Einleitung
Mit dem Grundlagenvertrag vom 22. Dezember 1972 veränderte sich das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ganz entscheidend: Die BRD erkannte die DDR als eigenen Staat an und sicherte ihr zu, sich nicht in ihre inneren und äußeren Angelegenheiten einzumischen. Dieser Triumph für die DDR, der begleitet wurde von einer Welle internationaler Anerkennung für den sozialistischen Staat, ging aber auch einher mit unerwünschten Zugeständnissen an die BRD. Die Verhandlungsführer der Bundesrepublik knüpften die Unterzeichnung des Vertrags an die Bedingung, dass westdeutsche Journalisten als ständige Korrespondenten aus der DDR berichten dürften. Auf die nach außen hin signalisierte Entspannungspolitik folgten unter großer innerer Anspannung der DDR-Staatsführung strenge Sicherheitsvorkehrungen für die gefürchteten Journalisten aus dem Nachbarstaat. Die westlichen Printmedien hatte man über die verhängten Einfuhrverbote weitgehend im Griff, große Sorgen hingegen bereitete der SED-Führung das Fernsehen, denn es konnte sich beinahe ungestört seinen Weg in die Wohnungen der meisten DDR-Bürger bahnen. Für den "Feind", die BRD, eröffnete dies aus Sicht der SED-Führung eine gefährliche Möglichkeit, sein "imperialistisches" Gedankengut in das Bewusstsein der DDR-Bürger einzuschleusen.
Die Arbeit westlicher Journalisten bzw. die in ihrer Arbeit zum Ausdruck gebrachte politische Haltung wurde als Angriff auf die Ideologie der DDR betrachtet. Da sich die DDR auf dem Fundament des Marxismus-Leninismus gründete, war ein Angriff auf die Ideologie zugleich ein Angriff auf die SED-Führung – weil sie direkt oder indirekt deren Herrschaft infrage stellte. Journalisten wurden damit zur Gefahr für das System, man verdächtigte sie, als Geheimagenten im Auftrag ihrer Regierung tätig zu sein. Sie wurden als Feinde betrachtet, die es abzuwehren galt. Diese Aufgabe übertrug die SED-Führung dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als "Ideologiepolizei"
Diesem Aufsatz liegt die These zugrunde, dass das MfS sein Ziel nicht erreichte, die Arbeit der ARD-Fernsehkorrespondenten in der DDR Mitte der Siebzigerjahre inhaltlich zu beeinflussen, um ein positives Bild der DDR und des "real existierenden Sozialismus" in den West-Medien zu zeichnen. Der Staatssicherheitsdienst verfehlte dieses Ziel, weil er Journalisten kategorisch wie Feinde behandelte, die man bekämpfen musste. Somit verschob sich die eigentliche Absicht der Einflussnahme auf Spionage, Abwehr, Rüge oder gar Ausweisung der Journalisten.
Gezeigt wird dies am Beispiel des ARD-Fernsehkorrespondenten Lothar Loewe. Am 1. Januar 1975 trat Loewe offiziell seine Stelle im ARD-Studio DDR an, er war zugleich Büroleiter des Korrespondentenbüros in Ost-Berlin. Loewes journalistische Erfahrungen in der DDR sind besonders interessant, weil er die Grenzen der 1973 für ausländische Journalisten erlassenen Journalistenverordnung mit seiner kritischen Berichterstattung austestete und ausreizte, bis ihm schließlich am 22. Dezember 1976 seine Akkreditierung entzogen und er aus der DDR ausgewiesen wurde. Diesem Aufsatz liegt unter anderem ein Interview zugrunde, das die Autorin im April 2010 mit Lothar Loewe geführt hat.
Akkreditierung
Im Sommer 1974 herrschte Uneinigkeit darüber, ob man Lothar Loewe als Korrespondent in der DDR zulassen sollte – oder lieber nicht. Am 9. Juli 1974 schlug die Hauptabteilung II des MfS der Parteiführung vor, den Akkreditierungsantrag für Loewe nochmals zu überprüfen und empfahl: "Nach den hier vorliegenden Informationen erscheint es angeraten, einer Akkreditierung des Löwe [sic!] nicht zuzustimmen." Anstoß nahm die Abteilung an Loewes Verhalten während eines Drehtermins im brandenburgischen Rheinsberg Anfang Juni 1974, wo er angeblich absichtlich seinen "Betreuer" verpasst und sich auch ansonsten über in der DDR gültige journalistische Regeln hinweggesetzt hätte. Der Verfasser des Berichts, Oberst Kratsch, spricht sich sogar für eine vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) vorgeschlagene Einreisesperre aus.
Lothar Loewe im Interview mit dem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, Günter Gaus, 20. Mai 1975. (© Lothar Schack / Bundesregierung.)
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Lothar Loewe im Interview mit dem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, Günter Gaus, 20. Mai 1975. (© Lothar Schack / Bundesregierung.)
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In einer Einschätzung der Abteilung Journalistische Beziehungen des DDR-Außenministeriums zur Person Lothar Loewe ist die Rede davon, dass dieser "zu den einflussreichen Journalisten innerhalb der ARD gerechnet werden" könne, dass er durch "rücksichtsloses und hundsärmeliges [sic!] Verhalten" seinen "'Ruf' als Journalist" gefestigt habe und nun in der DDR versuche, sich "als Leitjournalist für die ständig in der DDR akkreditierten BRD-Journalisten hochzuspielen".
Man war sich dort allerdings auch darüber im Klaren, Lothar Loewe sei "über das Medium Fernsehen in der Lage, außerordentlich schnell und optisch wirksam auf Tagesfragen zu reagieren." So kommt der Verfasser des Berichts zu dem Ergebnis, dass man "das ständige politische Arbeitsgespräch" mit Loewe suchen solle, "um zu versuchen, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen"; außerdem solle entsprechend den "auslandsinformatorischen Interessen" des MfAA auch die Genehmigung für "größere Beiträge" erteilt werden.
Beschwerden
Vom 1. Januar 1975 an war Lothar Loewe offiziell Korrespondent in der DDR. Im April desselben Jahres wandte er sich schriftlich an das MfAA, um zu beanstanden, dass er für seine Dienstwohnung in der Leipziger Straße noch immer nicht die zwei beantragten Telefonanschlüsse hätte. Stattdessen sei ein "sogenannter Zweier-Anschluss" provisorisch installiert worden, den er gemeinsam mit dem Hörfunk-Korrespondenten der ARD nutzen müsse: "Sie werden sicher verstehen, dass dies für die Tätigkeit von zwei sehr beanspruchten Korrespondenten ein ganz unmöglicher Zustand ist."
Ein weiteres Problem sprach Loewe Mitte Juli an, als er sich darüber beschwerte, dass das ARD-Studio DDR zwar bereits seit Anfang März betriebsbereit sei, die Schaltung der Rundfunkleitung zu anderen Sendern der ARD aber trotz fester Zusage noch auf sich warten ließe. Außerdem habe er bis dahin nur ein einziges von mehreren beantragten Filmprojekten mit Genehmigung des MfAA realisieren können.
Da Loewe und auch die übrigen Mitarbeiter des ARD-Studio DDR die technischen Einrichtungen des Sender Freies Berlin (SFB) im Westen der geteilten Stadt nutzten, um Filmmaterial zu bearbeiten und es an andere ARD-Anstalten zu senden, musste er ständig die Grenze von Ost-Berlin – wo sich das ARD-Studio DDR befand – nach West-Berlin passieren. Loewe spricht davon, dass er häufig Auseinandersetzungen mit der Pass- und Personenkontrolle sowie mit den Zollorganen der DDR gehabt hätte: Die Diplomatenspur habe man nicht benutzen dürfen, sondern sich trotz Grenzempfehlung in lange Autoschlangen einreihen müssen, und für die Abfertigung hätten sich die Mitarbeiter oft lange Zeit gelassen – deshalb sei Loewe ab und an "heftig" geworden und habe "Krawall" gemacht:
"Uns lief die Zeit weg (...), das war nicht meine Abneigung gegenüber dem Regime – die hatte ich ohnehin –, aber es war die ständige Angst, die Termine nicht zu schaffen, mit dem Film nicht in die Gänge zu kommen (...). Als Journalist, man will ja ins Programm kommen, es soll ja auch ins Programm, nicht nur für mich selbst und das Team, sondern für die Zuschauer (...). Und da war dieser Krieg an der Grenze eine nervenaufreibende Geschichte."
Die in der DDR für ausländische Korrespondenten geltende Journalistenverordnung hat Loewe nach eigenen Aussagen "großzügig ausgelegt": "Ich wollte natürlich meine Arbeit ohne Beaufsichtigung, ohne weitgehende Beaufsichtigung der staatlichen Organe abwickeln, und das ist mir weitgehend gelungen." Alle ausländischen Journalisten, die von 1973 an in der DDR arbeiten wollten, mussten dieser Verordnung zustimmen. Ein besonders großes Ärgernis für westliche Journalisten war der sogenannte "Knebelparagraph", in dem sie zusichern mussten, "Verleumdungen oder Diffamierungen der Deutschen Demokratischen Republik, ihrer staatlichen Organe und ihrer führenden Persönlichkeiten (...) zu unterlassen [und] wahrheitsgetreu, sachbezogen und korrekt zu berichten sowie keine böswillige Verfälschung von Tatsachen zuzulassen".
Lothar Loewe bei Dreharbeiten. Observationsfoto des MfS. (© BStU, MfS, AOPK 1499/84, Bd. 2, S. 85.)
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Lothar Loewe bei Dreharbeiten. Observationsfoto des MfS. (© BStU, MfS, AOPK 1499/84, Bd. 2, S. 85.)
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Darüber hinaus sollte das Außenministerium über sämtliche Reisen außerhalb von Ost-Berlin unterrichtet werden, die Berichterstattung über staatliche Einrichtungen und Betriebe war generell zustimmungspflichtig. Loewe sagt, die Fahrten außerhalb von Berlin habe er nur dann angemeldet, wenn er mit dem Kamerateam unterwegs gewesen sei, nicht aber allein zu Recherchezwecken. Wenn er mit dem Team zu Dreharbeiten aufgebrochen sei, hätte er seiner Sekretärin die Anweisung gegeben, das MfAA erst einige Stunden nach Aufbruch über das Vorhaben zu informieren – außerdem habe er auch nie den genauen Aufenthaltsort, sondern immer nur den Landkreis angegeben. Zwar sei es eine Einschränkung der journalistischen Freiheit gewesen, dass man etwa für das Interview mit dem Bürgermeister eines Dorfes oder Personen in anderen offiziellen Funktionen die Genehmigung des MfAA benötigt hätte, so Loewe, doch habe die erste Journalistenverordnung es ermöglicht, auf allen öffentlichen Straßen und Plätzen zu filmen:
"Ich konnte zu jedem Thema die Leute befragen. Ich habe natürlich nicht alles gesendet (...) wenn ich das Gefühl hatte, dass das, was die Menschen mir in gutem Glauben in die Kamera sprechen, dass sie das nachträglich ins Zuchthaus bringt, in Haft, dann habe ich das unter den Tisch fallen lassen."
Eingriffe
Doch nicht immer verliefen Interviews und Fernsehberichte ohne störende Eingriffe des MfS oder des MfAA, wie zum Beispiel die Behinderung der Berichterstattung über die Riesaer Bürgerrechtsbewegung im Sommer 1976 zeigt. Die erste Bürgerrechtsgruppe in der Honecker-DDR hatte sich im sächsischen Riesa um den Arzt Karl-Heinz Nitschke formiert. 67 Menschen forderten in einer von Nitschke initiierten Petition von der DDR-Regierung das Recht, in die BRD auswandern zu dürfen. Nitschke schrieb an westdeutsche Medien, um Interesse für die Aktion zu wecken. In der Folge wurde er verhaftet, und die übrigen Unterzeichner der Petition wurden dazu gedrängt, ihre Unterschriften zurückzuziehen – allerdings ohne Erfolg.
Loewe wollte über diesen Fall berichten. Er führte ein Gespräch mit der Ehefrau des Verhafteten, Dagmar Nitschke, die unter ständiger Beobachtung des Staatssicherheitsdienstes stand. Dennoch hatte sie sich zu einem Interview vor der Kamera bereit erklärt. Dagmar Nitschke und andere Unterzeichnende wurden daraufhin von Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes vernommen, um über Loewes Absichten zu berichten, die vom MfS dahingehend gedeutet wurden, "die bereits laufende Hetzkampagne weiter anzuheizen und zu eskalieren". Weiter heißt es:
"Es wurde festgestellt, dass die genannten Personen sich voll mit dieser Zielstellung identifizieren. (...) Sie waren nicht dazu zu bewegen, freiwillig von der Teilnahme an dem beabsichtigten Interview Abstand zu nehmen, und erklärten, alle sich daraus ergebenden Konsequenzen tragen zu wollen."
Auf Vorschlag des MfS wurde Loewe ins MfAA vorgeladen, wo man ihm mitteilte, dass ein Interview mit den Bürgerrechtlern einen Eingriff in das laufende Strafverfahren bedeute. Außerdem bestehe der Verdacht der Zeugenbeeinflussung und der Behinderung der Staatsorgane – dies stelle einen Verstoß gegen die Journalistenverordnung dar.
Loewes Bericht wurde am 23. September 1976 ausgestrahlt, eine direkte Reaktion des MfS oder des MfAA darauf findet sich in den Personenakten nicht; jedoch begann unter anderem die MfS-Abteilung II/13 eifrig Informationen "über die verstärkte provokatorische Tätigkeit"
"Politisch-ideologische Diversion"
Die Korrespondenten bekamen deutlich zu spüren, dass sie der "politisch-ideologischen Diversion" bezichtigt wurden und in der DDR höchstens geduldet, nicht aber erwünscht waren. Hans-Dieter Ternies, Mitarbeiter der Stasi-Hauptabteilung II/12, der später über die Tätigkeiten der Abteilung Journalistische Beziehungen an der Juristischen Hochschule des MfS promovierte, schrieb im Januar 1975 über Lothar Loewe, dass in verschiedenen Diensteinheiten des MfS vor allem 1974 Umstände bekannt geworden seien, nach denen jener einer "direkten Feindtätigkeit verdächtigt werden muss". So hätte Loewe als Korrespondent in Moskau Kontakt zu Bürgern gesucht, "die er im antisowjetischen Sinne ausnutzen konnte"; des Weiteren begründet Ternies seinen Verdacht mit der Erwähnung Lothar Loewes in einem Artikel des "Rheinischen Merkur" mit dem Titel: "Sind West-Journalisten Spione?" Außerdem soll Loewe "eine bisher nicht genau zu bestimmende Rolle" bei "Schleusungen" von DDR-Bürgern gespielt haben, ebenso verdächtig schienen dem MfS-Mitarbeiter Loewes Kontakte zur Ständigen Vertretung Bonns in der DDR. Ternies' Prognose:
Lothar Loewe vor der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Observationsfoto des MfS. (© BStU, MfS, AOPK 1499/84, Bd. 2, S. 26.)
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Lothar Loewe vor der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Observationsfoto des MfS. (© BStU, MfS, AOPK 1499/84, Bd. 2, S. 26.)
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"Sein [Loewes] bisheriges Verhalten beweist eindeutig, dass er als akkreditierter Korrespondent umfangreiche Verbindungen zu Informations- und Geheimnisträgern suchen und illegale Informationsquellen schaffen wird. Inwieweit er gleichzeitig im nachrichtendienstlichen Auftrag handelt, kann z.Z. noch nicht bewiesen werden."
Bis zur Ausweisung Lothar Loewes war der Weg nicht mehr weit. Tatsächlich war die Ausweisung des ARD-Korrespondenten eine Option, die das MfAA bereits lange Zeit vor seiner Berichterstattung in Riesa in Betracht gezogen hatte. In einem Schreiben vom 18. Juli 1975 listet Rolf Muth, Mitarbeiter der Abteilung Journalistische Beziehungen, eine "Skala der möglichen Maßnahmen" gegen Loewe auf, die bei der Ablehnung seines beantragten Interviews mit Erich Honecker beginnt, eine "Aussprache" im MfAA in Erwägung zieht und bis hin zur Ausweisung bzw. zum Entzug der Akkreditierung reicht. Außerdem könnte die Weiterleitung und Genehmigung der Anträge Loewes auf journalistische Vorhaben "für eine gewisse Zeit in den unterschiedlichsten Varianten zögernd erfolgen" – mit der erwünschten Nebenwirkung: "Loewe könnte durch solche Verfahrensweise trotzdem zu weiteren provokatorischen Handlungen bewegt werden, die uns später schärferes Vorgehen erlauben." Muth schlägt vor, Loewe im August ins MfAA vorzuladen und ihm eine Verwarnung auszusprechen – denn, wie Muth einleitend betont, man sollte "der Gegenseite keinerlei Anknüpfungspunkte (...) geben, die sich pressepolitisch ungünstig gegen die DDR auswirken könnten" – und deshalb "vorerst" auf den Entzug der Akkreditierung verzichten.
Provokationen
Als eine mögliche provokative Handlung des MfS erscheint der Einbruch in die Ost-Berliner Wohnung des Fernsehkorrespondenten im November 1976. In den MfS-Akten finden sich ausführliche Hinweise des Dezernats II der Volkspolizei, Arbeitsgruppe Ausländer, die nach Meldung des Einbruchs Loewes Wohnung nach Spuren durchsuchte. Den Akten zufolge stellten sowohl Loewe als auch die Kriminalpolizisten fest, dass bei dem Einbruch nichts entwendet und nichts in der Wohnung verändert worden war. In seinen Memoiren schildert Loewe, dass der Wohnblock in der Leipziger Straße von Diplomaten bewohnt war und rund um die Uhr von der Volkspolizei überwacht wurde.
Aus heutiger Perspektive – in Kenntnis der Zersetzungsmethoden des MfS – wäre ein Einbruch, bei dem nichts gestohlen wird, eine Stasi-Methode par excellence. Klaus Behnke nennt ein Beispiel, bei dem MfS-Mitarbeiter in eine Wohnung einbrachen und nur die einfarbigen Handtücher stahlen. Beim zweiten Einbruch hätten sie nur die bunte Bettwäsche mitgenommen. Er schließt daraus: "Wer mit solchen Zersetzungsmaßnahmen 'bearbeitet' wurde, war nicht nur irritiert, sondern hier begann ein Prozess der Realitätsdiffusion, der letztendlich eine Psychose auslösen konnte."
Bekannte
Versuche des MfS, "mit Mädchen zu arbeiten" – also Frauen auf die Korrespondenten anzusetzen, damit man ihnen eine Affäre andichten oder übel nachreden konnte – beschreibt Lothar Loewe im Fall eines Aufenthalts in Leipzig. Der Staatssicherheitsdienst habe ihm "eine Dame im Negligé" geschickt, die spätabends an Loewes Hotelzimmertür geklopft und gesagt hätte, sie müsse ihn dringend sprechen. Loewe erinnert sich im Interview, er habe sie weggeschickt und ihr angeboten, sich beim Frühstück am nächsten Morgen zu unterhalten, wenn sie Redebedarf hätte. Doch am nächsten Tag sei sie nicht erschienen. Da die Messe in Leipzig als einer der "Konzentrationspunkte politisch-operativer Aufklärung" galt und der Einsatz weiblicher IM als "Intimpartner" sich bewährt hatte
Das MfS versuchte aber auch unabhängig von sexuellen Hintergründen, Beziehungen und Bekanntschaften durch oder mit Inoffiziellen Mitarbeitern zu steuern und zu Informationszwecken ausnutzen. In Lothar Loewes Personenakte wird IM "Dorothee Heß" angeführt, die regelmäßig über Zusammentreffen mit Loewe berichtete. Im Interview sagt Loewe, er hätte damals nicht geahnt, dass seine Bekannte für das MfS arbeitete, hielt er die junge Dame doch für eine "aufgeklärte Kommunistin, die das System eigentlich auch verbessern wollte". Während der Leipziger Messen seien sie miteinander essen gegangen und hätten oft miteinander diskutiert. Als er nach 1989 erfahren habe, wie ungeheuerlich das Ausmaß ihrer Berichte für die Staatssicherheit war, habe er sie ausfindig gemacht und sie zur Rede stellen wollen. Doch "kaltblütig" habe sie behauptet, Loewe nicht einmal zu kennen.
Auch im weitläufigen Bekannten- und Verwandtenkreis Loewes suchte der Staatssicherheitsdienst nach Inoffiziellen Mitarbeitern. Über Jahre hinweg bemühten sich Mitarbeiter des MfS, einen in Berlin lebenden Juristen zur Zusammenarbeit zu verpflichten – in den Akten wurde dessen Ehefrau als weitläufig verwandt mit Loewe eingeordnet; Lothar Loewe selbst erklärt im Interview, der Mann sei mit seiner Mutter verwandt gewesen. Der Verwandte verweigerte sich aber einer Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsorgan. Das MfS bemühte sich immer wieder aufs Neue, den Mann als IM zu gewinnen und gab diese Pläne erst im Jahr 1980 auf.
Ausweisung
Von Ende November 1976 an überschlugen sich die Ereignisse: Kurz nach dem Einbruch in seiner Dienstwohnung am 19. November sorgte ein Interview Lothar Loewes mit Robert Havemann für helle Aufregung. Darin hatte Havemann sich kritisch über das DDR-Regime geäußert und war deswegen unter Hausarrest gestellt worden. Loewe fuhr daraufhin mit seinem ZDF-Kollegen Hans-Jürgen Tautz-Wiessner zu Havemanns Haus, das von der Volkspolizei abgeriegelt worden war. Die Kameramänner der Teams filmten ein Streitgespräch zwischen den Volkspolizisten und den beiden Korrespondenten, woraufhin ein Polizist versucht hätte, dem Kameramann sein Gerät zu entreißen. Der Film wurde schließlich gesendet und erregte Loewe zufolge "weltweites Aufsehen".
Am 21. Dezember hatte Loewes Frau einen Autounfall, hinter dem er das MfS vermutete.
"Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR sind so frostig wie lange nicht mehr. Zum zweiten Mal innerhalb von vier Monaten hat es die DDR-Führung für angemessen gehalten, Bundeskanzler Helmut Schmidt persönlich in massiver Form durch das SED-Zentralorgan Neues Deutschland angreifen zu lassen. Die Ausführungen des Bundeskanzlers zur Deutschlandfrage in der Regierungserklärung erregten offenbar das Missfallen der SED-Führung. (...) Dem Bundeskanzler wird von der SED-Führung Revanchismus und eine Politik der massiven Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR vorgeworfen. (...) Die Menschen in der DDR verspüren die politische Kursverschärfung ganz deutlich. Die Zahl der Verhaftungen aus politischen Gründen nimmt im ganzen Land zu. Ausreiseanträge von DDR-Bürgern werden immer häufiger in drohender Form abgelehnt. Hier in der DDR weiß jedes Kind, daß die Grenztruppen den strikten Befehl haben, auf Menschen wie auf Hasen zu schießen."
Die oft als "Hasen-Satz" bezeichnete Aussage Loewes zum Schießbefehl für DDR-Grenztruppen führte schließlich zu seiner Ausweisung. Diese Maßnahme traf Loewe und die ARD nicht ganz unerwartet: Man war sich darüber im Klaren, dass die kritische Berichterstattung Loewes die SED-Führung provozierte. In einem Brief an den NDR-Intendanten Martin Neuffer hatte Loewe im Dezember 1975 im Zusammenhang mit der Ausweisung des "Spiegel"-Journalisten Jörg Mettke geschrieben: "Für mich besteht kein Zweifel, dass die ARD die 'Hitparade' anführt, wir sind die Nächsten."
Auf seinen Fernsehkommentar folgte ein Gespräch am 22. Dezember im MfAA, bei dem Loewe mitgeteilt wurde, dass ihm mit sofortiger Wirkung die Akkreditierung entzogen sei: wegen "grober Diffamierungen der Deutschen Demokratischen Republik, wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR sowie wegen Nichteinhaltung von Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften der DDR".
Gescheiterte Einflussnahme
Die Ausweisung Lothar Loewes war ein Zeichen für die gescheiterte Einflussnahme des MfS: Man konnte die Berichterstattung des ungeliebten Korrespondenten nicht in DDR-freundliche Bahnen lenken – also musste er die DDR verlassen. Dieses Scheitern war institutionell bedingt, denn bereits der Auftrag der SED-Führung an die Abteilung Spionageabwehr des MfS, die Arbeit der staatlichen Organe mit Journalisten aus der BRD anzuleiten, zeigt, dass der Staatssicherheitsdienst hinter jedem westlichen Korrespondenten auch einen Spion vermutete. Die Arbeit der Hauptabteilung II war darauf ausgerichtet, Menschen zu behindern, zu zersetzen und zu blockieren. So ist es nicht verwunderlich, dass die HA II diese Methoden auch auf Journalisten anwandte und daher inhaltlich kaum Einfluss auf deren Arbeit nehmen konnte.
Darüber hinaus hatte die SED-Führung ein vollkommen irriges Bild von der Arbeitsweise der ausländischen Korrespondenten: Ausgehend von der eigenen Praxis, Journalisten im In- und Ausland zu reglementieren, zu steuern und geheimdienstlich tätig werden zu lassen, erklärte sich die SED-Führung die Funktionsweise der West-Medien spiegelbildlich.