Risse in der Sicherheitsarchitektur des SED-Regimes
Staatssicherheit und Ministerium des Inneren <br/>in der Ära Honecker
Tobias Wunschik
/ 18 Minuten zu lesen
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Staatssicherheit und Volkspolizei waren die wichtigsten Säulen der inneren Repression, gerade in der Ära Honecker. Doch herrschte zwischen den beiden Apparaten eher Kooperation oder Konfrontation?
1. Einleitung
Die Staatssicherheit sollte gemeinsam mit der Volkspolizei die innere Sicherheit der DDR gewährleisten. Der Mielke-Apparat sorgte zumeist mit geheimpolizeilichen Methoden für die politische Überwachung, die Volkspolizei eher mit offener Repression für die allgemeine Ordnung und Sicherheit. Dabei waren Überschneidungen unausweichlich und komplementäre Vorgehensweisen sogar erwünscht. So konnte sich die Geheimpolizei, etwa bei der Bekämpfung der Ausreisebewegung, des Deckmantels der Volkspolizei und der inneren Verwaltung bedienen, denn diese lud die Bürger zur mündlichen Ablehnung ihrer Anträge vor – und die Staatssicherheit musste gar nicht in Erscheinung treten. Als "verlängerter Arm" des Mielke-Apparates verhaftete die Volkspolizei außerdem viele Fluchtwillige weit vor der Grenze, untersuchte "kleine" politische Delikte, kontrollierte entlassene politische Gefangene oder meldete das Auftauchen westlicher Journalisten. So gingen die beiden wichtigsten Säulen des ostdeutschen Repressionsapparates gegenüber den Betroffenen arbeitsteilig vor.
Wenn Staatssicherheit und Volkspolizei sich absprachen, agierten sie keineswegs "auf Augenhöhe", denn spätestens seit dem Mauerbau war die Geheimpolizei in der stärkeren Position. Gerade in Personalfragen wurde dies deutlich: So überwachte der Mielke-Apparat die Angehörigen des Ministeriums des Innern (MdI) hinsichtlich ihrer Westkontakte, Linientreue und Charakterschwächen, während Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gegen Ermittlungen der Kriminalpolizei selbstverständlich immun waren. Die Nomenklaturkader im MdI wurden zwar von der SED-Führung bzw. dem Nationalen Verteidigungsrat benannt, doch selbst Leitungskader konnte die Staatssicherheit ablösen lassen. Angehörige des Ministerium des Innern sowie dessen nachgeordneter Bereiche, die im Verdacht (politischer) "Straftaten" standen, wurden in jährlich etwa 500 Operativen Personenkontrollen und Operativen Vorgängen "bearbeitet", die in etwa 150 Entlassungen mündeten. Gerade zu diesem Zweck führte die Staatssicherheit im Bereich der Volkspolizei zuletzt mehr als 5.000 inoffizielle Mitarbeiter (IM) oder Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS).
Diese saßen auch in der Spitze des Ministeriums des Innern, deren Leitungskader ohnehin offizielle Arbeitskontakte zur Staatssicherheit unterhielten und dabei etwa Sachfragen klärten. Doch als IM informierten sie beispielsweise auch darüber, welcher Polizeichef eines Bezirks bei Innenminister Friedrich Dickel in Ungnade gefallen war. "In hoher Qualität" berichteten die Spitzel über die "Situation in der Leitung" des Ministeriums und übermittelten Redeentwürfe des Ministers, Kollegiumsvorlagen, Richtlinien "und andere Materialien geheimster Art" im Entwurfsstadium. Solche Grundsatzdokumente (etwa zum Komplex der Ausreise) vermochte die Staatssicherheit dann auf Arbeitsebene wie auf Ministerebene zu beeinflussen. Gegen fachliche Entscheidungen konnte die Geheimpolizei ihr Veto einlegen und mit Hilfe ihrer Zuträger sogar Strukturveränderungen "von größter Wichtigkeit" vorschlagen. Diese IM in Leitungsfunktionen zu führen wie auch die offiziellen Arbeitskontakte auf zentraler Ebene zu unterhalten oblag der Hauptabteilung VII im MfS.
Zwar sollten die beiden Apparate nach dem Willen der SED-Führung reibungslos zusammenarbeiten, doch in der Praxis herrschten oft "Kompetenzgerangel und Geheimniskrämerei" bis hin zu "Abgrenzungs- und Rangkämpfen". Dieses Zusammenspiel wird nachfolgend auf oberster Ebene in den Siebziger- und Achtzigerjahren untersucht. Dabei ist die Überlieferung disparat: Zwar sind zahlreiche Leitungsunterlagen des MdI überliefert, doch wird die Geheimpolizei darin selten erwähnt. In deren Akten wiederum fand das alltägliche "politisch-operative Zusammenwirken" weniger Niederschlag als die Führung der IM, deren Vorgangsakten der Darstellung zugrunde liegen.
2. Das Zusammenwirken der Apparate in den Siebzigerjahren
Mitte der Siebzigerjahre vollzog sich an der Spitze des Ministeriums des Innern ein Generationswechsel. Die neuen stellvertretenden Minister zeigten sich insgesamt selbstbewusster als ihre Vorgänger, die im obersten Beratungsgremium, dem Kollegium, gegen Dickel oft nicht zu Wort gekommen waren. So wurde im November 1973, zwei Jahre nach Erreichen des Pensionsalters, Staatssekretär Herbert Grünstein abgelöst, da er angeblich ineffizient und "unausgeglichen" arbeitete. Seinen Zuständigkeitsbereich (Innere Angelegenheiten, Strafvollzug und Feuerwehr) übernahm im Januar 1974 Günter Giel; Grünsteins Titel des 1. Stellvertretenden Ministers, nun mit Verantwortung gegenüber sämtlichen Dienstzweigen, wurde kurzzeitig Ewald Eichhorn übertragen. Während Grünstein – entgegen den Intentionen der Staatssicherheit – beispielsweise der Kriminalpolizei mehr eigene Spitzel hatte zubilligen wollen, war Giel "in der Lage, begründete Forderungen und Vorschläge unseres Organs aufzugreifen und [...] durchzusetzen". Denn er arbeitete seit 1960 inoffiziell für die Staatssicherheit, verstand es, deren Hinweise "als Eigeninitiative [...] auszugeben", und pflegte sich nicht "hinter unserem Organ" zu "verstecken".
Zum Vorteil gereichte der Staatssicherheit ebenfalls, dass 1976 (anstelle Ewald Eichhorns) Rudolf Riss zum 1. Stellvertreter des Ministers avancierte, der 1968 ohne schriftliche Verpflichtungserklärung als GMS angeworben worden war. Er ließ "Gedanken des MfS in Dokumente des MdI einfließen" und galt als geradezu hörig gegenüber der Geheimpolizei. Sogar Dickel rügte ihn im Kollegium "sehr lautstark" sowie "unsachlich" und überschüttete ihn mit einer "Fülle von heftigen Vorwürfen". Fortan hielt Riss sich in der inoffiziellen Mitarbeit offenbar etwas zurück, doch lobte die Geheimpolizei weiterhin seine "klare[n] Positionen zur Staatssicherheit". Ihm unterstellte Abteilungsleiter suchten gar den Schulterschluss mit der Geheimpolizei, da sie Riss weiterhin auf dem aufsteigenden Ast sahen und in dessen "Windschatten" zu reüssieren hofften.
Allerdings erboten nicht alle Leitungskader dem Mielke-Apparat vorauseilenden Gehorsam, selbst wenn sie als Zuträger verpflichtet waren. Der Leiter einer Hauptabteilung etwa wollte nur nach Genehmigung seines Vorgesetzten Informationen übermitteln, ein anderer versuchte, "Hinweisen des MfS [...] auszuweichen" oder überreichte Dokumente absichtlich verspätet. Und der erwähnte Leiter der politischen Verwaltung Eichhorn hatte zwar von 1953 bis 1959 als Geheimer Informator gearbeitet und wollte auch danach "den Kontakt zum MfS [...] festigen", zeigte sich jedoch vor allem dem eigenen Haus gegenüber loyal: "Was Genosse Dickel sagt, ist für ihn das Evangelium, das verwirklicht er ohne Abstriche." Der 1974 auf Ewald Eichhorn folgende Leiter der Politischen Verwaltung Werner Reuther hatte ebenfalls (1950–1957) für die Staatssicherheit inoffiziell gearbeitet; er äußerte sich im Kollegium vor allem aus ideologischer Warte, wie es seiner Funktion entsprach.
Eine frühere Spitzeltätigkeit konnte Leitungskader weiterhin an die Staatssicherheit binden, während andere sich hiervon unbeeindruckt zeigten. Dass beispielsweise Ernst Marterer in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre inoffiziell tätig gewesen war (bis zur Versetzung zur Abteilung Sicherheitsfragen), nützte der Staatssicherheit kaum, als er 1970 stellvertretender Minister für die zivilen Dienstzweige wurde. "Nur in wenigen Fällen" informierte er aus eigener Initiative und nahm Hinweise vor allem dann "dankbar entgegen", wenn sie "wenig Aufwand erfordern". Eher im Visier der Staatssicherheit stand Willi Seifert, der seit 1957 Stellvertretender Minister war, 1961 bei der Abriegelung der Sektorengrenze eine maßgebliche Funktion hatte und seit 1968 die Hauptinspektion Kampfgruppen/Bereitschaften leitete. Er versuchte sich massiv gegenüber der Geheimpolizei abzugrenzen, die Jahre zuvor seine Rolle als Häftling im Konzentrationslager Buchenwald heimlich untersucht hatte. Zudem sprachen Leitungsschwächen und indirekte Westkontakte gegen ihn, doch Dickel bewahrte ihn vor einer Ablösung.
Somit waren Mitte der Siebzigerjahre von den sechs Stellvertretern Dickels zwei zum damaligen Zeitpunkt und drei weitere zu einem früheren Zeitpunkt inoffiziell für die Staatssicherheit tätig bzw. tätig gewesen. Wurden damals weitere IM in nachgeordnete Funktionen des Ministerium des Innern versetzt, lehnte die Hauptabteilung VII deren Übernahme mitunter ab, was eine Übersättigung mit Quellen anzeigen könnte. Die Gewichte zwischen den beiden Ministerien bestimmte dabei vor allem die SED-Führung.
Der Minister des Innern Friedrich Dickel war (wie der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke) Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates sowie des Zentralkomitees, gehörte jedoch anders als dieser nicht dem Politbüro an. Dass die SED-Führung ihn jederzeit hätte ablösen können, dessen war Dickel sich schmerzhaft bewusst, hatte er doch bereits 1978 die Pensionsgrenze erreicht. Gegenüber Honecker zeigte er sich ebenso ergeben wie gegenüber dem 1983 angetretenen ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen Egon Krenz, dessen Lageeinschätzung er freilich (im Gegensatz zur eigenen) für unrealistisch hielt.
So konziliant Dickel sich gegenüber der Parteispitze gab, so suchte er doch die Abgrenzung von der Staatssicherheit. Hoch sensibel in Statusfragen betonte er die Eigenverantwortung seines Hauses. Zwar war Armeegeneral Dickel bestrebt, mit dem rangniederen Leiter der Stasi-Hauptabteilung VII, Generalmajor Joachim Büchner, "gut zusammenzuarbeiten" und forderte dies "von seinen Stellvertretern und Untergebenen ebenfalls". Doch er geißelte zu große Folgsamkeit und kritisierte Leitungskader als "Befehlsempfänger von denen". Im Kollegium ermahnte Dickel seine Stellvertreter mitunter explizit zur Schweigsamkeit ("das geht hier nicht raus, Ihr wißt schon wohin"), wenngleich erfolglos. Gelegentlich behauptete er auch, offene Fragen bereits mit der Geheimpolizei geklärt zu haben, obwohl dies nicht stimmte – vermutlich um seine Linie durchzusetzen. Bereits Mitte der Siebzigerjahre zeigte Dickel sich angeblich weniger entscheidungsfreudig und war "mitunter im Prinzip froh´ [...], wenn andere Staatsorgane derartige Aufgaben übernehmen". Dank dieser Interpretation, zutreffend oder nicht, sah die Geheimpolizei sich in ihrer Vorrangstellung bestätigt.
Tatsächlich musste Dickel sich häufiger mit Mielke als mit Honecker absprechen, die "zentrale Entscheidungen" in Fragen innerer Sicherheit unter sich ausmachten. Der Staatssicherheitschef leitete die hauseigenen Analysen über Westkontakte und andere Verfehlungen von Volkspolizisten auch nicht immer an Honecker weiter, sondern überreichte sie möglicherweise Dickel, wohl um diesen zur Dankbarkeit zu verpflichten. Andere Dokumente dieser Art wurden indes der Abteilung Sicherheitsfragen übergeben, die dann Dickel rügte, Belastendes verschwiegen zu haben. Forderte wiederum Honecker von Dickel einen Lagebericht, erhielt die Staatssicherheit diesen auf inoffiziellem Wege mitunter früher als die SED-Führung.
Über die Verteilung der Kompetenzen sowie die politische Linie entschied insbesondere die Abteilung Sicherheitsfragen, die schon Dickels Berufung im Jahre 1963 veranlasst und seinem Apparat teilweise mehr Eigenständigkeit gegenüber der Staatssicherheit zugesprochen hatte. Die Abteilung führte eigene Kontrolleinsätze in wichtigen, dem Ministerium des Innern nachgeordneten Dienststellen (wie auch gegenüber dem Apparat der Staatssicherheit) durch, überreichte Honecker entsprechende "Schlussfolgerungen" (und "empfahl" deren Beratung im Kollegium) oder zitierte die zuständigen Stellvertretenden Minister herbei. Deren bilateralen Kontakte zur Abteilung Sicherheitsfragen waren Dickel indes ein Dorn im Auge, da er sich leicht übergangen fühlte.
Speziell für die Volkspolizei war der stellvertretende Leiter dieser ZK-Abteilung Bruno Wansierski zuständig, der im Ministerium des Innern "die 1. Geige spielte", im Kollegium "fast zu jedem Tagesordnungspunkt" seine "eigenwillige Meinung" äußerte und Kontroversen mit Dickel nicht auswich. Wegen mangelnder Folgsamkeit gegenüber der SED maßregelte Wansierski einzelne Leitungskader, unterhielt zu anderen jedoch gute Kontakte, wie auch die Staatssicherheit wusste. Sein 1976 angetretener Nachfolger Heinz Leube machte zwar ebenfalls seinen Einfluss geltend, ergriff jedoch im Kollegium weit seltener das Wort und ließ sich teils von Dickel vereinnahmen. Als 1985 Wolfgang Herger (als Nachfolger Herbert Scheibes) Leiter der Abteilung Sicherheitsfragen (und damit Vorgesetzer Leubes) wurde, bemühte Dickel sich verstärkt um dessen Rückendeckung.
Die Abteilung Sicherheitsfragen instruierte im Jahre 1983 den (als IM tätigen) stellvertretenden Chef des MdI-Stabes für Planung und Information, Wolfgang Grandke, "auch dann" über gravierendes Fehlverhalten von Volkspolizisten zu informieren, "wenn die Bearbeitung durch andere Organe erfolgt", womit die Staatssicherheit gemeint war, deren Insiderwissen somit etwas entwertet wurde. Indes durfte die Geheimpolizei ab 1984 auch gegen Mitarbeiter der Politorgane des Ministeriums des Innern ermitteln, was bis dato aufgrund des Supremats der SED unerwünscht gewesen war. "Aufgrund von ernsthaften Vorkommnissen wurde von der Parteiführung jedoch [nun] die Bitte ausgesprochen, deren Institutionen in die politisch-operative Sicherungsarbeit einzubeziehen." Im Zusammenspiel der Sicherheitsorgane verschoben sich damit die Akzente.
4. Veränderungen in den Achtzigerjahren
In den Achtzigerjahren plädierte die Staatssicherheit für mehr Arbeitsteilung mit der Volkspolizei, vermutlich auch weil sie selbst kaum noch wachsen durfte und ihre Arbeitskapazitäten somit begrenzt waren. "Genau wie Ihr gehen wir davon aus", so erklärte Mielke Leitungskadern des Ministeriums des Innern, "daß jeder seine spezifischen Aufgaben in hoher Qualität erfüllt und seiner spezifischen Verantwortung voll nachkommt. [...] Wir müssen davon wegkommen, daß Diensteinheiten des MfS und Dienststellen der DVP im Grunde genommen mit den gleichen Mitteln und auf die gleiche Art und Weise die gleichen Aufgaben realisieren." Der Mielke-Apparat wollte "die gemeinsamen Aufgaben auf die effektivste Art arbeitsteilig und koordiniert" gelöst wissen. Büchner unterstrich, Mielke habe die "weitere Erhöhung der Eigenverantwortung" beider Apparate betont.
Eine richtiggehende Entflechtung wäre aber illusorisch gewesen, weil der hypertrophe Apparat der Staatssicherheit in politisch relevanten Bereichen des Ministeriums des Innern reihenweise eigene Leute platziert hatte. Dies betraf etwa die Kriminalpolizei, die aufgrund überlappender Aufgaben besonders eng mit der Geheimpolizei kooperierte und dabei häufig mit dieser in Konflikt geriet. Der Chef der Kriminalpolizei Helmut Nedwig, früher selbst inoffiziell für die Staatssicherheit tätig, suchte im Jahre 1980 gar den Streit mit dem ihm unterstellten Leiter der Arbeitsrichtung I der Kriminalpolizei (K I), Dieter Pietsch. Dem Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des Mielke-Apparates gegenüber pochte Nedwig auf Eigenständigkeit: "Wir brauchen das MfS nicht. Wir sind nicht auf sie angewiesen. Wir haben viel bessere Möglichkeiten als das MfS. [...] Das MfS hat mit sich selber genug Probleme." Nachfolgendes Abhören erhärtete den Verdacht genereller Auflehnung gegenüber der Geheimpolizei jedoch nicht, so dass Nedwig seinen Posten behielt.
Die Geheimpolizei mochte ihren Einfluss nicht preisgeben und betrieb weiterhin eine strategische Personalauswahl. Angehörigen der K I attestierte sie unter anderem das "Verschleiern und Konspirieren" von Westkontakten sowie eine "Tendenz zur Abgrenzung" gegenüber dem MfS-Apparat, weswegen 50 leitende Mitarbeiter abgelöst und 72 weitere "operativ bearbeitet" wurden. Und als die Staatssicherheit 1981 mehrere hundert Leitungskader des Strafvollzugs überprüfte, ließ sie 23 von ihnen ablösen – teilweise nur wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der Geheimpolizei.
Mitte der Achtzigerjahre musste Dickel erneut altersbedingt etliche Stellvertreter austauschen, was (ehemalige) IM einschloss. So hatte der von 1981 bis 1985 amtierende Rudolf Tittelbach Jahre zuvor ausgiebig über Mitarbeiter berichtet, jedoch Nachteile aus seinem "doppelten Spiel" befürchtet. Auf den nun berenteten Seifert folgte als Stellvertreter des Ministers Bereitschaften/Kampfgruppen im März 1983 zunächst Lothar Arendt und dann Karl-Heinz Schmalfuß, da Arendt bereits im Oktober 1984 "im Interesse des MfS" zum 1. Stellvertreter des Ministers aufstieg. Denn er arbeitete seit 1964 inoffiziell für die Staatssicherheit und "berichtete ohne Einschränkungen über die internsten Probleme" seines Hauses.
Als weitere Stellvertreter fungierten Hartwig Müller und Karl-Heinz Wagner, Nachfolger des 1983 berenteten Ernst Marterer bzw. des 1985 verstorbenen Rudolf Riss. Müller besaß seit 1979 lediglich einen "guten offiziellen Kontakt" zur Staatssicherheit. Wagner hatte in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre inoffiziell berichtet und arbeitete nun, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, erneut "vertrauensvoll mit dem MfS zusammen", jedoch ohne sich erneut schriftlich zu verpflichten. Der weitere Stellvertreter Günter Giel wurde bereits 1980 vom IM zum GMS umregistriert und stärker durch offizielle Arbeitskontakte eingebunden. Nachdem er 1982 abgehört worden war, beendete die Staatssicherheit 1986 die Zusammenarbeit wegen einer Erkrankung. Im Februar 1987 folgte ihm Dieter Winderlich, der seit 1974 als IM fungierte, dessen Spitzeltätigkeit nun jedoch offenbar ebenfalls ruhte. Und Arendt wurde 1989 vom IM zum GMS umregistriert.
Insgesamt setzte die Staatssicherheit also auf oberster Ebene zuletzt stärker auf offizielle Absprachen als auf inoffizielle Mitarbeit. Auch dies erlaubte noch eine Einflussnahme auf die Leitungskader, die meist ohnehin kooperierten: "Die Positionen der leitenden Genossen zu unserem Organ sind positiv, Hinweise zu Kadern und Arbeitsprozessen wurden angenommen und mit unterschiedlicher Intensität umgesetzt." Im Ergebnis war die Geheimpolizei unter den Leitern der zehn wichtigsten Hauptabteilungen und ihren Stellvertretern im Jahre 1988 "inoffiziell [...] zur Zeit nicht verankert", wie die Hauptabteilung VII meldete – vermutlich aufgrund einer vorangegangenen, jedoch nicht mehr auffindbaren oder nur mündlich ergangenen Weisung der SED-Führung. Trotz dieser "Vollzugsmeldung" spitzelte etwa der Leiter der Hauptabteilung Kampfgruppen Wolfgang Krapp in Wirklichkeit aber weiterhin, und in der Folge wurden IM oder GMS erneut zu Stellvertretenden Ministern befördert. Und in der zweiten Reihe waren ohnehin viele Zuträger platziert, etwa in den Stäben und Sekretariaten.
5. Fazit
Durch die SED-Führung und ihre Abteilung Sicherheitsfragen instruiert, hatten Staatssicherheit und Volkspolizei ihren spezifischen Anteil an der (politischen) Repression in der DDR. Klaren Vorrang genoss dabei der Mielke-Apparat, der die Mitarbeiter des Ministerium des Innern sowie seiner nachgeordneten Bereiche überwachte sowie als IM anwarb. Die hypertrophe Staatssicherheit versuchte, zumal ab den Siebzigerjahren, in "präventiver Sozialsteuerung" in alle gesellschaftlichen Bereiche einzudringen und verschiedenartige Problemlagen aufzudecken, um die politischen Machtverhältnisse zu wahren, was die Erfüllungsgehilfin Volkspolizei einschloss und zu entsprechenden Konflikten führte. Weitere Ursachen der Streitigkeiten lagen in klassischen Ressortegoismen angesichts überlappender Arbeitsfelder, Verteilungskonflikten um knappe Ressourcen (wie die Zahl der Mitarbeiter) sowie einem unterschiedlichen Selbstverständnis der beiden Institutionen (als teils klassischer Ordnungshüter oder aber als elitäre Ideologiepolizei). Persönliche Animositäten taten ein Übriges, und gerade wegen der engen Verzahnung wurden dem Ministerium des Innern auch Pannen der Geheimpolizei bekannt, was deren Nimbus schmälerte.
Dass Dickel in der Anleitung seiner Untergebenen als heikel (sowie als "politisch farblos") galt, kam der Geheimpolizei wohl entgegen, die so breitgefächerte Kontakte (teils inoffizieller Art) bis in die Führungsebene aufbauen konnte. Der Minister beharrte auf Eigenständigkeit, während seine Stellvertreter eher den "Hinweisen" des Mielke-Imperiums folgten, schon aus Einsicht in dessen Dominanz. Einige Leitungskader indes beschränkten die Zusammenarbeit auf das Nötigste oder riskierten gar eine Konfrontation. Zwischen zwei tragenden Säulen eines vermeintlich monolithischen Repressionsapparates kam es dadurch wiederholt zu Dissonanzen. Obwohl gerade Leitungskader zur Kooperation mit der Staatssicherheit verpflichtet waren und sie nur durch deren Fürsprache oder Duldung bis in ihre Funktionen gelangt sein konnten, eröffneten sich auch für sie Handlungsspielräume.
Ob sich indes die "Dominanz" der Staatssicherheit gegenüber der Volkspolizei in der Ära Honecker "noch verstärkte", ist angesichts der aufgezeigten Entwicklung zu bezweifeln; eher verschoben sich die Gewichte etwas in umgekehrter Richtung. Die nachlassende Durchsetzung mit IM spricht für einen von der Parteispitze angeordneten Rückzug, der es den Leitungskadern des Ministeriums des Innern erlaubte, sich mit wachsendem Selbstbewusstsein ein wenig aus der Umklammerung durch die Geheimpolizei zu lösen. Da jedoch beide Apparate unverändert den Wünschen der Parteispitze gehorchten, stellte dies allenfalls einen "Haarnadelriss" in der Sicherheitsarchitektur des SED-Staates dar.
Dr., Mitarbeiter des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), Abteilung Bildung und Forschung, Berlin.
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