Einleitung
Jugendliche gelten als ebenso begehrte wie anspruchsvolle Zielgruppe, wenn es um den Absatz von Medien- und Konsumprodukten oder um die Reichweite der zugehörigen Werbung geht. Das Interesse an ihnen ist dabei in erheblichem Maße ökonomischer Natur. Andererseits speist es sich aber auch aus politisch-pädagogischen Intentionen – nicht zuletzt deshalb, weil Journalisten, Politiker und Erzieher in den Jugendlichen die gesellschaftlichen Entscheidungsträger von morgen sehen, denen sie einige Werte mit auf den Weg geben wollen.
Dabei war und ist es in beiden Fällen gar nicht leicht, "Jugend" zu definieren. Seit ihrer "Erfindung" in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterliegen die Parameter von Jugend, als eigenständiger und schutzbedürftiger Entwicklungsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, dem steten historischen Wandel.
Im Folgenden werden die Entwicklungslinien jugendbezogener Programmangebote im deutschen Hörfunk zwischen 1924 und den 1990er-Jahren nachgezeichnet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den 1950er- und 1960er-Jahren in der Bundesrepublik als einer programmgeschichtlichen Sattelzeit, in der sich für die weitere Entwicklung entscheidende Programminnovationen abzeichneten.
Bescheidene Anfänge: Kinder- oder Jugendfunk?
Die Anfänge jugendspezifischer Programmangebote im deutschen Hörfunk waren bescheiden. Zwar wiesen die Programme der meisten Rundfunkgesellschaften bereits kurz nach Aufnahme ihres regulären Sendebetriebs 1923/24 erste Sendungen auf, die sich erkennbar an Heranwachsende richteten, de facto handelte es sich bei diesen "Jugendvorträgen" jedoch um kaum mehr als kindgerechte Märchenstunden.
Allerdings ist bereits die Existenz solcher Sendungen bemerkenswert. Die Idee, Zielgruppenprogramme zu veranstalten, war zu diesem Zeitpunkt keineswegs selbstverständlich, sollte das neue Medium Hörfunk als volkspädagogisches Instrument doch prinzipiell "alle" Hörerinnen und Hörer gleichermaßen ansprechen, unterhalten, bilden und vor allem deren kulturelles Niveau heben.
Dass angesichts dieser erzieherischen Grundhaltung auch Kinder und Jugendliche in den Fokus der Programmverantwortlichen gerieten, erscheint folgerichtig. Jedoch fehlte es im ersten Jahrzehnt nach Aufnahme des regelmäßigen Sendebetriebs noch weitgehend an konkreten Vorstellungen, wer im Einzelnen mit solchen Programmen angesprochen werden sollte und wie diese dann zu gestalten seien. Eine verlässliche Hörerforschung gab es nicht. In Ermangelung eigener Traditionen orientierten sich die ersten Zielgruppensendungen im Hörfunk sowohl in inhaltlicher wie auch darstellerischer Hinsicht zunächst stark an den entsprechenden Segmenten im Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchmarkt sowie dem Theater, ehe eigene, hörfunkspezifische Formen entstanden. Die Nähe ging anfangs so weit, dass einzelne Verlage, wie etwa Ullstein oder Hackebeil im Falle der Berliner Funk-Stunde AG, kurzzeitig sogar eigene Sendungen beisteuerten. Die ersten kinderorientierten Beiträge im Berliner Rundfunk waren daher im Frühjahr 1924 in der "Ullstein-Stunde" zu hören gewesen.
Im Verlauf des Jahres nahmen alle regionalen Rundfunkgesellschaften Sendungen für Kinder in ihr Programm auf und entwickelten bis Ende der 1920er-Jahre peu à peu eigene Formate: Märchen-, Sagen- und Abenteuererzählungen sowie Kinderlieder für die "Kleinen", Jugendbühnenaufführungen literarischer Klassiker, Lesungen, belehrende und informierende Vorträge und Berichte zu technischen Basteleien, Musik, Geografie, Geschichte, Naturwissenschaften und Sport für die etwas "älteren".
Eine klare Definition von "Jugend" ist den ausgestrahlten Sendungen weiterhin nicht zu entnehmen. Entsprechend gab es inhaltliche Überscheidungen zum Frauenfunk und vor allem zum Schulfunk, dem zahlreiche erwachsene Zeitgenossen unterstellten, die jugendlichen Hörbedürfnisse ausreichend zu befriedigen. Wenig Gespür offenbarten auch die Kernsendezeiten am Nachmittag, die schulpflichtige und berufstätige Junghörer weitgehend ausschlossen. Erst Anfang der 1930er-Jahre hatte sich die Alterspanne zwischen dem 4. und 15. Lebensjahr als eigentliches Kernpublikum der Kinder- und Jugendprogramme herauskristallisiert – wobei durch die Emanzipation eines eigenständigen Jugendfunks bald auch ältere Jugendliche zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr in den Blick gerieten.
Diese Entwicklung lässt sich als Lern- und Professionalisierungsprozess des noch jungen Mediums Radio verstehen. Nach und nach wurden seinem akustischen Wesen entsprechende Darstellungsformen erschlossen und Programmangebote für immer spezifischere Hörergruppen entwickelt. Entsprechend gelang dem Radio – der damals allgegenwärtigen Wirtschaftskrise zum Trotz – bereits Anfang der 1930er-Jahre der Durchbruch zum führenden Massenmedium Deutschlands.
(Hitler-)Jugendfunk nach 1933
Im Zuge der (Selbst-)Gleichschaltungsmaßnahmen und angesichts des hohen Stellenwerts, den das neue Regime dem Hörfunk beimaß, geriet der Jugendfunk im Nationalsozialismus in den Einflussbereich von Reichsjugendführung, Hitlerjugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädel (BDM).
Vorbereitung einer Rundfunksendung, von links: der Komponist Heinrich Spitta, Gefolgschaftsführer Wolfram Brockmeier, Obergebietsführer Karl Cerff (Beauftragter der Reichsjugendführung in der Reichssendeleitung), Bannerführer Wolfgang Stumme (Leiter der Rundfunkspielschar der Reichsjugendführung) - veröffentlicht zur "Weltringsendung Jugend singt über die Grenzen" am 27.10.1935.
Die enge Bindung an HJ und BDM widerspiegelte sich im Programm deutlich. Die Aufgabe des (Hitler-)Jugendfunks, der dezidiert "Führer" und nicht bloß "Zeitvertreib der Jugend" sein sollte
Wie im restlichen Hörfunkprogramm sollte unterhaltsame Musik das Programm hörbarer machen und allzu derbe Propaganda kaschieren, wodurch diese letztlich aber viel nachhaltiger wirkte.
Erziehung der Jugend "zu selbst- und mitverantwortlichen Staatsbürgern" nach 1945
Nach der Befreiung Deutschlands spielte der Hörfunk in den Plänen der Alliierten für eine "re-education" bzw. "re-orientation" der Deutschen ebenfalls eine zentrale Rolle. In der Tat ist der Beitrag des Hörfunks zur allmählichen Rekonsolidierung der westdeutschen Gesellschaft unter demokratischen Vorzeichen beachtlich. So verbreitete das westdeutsche Nachkriegsradio, als das mit Abstand aktuellste und reichweitenstärkste Medium jener Zeit, einerseits das nötige Wissen über die neue demokratische Grundordnung und führte anderseits deren Spielregeln in neuartigen Sendungen, wie Kommentaren oder Diskussionsrunden, vor.
Zunächst hatte das den Briten unzerstört in die Hände gefallene Funkhaus in Hamburg Sendungen aus dem Fundus des deutschsprachigen Dienstes der BBC ausgestrahlt. Doch schon nach wenigen Wochen wurden vom Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) auch erste eigene Sendungen produziert. Die Priorität lag zunächst auf dem Schulfunk, der vor allem als Hilfsmittel der Lehrerinnen und Lehrer dem Mangel an politisch einwandfreien Schulbüchern Abhilfe leisten sollte. Mit dem Ausbau der Sendekapazitäten entwickelte sich bis 1946 aus dem Rahmen des Schulfunks aber auch wieder ein eigenständiger Jugendfunk, der insbesondere die "schulentlassene Jugend" zwischen dem 14. und 25. Lebensjahr ansprechen sollte. Andere Rundfunkanstalten wie der Südwestfunk (SWF), der Süddeutsche Rundfunk (SDR) oder der Bayerische Rundfunk (BR) zogen bald nach.
Dies entsprach einerseits einer generellen Anlehnung an die etablierten Programmstrukturen und Hörgewohnheiten. Anderseits spielte die gesonderte Ansprache bestimmter Hörergruppen nach 1945 gerade im Zusammenhang mit den Anstrengungen um eine Entnazifizierung und Demokratisierung der Deutschen eine gewichtige Rolle. Im postnazistischen Jugendfunk Westdeutschlands wurden die unterschiedlichsten Aspekte des Nachkriegsalltags und des jugendlichen Lebens thematisiert. So gab es regelmäßig Beiträge und Diskussionen über die Arbeit der Jugendverbände, die internationale Jugendbegegnung, den Komplex Ausbildung/Studium/Arbeitsmarkt, Jugendkriminalität, "Halbstarke" oder das "Generationenproblem". Auch das Thema Liebe sowie Freud und Leid in der Partnerschaft finden sich in zahlreichen Sendungen des Jugendfunks. Mehr denn je zuvor nahm der Jugendfunk Anteil an der jugendlichen Lebenswelt selbst.
Von Anfang an wurde aber auch die Behandlung zeitgeschichtlicher und aktueller politischer Fragen zu den zentralen Aufgaben des Jugendfunks gezählt. Die politische Bildung und Aktivierung der Jugend galt als Überlebensfrage der jungen Demokratie. In der Zeitschrift "Rufer und Hörer" plädierte der Pädagoge Paul Wallnisch 1951 daher dafür, mit dem Jugendfunk jene Jahrgänge anzusprechen, "die morgen schon das politische Klima in Deutschland bestimmen." Die Weimarer Republik sei vor allem deshalb gescheitert, weil es nicht gelungen sei, "die Jugend für die demokratische Staatsform zu gewinnen." Heute wisse man jedoch, so Wallnisch, dass "die Gewinnung der jungen Generation zu den ersten Anliegen der Demokratie" gehöre – schließlich könne sie "morgen zerschlagen [...], was heute aufgebaut ist."
Ziel war es also, mit dem Programmangebot des Jugendfunks die Kritikfähigkeit und das gesellschaftliche Engagement der Heranwachsenden zu fördern und auf diese Weise einen nachhaltigen Beitrag zum Aufbau der jungen westdeutschen Demokratie zu leisten. Dabei lassen sich vor allem drei inhaltliche Dimensionen unterscheiden: Erstens die Auseinandersetzung mit dem politischen System der Bundesrepublik und seinen freiheitlichen und demokratischen Prinzipien, zweitens die Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und drittens die Thematisierung des zeitgenössisch für Westdeutschland bzw. die westdeutsche Jugend als akute Bedrohung empfundenen Kommunismus auf deutschem Boden jenseits der Elbe.
Insbesondere der frühzeitige und differenzierte Umgang mit der Erinnerung und Bewältigung des schwierigen nationalsozialistischen Erbes ist hier hervorzuheben. Die Herausforderung bestand darin, den jugendlichen Hörern, die das "Dritte Reich" und den Zweiten Weltkrieg in zunehmendem Maße nicht mehr bewusst erlebt hatten und häufig weder in der Familie noch in der Schule ausreichend informiert wurden, das Wissen über das Ausmaß der Verbrechen zu vermitteln.
Der westdeutsche Jugendfunk erlebte hinsichtlich seiner öffentlichen Wertschätzung zur Mitte der 1950er-Jahre zweifelsohne eine Blütezeit. Begünstigt wurde dies durch die Zunahme politischer bzw. politisch bildender Beiträge. Durch die Einrichtung von Zweitprogrammen im Bereich der Ultrakurzwelle konnten zugleich die Sendezeiten des Jugendfunks ausgebaut, teilweise auch dem Tagesrhythmus der jugendlichen Hörer angepasst und vor allem neue Formate entwickelt werden. Schrittweise wurde die volle Bandbreite funkischer Darstellungsformen erschlossen: Hörspiele, Hörbilder bzw. "features", Berichte, Vorträge, Kommentare, Reportagen, Interviews, Diskussionen, Gespräche mit Jugendlichen im Studio – Programmelemente, die bis in die 1970er-Jahre die westdeutsche Radioklanglandschaft dominierten und bis heute zum Hörfunkrepertoire gehören.
"Ein Abend für junge Hörer" – "Weihnachten" 1956, eine Sendung im Rahmen des NDR-Jugendfunks, am Mikrofon: Wolfgang Jäger. (© Norddeutscher Rundfunk)
"Ein Abend für junge Hörer" – "Weihnachten" 1956, eine Sendung im Rahmen des NDR-Jugendfunks, am Mikrofon: Wolfgang Jäger. (© Norddeutscher Rundfunk)
Zudem nahmen unterhaltsame Elemente, eine jugendgerechte Ansprache und die Einbindung der jugendlichen Hörer in die Programmgestaltung immer mehr zu. Dabei waren die Redakteure peinlich darauf bedacht, nicht anbiedernd oder gar "berufsjugendlich" zu wirken, sondern die jugendlichen Gesprächspartner im Studio und vor dem Empfangsgerät ernst zu nehmen. "Da unsere heutige junge Generation im Gegensatz zur Jugend anderer Zeiten möglichst früh erwachsen sein möchte, ist sie skeptisch gegenüber allen Einrichtungen, die unter der Überschrift 'Jugend' laufen", konstatierte der langjährige Jugendfunkleiter des NWDR und des späteren NDR, Wolfgang Jäger, Ende der 1950er-Jahre auf Basis von Erkenntnissen der Hörerforschung. Der jugendliche Hörer verfolge nur das, was ihn interessiere, und achte weniger darauf, ob es sich dabei um eine Jugendsendung handele. "Wenn man also überhaupt Jugendfunk machen und sich nicht darauf beschränken will, in der Jugend statt einer Entwicklungsstufe eine Interessengruppe zu sehen, die man mit Nachrichten aus den Jugendverbänden und Reportagen von Jugendveranstaltungen befriedigt, musste also ein Weg gefunden werden, die jungen Hörer direkt anzusprechen."
Der schwierige Spagat zwischen freundschaftlicher Anleitung und "erwachsener" Bevormundung scheint in den meisten Fällen geglückt zu sein. Dies liegt, neben der sozialwissenschaftlichen Ergründung der Hörgewohnheiten, nicht zuletzt daran, dass im Jugendfunk neben den Redakteuren immer wieder auch Jugendliche selbst das Wort ergriffen. Sie waren als Verfasser von Hörerzuschriften, als Sprecher in Hörspielen, als Gesprächs- und Diskussionspartner im Studio, gar als Interviewer und Autoren sowie als Publikum im Studio an zahlreichen Sendungen beteiligt.
Von zentraler programmgeschichtlicher Bedeutung war der Start der Sendereihe "Abend für junge Hörer", die der NWDR/NDR seit dem 7. Mai 1954 bis ins Frühjahr 1990 hinein einmal im Monat ausstrahlte. Das innovative Konzept sah einen mehrstündigen und in aller Regel live im UKW-Programm gesendeten Themenabend vor. In bunter Abfolge nahmen sich die Radioredakteure in Berichten, Interviews, Diskussionsrunden, Features und Live-Hörspielen eines bestimmten, keineswegs ausschließlich jugendspezifischen Themas an, wie die deutsche Wiederbewaffnung (6.8.1954) oder die erste Liebe (7.10.1955); abgerundet wurde der Abend durch vorsichtig progressive Musikbeiträge, die das jugendliche Saalpublikum zum Tanz einluden. Die Sendung durchstieß das damals sonst übliche kleinteilige Programmschema, indem höchst unterschiedliche, thematisch in sich geschlossene, zehn- bis 30-minütige "Programmkästchen" aneinander gefügt wurden, und fand bei den Hörern großen Anklang, wie der damaligen Presseberichterstattung zu entnehmen ist. Die Programmzeitschrift "Hör Zu" lobte eine Woche nach der Pilotsendung, dass der NWDR mit der Reihe eine "frische Brise" ins Programm gebracht und "einen Schuss ins Schwarze getan" habe.
Der Süddeutsche Rundfunk hob am 12. Dezember 1955 mit den "Abenden mit dem Jugendfunk" eine nahezu identische Kopie aus der Taufe. Die Adaption sah eine stärkere Einbindung von Kabarett-Elementen vor und traf damit ebenfalls den Nerv der Hörerschaft.
Überaus innovativ waren auch Sendungen, wie die seit 1958 ausgestrahlten Reihen "Kleine Fische – selbst geangelt" (SDR) oder "Montagsschule" (NDR), in denen von Jugendlichen selbst verfasste Gedichte, Erzählungen und Essays, bisweilen auch von diesen auf Tonband aufgezeichnete eigene Hörspiele und Kompositionen vorgestellt wurden. Durch solche Formate wurde der Jugendfunk im Wortsinne zur "Stimme der jungen Generation": Erstens wurden Angelegenheiten von gesamtgesellschaftlicher Relevanz für die jugendlichen Hörer aufbereitet. Zweitens sollten die nicht-jugendlichen Hörer für die besonderen Schwierigkeiten und Sichtweisen der Heranwachsenden gewonnen werden. Und drittens konnten sich die jugendlichen Hörer auf diesem Weg selbst als eine eigene Gesellschaftsgruppe wahrnehmen – mit eigenen Erwartungen, Anliegen und Forderungen. Das Radio half hier verschiedene soziokulturelle Milieus, Bildungsschichten, unterschiedliche Regionen, Stadt und Land, die beiden Geschlechter, Jugendliche aber auch zahlreiche Erwachsene zusammenzuführen.
Vom bildenden Wort zur unterhaltenden Musik
Trotzdem ist zu konstatieren, dass diese Art des Jugendradios in erster Linie Jugendliche mit bildungsbürgerlichem bis akademischem Hintergrund ansprach. Anderen Jugendlichen, insbesondere den Anhängern der seit Mitte der 1950er-Jahre entstehenden populärmusikzentrierten Jugend(sub)kulturen hatte dieser Jugendfunk zunehmend weniger zu sagen. Doch auf das auch von der Hörerforschung sehr wohl wahrgenommene und wachsende Bedürfnis nach jugendspezifischer (Populär-)Musik reagierten die Programmverantwortlichen nur zögerlich. Schließlich war die Ausstrahlung von aktuellen internationalen Pop-Schallplatten mit Mehrkosten verbunden und die Rundfunkanstalten sahen sich eher zur Förderung deutscher Künstler verpflichtet. Zudem erwiesen sich die gewünschten Musikstile für viele Erwachsene prinzipiell als "rotes Tuch" (angefangen von der teilweise rassistischen Verunglimpfung des Jazz in den 1940er- und 1950er-Jahren bis hin zum Widerstand gegen den angeblich feminisierenden oder generell sexualisierenden Einfluss des Rock'n'Roll und des Beat in den "langen 1960er-Jahren"). Seit Kriegsende erfreuten sich daher die Soldatensender American Forces Network (AFN) und British Forces Network (BFN) bzw. British Forces Broadcasting System (BFBS) nicht nur unter den eigentlich angesprochenen jungen amerikanischen bzw. britischen Soldaten, sondern auch unter zahlreichen deutschen Jugendlichen großer Beliebtheit.
Es wäre dennoch voreilig, das Jugendradio der späten 1940er- und der 1950er-Jahre pauschal als antiquiert und ignorant gegenüber jugendlichen Hörwünschen und -interessen zu bezeichnen, nur weil das Wort weiterhin über die Musik dominierte. Noch bis Anfang der 1960er-Jahre verfolgten die Jugendlichen mehrheitlich solche Musik- und Wortprogramme, die von der gesamten Familie goutiert werden konnten.
Zugleich eröffneten sich zunehmend populärmusikalische Freiräume im öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramm. Der ersten Sendereihe des "Schallplattenjockeys" Christopher Howland beim NWDR-Hamburg war 1952/53 zwar trotz ungeahnt positiver Hörerresonanz zunächst nur eine kurze Halbwertszeit vergönnt gewesen, doch der Kölner Zweig des NWDR bot Howland umgehend eine Sendung in seinem eigenen Hörfunkprogramm an. 1961 startete Howland mit der Reihe "Musik aus Studio B" zudem eine Musiksendung im Fernsehen, das sich in dieser Zeit generell etwas experimentierfreudiger als der Hörfunk zeigte, wie auch der seit 1965 von Radio Bremen produzierte "Beat-Club" unterstreicht.
Jugendlicher auf "Wellenfang" 1956. (© Südwestrundfunk)
Jugendlicher auf "Wellenfang" 1956. (© Südwestrundfunk)
Neben unterschiedlich progressiven Reihen im Fernsehen und in den Musikprogrammen des Hörfunks hatte unterdessen auch der Jugendfunk den Wert des neuen "sounds" für sich entdeckt. 1954 führte der Süddeutsche Rundfunk die Reihe "Tanztee der Jugend" (später: "Heiße Sachen") ein, in der kabarettistische Beiträge mit Tanzmusik gemischt wurden. 1959 startete der SDR zudem die "Mittwochsparty".
Es zeichnete sich also gerade im Jugendprogramm der programmgeschichtliche Trend ab, dem traditionellen "Kästchenprogramm" durch immer mehr und vielseitigere Magazinsendungen zu entfliehen. Parallel dazu nahm in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre der politische und gegenwartskritische Charakter der Jugendfunksendungen noch einmal zu. Im Umfeld von "1968" war die verschärfte Politisierung der Jugendkultur auch deutlich im Jugendfunk zu vernehmen, was sich in einer noch einmal vergrößerten Bereitschaft zur Kritik des Zeitgeschehens und gezielten Respektlosigkeiten gegenüber Autoritäten äußerte. Der Bayerische Rundfunk nahm etwa 1967 die Reihe "Club 16" ins Programm, der Sender Freies Berlin (SFB) wartete mit "s-f-beat" auf, der WDR ein Jahr später mit "Panoptikum" und der SWF den "Pop-Shop" sowie dem gemeinsam mit dem SDR produzierten "Funkjournal für junge Leute". Der NDR ließ 1969 den "Fünf-Uhr-Club" folgen. Diese neuartigen Jugendmagazine boten einen bunten Mix aus jugendorientierten Wortbeiträgen in der Tradition des bisherigen Jugendfunks und breiten Musikanteilen. Politisch extreme Positionen wurden von den Aufsichtsgremien interessanterweise eher toleriert als vermeintlich sexuell anzügliche Themen oder eine entsprechende Wortwahl.
Getrieben wurden die Hörfunkanstalten dabei von dem sagenhaften Zuspruch für Sender wie Radio Luxemburg, AFN, BFBS, Ö3, bisweilen auch einzelnen Piratensendern sowie Sendungen aus der DDR. Denn 1964 hatte der DDR-Rundfunk seinen bis dato propagandistisch drögen Jugendfunk mit dem "Jugendstudio DT 64" runderneuert und so zeitweise auch für Hörer jenseits der Mauer attraktiv gemacht.
Dieser Zustand änderte sich erst mit der Einrichtung der sogenannten "Servicewellen" für Autofahrer in den 1970er- und 1980er-Jahren, die stark populärmusikalisch geprägte Tagesbegleitprogramme anboten. Dort entstand eine neue Generation von Jugendsendungen, wie etwa "POINT" (SDR), "Pop-Sunday" (BR) oder "Zündfunk" (BR), die, wie ein Blick in die zeitgenössische Presse offenbart, bei breiten Teilen der jungen Hörer zwischenzeitlich Kultstatus erreichten.
Allerdings gerieten die öffentlich-rechtlichen Hörfunkanstalten nach der Einführung des dualen Rundfunksystems im Jahre 1984 auch nicht ganz zufällig binnen kurzer Frist bei zahlreichen jugendlichen Hörern ins Hintertreffen. Spätestens seit Ende der 1970er-Jahren wurde das Radio von den westdeutschen Hörern vor allem als allgegenwärtiger Musikdistributor geschätzt. Bildende oder gar erzieherische Inhalte, wie sie im öffentlich-rechtlichen Jugendfunk trotz teilweise rebellischer Attitüde weiter präsent blieben, stießen hingegen auf immer geringeres Interesse. Die neue private Konkurrenz setzte dagegen konsequent auf aktuelle und massenkompatible Pop-Musik und wurde damit den Erwartungen an ein musikalisches Tagesbegleitprogramm wesentlich besser gerecht. Entsprechend können die Privatsender in der von ihnen aus marktstrategischen Gründen definierten "werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen" bis heute erhebliche Erfolge verbuchen.
Die öffentlich-rechtlichen Anstalten reagierten zwischen 1990 und 2001 mit dem Start ihrer sogenannten "Jugendwellen", denen es durch eine programmliche und klangliche Annäherung an die privaten Formatradios – bisweilen auch durch Kaschierung des öffentlich-rechtlichen Hintergrunds im Sendernamen – dann auch tatsächlich gelang, zahlreiche junge Hörer zurück zu gewinnen.
Fazit und Ausblick
Der Blick auf die Geschichte der jugendspezifischen Programmangebote im deutschen Hörfunk offenbart einen kontinuierlichen Lernprozess. Das junge Medium, das in den 1920er-Jahren auf keine eigenen Traditionen zurückgreifen konnte, musste seine spezifischen Ausdrucksformen sowie Programmroutinen erst einmal entwickeln und sich überdies einen Platz im Leben der Mediennutzer und im Ensemble der damaligen Massenmedien erstreiten. Die Entwicklung jugendspezifischer Programmangebote lässt sich somit auch als kontinuierliche Schärfung und Modifizierung der eigenen medialen Ausdrucksformen und Übertragungswege begreifen.
Standen zunächst – und dies sogar systemübergreifend – pädagogische Ziele im Vordergrund, wurde das seit Mitte der 1950er-Jahre offenkundig gesteigerte Interesse jugendlicher Hörer an populärer Musik durchaus wahrgenommen und zum Wohle pädagogischer Interessen ansatzweise berücksichtigt; die programmgeschichtlichen Innovationen der 1950er- und 1960er-Jahre, insbesondere die Kreation von Magazinformaten wie der "Abend für junge Hörer", der "Tanztee der Jugend" oder der "Club 16" geben davon Zeugnis. Von einem generellen "ARD-Pop-Tabu", das der Musikwissenschaftler und Musikredakteur Wolfgang Rumpf für diese Zeit ausgemacht hat
Allerdings fiel es den Programmverantwortlichen außerordentlich schwer, sich von den erzieherischen Traditionen ihres Mediums zu verabschieden, die zudem bis heute Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags sind. Mit der Einrichtung der "Jugendwellen" ist die Abkehr von den Traditionen am weitesten fortgeschritten, auch wenn die jugendlichen Hörer zumindest dann und wann mit solide recherchierten Informationen versorgt werden.
Heute gerät das Radio in seiner klassischen Programmstruktur und -übertragungsform abermals unter Druck und muss sich etwa gegen die steigende Nutzung von PCs, Tonträgern und alternativen Internetangeboten behaupten.