Nigeria lag für die DDR immer im Schatten ihrer afrikapolitischen „Schwerpunkte”, wie Ghana, Angola oder Ägypten. Ihre punktuellen Sport-Kontakte dorthin zeigen aber, wie der SED-Staat seine Afrika-Verbindungen zu erweitern versuchte und mit den dortigen sportpolitischen Interessen verknüpfte. Die Allafrikaspiele vor 50 Jahren (Anfang Januar 1973 in in Surulere nahe Lagos)
Nichtstaatliche Annäherungsversuche
Auch wenn sich die DDR Afrika erst 1960 strategisch zuwandte (als dort 17 Staaten unabhängig wurden) und das Politbüro der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) erstmals am 4. Januar 1960 ein Konzept dazu beschloss,
Agierte der eine Verband im Auftrag der Partei als nationaler Jugendbund, hatte der andere für die SED im Betriebswesen den Zugriff auf die Werktätigen zu sichern. Zudem fungierten FDGB und FDJ zunächst als Träger des ersten landesweiten Sportbundes der DDR, dem Deutschen Sportausschuss (DS). Doch erst 1957 erhielt der DDR-Sport mit dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB), der den DS ersetzte und neben dem Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport (StaKo) bestand, seine finale Struktur. Ihm gegenüber hatten die 1945 beziehungsweise 1946 gegründeten FDGB und FDJ also gut eine Dekade „Vorsprung”, was ihre Verbandsentwicklung und ihre Auslandsexpertise betraf, die sie durch ihre Abteilungen für internationale Verbindungen (Abt. IV) bereits besaßen.
Dem trug der erste Afrika-Beschluss des Politbüros Rechnung. Zwar sollte der DTSB künftig für öffentlichkeitswirksame Fußballländerspiele mit afrikanischen Nationalmannschaften sorgen. Den Auftrag aber in seiner Abt. IV eine Sektion Afrika zu bilden, erhielt er nicht. Stattdessen hatte zunächst die FDJ ihr Netzwerk um afrikanische Funktionäre und Jugendverbände zu erweitern. Ganz ähnlich der FDGB, der schon mit Gewerkschaften Afrikas in Kontakt stand, so mit dem kontinentalen Gewerkschaftsbund Schwarzafrikas, der für die DDR einen Knotenpunkt zu nationalen Gewerkschaften in Afrika darstellte. So konnte die SED-Führung trotz westdeutscher
Werben in Westafrika
Schon vor diesem Beschluss hatte das MfAA Nigeria bedacht, so in einem Report seines Afrika-Referates zur kulturellen Auslandsarbeit von August 1959. Geplant war, die über die FDJ und den FDGB geknüpften Bezugspunkte zu den frankophonen Ländern Westafrikas (unter anderem zu Mali) speziell über Guinea auszubauen, wo seit Februar 1959 – wie im bereits unabhängigen Ghana – eine Handelsmission der DDR bestand. So hoffte sie, in der Region auch mit perspektivisch unabhängig werdenden anglophonen Ländern wie Nigeria (das noch unter britischer Herrschaft stand) Kontakte anzubahnen. Geschehen sollte das durch mehr Öffentlichkeitsarbeit vor Ort „besonders über unsere Sportbewegung”, wofür das MfAA noch für 1959 53.000 Deutsche Mark (der Deutschen Notenbank der DDR) einplante.
Subventionen gegen Anerkennung
Obige Aspekte aufnehmend, forderte SED-Chef Walter Ulbricht von der Außenpolitischen Kommission des Politbüros im November 1959 einen Afrika-„Gesamtplan”,
Neuland Nigeria
In den Blick der DDR geriet Nigeria erstmals Ende 1949 nach dortigen Streiks, bei denen 21 Bergarbeiter durch Schüsse britischer Polizisten starben. FDJ und FDGB griffen das Massaker auf, um die DDR in Abgrenzung von westlichen Kolonialmächten afrikapolitisch zu positionieren. Während der FDGB Nigerias Gewerkschaftskongress kontaktierte, bot die FDJ dem Arbeiterbund Nigerias elf Studienplätze in der DDR ab 1951 an.
Bei den Akademischen Sommerspielen der Weltjugendfestspiele 1951 in (Ost-)Berlin traten neben Tunesien und Marokko auch Ägypten, Südafrika und Nigeria an. Derlei Länderkämpfe waren enorm wichtig für die junge DDR. Denn „wenn die Fahnen der einzelnen Nationen für ihre Sieger emporgezogen werden, soll die Fahne der DDR nicht unentfaltet bleiben“, so Edith Baumann, damals Sekretärin für Sport im SED-Zentralkomitee (ZK) und Ehefrau Erich Honeckers, der FDJ-Vorsitzender war. Der Sport, so Baumann, hatte die DDR „würdig zu vertreten“ und ihren „Anschluss an den internationalen Leistungskampf“ herzustellen.
Internationale Verbände im Hinterkopf
Damit verband sich für die DDR ein weiteres Thema. Denn von den 1951 in (Ost-)Berlin startenden Staaten Afrikas waren Ägypten (seit 1910), Südafrika (seit 1908) und Nigeria (seit 1951) mit ihren jeweiligen Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) vom Internationalen Olympischen Komitee (IOK) anerkannt und dort auch mit ihren persönlichen Mitgliedern vertreten. Nicht zuletzt, um als Commonwealth-Mitglieder britische Einflüsse zu lancieren.
Das IOK erkannte 1955 das NOK der DDR aber nur begrenzt an, mit der Auflage einer weiterhin neutralen gesamtdeutschen Olympiamannschaft (ohne DDR-Hymne und -Flagge). Folglich gelang der DDR nur schrittweise der Eintritt in die Weltverbände einzelner Sportarten (bis 1963: 45). Dafür brauchte sie das Wohlwollen gewichtiger Mitgliedstaaten, wie es England, Südafrika und Nigeria etwa im Internationalen Leichtathletikverband waren, der die DDR 1956 ebenso mit den genannten Vorbehalten aufnahm.
In der DDR berichtete fortan das Magazin „Der Leichtathlet” auch über nigerianische oder südafrikanische Wettkampfresultate, ungeachtet der sich weltweit zuspitzenden Debatte über Südafrikas Apartheid. Erst als Südafrika deshalb von den Olympischen Spielen in Tokio 1964 suspendiert wurde, tauchten südafrikanische Leistungen dort nicht mehr auf.
„Untergrabung” der Hallstein-Doktrin
Parallel dazu blieb der 1960er-Afrika-Plan der DDR ein Strohfeuer. Bis 1962 besaß sie in Afrika nur sieben Konsulate oder Handelsmissionen. Derweil schlug Nigeria aus Sicht der SED seit seiner Unabhängigkeit (1960) einen „kapitalistischen Entwicklungsweg” ein. Dabei betrieb das Land eine Pendeldiplomatie zwischen Ost und West. Einerseits besaß es mit der Bundesrepublik bereits Verträge unter anderem in den Branchen Finanzen, Handel, Militär und Seefahrt. Andererseits unterhielt es diplomatische Beziehungen zu sozialistischen Staaten wie Polen, Ungarn und zur Sowjetunion (UdSSR), mit der auch ein Handelsabkommen bestand.
Seit 1962 standen daher Handelsbeziehungen mit der DDR im Raum. In jenem Jahr hatte ihr Export nach Nigeria (unter anderem Textilien und Metallwaren) einen Umfang von 4,3 Millionen Valutamark (VM, konvertierbare Devisen); der Import in die DDR (unter anderem Kakaobohnen, Edelhölzer, Ölfrüchte wie Erdnusskerne) betrug knapp 2 Millionen VM. Mit dem Ziel, den Export speziell durch den Verkauf von Maschinen zu erhöhen, nahm das Politbüro Nigeria 1964 in sein Handelskonzept für Afrika auf – immer mit dem Ziel, so die Hallstein-Doktrin „weiter zu untergraben”.
Drehscheibe Deutsches Turn- und Sportfest
Während FDJ und FDGB zum Beispiel mit Vorstandsreisen oder über ihre Hochschulen in Bogensee und Bernau (die Fortbildungen und Studienplätze anboten) weiter versuchten, die DDR in Nigeria „ins Spiel” zu bringen, wollte das MfAA mit Ländern, die sich wie Nigeria der DDR gegenüber reserviert gaben , zumindest Einzelprojekte realisieren, um „allmählich die Voraussetzungen für den Abschluss von Abkommen zu schaffen“.
Auch mit Nigeria waren diese bisher selten, so gab es etwa ab 1961 ein Sportlehrerstudium eines Nigerianers an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) oder die Einladung nigerianischer Offizieller 1963 zum Deutschen Turn- und Sportfest nach Leipzig, das für die DDR eine internationale sportpolitische Kontaktbörse war. Dort wollte man mit zehn Staaten Afrikas das Thema Sport beraten. Das involvierte StaKo wollte aber die Reisekosten nur für die Funktionäre jener Länder tragen, deren „Aufenthalt in der DDR die Förderung der kulturellen Beziehungen zwischen beiden Staaten bewirken dürfte.“
Chaos in Westafrika
Im Januar 1966 putschten sich Militärs in Nigeria an die Macht. Ethnische und religiöse Spannungen entluden sich zwischen Muslimen und Christen. Nachdem im Mai 1967 Separatisten im christlich geprägten Ostnigeria die Republik Biafra ausriefen, kam es zu einem grausamen Bürgerkrieg, der erst im Januar 1970 mit der Kapitulation Biafras endete. Während die Bundesrepublik Biafra humanitär beistand (und Nigeria weiter Entwicklungshilfe zahlte), unterstützten Großbritannien und die UdSSR Nigeria mit Waffen.
Die DDR gab sich „als echter Freund Nigerias” aus. Der Krieg war für sie ein „Spaltungsversuch des Imperialismus” und ein „Eindringen westdeutscher Monopole” in das erdölreiche Biafra.
Zudem suchte sie im anglophonen Westafrika plötzlich einen neuen Partner, da es in ihrem Schwerpunktland Ghana in unmittelbarer zeitlicher Nähe im Februar 1966 ebenfalls zu einem Militärputsch gekommen war, der unter anderem die Aufbauhilfe für den ghanaischen Geheimdienst durch die Staatssicherheit enttarnte und zur Schließung der Handelsmission der DDR in Accra führte (bis 1969). Verstärkte Einflusskanäle in Nigeria waren daher gefragt. Als nach einem weiteren Putsch in Westafrika 1969 in Mali die in jenem Jahr dort geplanten Allafrikaspiele auf 1973 verschoben und nach Nigeria verlegt wurden, bot sich über den Sport die Chance dazu.
Nigeria plötzlich im Fokus
Ausrichter der Allafrikaspiele war der Oberste Afrikanische Sportrat (OASR). Über ihn als Kontinentalbund wollte die DDR vor allem die NOKs der afrikanischen Länder für sich gewinnen, von denen bis 1972 35 zu IOK-Mitgliedern wurden. Das hatte ihr schließlich 1968 den Auftritt ihrer Mannschaft mit eigener Flagge und Hymne erstmals bei Olympia 1972 in München gewährt. Mit diesem Rückenwind wollte die DDR nun ihre reguläre Mitgliedschaft auch in den internationalen Sportfachverbänden vollends durchsetzen und vor allem weltweit weiteren Beistand für ihre diplomatische Anerkennung generieren.
Afrikas Votum war dabei nicht zu unterschätzen. Auch deshalb richtete der DTSB schließlich 1969 in seiner Abt. IV einen Afrika-Stab ein. Als Nigeria in jenem Jahr die Organisation der Allafrikaspiele für 1973 übernahm, wurde der Generalsekretär seiner Nationalen Sportkommission, Abraham Ordia, OASR-Präsident und so zur Schlüsselfigur für die DDR. Sie hoffte, über ihn einen Verbandspakt zwischen DTSB und OASR sowie ein Sportabkommen mit Nigeria zu erreichen (zumal ein Handelsvertrag weiter ausstand).
Für den DTSB war Nigeria nun wichtig. So trainierten 1971 mehrere Auswahlteams Nigerias (Hockey, Boxen, Leichtathletik) in der DDR. Im November 1971 beschloss der DTSB weitere Projekte.
Die Boxstaffel Nigerias trat ab 1973 fünf Mal beim Internationalen Boxturnier des TSC Berlin an und empfing die DDR 1975 zu zwei Länderkämpfen. Sogar die Armeesportvereinigung Vorwärts griff ein. Sie konzipierte die Choreographie für die Eröffnungsschau der Allafrikaspiele mit Musik und Tanz und studierte diese vor Ort ein. Ordia selbst nahm 1971 in der DDR an einem internationalen Funktionärskurs teil und schilderte im Auslandsmagazin des DTSB das gemeinsame Interesse von Afrika und DDR, indem er betonte, einst kolonialisierte und nun souveräne Länder sollten im Sport stets mit eigener Hymne und Flagge auftreten.
Doppelpass mit Moskau
In Afrika agierte die DDR fast immer in Rückkopplung mit sowjetischen Interessen. Das geschah schon deshalb, weil sie dort nach wie vor diplomatisch kaum präsent war und deshalb in Ländern wie Nigeria oder Kamerun (in dessen Hauptstadt Jaounde sich der Sitz des OASR befand) sowjetische Strukturen nutzte. Die Organisation von Reisen oder Flugtickets wurde daher oft über die afrikanischen Botschaften in Moskau und die Botschaften der UdSSR in Afrika abgewickelt, die DDR-Gesandten als Anlaufstellen dienten. Dass es dabei auch um gemeinsame Interessen ging, zeigt der Besuch von DTSB-Vizepräsident Günther Heinze im Oktober 1971 in Jaounde. Er traf sich dort mit OASR-Offiziellen in der sowjetischen Botschaft, unter anderem um abzusichern, dass der OASR die anstehende Bewerbung Moskaus um die Olympischen Spiele 1980 im IOK unterstützen würde.
Diesen Doppelpass illustriert eine weitere Episode: Über die Botschaft der UdSSR in Lagos gelangte im Juni 1972 Nigerias Wunsch nach einem Fußballspiel in der DDR zu Vize-Außenminister Ewald Moldt. Er gab die Bitte auf „Empfehlung der sowjetischen Genossen“ an den DTSB weiter, da „die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zu Nigeria seit langem ein Schwerpunkt unserer Afrikapolitik ist“. Moldt hoffte, durch das Spiel (das nicht zustande kam) mit Nigerias Armeegeneral Henry Adefope ein „politisches Gespräch” führen zu können. Weniger, weil dieser zugleich NOK-Präsident Nigerias war und als solcher die Olympia-Delegation Nigerias in München anführen würde. Relevanter war, dass er Mitglied des in Nigeria herrschenden Militärrates war, bei dem die DDR weiter um ihre diplomatische Anerkennung buhlen musste.
Bundesdeutsche Zwänge
Seit der Vergabe der Olympischen Spiele 1966 nach München hatte sich die deutsch-deutsche Sportrivalität in Afrika enorm intensiviert,
So sorgte diese vor dem Kontinentalturnier für die Ausbildung afrikanischer Schiedsrichter, entsandte 1970/71 Heinz Marotzke als Fußballnationaltrainer nach Nigeria, plante den Aufbau eines sportmedizinischen Zentrums in Lagos und verlegte im dortigen Wettkampfstadion eine moderne Kunststofflaufbahn. Nigerias Offizielle waren in ihren Forderungen gegenüber beiden deutschen Staaten nicht zimperlich. So eruierten sie in ihrem Gespräch mit DTSB-Vizepräsident Heinze im Oktober 1971, ob die DDR in Lagos nicht gleich eine ganze Sportgerätefabrik bauen könne. Dieser fiel nun immer öfter ihr weiter wachsender sportlicher Erfolg in der Weltspitze auf die Füße, der bei afrikanischen Staaten Erwartungen weckte, die sie nicht erfüllen konnte.
Auch das trug dazu bei, dass die Beziehungen des DDR-Sports nach Nigeria (wo noch bis 1978 der Ausnahmezustand galt) nach den Allafrikaspielen 1973 allmählich wieder an Schwung verloren. Zwar hatte der DTSB noch vor Ort die erhoffte Kooperation mit dem OASR signiert (bis 1978), der für die DDR vor den Olympischen Spielen 1976 in Montreal (die Afrika boykottierte) und 1980 in Moskau in afrikapolitischen Fragen wichtig blieb. Vor allem, da ihr Vertrauter Ordia noch bis 1983 Präsident des OASR war, kam es noch zu einigen Sportkontakten mit Nigeria, das 1979 Teilnehmerplätze für einen internationalen Sportärztekurs und 1980 für ein Trainingslager zur Olympiavorbereitung (Boxen, Leichtathletik) in der DDR erhielt.
Doch ein staatliches Sportabkommen zwischen beiden Ländern hatte Nigeria immer wieder hinausgezögert. Und bald war die DDR nicht mehr zwingend darauf angewiesen, da ihr der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag mit der Bundesrepublik 1972 und ihre sich für den Herbst 1973 abzeichnende Aufnahme in die Vereinten Nationen die lang ersehnte internationale Anerkennung bescherten. Vor diesen Hintergründen nahm Nigeria unmittelbar nach den Allafrikaspielen im Februar 1973 diplomatische Beziehungen zur DDR auf. Die nun wieder seltenen Sportkontakte der DDR zum ab 1983 erneut unter Militärherrschaft stehenden Nigeria, lagen somit abermals im Schatten ihrer afrikapolitischen Schwergewichte, die nun Angola, Mosambik oder Äthiopien hießen.
Zitierweise: Daniel Lange, "Turnschuhdiplomatie im Schatten: Der DDR-Sport und die Allafrikaspiele 1973 in Nigeria", in: Deutschland Archiv, 13.10.2023, Link: w.bpb.de/541656.