Einleitung
Ein Mitarbeiter des Zentralorgan des ZK der SED "Neues Deutschland" verteilt am 7.6.1971 auf dem Berliner Alexanderplatz ein Extrablatt. Darin wird über die erste bemannte Orbitalstation der UdSSR berichtet.
Gunter Holzweißig hat den SED-Chefs im System der Anleitung und Kontrolle der DDR-Medien eine zentrale Rolle zugeschrieben und Unterschiede lediglich auf den jeweiligen Führungsstil zurückgeführt. Walter Ulbricht und Erich Honecker hätten sich "mit ähnlicher Intensität als 'General-Chefredakteure'" betätigt, und Honecker habe sich sogar die Zeit genommen, eigenhändig "Kommentare und Artikel zu verfassen oder zu redigieren".
Holzweißig hat dieses eher ungewöhnliche Vorgehen weder begründet (Ausnahme: "Herrschaftssicherung") noch die Quellenbasis offen gelegt, auf die sich seine These stützt. Welche Rolle spielten die Generalsekretäre tatsächlich hinter den Kulissen der Medien? Wo und wann griffen sie in die Berichterstattung ein, und warum nahmen sie sich überhaupt die Zeit für ein Gebiet, das aus Sicht der Weltenlenker eher randständig zu sein scheint? Zugespitzt formuliert: Hatte der erste Mann im Staat nichts Wichtigeres zu tun? Und: Sollte es hier wirklich keine Unterschiede zwischen Ulbricht und Honecker gegeben haben? Diese Fragen sind nicht nur deshalb relevant, weil die Medien in der DDR nicht losgelöst vom politischen System betrachtet werden können, sondern auch weil die DDR-Geschichtsschreibung genau wie die Erinnerungen von Zeitzeugen vom Ende geprägt ist. "Honecker war in dieser Hinsicht ein Fanatiker", schrieb Günter Schabowski, 1978–1985 Chefredakteur des SED-Zentralorgans "Neues Deutschland" ("ND"): "Er hatte mehrere Hobbies, und ein Hobby war die Zeitung".
Während Studien zu DDR-Medien normalerweise mit Propaganda-Theorien arbeiten
Um diese Idee nachvollziehbar zu machen, wird zunächst das theoretische Konzept der politischen PR skizziert. Die Untersuchung selbst stützt sich dann auf Archivalien des Bundesarchivs in Berlin und Zeitzeugenbefragungen mit Journalisten und Medienfunktionären der DDR (Teil 3). Die Abschnitte vier bis sechs blicken auf die Medienarbeit von Ulbricht und Honecker. Das letzte Kapitel führt die Ergebnisse vor dem Hintergrund des PR-Konzepts zusammen.
Medienlenkung als politische PR
14. Juni 1983, ein Dienstag. Ein Tag wie viele im "Großen Haus", dem Sitz des SED-Zentralkomitees. Um 10 Uhr morgens tagte das Politbüro. Auf der Tagesordnung standen 18 Punkte – von der Planung einer Polen-Reise Honeckers über den anstehenden Staatsbesuch des UNO-Generalsekretärs Javier Perez de Cuellar bis zur Erhöhung der "Trabant"- und "Wartburg"-Produktion
Über die Medien sollte nichts in die Öffentlichkeit gelangen, was den Zielen der Führung zuwider lief und dem Westen in die Hände spielen konnte. Auch die Meldung zu den Kugellagern erklärte Honecker aus diesem Grund zur Chefsache. "Die reaktionären Kreise" würden alles versuchen, Exporte aus der DDR zu verhindern, und Meldungen wie diese nutzen, die "politischen Bedingungen" so zu ändern, dass die DDR als Lieferant ausgeschaltet werde, argumentierte Günter Mittag, ZK-Sekretär für Wirtschaft.
Deshalb wird hier vorgeschlagen, die Anleitung der Medien in der DDR als politische PR zu verstehen. Klaus Merten hat Public Relations als "Differenzmanagement zwischen Fakt und Fiktion" definiert und PR-Fachleute als "professionelle Konstrukteure fiktionaler Wirklichkeiten" beschrieben, die danach streben, "Sachverhalte stets in positiver Tönung" darzustellen – letztlich mit dem Ziel, "die Wahrnehmung der Öffentlichkeit in ihrem Sinne zu manipulieren".
Das Konzept des Differenzmanagements öffnet zudem den Horizont für mögliche Veränderungen im Mediensystem (die Propaganda-Theorien völlig ausblenden) und könnte Erklärungen dafür liefern, warum Honecker kleinste Details der Medienlenkung selbst übernahm, Ulbricht dagegen Zeitzeugen zufolge die Alltagsarbeit weitgehend seinen Agitationssekretären Albert Norden (1955–1967) und Werner Lamberz (1967–1978) überließ.
Quellen
Die vorliegende Untersuchung stützt sich neben der einschlägigen Literatur auf zwei wesentliche Quellen: Zunächst wurden Akten aus dem Bundesarchiv ausgewertet, die Aufschluss über die Medienarbeit der beiden SED-Chefs sowie ihrer Agitationssekretäre geben konnten. Dazu zählen die Büros von Albert Norden, Werner Lamberz und Joachim Herrmann sowie die Abteilung Agitation des SED-Zentralkomitees und das Büro von Günter Schabowski. Zum anderen wurden zwischen Juli 2009 und Juli 2010 insgesamt 31 teilstandardisierte Leitfadeninterviews mit ehemaligen DDR-Redakteuren und Funktionären aus dem Lenkungsapparat geführt, die auch Fragen zur Lenkungspraxis von Ulbricht und Honecker abdeckten.
Befragt wurden unter anderem Günter Schabowski, der ab 1968 bereits stellvertretender "ND"-Chefredakteur war und später als Politbüro-Mitglied (ab 1984) zum innersten Führungszirkel der Partei gehörte, Hans Modrow, der 1971–1973 die Abteilung Agitation leitete, Eberhard Heinrich, 1966–1980 hauptamtliches Mitglied der Agitationskommission beim Politbüro, 1967–1978 zusätzlich persönlicher Mitarbeiter von Werner Lamberz und ab 1980 Vorsitzender des Journalistenverbandes, Arnolf Kriener und Günter Böhme (beide Mitglieder der Agitationskommission), der "Junge Welt"-Chefredakteur Hans-Dieter Schütt sowie Werner Micke, Klaus Huhn (1952–1990 "ND"-Sportchef und schon durch seine Herkunft aus einer kommunistischen Familie mit einem engen Draht zur Parteispitze) und Ralf Bachmann (ADN-Korrespondent und zum Schluss stellvertretender Generaldirektor der Nachrichtenagentur).
Ist die Quelle Zeitzeuge ohnehin immer problematisch (weil die Erinnerung durch die Interessen der Gegenwart und den Wunsch nach Legitimation verzerrt wird), verstärkt sich dieser Zweifel bei Befragungen von DDR-Eliten, weil diese nicht nur um ihren Platz in der Geschichte kämpfen, sondern zugleich gegen ein Meinungsklima, das ihre Niederlage feiert, ihnen am liebsten das Wort verbieten würde und kaum Differenzierungen zulässt. Für die vorliegende Untersuchung spricht, dass sie Quellen kombiniert (die Aktenüberlieferungen konnten zum Teil auch in die Interviews eingebracht werden) und dass sie sehr unterschiedliche Zeitzeugen einbezieht. Während Schabowski oder Schütt nach 1990 mit sich selbst hart ins Gericht gegangen sind, lobt Huhn noch heute auf DKP-Veranstaltungen die DDR.
Strukturarchitekt Ulbricht
Eine erste Bilanz, die sich aus den Akten ziehen lässt: Walter Ulbricht war der Mann der Kommissionen. Er setzte vor allem auf Sachverstand und Expertise. In den 1950er- und 1960er-Jahren gab es eine Vielzahl an Beratungsgremien (meist direkt auf Geheiß des SED-Chefs gegründet), die dem Politbüro in politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fragen zur Seite standen. Eberhard Heinrich sagte, Ulbricht seien die Ideen aus dem Partei- und Staatsapparat "zu eng" gewesen. Deshalb habe er "Kommissionen für die Wissenschaft mit wirklich führenden Wissenschaftlern, für die Wirtschaft mit Spitzenleuten aus Betrieben oder für die Jugend mit Querdenkern" besetzen wollen.
Mit den sensiblen Bereichen Medien und Journalismus wurde nicht anders verfahren, zumal die KPD bereits in der Weimarer Republik zeitweise eine Agitationskommission hatte – eine Struktur, die Ulbricht in den 1950er-Jahren wieder belebte und die (zumindest formal) bis 1989 fortbestand. Als Beratungsgremium für das Politbüro hatte diese Kommission keine administrative Vollmacht. Der ZK-Sekretär für Agitation, dem die Kommission formal unterstand, konnte selbst entscheiden, welche Vorschläge des Gremiums er tatsächlich umsetzen wollte. Diese Aufgabe übertrug Ulbricht seinem Vertrauensmann Albert Norden, der in der KPD-Presse den Journalismus kennen gelernt und dann im US-Exil auch die "andere Seite" (die "bürgerliche" Presse) gesehen hatte, bevor er 1946 nach Deutschland zurückgekehrt war.
Die Agitationskommission selbst setzte sich aus einer Handvoll hauptamtlicher und ehrenamtlicher Mitglieder zusammen, die die Elite des DDR-Journalismus repräsentierten: Gerhart Eisler, der 1949 aus den USA floh, 1950–1952 das Amt für Information leitete und nach einem Karriereknick 1956 Rundfunkchef wurde, Gerhard Kegel und Hermann Budzislawski, die bereits in der Weimarer Republik für die kommunistische Presse gearbeitet hatten, sowie Paula Acker (ab 1931 KPD-Mitglied) und Emil Dusiska, die beide im "Dritten Reich" politisch verfolgt worden waren und in der DDR mit Spitzenposten in den Medien dekoriert wurden. Ulbricht habe damals bewusst auf Leute zurückgegriffen, die "aus der kommunistischen Bewegung kamen und sich mit den Medien auskannten", so Hans Modrow. Diese Experten habe der Parteichef "einfach machen" lassen.
"Wir haben das getan, was zur Befriedigung der obersten Etage nötig war, und hatten sonst völlige Freiheit", sagte auch Arnolf Kriener, ab 1955 "ND"-Landwirtschaftsredakteur und ehrenamtliches Mitglied der Kommission. Dennoch sei man gut beraten gewesen, "Die Welt", den "Tagesspiegel", den "Kurier" und den "Telegraf" regelmäßig zu lesen. Ulbricht "hatte nach dem Krieg festgelegt, dass das die wichtigsten Zeitungen des Klassenfeindes sind. Auch im ND gingen die rum".
Walter Ulbricht (© Bundesarchiv, Bild 183-83911-0002 / Fotograf: o. Ang.)
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Walter Ulbricht (© Bundesarchiv, Bild 183-83911-0002 / Fotograf: o. Ang.)
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Walter Ulbricht stellt sich am 15.6.1961 deutschlandpolitischen Fragen. Die Pressekonferenz fand im Haus der Ministerien in Ost-Berlin statt. V.l.n.r.: Hermann Axen, Gerhard Kegel, Walter Ulbricht, Kurt Blecha
Die Akten bestätigen dieses Bild: Ulbricht war natürlich an vorderster Stelle daran beteiligt, die Medienstrukturen zu schaffen und die neuen Positionen mit loyalen Fachleuten zu besetzen, mischte sich aber eher selten aktiv in die Medienarbeit ein. Das schließt Kritik im Einzelfall nicht aus. Als sich die Agitationskommission am 14. März 1963 neu konstituierte, bestätigte Ulbricht in seiner Rede zwar die eigene Distanz zur Arbeit der Kommission ("Ich kenne den Apparat für die Agitation nicht so genau"), ließ aber eine Abrechnung mit dem Status quo des DDR-Journalismus folgen ("die Lage ist schlimm") und Empfehlungen zur Verbesserung der Journalistenausbildung. Zum Schluss hagelte es noch Kritik an einem Fernsehansager, der vor laufender Kamera seine neue (elektronische) Armbanduhr erwähnt hatte: "Hatte er die Genehmigung das zu sagen?", fragte Ulbricht in die Runde: "Diese Uhr ist momentan noch nicht in der Serienproduktion. Ich kontrolliere das selber. So wichtig ist die Sache".
Auch in der Westkommission gab sich der SED-Chef als "Spiritus rector". Dieses Beratungsgremium koordinierte die Arbeit in Richtung BRD. Dazu gehörte auch die Ausarbeitung aktueller Argumentationen für die Medien, die "ständig die Offensive gegenüber dem Gegner"
Solche Beispiele sind in der Summe der Akten dennoch eher Einzelfälle. In den Überlieferungen gibt es vor allem keine Hinweise, dass Ulbricht selbst Artikel verfasste, was später unter Honecker zur Regel werden sollte.
Medien-Kronprinz Honecker
Hier müsste eigentlich "ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, Kaderfragen und Leitende Parteiorganisation" stehen – Erich Honeckers Funktion ab 1958, die offensichtlich kaum etwas mit Medien zu tun hatte, ihn aber de facto zum zweitwichtigsten Mann im Staate machte und es ihm offenbar erlaubte, sich bereits als "Kronprinz" in die Medienarbeit einzumischen. Dass Honecker sich in Sachen Journalismus "für besonders qualifiziert" hielt, hat Günter Schabowski auf seine Jugend in der kommunistischen Bewegung zurückgeführt, wo Honecker als Korrespondent für das saarländische KP-Blatt "Arbeiterzeitung" geschrieben habe: "Er wähnte sich da auch den Genossen von den Bruderparteien überlegen und dachte, außer ihm habe niemand wirklich Ahnung von den Medien".
In den Akten finden sich bereits früh Spuren dieser Hybris: Im Januar 1963 leitete Albert Norden eine ursprünglich für Ulbricht bestimmte Hausmitteilung an Honecker um, in der er sich erkundigte, wer den neu geschaffenen Sektor Auslandspropaganda in der Abteilung Agitation leiten solle. "Wir [sehen] faktisch nur einen geeigneten Kandidaten: das ist der Genosse Werner Lambertz [sic]", so Norden: "Ich bitte Dich um Deine Zustimmung".
Erich Honecker (© Hubert Link / Bundesarchiv, Bild 183-L0425-0041)
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Erich Honecker (© Hubert Link / Bundesarchiv, Bild 183-L0425-0041)
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Erich Honecker 1972 im Interview mit dem Chefredakteur des "Neuen Deutschland", Joachim Herrmann (Mitte), und dem Chefredakteur der DDR-Nachrichtenagentur "ADN", Artur Mannbar (rechts).
Während man diese Fälle immerhin noch dem Bereich "Kaderfragen" zuordnen kann, fehlt bei folgendem Beispiel jede Erklärung, warum ausgerechnet der Sicherheitssekretär im ZK und nicht zuerst Norden oder sogar Ulbricht informiert wurden: Im November 1963 schickte Rudolf Singer, Leiter der ZK-Abteilung Agitation, ein Schreiben an Honecker, in dem er sich über das Stadtgericht Berlin beschwerte, welches es nicht für notwendig erachtet habe, zu einem Mordprozess "die Berliner Presse einzuladen und in Absprache mit der Bezirksleitung und der Agitationskommission die Berichterstattung vorzubereiten".
Mit dem zunehmenden Machtgewinn in der Partei unterhöhlte Honecker auch Ulbrichts Autorität in der inhaltlichen Medienlenkung. Als der SED-Chef im Herbst 1965 auf einer Delegationsreise durch die UdSSR in Jerewan ad hoc über Unstimmigkeiten zwischen Moskau und Ost-Berlin in Wirtschaftsfragen sprach, gaben Erich Honecker und Günter Mittag den anwesenden DDR-Journalisten "sofort" zu verstehen, dass "diese Rede für die Berichterstattung keine Rolle zu spielen habe." Laut Harri Czepuck ließ Honecker 1969 auf der Internationalen Konferenz der Kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau hinter Ulbrichts Rücken sogar einen "ND"-Artikel widerrufen, den der Parteichef ausdrücklich angeordnet hatte. Stattdessen erschien im Zentralorgan auf Weisung des Kronprinzen "eine ganze Seite über mangelnde Angebote in DDR-Läden, z. B. über Fahrräder für Jugendliche".
General-Chefredakteur Honecker
Die vermutlich wichtigste strukturelle Veränderung, die mit dem Wechsel an der Parteispitze 1971 verbunden war, ist der Bedeutungsverlust der Kommissionen, die unter Ulbricht entstanden waren. Während die Westkommission völlig aus den Akten verschwindet, existierte die Agitationskommission nur noch "pro forma". Bereits in den 1970er-Jahren wurde das einstige Beratungsgremium zu einer Art Relaisstation für Honeckers Anweisungen umfunktioniert, die der Agitationssekretär im Anschluss an die Politbüro-Sitzung einem kleinen Kreis an Spitzenjournalisten weiterreichte. Zugleich säuberte Honecker den Medienapparat von Leuten, die bekanntermaßen Ulbricht-Anhänger waren: zum Beispiel Eberhard Heinrich (1980 abgeschoben in den Journalistenverband) oder Harri Czepuck (Heinrichs Amtsvorgänger im Verband und "Honecker ein Dorn im Auge"
Erich Honecker korrigierte diese ADN-Meldung und leitete sie dem SED-Pressechef Joachim Herrmann zu. Oben rechts Honeckers Paraphe "EH". (© Bundesarchiv, BArch DY30/IV 2/2.037/2, Bl. 57)
Erich Honecker korrigierte diese ADN-Meldung und leitete sie dem SED-Pressechef Joachim Herrmann zu. Oben rechts Honeckers Paraphe "EH". (© Bundesarchiv, BArch DY30/IV 2/2.037/2, Bl. 57)
Im Arbeitsalltag sah das so aus: Morgens ließ sich Herrmann sogenannte "Angebotsmeldungen" vom ADN schicken. "Das war eine breite Palette. Zwei Dutzend Meldungen", so Ralf Bachmann: "Wir haben überlegt, wie das im ZK am besten durchkommt". Beim Mittagessen ging Herrmann die Meldungen dann mit Honecker durch, der diese entweder absegnete, modifizierte oder verwarf (Stichwort "Serviettenjournalismus").
Honeckers Medienlenkungsstil kann nicht nur an der ADN-Meldung zu den Kugellagern festgemacht werden. Als Generalsekretär verfasste er sogar selbst Kommentare ("Da stand dann A bis Z drunter"
DDR-Medienlenkung im Wandel – eine Bilanz
Warum veränderte sich die Anleitungspraxis von Ulbricht zu Honecker? Während der eine die aktive Medienarbeit seinen Spitzenjournalisten überließ und sich hauptsächlich um strukturelle Fragen und die ideologische Linie kümmerte, verfasste der andere sogar kleinste Meldungen selbst. Die Antwort allein auf den Führungsstil zu schieben, mag verlockend sein – während Ulbricht für seine "Anhänger" der "durchaus aufnahmebereite Zuhörer" war
Der wichtigste Befund aus Akten und Zeitzeugeninterviews: Die Medienlenkung veränderte sich von einer Nachzensur unter Ulbricht (Kritik an Medieninhalten) in eine Vorzensur unter Honecker, der sich bereits als "kommender Mann" in die Medienarbeit einmischte und sich dann als Generalsekretär sogar ADN-Meldungen und Seitenspiegel des "ND" vorlegen ließ, damit am nächsten Tag keine unangenehmen Überraschungen blühten. Damit kultivierte Honecker bei Medienfunktionären und Chefredakteuren zugleich eine Rückversicherungsmentalität.
Vor dem Hintergrund des theoretischen Konzeptes, Medienlenkung in der DDR als politische PR zu beschreiben, die sich an den aktuellen Interessen der Führung orientierte, kann dieser Wandel mit der veränderten innen- und außenpolitischen Konstellation erklärt werden. In den 1950er- und 1960er-Jahren war die DDR noch weitgehend isoliert und ein "Experimentierfeld". Ulbricht richtete Kommissionen ein, die in aller Ruhe Konzeptionen ausarbeiten und Diskussionen führen konnten. Die Welt war überschaubar in zwei Lager eingeteilt – das "Böse" im Westen, das "Gute" im Osten. Unter Honecker mussten diese Strukturen zwangsläufig an Bedeutung verlieren, weil die Welt mit der internationalen Anerkennung der DDR nicht nur komplexer und schneller wurde, sondern sich auch nicht mehr so leicht in das Freund-Feind-Schema pressen ließ. "Selbst die finstersten Länder" sollten plötzlich positiv in den Medien dargestellt werden – weil sie die DDR völkerrechtlich anerkannt hatten.
Die Folgen waren fatal: Der Medienapparat verlor unter seiner Ägide auf allen Ebenen an Autonomie. Der Verzicht auf einen Journalismus, der Informationen nach professionellen Kriterien verarbeitet (und nicht nach den wechselnden Interessen und Präferenzen der Partei- und Staatsführung), nahm den Medien die Orientierungsfunktion, die mit Blick auf die Komplexität der politischen Lage jetzt viel nötiger war als in der Ulbricht-Zeit. Der erste Mann im Staat redigierte Meldungen über Kugellager, diskutierte über den Seitenspiegel einer Zeitung und schrieb Leitartikel, statt sich um die Probleme selbst zu kümmern. Sogar ein Bildband zum 30. Gründungsjubiläum der DDR 1979 wäre fast an diesem System gescheitert. Honecker lehnte alle Entwürfe ab. Erst Klaus Huhn begriff, "was er eigentlich will": eine "Hochglanzwerbung für die DDR". Beim Termin mit Honecker und Herrmann sei es nur noch darum gegangen, "wie oft die Politbüromitglieder auftauchen müssen". Honecker habe sich das eine Bild vom Parteitag angeschaut und gesagt, seinetwegen genüge das, berichtet Huhn: "Hinterher haben sich alle möglichen Leute beschwert. Ich konnte immer sagen, geht zu Honecker".