Erforderlich ist also eine Klarstellung und Erweiterung auf Militärfirmen. Die Regelung der Söldnerfrage im Zusatzprotokoll der Konvention hat in ihrer Anwendung gezeigt, dass der international erzielte Kompromiss keine wirkliche Handhabe bietet, um Söldner juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Es wird vermutlich auch bei einer Revision zur Erfassung des Personals der privaten Militärfirmen ebenso weit auslegbare Definitionen und „faule“ Kompromisse geben, die den Regierungen große Handlungsspielräume eröffnen und sie in ihrem Interesse an der Nutzung privater Gewaltakteure kaum hindern werden.
Zweitens: Die Einführung eines Lizenzsystems. Lizenzen könnten als Generallizenz von nationalen Regierungen an Firmen vergeben werden. Damit wären nur die lizenzierten Firmen berechtigt, militärische Dienstleistungen anzubieten. Sie erhielten eine Art regierungsamtliche Legitimität verliehen, mit allen Konsequenzen für die Regierung bei ungesetzlichem Verhalten der Lizenznehmer. Lizenzen könnten, statt an Firmen, auch für genau definierte Leistungen vergeben werden, während andere Tätigkeiten ausgeschlossen würden. Schließlich ist ein Lizenzsystem denkbar, das auf einer Einzelfallbasis beruht und bei jedem neuen Vertrag eine neue Lizenz erfordert. Diese möglichen unterschiedlichen Lizenzierungen weisen deutliche Parallelen zum Rüstungstransfer auf, und die dort gemachten Erfahrungen sollten für die Lizenzierung privater Militärfirmen genutzt werden. Gerade auch die Rüstungsexporterfahrungen zeigen, wie häufig internationale und innergesellschaftliche Konflikte mit Waffenlieferungen geschürt werden. Deshalb müssen bestimmte Bereiche für Firmen zum Tabu erklärt werden, insbesondere der Einsatz in Kampfhandlungen.
Drittens: Meldepflicht. Firmen müssen ihre Einsätze registrieren lassen und die Heimatregierung sowie die Regierung der Einsatzländer über ihre Tätigkeit informieren. Der Vorteil dieses Systems ist seine leichte Handhabbarkeit; nachteilig ist allerdings, dass Regierungen tätig werden müssten, um bestimmte Dienstleistungen zu unterbinden. Dies wiederum erfordert nicht nur den politischen Willen, sondern auch eine rechtliche Grundlage. Außerdem handelt es sich um eine deutlich abgeminderte Form einer möglichen Kontrolle.
Die Verhandlungen in den Vereinten Nationen über die Registrierung oder Lizenzierung von Waffenmaklern haben gezeigt, dass nur wenige Regierungen geneigt sind, derartige Regelungen international verbindlich zu vereinbaren. Ähnliches muss man für die Registrierung privater Militärfirmen befürchten.
Viertens: Internationale Registrierung, Transparenz und Verifikation. Firmen und die beauftragenden sowie die zahlenden Länder könnten verpflichtet werden, ihre Kontrakte mit den notwendigen Details über Umfang und Leistung in einem zentralen internationalen Register anzumelden. Dieses universelle Format ist eine Unterform der oben thematisierten Registrierung. Dieses Instrumentarium hat deutliche Parallelen zum „UN Register of Conventional Arms“.
Der Vorteil gegenüber dem jetzigen Zustand wäre eine deutliche Verbesserung der Transparenz. Für ein solches Register kämen die Vereinten Nationen oder auch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes als Depositar in Frage. Doch die beiden hauptsächlichen und gewichtigen Nachteile des UN-Waffenregisters würden auch für ein Militärfirmenregister zutreffen. Die Berichterstattung würde post faktum erfolgen und die Verifizierungsmöglichkeiten würden sich lediglich auf einen Vergleich der von den unterschiedlichen Stellen (Firmen, beauftragende und zahlende Länder) gemeldeten Daten erstrecken. Auch für diese Form der Registrierung gilt, dass die problematischsten Fälle vermutlich nicht gemeldet würden.
Fünftens: Schwarze Listen. Die Erstellung „schwarzer Listen“ unter der Ägide der Vereinten Nationen oder anderer internationaler Organisationen kann sich als wirksames Mittel erweisen, um zumindest die „schwarzen Schafe“ der Branche zu brandmarken und sie von künftigen Geschäftsabschlüssen fernzuhalten. Derartige schwarze Listen von Personen und Firmen existieren heute bereits in Fällen, in denen Embargos verhängt wurden. Sie existieren auch im Kampf gegen vermutete Terroristen. Derartige Listen müssten auf einem öffentlichen Monitoringsystem basieren und ständig aktualisiert werden. Der Nachteil der „schwarzen Listen“ ist deren reaktive Funktion, das heißt, erst nach fehlerhaftem oder verbrecherischem Verhalten der Firmen würden sie auf einer derartigen Liste erscheinen.
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Ohne die Einführung von Regelungen können die Firmen nur von ihren Auftraggebern und ihren Besitzern oder Aktionären zur Verantwortung gezogen werden. Alle angesprochenen Kontrollmechanismen weisen Lücken auf und sind nicht einfach zu implementieren. Zum Teil erfordern sie umfangreiche Kontrollen, die eine entsprechende behördliche Struktur voraussetzen. Um den Wildwuchs zu beschneiden, ist als Mindestvoraussetzung eine Regelung ähnlich wie im Rüstungsexport vorzusehen, auch wenn die Rüstungstransferregelungen zeigen, wie löchrig die gesetzlichen Grundlagen sind und wie viele skandalöse Geschäfte abgeschlossen werden.
Für die Kontrolle der privaten Militärfirmen sind die Regierungen hauptverantwortlich – in den aktuellen Kriegen vor allem die russische Regierung. Bei entsprechendem politischem Willen kann das Treiben der Privatarmeen kontrolliert, eingeschränkt oder verboten werden. Die Regierungen tragen die Verantwortung für das staatliche Gewaltmonopol und auch für seine Preisgabe und Untergrabung durch die Privatisierung des Krieges; aus dieser Verantwortung können sie sich nicht davonstehlen. Aber es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der möglichen Kontrolle der privaten Militärunternehmen und ihrer häufigen Nutzung durch viele Regierungen, einschließlich der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Dies macht eine Lösung nicht leicht.
QuellentextZusammenfassung
Kriege werden nicht nur von Streitkräften ausgetragen. Häufig sind unterschiedliche nicht-staatliche Akteure beteiligt, die oft noch schwieriger zu befrieden sind – Söldner, private Militärfirmen, Rebellen, Milizen, bewaffnete Parteien und Gruppierungen und viele mehr. Sie sind jüngst wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt, etwa durch die Kampfhandlungen der russischen Firma Wagner im Ukrainekrieg oder durch andere nicht-staatliche Akteure wie die Hamas mit ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023. Dabei sind derartige Einsätze nicht neu oder außergewöhnlich, sondern zeitweise bedeutsamer in zwischenstaatlichen Konflikten als staatlich aufgestellte Streitkräfte. Über Jahrhunderte waren sie der Standard. Bewaffnete Konflikte wurden für manche der Kriegsteilnehmer zu einem attraktiven und profitablen Geschäft. Schon im Mittelalter waren Kriegsunternehmer präsent. Von Wallenstein im 30-jährigen Krieg bis zu Wagner heute bieten sie sich gegen Bezahlung zur Realisierung politischer Ziele an. Wirtschaftliche und personelle Engpässe im Militärbereich beschleunigten die Privatisierung nach dem Ende des Kalten Krieges. Die Liberalisierung des Marktes, die Deregulierungskonzepte und die neokonservativen wirtschaftlichen Programme in den 2000er Jahren waren für den Goldrausch der privaten Militärfirmen entscheidend. Sie operieren weltweit in einer rechtlichen Grauzone. Sie untergraben das staatliche Gewaltmonopol und sind eine potenzielle Gefahr für Frieden, Stabilität und die Einhaltung der Menschenrechte. Deshalb ist deren Regulierung dringend geboten.
Zitierweise: Herbert Wulf, "Krieg als Geschäft“, in: Deutschland Archiv, 20.10.2023, Link: www.bpb.de/541951. Alle Beiträge sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen AutorInnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar. (hk)
Der Friedens- und Konfliktforscher Prof. Dr. Herbert Wulf ist emeritierter deutscher Hochschullehrer für Politikwissenschaft, er leitete acht Jahre das Internationale Konversionszentrum Bonn (Bonn International Center for Conversion (BICC)), war Berater des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen UNDP zu Abrüstungsfragen in Nordkorea und als Gutachter und Berater verschiedener UN-Organisationen für Waffenkontrolle tätig. Er arbeitete außerdem beim Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) und am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität Hamburg.
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