Historische Belastungen
2009 äußerte sich Prälat Karl Jüsten, der Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe, zum Verhältnis der Katholischen Kirche zur Linkspartei. Seine Vorbehalte begründete er nicht primär mit aktuellen politischen Forderungen der Partei, sondern mit ihrem Umgang mit der DDR-Diktatur: "die Linkspartei hat noch immer nicht geklärt, wie ihr Verhältnis in der damaligen DDR zu den Menschenrechten war, insbesondere aber auch wie sie mit den Kirchen und mit den Christinnen und Christen in der DDR umgegangen war. Deshalb kann die Linkspartei für uns keine normale Partei sein, mit der wir wie mit allen anderen zusammen arbeiten."
Zumindest so pauschal trifft dieser Vorwurf nicht zu. Die PDS hatte schon im März 1990 "Positionen zu Gläubigen, Religionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften" vorgestellt. Darin hieß es: "Wenn wir um das Gespräch bitten, um Vertrauen werben und gemeinsames Handeln wollen, geschieht das im Wissen um unsere Mitverantwortung an einer verfehlten Politik der SED, die tragische Schicksale, Benachteiligungen, Verdächtigungen und ohnmächtige Betroffenheit auslöste. Wir bekennen uns zur Mitschuld an der bisherigen Politik und bitten die Gläubigen, die Kirchen und Religionsgemeinschaften um Versöhnung." Weiter sprach sich die Partei gegenüber den Kirchen für "die ständige Suche nach Feldern des Zusammenwirkens und der sinnvollen Kooperation, wo immer dadurch für Menschen etwas gutes geschieht", aus.
In den Jahren seit 1990 veröffentlichten die Partei und einzelne ihrer Gliederungen und Zusammenschlüsse, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die parteinahen Bildungsvereine auf Länderebene eine Fülle von Literatur zur Geschichte der SED, der DDR und der sozialistischen Bewegung sowie zur Repression in den sozialistischen Staaten. Die Kirchen und die Drangsalierung von Christen kommen darin allerdings kaum vor. Insofern besteht also tatsächlich noch Nachholbedarf. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung gab anlässlich des evangelischen Kirchentags 2009 und des ökumenischen Kirchentags 2010 jeweils einen Sammelband zu religiösen Themen heraus, die sie an ihren Kirchentags-Ständen vorstellte.
Die Kirchen in den Programmen der Linkspartei bzw. PDS
Gemessen an ihrem politischen und gesellschaftlichen Gewicht und an der Anzahl ihrer Mitglieder finden die Kirchen in den Programmen der PDS bzw. der Linkspartei nur wenige Erwähnungen. Im letzten Grundsatzprogramm der PDS aus dem Jahr 2003 wurden sie nur in einem Satz genannt: "Wir achten und unterstützen das ethische Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, die in Kirchen, Religionsgemeinschaften und kirchlichen Sozialeinrichtungen tätig sind."
Bislang hat die aus PDS und WASG fusionierte Partei "Die Linke" noch kein gemeinsames Programm, sondern lediglich sogenannte Programmatische Eckpunkte. In einem Absatz dieser Eckpunkte werden die Kirchen erwähnt: "Ausgehend von der Verpflichtung des Staates zur weltanschaulichen und religiösen Neutralität treten wir für eine konsequente Trennung von Staat und Kirche/Religion ein. Wir bekennen uns zur verfassungsmäßig garantierten Religions-, Bekenntnis- und Gewissensfreiheit als Grundsäule der Demokratie und Aufklärung und lehnen gewaltsame Missionierung, staatlich verordnete Indoktrination und gesetzlich privilegierte Sonderstellungen von Kirchen und Religionsgemeinschaften ab. Das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis ist ein Recht und die Freiheit des Individuums, Teil des intimen Privatbereiches jedes Menschen."
Die Programmkommission legte 2010 einen Entwurf für ein Grundsatzprogramm vor. Ein kleiner Abschnitt darin ist den Kirchen und Religionsgemeinschaften gewidmet: "DIE LINKE achtet die Kirchen und Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Unabhängigkeit. In Verkündung, Seelsorge und Diakonie sind sie eigenständig und keiner staatlichen Einflussnahme unterworfen. Staat und Kirche sind getrennt. Wir verteidigen das Recht aller Religionsgemeinschaften auf freie Religionsausübung. Allerdings müssen die Grundrechte auch in den Kirchen und Religionsgemeinschaften und in deren Einrichtungen Geltung haben. Niemand, der sich nicht bekennt, darf in irgendeiner Weise benachteiligt werden. Wir wenden uns gegen jeglichen politischen Missbrauch von Religion. An den Schulen sollen der Ethik- und Religionsunterricht der Wissensvermittlung über Religionen dienen und die wechselseitige Toleranz der Glaubensgemeinschaften fördern."
Anders als der Entwurf der Programmkommission geht der schon erwähnte Alternativentwurf der beiden Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak und Raju Sharma vom Januar 2011 auf Konfrontationskurs gegenüber den Kirchen. Zwar heißt es darin einerseits hinsichtlich der Vergangenheit, die Partei habe Lehren aus dem in der DDR begangenen Unrecht gegenüber Gläubigen und Kirchen gezogen, doch fordern sie andererseits in der Gegenwart einen Kampf "für eine Gesellschaft, in der bei einer klaren Trennung von Staat und Kirche alle Religionen gleichermaßen geschützt sind. In dieser Gesellschaft werden Geistliche nicht mit beamtenrechtlichen Sonderprivilegien ausgestattet und staatliche Richter und Beamte nicht mit einer religiösen Beteuerungsformel vereidigt. Die Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen haben umfassende Arbeitnehmerrechte, der Staat zieht keine Kirchensteuer ein und zahlt den Kirchen keine Ablösungsleistungen für Jahrhunderte zurückliegende Enteignungen. In den Schulen gibt es einen für alle Schüler verpflichtenden Ethikunterricht und Religionsunterricht als freiwilliges, zusätzliches Wahlfach. In öffentlichen Gebäuden hängen keine Kruzifixe oder andere religiöse Symbole. In dieser Gesellschaft hat Gott einen Platz in den Herzen der Menschen, die an ihn glauben, nicht aber in der Präambel des Grundgesetzes."
2010 erregten religionspolitische Positionen der nordrhein-westfälischen Linkspartei Aufsehen. So sprach sich die Partei im Programm zur Landtagswahl im Mai 2010 für die Einführung eines gemeinsamen Ethikunterrichts als Pflichtfach aus. Und weiter: "Unterricht in den verschiedenen Religionen wird nach Möglichkeit angeboten, ist jedoch freiwillig." (Im Entwurf des Landtagswahlprogramms, der in der Öffentlichkeit und auch innerparteilich scharf kritisiert wurde, hatte die Partei noch für die Abschaffung des Religionsunterrichts plädiert.) Außerdem forderte die Partei die "Streichung der Garantie für den bekenntnisorientierten Religionsunterricht an Schulen in der Landesverfassung sowie der Ehrfurcht vor Gott als Ziel der Erziehung nach Artikel 7 Landesverfassung sowie § 2 Schulgesetz NRW".
Positionen der Partei zum Staatskirchenrecht und zu den Kirchen
Aus den Reihen der Linkspartei bzw. der PDS werden/wurden gelegentlich insbesondere die Staatsleistungen und die Staatsverträge mit den Kirchen infrage gestellt. So greift Ingolf Bossenz, bei der parteinahen Tageszeitung "Neues Deutschland" ("ND") für die Kirchenberichterstattung zuständiger Redakteur, diese Thematik regelmäßig auf. Bossenz verlangt nicht weniger als eine "grundlegende Reform des Staatskirchenrechts".
Mehrere Linkspartei-Politiker forderten 2010 eine strikte und vollständige Trennung von Staat und Kirchen.
Die innerhalb der Linkspartei vertretenen Positionen zu den Kirchen sind widersprüchlich. Während es ein Reihe von Politikern gibt, die aktive Christen sind, die Kirchen als Partner ansehen und sogar für den Religionsunterricht eintreten, suchen andere die Konfrontation mit den Kirchen.
Der bekannteste bekennende Christ in der Linkspartei ist der Vorsitzende ihrer Thüringer Landtagsfraktion, Bodo Ramelow. Eine Sammlung von Gesprächen mit ihm trägt sogar den Titel "Gläubig und Genosse". Als christliche Vorbilder nennt er Adolf Grimme, Karl Barth, Dorothee Sölle und Wilhelm Weitling.
Gemeinsam mit den kirchenpolitischen Sprechern der anderen Bundestagsfraktionen reiste Ramelow nach Rom zum Papst. 2011 sagte er, er freue sich "riesig" auf den Besuch des "Heiligen Vaters" in Thüringen.
2008 organisierte Ramelow für die Linksfraktion im Bundestag eine Tagung mit dem Titel "Kultur neu denken – Religion, Macht, Freiheit und die Schwierigkeiten, Identität zu bestimmen".
Zum Religionsunterricht gibt es in der Partei keine einheitliche Position. Lothar Bisky meinte im Zuge der Debatte zum Volksentscheid über die Wahlfreiheit zwischen Ethik- und Religionsunterricht in Berlin, es sei ein Fehler gewesen, dass Religionsunterricht in der DDR nicht angeboten wurde. Er sprach sich für die Übertragung der Brandenburger Lösung auf Berlin aus
Berührungspunkte zwischen Linkspartei und Kirchen
Es gibt in den letzten Jahren eine Reihe von Beispielen für Berührungspunkte zwischen den Kirchen und der Linkspartei. Die Katholische Nachrichten-Agentur verbreitete 2007, es falle auf, dass es rund um Oskar Lafontaine, der als Student Stipendiat des bischöflichen Cusanuswerks war, einige bewusst katholische Abgeordnete gäbe.
Die familienpolitische Sprecherin der saarländischen "Linke", Christa Müller, mit dem Regensburger Bischof Walter Mixa auf der Familien-Tagung der Paneuropa-Union Bayern in Augsburg, 1.12.2007. (© dpa)
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Die familienpolitische Sprecherin der saarländischen "Linke", Christa Müller, mit dem Regensburger Bischof Walter Mixa auf der Familien-Tagung der Paneuropa-Union Bayern in Augsburg, 1.12.2007. (© dpa)
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Lafontaines Frau Christa Müller veröffentlichte als familienpolitische Sprecherin der saarländischen Linkspartei ihr Buch "Dein Kind will Dich. Echte Wahlfreiheit durch Erziehungsgehalt" im Sankt Ulrich Verlag des Bistums Augsburg. Sie trat gemeinsam mit Bischof Walter Mixa bei einer Podiumsdiskussion der Paneuropa-Union auf, verteidigte öffentlich Mixas familienpolitische Positionen
Der Parteivorsitzende Klaus Ernst ließ am 23.7.2010 sein Wahlkreisbüro in Passau von dem Betriebsseelsorger Dieter Stuka einsegnen. (© Wahlkreisbüro Klaus Ernst MdB)
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Der Parteivorsitzende Klaus Ernst ließ am 23.7.2010 sein Wahlkreisbüro in Passau von dem Betriebsseelsorger Dieter Stuka einsegnen. (© Wahlkreisbüro Klaus Ernst MdB)
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Führende Politiker der Linkspartei forderten die Kirchen auf, sich stärker in politische Diskussionen einzumischen. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Gregor Gysi äußerte wiederholt seinen Respekt vor den Kirchen und seine Anerkennung ihrer Rolle als moralische Instanzen: "Ohne die Religionen, ohne den Glauben, ohne die Kirchen gäbe es keine Grundlage für allgemein verbindliche Moralnormen gegenwärtig in unserer Gesellschaft. Das hätte zerstörerische Konsequenzen. Obwohl ich nicht religiös bin, fürchte ich also eine gottlose Gesellschaft nicht weniger als jene, die religiös gebunden sind."
Flyer der Partei "Die Linke" zum Ökumenischen Kirchentag 2010 in München. (© Die Linke)
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Flyer der Partei "Die Linke" zum Ökumenischen Kirchentag 2010 in München. (© Die Linke)
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Die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau bekannte 2009 in der Boulevardzeitung "B.Z.": "Auch christliche Werte bestimmen mein Leben."
Die Bundestagsabgeordneten Lukrezia Jochimsen (Die Linke, M.), Monika Griefahn (SPD, 6. v.l.) und Claudia Roth (4. v.r.) besuchten am 3.3.2009 das Kloster Mor Gabriel in der Türkei. Das Bild zeigt sie gemeinsam mit Erzbischof Timotheos Samuel Aktas und seinen Mitarbeitern. (© Lukrezia Jochimsen MdB)
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Die Bundestagsabgeordneten Lukrezia Jochimsen (Die Linke, M.), Monika Griefahn (SPD, 6. v.l.) und Claudia Roth (4. v.r.) besuchten am 3.3.2009 das Kloster Mor Gabriel in der Türkei. Das Bild zeigt sie gemeinsam mit Erzbischof Timotheos Samuel Aktas und seinen Mitarbeitern. (© Lukrezia Jochimsen MdB)
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Auf manchen Politikfeldern kommen aus den Reihen der Linkspartei zustimmende oder unterstützende Äußerungen zu kirchlichen Positionen, etwa zum Kirchenasyl
Aktuell engagieren sich Teile der Linkspartei, etwa die Thüringer Landtagsabgeordnete Birgit Klaubert, auch für mehr staatliche Unterstützung der Luther-Dekade. Und die Magdeburger Linkspartei startete eine Initiative, einen zentralen Platz in der Stadt nach dem Reformator zu benennen.
Zwischen Kirchenkritik und "Bündnisarbeit"
Ausgesprochen kirchenkritisch bis kirchenfeindlich verhalten sich nur wenige Vertreter der Linkspartei. Zu diesen gehört etwa Evrim Baba-Sommer, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, die 2009 unter dem Motto "1.000 Kreuze in die Spree" eine Gegenkundgebung gegen die Veranstaltung "1.000 Kreuze für das Leben" angemeldet hat.
Der Brandenburger Landtagsabgeordnete Peer Jürgens verlangte 2011, ein Kreuz im Sitzungssaal der CDU-Fraktion abzunehmen, wenn Ausschüsse dort tagen. Sein Fraktionskollege Jürgen Maresch widersprach.
Etliche, auch führende Stimmen in der Linkspartei setzen sich für eine verstärkte "Bündnisarbeit" gegenüber den Kirchen ein. So hieß es 2009 in einem Beitrag in der Mitgliederzeitschrift "Disput": Zu den angestrebten Bündnispartnern der Partei "gehören exemplarisch große Teile der christlichen Kirchen. Nur zwei Beispiele aus dem katholischen Bereich: Die katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) und die katholische Friedensbewegung Pax Christi vertreten in ihren Programmen fast 1:1 Positionen der LINKEN."
"Die Linke" und die Kirchen – Fazit
"DIE LINKEN und Gott – das ist ein überfälliges Thema"
Die kritische Auseinandersetzung innerhalb der Partei mit Repression gegen Christen und gegen die Kirchen in der DDR sollte nicht als abgeschlossen angesehen, sondern fortgesetzt werden. Seitens der Kirchen dürften künftig einem entspannteren Umgang aber weniger die SED-Vergangenheit als vielmehr aktuelle gegen die Kirchen gerichtete Aktivitäten eines kleinen Teils der Partei entgegenstehen. Ein Dialog und Zusammenarbeit in Sachfragen sollten möglich sein.
Neben den großen christlichen Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas gibt es unter dem Dach der Kirchen ein breites Spektrum zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen – beispielsweise zu den Themen Menschenrechte, Frieden, Ökologie oder soziale Gerechtigkeit –, mit denen Die Linke eine zumindest punktuelle Zusammenarbeit anstrebt. Der Partei muss allerdings klar sein, dass sie nicht einerseits Kooperation mit den Kirchen bzw. mit kirchlichen Verbänden etwa gegen "den Neoliberalismus" anstreben und gleichzeitig die Stellung der Kirchen angreifen kann.
Noch nicht endgültig geklärt ist die Haltung der Partei zum Verhältnis von Staat und Kirchen sowie zu religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit. An der Parteibasis wie in der -führung gibt es eine Richtung, die die Kirchen als Partner gewinnen will, und eine andere, die auf eine rigorose Trennung von Staat und Kirchen setzt, wie sie der deutschen Verfassungstradition fremd ist. Dieser Streit wird insbesondere im Rahmen der aktuellen Debatte über das erste Grundsatzprogramm der Partei geführt.
Wer aber die Fundamente der hergebrachten und bewährten Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen abschaffen und die Kirchen aus der Öffentlichkeit verdrängen will, muss mit kirchlicher Gegenwehr rechnen. Eine Partei, die künftig noch breitere Bevölkerungskreise ansprechen will, würde sich "sektiererisch" verhalten, wenn sie die Kirchenbindung der Bevölkerungsmehrheit – zumindest im Westen – ignorieren würde. Zu ähnlichen Bewertungen kommen auch realpolitisch orientierte Linkspartei-Politiker. So diagnostizierten Benjamin-Immanuel Hoff und Horst Kahrs in ihrer Analyse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz 2011, ihrer Partei sei "der Zugang zu den katholisch-sozialen Arbeitnehmer-Schichten bisher nicht gelungen."