Kristian Buchna: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945–1953 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte; 101), München: Oldenbourg 2010, 248 S., € 24,80, ISBN: 9783486598025.
Jan-Ole Prasse: Der kurze Höhenflug der NPD. Rechtsextreme Wahlerfolge der 1960er Jahre, Marburg: Tectum 2010, 165 S., € 24,90, ISBN: 9783828822825.
Harald Bergsdorf: Fakten statt Fälschungen. Argumente gegen rechtsextreme Parolen, München: Olzog 2010, 160 S., € 14,90, ISBN: 9783789282744.
Friso Wielenga, Florian Hartleb (Hg.): Populismus in der modernen Demokratie. Die Niederlande und Deutschland im Vergleich, Münster u.a.: Waxmann 2011, 220 S., € 14,90, ISBN: 9783830924449.
Detlef Joseph: Die DDR und die Juden. Eine kritische Untersuchung – mit einer Bibliografie von Renate Kirchner, Berlin: Das Neue Berlin 2010, 400 S., € 19,95, ISBN: 9783360019905.
Y. Michal Bodemann, Micha Brumlik (Hg.): Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden. Neue Perspektiven, Göttingen: Wallstein 2010, 294 S., € 19,–, ISBN: 9783835307803.
"Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr"
Nach der multiplen Katastrophe des "Dritten Reiches" war die Frage, wie mit den ja nicht verschwundenen politischen Kräften am rechten Rand des neu entstehenden politischen Systems umzugehen sei, eine permanente Herausforderung der politischen Kultur. Das erste Parteiverbot des jungen Bundesverfassungsgerichts zielte schon 1952 auf den erneut aufstrebenden Nazismus in Gestalt der Sozialistischen Reichspartei (SRP), die insbesondere in Niedersachsen beträchtliche Wahlerfolge erzielt hatte – zusammen mit dem vier Jahre später erfolgten Verbot der KPD ein Gründungsdokument der wehrhaften Bonner Demokratie, die nicht mehr "Weimar" sein wollte.
In einer breiteren Öffentlichkeit weitgehend vergessen ist hingegen der kurz nach dem politischen Aus der SRP für Unruhe sorgende Versuch einer rechtsnationalen Sammlungsbewegung im Landesverband Nordrhein-Westfalen der FDP. Vorgeschichte und Kontexte dieses in mehrfacher Hinsicht lehrreichen Falles hat Kristian Buchna nun erstmals auf breiter Quellengrundlage ausgeleuchtet. Er fragt, weshalb der größte FDP-Landesverband "überhaupt in den Ruch geraten konnte, nationalsozialistisch unterwandert zu sein" (11). Buchna zeigt, wie sehr die Erinnerung an das Scheitern des Liberalismus in der Weimarer Republik in den Jahren nach 1945 wirksam war, wie sehr auch die traditionelle Frontstellung zwischen einem gesellschaftspolitisch- und einem national-liberalen Kurs 1952/53 die FDP in eine tiefe Krise stürzte. Er rückt Friedrich Middelhauve als "geistigen Vater" (217) der Sammlungsidee eines in den letzten Jahren Weimars wurzelnden autoritären Staatsmodells ins Zentrum seiner Darstellung. Middelhauve wurde nach 1945 alsbald zur führenden Figur der programmatischen und parteipolitischen Reorganisation des Liberalismus an Rhein und Ruhr, amtierte von 1947 bis 1956 als NRW-Landesvorsitzender. Er verfolgte einen konsequenten Kurs der Sammlung all jener Kräfte, die sich durch CDU, SPD und KPD nicht angesprochen fühlten. Dies umfasste im Kern einen entschiedenen Rechtsruck – personalpolitisch, programmatisch und im Umgang mit der NS-Zeit.
Letzteres skizziert Buchna detailliert unter der Überschrift "'liberale' Vergangenheitspolitik" und zeigt, wie das Zusammenspiel Middelhauves mit den rasch einflussreichen, schwer belasteten ehemaligen NS-Funktionären Ernst Achenbach, Werner Best, Wolgang Diewerge und Friedrich Grimm zu einer massiven "Schlussstrich"-Politik gegen die Entnazifizierung und für eine Generalamnestie führte, was jedoch in der Gesamtpartei letztlich nicht mehrheitsfähig war. Buchna betont freilich die Mitverantwortung der seinerzeit schwachen, mithin bis zur Selbstverleugnung entgegenkommenden Führung der Bundespartei für die "Politik der offenen Arme" (100) des nordrhein-westfälischen Landesverbandes. Doch trotz des Erfolgs des rechten Flügels auf dem Bundesparteitag in Bad Ems im November 1952 scheiterte Middelhauves Projekt einer nationalistischen "Führerdemokratie": Mitte Januar 1953 verhafteten britische Sicherheitskräfte den Kreis ehemaliger NS-Funktionäre um Werner Naumann, den ehemaligen Staatssekretär im Reichspropagandaministerium. Die mit der "Naumann-Affäre" verbundene öffentliche Aufmerksamkeit führte unter anderem zu einer innerparteilichen Untersuchungskommission, die jedoch die schonungslose interne Aufklärung im Schlussbericht der heiklen Zwangslage der Bundespartei opferte – denn fast drei Viertel der Parteigelder stammten 1951/52 aus Middelhauves, nachhaltig von Industrie-Spendern wie Hugo Stinnes jr. unterstütztem Landesverband. Middelhauves Konzept einer "Nationalen Sammlung" war allerdings ruiniert, wenngleich Theodor Heuss noch drei Jahre später von der nordrhein-westfälischen "Nazi-FDP" (208) sprach.
Kristian Buchna hat eine beachtliche historische Studie geschrieben, deren Bedeutung über den primär landes- und regionalgeschichtlichen Fokus hinausgeht: Informiert, reflektiert, quellenkritisch und fast durchgängig überzeugend urteilend, zudem ausgesprochen gut geschrieben, ist ihm mit der systematischen Ausleuchtung von Middelhauves Konzept und Praxis einer rechten Sammlungspartei ein objektiver Erkenntnisgewinn für die Frühgeschichte der Bundesrepublik gelungen.
"Der kurze Höhenflug der NPD"
Prasse: Der kurze Höhenflug (© Tectum Wissensverlag)
Prasse: Der kurze Höhenflug (© Tectum Wissensverlag)
Die Affäre Naumann, im Grunde eine Affäre Middelhauve, verdeutlichte, welches politische Potenzial rechts der Mitte in den frühen 1950er-Jahren existierte. Nach dem Verbot der SRP lag die rechtsextreme Szene über ein Jahrzehnt ohne nennenswerte Wahlerfolge darnieder. Erst mit dem rasanten Aufstieg der NPD Mitte der 1960er-Jahre begann sich dies kurzfristig zu ändern. Der Berliner Historiker Jan-Ole Prasse hat nun den "kurzen Höhenflug der NPD" genauer unter die Lupe genommen – nochmals, muss man sagen, denn natürlich ist er in diesem Unterfangen nicht der erste. Ihn interessieren vor allem die Ursachen für die Wahlerfolge zwischen 1966 und 1968 sowie mögliche Zusammenhänge mit der gesellschaftlichen Liberalisierung. Dabei konzentriert er sich besonders auf die Analyse der NPD-Wählerschaft und auf die Programmatik der Partei im Spannungsfeld gesellschaftlicher Entwicklungen. Hier liegt auch der Wert seiner so informativen wie soliden Studie. Prasse kann zeigen, wie sehr die NPD ein Produkt der 1960er-Jahre war: vor allem der Umbrüche im westdeutschen Parteiensystem und der politisch-kulturellen Strukturveränderungen. Sich zur "autoritären Alternative" (108) gegen die angeblichen politischen und sittlichen Verfallserscheinungen stilisierend, führte die NPD einen Vielfronten-Kampf gegen die Pluralisierung und Liberalisierung der Gesellschaft. In diesem anti-liberalen kulturellen Resonanzraum sieht der Autor auch die wichtigste Bedingung für die Erfolge der rechtsextremen Partei.
"Fakten statt Fälschungen"
Bergsdorf: Fakten statt Fälschungen (© Olzog Verlag)
Bergsdorf: Fakten statt Fälschungen (© Olzog Verlag)
Der öffentliche und politische Umgang mit Rechtsextremismus ist eine stetig präsente, wenngleich sich angesichts wechselnder gesellschaftlicher Bedingungen immer wieder neu stellende Herausforderung. Deshalb bedarf es neben nüchternen wissenschaftlichen Analysen auch aktueller, auf Praxisfragen konzentrierter Handreichungen. Zusätzlich zu den bereits vorliegenden Büchern hat Harald Bergsdorf ein weiteres verfasst: "Fakten statt Fälschungen. Argumente gegen rechtsextreme Parolen". Der Politikwissenschaftler, vormals Referent im thüringischen Innenministerium und der CDU-Landtagsfraktion in Düsseldorf, ist gegenwärtig als Koordinator gegen Rechtsextremismus in der nordrhein-westfälischen Landeszentrale für politische Bildung tätig. In seinen Publikationen setzt er sich nicht nur mit der NPD auseinander, so trägt ein Buch einen ähnlichen Titel wie das hier besprochene: "Fakten statt Legenden. Argumentationshilfen gegen die 'Linke' Lafontaines und Gysis" (2009).
Bergsdorf definiert zunächst den Begriff "(Rechts-)Extremismus", setzt sich dann mit Wahlerfolgen der extremen Rechten auseinander, gibt Überblicke zum "Rechtsextremismus im Osten", zur Demoskopie sowie zum jüngeren Wandel des Rechtsextremismus. Im umfangreichsten Textkapitel setzt er dann "Fakten gegen rechtsextreme Lügen und Halbwahrheiten". Im Anhang findet der Leser ein knappes Literaturverzeichnis (das zu 20 Prozent aus Titeln des Autors besteht), ergänzt von einem Glossar und einer, wie man dem "Dank" entnehmen kann, in der Erstfassung vom Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Verfassungsschutz NRW gelieferten 50-seitigen Zusammenstellung von gesetzlichen Bestimmungen, Gerichtsentscheidungen zu und Abbildungen von Zeichen und Symbolen rechtsextremer Gruppierungen.
Das Buch hinterlässt einem ambivalenten Eindruck. Insbesondere die Auseinandersetzung mit Parolen des rechten Randes und die ausführliche Information über das Aussehen und die Verbote diverser Symbole geben der kleinen Schrift einen hohen Praxiswert. Doch jede genauere Lektüre wirft einige Fragen auf. Erstens fallen eklatante Widersprüche ins Auge. Beispielsweise betont der Autor einleitend unter Berufung auf Rudolf van Hüllen und Erwin K. Scheuch zu Recht, eine "besenreine" Gesellschaft bleibe eine Utopie, da Rechtsextremismus als eine "normale Pathologie westlicher Industriegesellschaften" zu verstehen sei (7). Im Buch ist dann jedoch mitunter von "Therapie" (27) die Rede und im Fazit formuliert er dann seine "Vision": "Deutschland soll zu einer 'no go area' für Rechtsextremismus werden, die auch keine Parallelgesellschaften duldet, in denen sich schlecht integrierte Deutsche tummeln. Ziel ist es, 'braune Sümpfe' noch stärker trockenzulegen" (84f). Den Tonfall dieser Aussage steigert Bergsdorf noch, wenn er – gänzlich ironiefrei – von "lupenreinen" (24) und "eindeutigen Demokraten" (85) spricht, denen er das Privileg der einzig legitimen Kraft gegen Rechtsextreme zubilligt – was freilich ganz auf der kontrovers diskutierten politischen Linie der gegenwärtigen Bundesregierung liegt, die Fördergeld-Empfängern aus ihren anti-extremistischen Programmen neuerdings nicht nur ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abverlangt, sondern auch die Überprüfung von Kooperationspartnern auf deren Verfassungstreue fordert.
Zweitens laboriert das Buch an einem diskussionsbedürftigen, aber im Buch unreflektierten Problemverständnis. Bergsdorf favorisiert offenkundig den eindimensionalen normativen, auf einer Rechts-Links-Achse basierenden Extremismusbegriff, wie er im Verfassungsschutz entstanden und von Politikwissenschaftlern wie Eckhard Jesse und Uwe Backes systematisiert worden ist. Das ist Teil der normalen wissenschaftlichen Diskussion, zum Problem wird es da, wo der Autor abweichende Begriffsverständnisse dem Leser verschweigt oder nur andeutet (z. B.: 21). So kommt es, dass Bergsdorf keine Definition für Rechtsextremismus anbietet, sondern eine für Extremismus generell: "kategorischer Wahrheitsanspruch, Antipluralismus und Rigorismus" (16) seien dessen verbindende Kennzeichen. Die in der Forschung zwar kontrovers diskutierte, aber aus guten Gründen nicht aufgegebene zweidimensionale Differenzierung einerseits von Zielen/Werten und andererseits Mitteln radikaler politischer Strömungen erwähnt der Autor nicht. Zwei wichtige Zugänge bleiben ihm deshalb verschlossen: einerseits die Sensibilisierung für einen "Extremismus der Mitte" (Seymour Martin Lipset), andererseits für den Nährboden rechtsextremer Weltbilder, Gruppierungen und Anhänger in gesellschaftlichen Problemlagen, denen mit "Argumentationshilfen" nicht beizukommen ist, die vielmehr politisch bearbeitet werden müssen.
Damit eng verknüpft ist der dritte Punkt. Dem Autor geht es darum, Rechts- und Linksextremismus zu bekämpfen. Dagegen ist, vorbehaltlich der Bewertung einzelner Aussagen, nichts zu sagen. Doch durch das ganze Buch mit dem Untertitel "Argumente gegen rechtsextreme Parolen" ziehen sich Rechts-Links-Parallelisierungen und -Analogisierungen, ausgesprochen und unausgesprochen, historisch und aktuell; relativierende Einordnungen sucht man meist vergebens. Dies geht soweit, dass selbst im Glossar des Bändchens – beginnend nicht mit "Autonome Nationalisten", sondern mit "Autonome Antifaschisten" – jeder vierte Eintrag jenem Kontext entstammt, den Bergsdorf als linksextrem versteht. Sein Extrem erreicht dieses Vorgehen im Kapitel "Umfassende Untersuchung des Rechtsextremismus im Osten". Darin verweist er zwar mit einigem Recht auf den jüngeren Schwerpunkt vor allem der NPD-Aktivitäten und -Wahlerfolge in Ostdeutschland, doch ist dies für Bergsdorf nicht – wie die Überschrift ankündigt – Anlass, just diese aktuellen Strukturen zu untersuchen, sondern nur die SED-Ideologie des Antifaschismus zu rekapitulieren und als Erklärung für rechtsextreme Erfolge nach 1990 in Ostdeutschland "teilweise" geltend zu machen. Nicht dass dieser Ansatz völlig verkehrt wäre, aber die gleich doppelte Engführung mutet dann doch recht dürftig an: Weitere Erklärungen bietet der Autor nicht an, sodass die sozioökonomischen Verwerfungen im Gefolge des Strukturbruchs nach 1990 als Erklärungsfaktor nicht berücksichtigt werden; zudem fällt im Rahmen der Anti-Antifaschismus-Abrechnungsrhetorik kein kritisches Wort über den westdeutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit in den 1950er- und 60er-Jahren.
Bergsdorfs an den Schluss gesetztem Common-sense-Trugbild "Mit beiden Augen sieht man besser" (85) möchte man mit Goethe entgegenhalten: "Weil du die Augen offen hast, glaubst du, du siehst"! Allein, so sinnvoll solche Bücher in ihren Intentionen sein mögen, so sehr leiden sie mitunter an einem kognitivistischen Missverständnis – als sei die Attraktivität extremer Vorstellungswelten primär eine Frage intellektueller Anfälligkeit. Durch diese Engführung einer tatsächlich gesellschaftlichen Problemlage wird das ganze Feld der politischen Psychologie, der Emotionen und vor allem sozioökonomischer Bedingungen und des Elitenverhaltens ausgeblendet.
"Populismus in der modernen Demokratie"
Wielenga/Hartleb: Populismus ... (© Waxmann)
Wielenga/Hartleb: Populismus ... (© Waxmann)
Diskussionen über extreme und radikale Gruppierungen werfen stets auch die Frage auf, wie zwischen der als "Mitte" apostrophierten moderaten Bevölkerungsmehrheit und den politischen Rändern vermittelt wird, welche Verbindungen es hier gibt. Seit einiger Zeit hat sich dafür der Begriff "Populismus" etabliert. Die zehn Beiträger – Politikwissenschaftler und Historiker, Frauen sind nicht unter den Autoren – des von Friso Wielenga und Florian Hartleb herausgegebenen instruktiven Sammelbandes "Populismus in der Demokratie" zielen auf eine vergleichende Analyse des Phänomens in Deutschland und den Niederlanden. Die wichtigsten Aufsätze seien kurz angesprochen. Einleitend geht Paul Lucardie der Begriffsgeschichte und theoretischen Aspekten von Populismus nach. Von unterkomplexen Deutungen des Populismus als Opportunismus sich abgrenzend, bestimmt er als solche Bewegungen, "die in ihren programmatischen Äußerungen den Antagonismus zwischen Volk und Elite als das politische Hauptproblem betrachten" (22). Lucardie verweist auf drei Kernelemente, die gegeben sein müssen, damit populistische Akteure und Bewegungen gesteigerte Einflusschancen haben können: Modernisierungskrisen, günstige politische Gelegenheitsstrukturen und eine charismatische Führungsgestalt. Da Populisten keine systemüberwindenden Extremisten seien, gibt der Autor schließlich eine gewisse Entwarnung: "Als Demokrat braucht man deshalb den Populismus weder positiv noch negativ zu bewerten. Man sollte aber ernsthaft versuchen, ihn zu verstehen" (37).
Dezidiert kritischer bewertet Frank Decker die populistische Herausforderung. Er sieht die etablierte Politik "gleichsam im populistischen Zangengriff von links und rechts" (39). Decker diagnostiziert in Themenwahl und Verhalten ein zunehmendes Übergreifen des Phänomens auf die Alt-Parteien und begreift Populismus im Kern als anti-egalitäre und antipluralistische "Abgrenzungsideologie" auf der Basis einer konstitutiven "Anti-Establishment-Orientierung" (40f). Sein so grundsätzlich wie aktuell argumentierender, konziser Aufsatz lokalisiert das zentrale Problem in einem normativen Spannungsfeld: Gegenwärtige Demokratien als Synthese aus den normativen Prinzipien Volkssouveränität und Verfassungsstaatlichkeit beschreibend, sieht Decker die demokratiepolitische Hauptgefahr des Populismus darin, im Kontext der "plebiszitären Transformation des Parteienwettbewerbs" (48) die Verschränkung beider Sphären gleichsam auseinanderzudividieren.
Gerd Reuter vergleicht rechtspopulistische Spielarten in Belgien (Vlaams Blok/Vlaams Belang) und den Niederlanden (Pim Fortuyn). Seit etwa fünf Jahren steht im Mittelpunkt des niederländischen Rechtspopulismus Geert Wilders, dessen Partij voor de Vrijheid inzwischen in beiden Kammern des Parlaments vertreten ist. Wilders' ideologische Entwicklung vom Liberalismus über Neokonservativismus bis zum Nationalpopulismus untersucht Koen Vossen. Die einzigen binational vergleichenden Beiträge, die dem Untertitel des Buches im engeren Sinne gerecht werden, stammen von Markus Wilp und Gerrit Voermann. Während Wilp die Krise der christdemokratischen und sozialdemokratischen Parteien in Deutschland und den Niederlanden anhand von Wahlergebnissen und Mitgliederzahlen nachzeichnet und die darin sich ausdrückende, stark reduzierte Integrationskraft der Großparteien analysiert, untersucht Voermann den Linkspopulismus in beiden Ländern anhand der Socialistische Partij und der Linkspartei.
Von René Cuperus stammt der inspirierendste Text des Buches, der sich mit dem "populistischen Dammbruch" auseinandersetzt. Cuperus ist der einzige Beiträger, der explizit den europäischen Horizont eingehender thematisiert und angesichts der Verbreitung des Phänomens von einer "europäischen Populismuskrise" (164) spricht. Interessanterweise unterscheidet sich auch sein analytisch-normativer Zugriff von dem seiner Kollegen, indem er die Eliten als "größte Verursacher des riskanten 'Aufstandes' des Populismus" identifiziert, da sie im Kontext etwa von Globalisierung und Immigration einen "abschreckenden Anpassungs- und Veränderungsdiskurs" (164) praktizierten. Cuperus' Essay kulminiert im Plädoyer für einen "neuen Sozialpakt" (178) sozioökonomischer Sicherheit und kultureller Offenheit, denn die einstmals stabilisierende und integrierende Gesellschaft der Volksparteien sei zerbrochen.
"Die DDR und die Juden"
Joseph: Die DDR und die Juden (© Das Neue Berlin)
Joseph: Die DDR und die Juden (© Das Neue Berlin)
Detlef Joseph, von 1961 bis 1991 DDR-Hochschullehrer an der Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität Berlin, bemüht sich seit einigen Jahren, die im vereinigten Deutschland verbreitete kategorische Kritik des SED-Realsozialismus als haltlos zu widerlegen. Nun hat er ein neues Buch geschrieben: "Die DDR und die Juden. Eine kritische Untersuchung". Anlass, ein 400 Seiten-Werk zu dem Thema vorzulegen, war für Joseph die seit 2007 präsentierte Wanderausstellung "'Das hat's bei uns nicht gegeben!' Antisemitismus in der DDR", die er in seinem Buch immer wieder scharf attackiert. Doch da er hierzu bereits in seiner Veröffentlichung "Vom angeblichen Antisemitismus der DDR" (2008) Stellung genommen hat, bedurfte es eines zusätzlichen Grundes, um ein weiteres Buch zum gleichen Thema zu publizieren. Dieser liegt nun in der begrüßenswerten, wenngleich in der Auswahl mitunter problematischen, über 80-seitigen Bibliografie "Jüdisches in Publikationen aus DDR-Verlagen 1945–1990", die Renate Kirchner mit 1.086 hier aufgelisteten Titeln beigesteuert hat. Kirchner war ehemals Leiterin der Gemeindebibliothek der Jüdischen Gemeinde Ost-Berlins und ist die Ehefrau des einstigen Vorsitzenden dieser Gemeinde, Peter Kirchner.
Das Buch gibt sich wissenschaftlich, ist aber weit davon entfernt: Der Autor führt Quelle nach Quelle an, zitiert aus der Literatur, hat aber nur zu letzterer, sofern sie den Umgang der SED mit Juden problematisiert, ein kritisches Verhältnis. Wenn etwa eine DDR-Behörde einen Bericht über eine Jüdische Gemeinde erstellte, wenn sich Vertreter der Jüdischen Gemeinden öffentlich äußerten – gern zitiert er Peter Kirchner gewissermaßen als Kronzeuge –, dann nimmt Joseph diese Texte als getreue Abbildung der gesellschaftlichen Realität – ohne Quellenkritik, ohne Quelleninterpretation, ohne politischen Kontext. Wenn er mit Autoren der Sekundärliteratur ins Gericht geht, formuliert er Behauptungen etwa einer tendenziösen Darstellung – aber belegt seine Kritik, beispielsweise durch Textvergleiche, nicht.
Gewiss, Joseph räumt ein, was nicht zu leugnen ist, den frühen, 1952/53 kulminierenden "antisemitischen Exzess in der SBZ/DDR" (34), der freilich "dem Wesen eines sozialistischen Staates nicht immanent" (123) gewesen sei, auch konstatiert er "antisemitisches Reliktdenken" (72) ebenso wie individuelles Fehlverhalten, aber sonst war alles in Ordnung – im politischen System (das er gegen den Diktaturvorwurf in Schutz nimmt) ebenso wie im Umgang der SED mit den Jüdischen Gemeinden. Das Verhältnis der DDR zu Israel rechtfertigt Joseph immer noch mit Verweis auf dessen "imperialistische Politik", weshalb er den SED-Antizionismus wieder in sein Recht setzen will; immer noch verrechnet er die verweigerte "Wiedergutmachung" und Entschädigung gegenüber Israel mit den hohen Reparationen an die UdSSR.
Dabei gäbe es durchaus Anlass, manch ahistorische oder geschichtspolitisch allzu selbstgewisse Kritik des SED-Antifaschismus und des Umgangs mit den Juden in der DDR, wie sie nach 1990 formuliert wurde, systematisch zu prüfen. Allein, wo eine scharfsinnige Studie mit offenem Visier erforderlich wäre, verbleibt Josephs ermüdender, steril die alten Verhältnisse und Positionen verteidigender Duktus größtenteils im Weltbild der ehemaligen Staatspartei. So umgeht er entscheidende Fragen: Wie wurden die Themen Juden und Antisemitismus ideologisch vermittelt, wie hat sie die SED-Diktatur geschichtspolitisch kleingehalten und dann am Ende massiv instrumentalisiert? Das Buch, das sich gegen die diagnostizierte Praxis wehren will, "mit allen Mitteln und in Bezug auf alle Lebensbereiche der DDR die Kübel voll Unrat zu füllen und dann auszukippen" (123), ist so aufregend wie die Rede eines SED-Bezirkssekretärs – eine wissenschaftlich verbrämte, durch und durch apologetische Streitschrift (die überdies lausig redigiert ist). Wer solche Verteidiger hat, braucht sich um seine Gegner nicht zu kümmern.
"Juden in Deutschland –
Deutschland in den Juden"
Bodemann/Brumlik: Juden in Deutschland (© Wallstein Verlag)
Bodemann/Brumlik: Juden in Deutschland (© Wallstein Verlag)
Der Horizont weitet sich, historisch und politisch, intellektuell und literarisch, kulturell und religiös, wenn man Detlef Josephs gleichsam posthume Verteidigung der sozialistischen Welt zuklappt und in dem von Y. Michal Bodemann und Micha Brumlik herausgegebenen weitläufigen Band zu lesen beginnt, der den angemessen reziproken Titel "Juden in Deutschland – Deutschland in den Juden" trägt. Als ein "buntes Stimmengewirr" bewirbt der Verlag das Buch, und es ist tatsächlich keine editorische Ausrede, sondern der treffende Hinweis auf eine ebenso anregende wie bereichernde Annäherung an die Wirklichkeit jüdischer Erfahrungs- und Lebenswelten in Deutschland. Eingeteilt in sieben Themenfelder, versammelt der Band 37 vorwiegend kürzere Essays mehrheitlich jüdischer Autorinnen und Autoren: Journalisten, Schriftsteller, Publizisten, Wissenschaftler, Rabbiner, Künstler, die – meist zwischen den 1940er- und 60er-Jahren geboren – aus ganz unterschiedlichen Perspektiven schreiben.
Zugegeben, die "neuen Perspektiven", die der Band im Untertitel ankündigt, sind nicht in jedem Beitrag erkennbar, und doch lohnt es, alle zu lesen. Hier können leider nur wenige der Essays hervorgehoben werden: etwa Dalia Wissgott-Monetas berührende Erinnerungen an Kindheitstage und jüdische Familientreffen; die nachvollziehbare Kritik der aus Israel in die Bundesrepublik emigrierten Iris Hefets am stereotypen, nur israelfreundlichen Judentum, wie es der Zentralrat der Juden in Deutschland praktiziere; Philipp Gesslers Verweis auf die gern übersehene Rückseite der "Blüte des Judentums in Deutschland" seit 1991, die er in "drei schwerwiegenden Krisen" (87) sieht, einer finanziellen, demografischen und religiösen; Meron Mendels, mit Blick auf die junge Zuwanderergeneration formuliertes Plädoyer für eine "post-Shoa-, postzionistische und religiös-pluralistische Option jüdischer Identität" (268).
Bemerkenswert ist, dass sich der hochsensiblen Kontroverse um Israelkritik und Antisemitismus nur drei Beiträge explizit widmen, wobei sich die beiden Herausgeber beharken und Tom Segev die Komplexität der Verhältnisse erläutert. Hazel Rosenstrauchs Essay fällt auf durch ihre zwischen Skepsis und Zurückweisung changierenden Überlegungen zu gutgemeinten Erinnerungsanstrengungen im öffentlichen Raum: "Manchmal denke ich, es wäre schön, wenn ich einkaufen gehen könnte, ohne an meine ermordeten Großeltern erinnert zu werden." Erinnerungsorte, so ihre Pointe, sollten "sich bewegen, verändern, weiterentwickeln können, weil oder insofern sich die Beziehungen zwischen den einen und den anderen, die Namen dafür und die Zugehörigkeiten verändern" (202). Besonders erwähnt sei auch Michael Wolffsohns Durchmusterung integrationspolitischer Argumente: einerseits anhand der Geschichte der Juden in Deutschland, andererseits am Beispiel der aktuellen Auseinandersetzung um Muslime im vereinigten Deutschland. In schöner Konsequenz des hier versammelten Stimmengewirrs schließt der Band mit einer kleinen Anleitung von Olga Mannheimer zum Begreifen innerjüdischer Vielfalt und Abgrenzungen.