Um eine Demokratisierung des Sozialismus zu verhindern, hatte insbesondere die DDR 1968 auf eine Intervention in der ČSSR gedrungen, zu der es in der Nacht auf den 21. August 1968 mit militärischen Mitteln kam. Rund 400.000 Soldaten waren damals beteiligt, davon kamen 300.000 bis 350.000 aus der Sowjetunion, 17.000 aus Ungarn, 24.341 aus Polen, 2.168 aus Bulgarien und mindestens neun Verbindungsoffiziere aus der DDR. Einzig das Ostblockland Rumänien hatte eine Beteiligung verweigert. Im Einvernehmen mit der Sowjetführung hatte die DDR damals davon abgesehen, sich direkt mit Panzern zu beteiligen, um das erneute Bild deutscher Panzer in Prag zu vermeiden, sie öffnete aber ihre Grenzübergänge für die Panzerkolonnen aus ihren sozialistischen Bruderländern und leistete logistische Unterstützung, auch durch ihre Geheimpolizei, das MfS.
Die ersten Truppen des Warschauer Pakts landeten am Abend des 20. August 1968 gegen 21 Uhr auf dem Prager Flughafen, rund 250 weitere Transport-Flugzeuge voller Waffen und Fallschirmjägern folgten auf 11 Routen in den Stunden danach. Im Lauf der Nacht drangen dann insgesamt 6.300 Panzer in die ČSSR ein - aus Richtung DDR, Polen, Ungarn und der Sowjetunion kommend. Außerdem waren 550 Kampfjets im Rahmen der "Operation Donau" im Einsatz, laut Zeitzeugen verirrten sich einige davon mangels Funkleitfeuer bis in den bundesdeutschen Luftraum über Nürnberg .
Das auf diese Weise zum Scheitern gebrachte tschechoslowakische Reformexperiment 1968 hatte es außen- und sicherheitspolitisch mit den Interessen zweier deutscher Staaten zu tun, die einander unversöhnt gegenüberstanden. Nachfolgend Auszüge aus einer Analyse von Dr. Jan Pauer im Auftrag der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission, zunächst veröffentlicht im Externer Link: bpb-Dossier Prag 1968:
1. Das Verhältnis ČSSR - Bundesrepublik
Auf den ersten Blick passierte 1968 zwischen den beiden Ländern ČSSR und der Bundesrepublik nichts Spektakuläres. Es gab keinen politischen Durchbruch in Streitfragen, keinen Vertrag, der die zwischenstaatlichen Beziehungen auf eine neue Ebene gehoben hätte, vielmehr herrschte bei der Erneuerung von Kontakten beiderseitige Vorsicht. Dennoch nahm die vermeintliche Gefahr eines westdeutschen Imperialismus und Revanchismus einen zentralen Platz in der sowjetischen Begründung der militärischen Niederschlagung des zur "Konterrevolution" erklärten "Prager Frühlings" ein. Wie ist es zu erklären?
Die Bundesrepublik Deutschland befand sich in den 60er Jahren in einer schwierigen Lage. Der Bau der Berliner Mauer 1961 hatte die deutsche Teilung nicht nur symbolisch vertieft, sondern stabilisierte auch den ungeliebten DDR-Staat. Die Kuba-Krise 1962 offenbarte die Grenzen und Risiken eines jeden Versuchs, den Ost-West-Gegensatz zugunsten der jeweils führenden Großmacht einseitig zu verändern. Die real gewordene Gefahr einer atomaren Konfrontation und die prinzipielle Verwundbarkeit der USA durch die sowjetischen Raketen haben die sicherheitspolitischen Weichenstellungen im Westen nachhaltig verändert. Sie schlugen sich in dem 1967 verabschiedeten sogenannten Harmel-Bericht, mit dem in der NATO-Strategie die Détente als zweite Säule der Sicherheitspolitik verankert wurde, nieder. Die USA und das NATO-Bündnis gingen schrittweise zu einer Politik über, die später der amerikanische Präsident Richard Nixon auf die Kurzformel "From Confrontation to Negotiation" brachte.
Aus anderen Motiven suchte auch Frankreich unter De Gaulle den Weg einer Détente mit der Sowjetunion. Die Bundesrepublik, fest im Westen verankert, sicherheitspolitisch jedoch ganz von den USA abhängig, drohte zum Bremsklotz des anlaufenden Ost-West-Dialogs zu werden. Ihr Alleinvertretungsanspruch und die damit verbundene strikte Nichtanerkennung der DDR-Staatlichkeit, die Hallstein-Doktrin, mit der andere Länder von der Anerkennung der DDR durch den automatischen Abbruch der Beziehungen zur Bundesrepublik abgehalten werden sollten, und vor allem der Umstand, dass sie die Anerkennung der bestehenden Grenzen im Osten an das Junktim eines immer unwahrscheinlich erscheinenden Friedensvertrags eines wiedervereinigten Deutschlands knüpfte, machte sie zu einem Staat, zu dessen Zielen eine nachhaltige Revision der europäischen Nachkriegsordnung gehörte. In einer Zeit, in der mehr Sicherheit durch die Stabilisierung des Status quo in Europa erreicht werden sollte, drohte ihr eine politische Isolierung. Ihre Weigerung, den Nichtverbreitungsvertrag über die Atomwaffen zu unterschreiben, setzte sie zudem in Osteuropa dem nicht ganz unberechtigten Vorwurf aus, sie strebe nach eigenen Atomwaffen. Die Sowjetunion knüpfte ihre Unterschrift an die Vorbedingung, dass die Bundesrepublik zuerst unterschreiben müsse.
Politischer Klimawandel 1966
Die ersten Versuche, die verfahrene Lage aufzubrechen, wurden bereits 1966 unternommen. Die Friedensnote, mit der die Bundesregierung den Vorschlag für einen beiderseitigen Gewaltverzicht unterbreitete, sich vom Münchener Abkommen distanzierte und ihr Interesse an gutnachbarschaftlichen Beziehungen zur damaligen Tschechoslowakei kundtat, schuf die Basis für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.
Obwohl zur Wirtschaftsmacht ersten Ranges aufgestiegen, blieb der außenpolitische Spielraum der Bundesrepublik stark eingeengt. In der Phase der Großen Koalition 1966-1969 mit Willy Brandt als Außenminister versuchte die Regierung, durch eine Lockerung der Hallstein-Doktrin mehr außenpolitischen Spielraum zu gewinnen. Das Junktim Entspannung nur bei Fortschritten in der Deutschlandfrage wurde aufgelöst.
Mit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Jugoslawien und Rumänien 1967 versuchte die BRD als die drittstärkste Industrie- und zweitstärkste Handelsmacht der Welt ihre wirtschaftliche Attraktivität in politischen Einfluss umzusetzen. Das erregte Misstrauen der Sowjetunion und vor allem Ostberlins, denn die Versuche des von 1961 bis 1966 amtierenden Außenministers Gerhard Schröder (CDU), Kontakte zu anderen Ostblockstaaten an Moskau vorbei zu knüpfen, waren dort noch frisch in Erinnerung. In einer Reihe von Ostblockstaaten unterhielt die Bundesrepublik Handelsvertretungen, die in der Praxis auch konsularische Tätigkeiten wahrnahmen und Zugang zu den jeweiligen Außenministerien hatten. Schon unter dem Parteichef Antonín Novotný wurde 1967 eine bundesrepublikanische Handelsvertretung in Prag eröffnet. Da bereits 1958 die BRD zum wichtigsten westlichen Handelspartner der Tschechoslowakei aufgestiegen war, signalisierte Prag mehrfach sein Interesse an der Intensivierung der Kontakte.
1968 Aufbruch mit Bremsung
Der Ausbruch des Demokratisierungsprozesses 1968 steigerte naturgemäß das beiderseitige Interesse. Die Entideologisierung der Außenpolitik, die geplanten Wirtschaftsreformen, die beabsichtigte Steigerung des Lebens- und Konsumstandards der Bevölkerung durch Modernisierung der Industrie, die Abschaffung der Zensur und die Liberalisierung der Reisemöglichkeiten schufen die Basis für zwischenmenschliche Kontakte, für einen freien politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Austausch zwischen den beiden Ländern.
Die vorsichtige Suche nach "eigenem Antlitz" in der Außenpolitik leitete zwar keine radikale Wende in der Haltung zur Bundesrepublik ein, aber das Aktionsprogramm der Partei vom April sowie die Regierungserklärung sprachen von "realistischen Kräften" in der Bundesrepublik, die man gegen "revanchistische und neonazistische Kräfte" unterstützen wolle. Trotz tschechoslowakischer Hoffnungen, eine aktivere Rolle bei der Überwindung der Ost-West-Teilung Europas spielen zu können, stießen die Prager Reformer bald auf ihre Grenzen. Der starke Druck aus Moskau und anderen Hauptstädten des früheren Ostblocks, der bereits in der Inkubationsphase des Reformexperiments einsetzte, zeigte, wie bedroht der Öffnungs- und Demokratisierungsprozess war. Die Folge war eine beiderseitige Selbstbeschränkung der offiziellen politischen Kontakte, die während des ganzen Reformversuches unterhalb der Regierungsebene blieben.
Auf vorsichtiger Suche nach Normalisierung
Der in April 1968 auf tschechoslowakischen Wunsch angereiste Egon Bahr sondierte in Gesprächen mit Ministerialbeamten die Möglichkeiten einer "Normalisierung" der beiderseitigen Beziehungen. Es ging um die Frage eines politischen Abkommens über den Gewaltverzicht, einen Grenzvertrag, um eine Erklärung zum Münchner Abkommen, das sich im September 1968 zum dreißigsten Mal jährte, sowie um einen Vertrag über die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Gespräche wurden auf einer sehr allgemeinen Ebene geführt und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht einmal erwähnt.
Beunruhigende Truppenbewegungen
Bereits im Mai wurden angesichts der sowjetischen Truppenbewegungen im Außenministerium interne Überlegungen angestellt, wie sich die Bundesregierung im Falle einer militärischen Intervention in der Tschechoslowakei verhalten sollte. Probleme eventueller Flüchtlingswellen, des Übergreifens bewaffneter Handlungen auf das Gebiet der BRD, der Koordinierung der Aktivitäten der US-Streitkräfte und des Grenzschutzes wurden erörtert. Eine Zurückhaltung auf allen Gebieten seitens der BRD wurde vereinbart. Vom deutschen Boden sollte keine aktive Intervention auf tschechisches Gebiet unternommen, kein Aufruf zu Fluchtbewegungen erfolgen und uniformierten Soldaten verboten werden, sich näher als fünf Kilometer der Grenze zu nähern. Später wurden als Zeichen einer ostentativen Nichteinmischung die schon 1967 beschlossenen militärischen Manöver in Bayern "Schwarzer Löwe" abgesagt.
Im Verlauf des Mai und Juni 1968 besuchte eine Reihe deutscher Politiker Prag. Es waren vor allem Sondierungsgespräche auf der Parteiebene. Die CDU-Abgeordneten Marx und Müller-Hermann, die FDP-Spitze Scheel und Genscher sowie der SPD-Abgeordnete Eppler informierten sich vor Ort über das Geschehen und loteten die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit aus. Manche dieser Unterredungen in Prag wurden halb versteckt und außerhalb der Räumlichkeiten des Außenministeriums, häufig in einer Gaststätte geführt. Der tschechoslowakische Außenminister Hájek wollte offensichtlich angesichts der harschen Kritik aus Moskau und Ostberlin den Anschein von inoffiziellen Unterredungen vermitteln.
Im Zusammenhang mit tschechoslowakischen Kreditwünschen besuchte am 16. Juli der Bundesbankpräsident Dr. Blessing ebenfalls die Tschechoslowakei. Dennoch wurden keine gewichtigen Verträge abgeschlossen und der Außenhandel zwischen den beiden Ländern nahm 1968 nicht signifikant zu. Während seines Besuchs traf Blessing den tschechoslowakischen Notenbankpräsidenten Pohl. Beide Seiten einigten sich, dass etwaige Kreditwünsche seitens der Tschechoslowakei nicht allein von deutschen Banken, sondern von einem Bankenkonsortium gewährt werden sollten, an dem sich auch andere europäische Banken beteiligen würden. In Unterredungen zwischen westdeutschen Ministerialbeamten und dem stellvertretenden Regierungschef und Vater der Wirtschaftsreform Ota Šik wurden lediglich allgemeine Interessenbekundungen deutscher Wirtschaft an den Reformen und ihre Bereitschaft zur engeren Kooperation bekräftigt. Kleinere Initiativen der Hamburgischen Handelskammer wie die Abhaltung eines Marketingseminars, um die Exportchancen der tschechoslowakischen Wirtschaft zu verbessern, wurden angesichts der gespannten Lage ebenso wie die Kreditwünsche auf den Herbst vertagt.
Dank für Zurückhaltung aus Bonn
Das einzige offizielle Sondierungsgespräch, das von Prag aus in Richtung Bonn veranlasst wurde, ist Ende Juni ohne handfeste Ergebnisse nur auf der Ebene des Instituts für Internationale Politik und der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik geführt worden. Inoffizielle Kontakte des neuen tschechoslowakischen Außenministers Jiří Hájek zum auswärtigen Amt wurden über Vertrauenspersonen abgewickelt. Über einen Mittelsmann ließ Hájek seine westdeutsche Gesprächspartner freimütige Informationen über tschechoslowakische Klagen angesichts der feindseligen Haltung der DDR zu den Vorgängen in der Tschechoslowakei, die Bemühungen der Prager Diplomatie, einen Freundschafts- und Beistandspakt mit Jugoslawien und Rumänien zu schließen und die Notwendigkeit, Ungarn einzubeziehen, ohne dessen Kooperation eine selbständigere Politik gegenüber Moskau nicht durchzusetzen sei.
Zudem wurde übermittelt, dass außer einer passenden Formel über das Münchner Abkommen von 1938 einer Kooperation mit der Bundesrepublik nichts im Wege stünde. Er dankte für die besonnene Zurückhaltung der BRD gegenüber sowjetischen und ostdeutschen Versuchen, die Spannungen durch die Behinderung des Reise- und Transitverkehrs nach Westberlin anzuheizen. Während dieser eher zaghaften Kontakte überschlugen sich im Sommer die Ereignisse in der Tschechoslowakei und das Anwachsen der Spannungen innerhalb des Warschauer-Pakt-Bündnisses besonders durch den Warschauer Brief vom 15. Juli 1968, mit dem der Bruch zwischen der ČSSR und den fünf Warschauer Pakt Staaten öffentlich und in dem die Bundesrepublik scharf angegriffen wurde, ließen das faktische Gewicht der bilateralen Beziehungen – trotz sowjetischer und ostdeutscher Propaganda – auf eine fast zu vernachlässigende Größe schrumpfen.
"Das beste, was wir für die Tschechoslowakei tun, ist nichts zu tun"
Trotz der praktizierten Zurückhaltung Bonns gegenüber den Ereignissen in der Tschechoslowakei, die der damalige Außenminister Willy Brandt auf die Formel brachte: "Das beste, was wir für die Tschechoslowakei tun, ist nichts zu tun", wurde im Rahmen der sowjetischen Eskalationspolitik der "westdeutsche Imperialismus und Revanchismus in der ostdeutschen, sowjetischen und polnischen Presse" zum Popanz aufgebaut. Mit ihrem dreisten Aide-mémoire vom 5.Juli 1968 versuchte die UdSSR unter Berufung auf ihre Pflichten aus dem Potsdamer Abkommen und den Artikel 53 und 107 der UNO-Charta vom 26.6.1945, ihr Interventionsrecht in Deutschland von der Verpflichtung der Mitglieder der Antihitlerkoalition herzuleiten, im Falle einer erneuten Aggression "Zwangsmaßnahmen" gegen das besiegte Land zu ergreifen. Mit anderen Worten, durch ihre aggressive Politik der geheimen atomaren Aufrüstung, der Einmischung in die Ereignisse in der Tschechoslowakei und die beabsichtigte Destabilisierung sozialistischer Staaten bedrohe die BRD den Weltfrieden. Um dies zu verhindern, behalte sich die UdSSR das ihr 1945 eingeräumte Interventionsrecht vor. Im Memorandum wurde u.a. behauptet, dass einflussreiche Kreise in der Bundesrepublik an die Abtretung tschechoslowakischer Gebiete dächten.
Bereits vor der Intervention im August beschränkte sich die Politik des Bundeskanzlers Kiesinger gegenüber der Tschechoslowakei auf die öffentliche Dementierung der absurden Vorwürfe, die ostdeutsche, sowjetische und andere Presseorgane verbreiteten. Nach innen versuchte der Kanzler, an alle Parteien zu appellieren, keine weiteren Besuche in die Tschechoslowakei durchzuführen, um sich nicht noch mehr dem Verdacht einer Einmischung auszusetzen.
Auch CSU-Chef Franz Josef Strauß, der konservative Bayer, wollte Dubček nicht schaden und enthielt sich bis August 1968 jeder Äußerung zu dessen Person. Zu Newsweek-Journalisten meinte er allerdings, dass es eigentlich angebracht gewesen wäre, klar zu sagen, "dieser Dubček ist der gefährlichste aller Kommunisten, denn er macht den Kommunismus im Westen annehmbar, täuscht unsere Öffentlichkeit und erweckt den trügerischen Schein, als ob es einen humanen Kommunismus gebe." Er sei zwar nicht dieser Meinung, sie wäre jedoch eher für ihn hilfreich als die allseitigen Lobeshymnen in den westdeutschen Medien.
Propagandaoffensive des Warschauer Pakts
Nach der Militär-Intervention in Prag unter Führung der Sowjetunion, die als "völkerrechtswidrig" verurteilt wurde, sah sich die Bundesregierung nicht nur einer synchronisierten Propaganda in der Presse der Okkupationsstaaten ausgesetzt, die die "revanchistische" Bundesrepublik in eine direkte Beziehung zu der vermeintlichen Konterrevolution setzten, sondern fürchtete, dass die Sowjetunion eine grundlegende Wende in der Deutschlandpolitik vorbereite. Hatte sie bis dahin nicht grundsätzlich die Möglichkeit eines vereinigten Deutschland ausgeschlossen, so lieferte die Begründung der militärischen Intervention, dass es niemandem je erlaubt werde, ein einziges Glied aus der Gemeinschaft der sozialistischen Ländern herauszubrechen, Anlass zur Sorge, dass das Streben nach der Beseitigung der deutschen Teilung a priori als feindliche Politik bewertet werde.
Aber auch im Westen gab es Kritik an der deutschen Ostpolitik. Im September 1968 gaben De Gaulle und sein Außenminister Debré dem deutschen Kanzler und seinem Außenminister zu verstehen, dass sie die deutsche Politik für einen Faktor hielten, der zur Eskalation der Lage mit beigetragen habe. Im deutschen Bundestag übte daraufhin Walter Scheel öffentliche Selbstkritik wegen seiner Prag-Reise im Sommer 1968.
In der Regierungskoalition gab es keine Zweifel, dass an der Entspannungspolitik festgehalten werden muss und dass die Gespräche zuerst mit der Sowjetunion geführt werden müssen. Bereits am 8. Oktober 1968 traf Willy Brandt den sowjetischen Außenminister Gromyko um die gegenseitige Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft auszuloten. Die militärische Okkupation der Tschechoslowakei und ihr künftiges Schicksal wurden mit keinem einzigen Wort mehr erwähnt.
2. Das Verhältnis CSSR - DDR
Mit der DDR, dem "ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden", gab es in den 60er Jahren sowohl eine enge wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit als auch Spannungen, die bei verschiedenen Anlässen sogar öffentlich ausgetragen wurden. Mit wachsendem Misstrauen beobachteten die SED-Ideologen schon seit Jahren Liberalisierungstendenzen im tschechoslowakischen Kulturbetrieb.
Eine Kafka-Konferenz in Liblice 1963, die so maßgeblich zur Erneuerung des kulturellen Gedächtnisses und zur Vergegenwärtigung der deutsch-jüdischen Kultur in der Tschechoslowakei beitrug, wurde zu einer ersten Zielscheibe der SED-Kritik. Ebenso waren die zunehmenden wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Kontakte tschechoslowakischer Bürger nach Westberlin der DDR ein Dorn im Auge. Als Bürger einer Siegermacht hatten sie dort einen, von der ostdeutschen Bürokratie zwar registrierten und behinderten, jedoch nicht zu unterbindenden Zugang gehabt.
Die spürbare Öffnung der tschechoslowakischen Kultur und der Gesellschaftswissenschaften gegenüber westlichen marxistischen wie nichtmarxistischen Denkströmungen veranlassten Horst Sindermann, auf dem ZK-Plenum im Februar 1964 gegen "neue Frühlingstheorien", die den sozialistischen Realismus ersetzen und den Marxismus verfälschen sollten, zu Felde zu ziehen. Mehrfach nahm er Bezug auf die Kafka-Konferenz und einige Äußerungen in den tschechoslowakischen Zeitschriften.
Seit 1967 Versuche der Festigung einer gemeinsamen Außenpolitik
Im Rahmen einer "Festigung der Einheit und Geschlossenheit der sozialistischen Staatengemeinschaft" wurde im März 1967 zwischen der DDR und der ČSSR ein Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand geschlossen. Obwohl die "Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung" (Art.1) im Vertrag verankert war, ging es in erster Reihe um die enge Abstimmung der Außenpolitik beider Länder, besonders um die Haltung gegenüber der Bundesrepublik. Im Art. 7 wurde die Ungültigkeit des Münchner Abkommens "von Anfang an" festgeschrieben. Die vertragliche Fixierung unerfüllbarer oder schwer zu erfüllender Essentials wie die Anerkennung der staatlichen Souveränität der DDR sowie der Oder-Neiße-Grenze und die Erklärung der Ungültigkeit des Münchner Abkommens ex tunc sollten die Front der drei Staaten Polen, der DDR und der ČSSR gegenüber der Bundesrepublik stärken. Man sprach schon damals von einem "eisernen Dreieck".
Für die DDR ging es in erster Reihe um die Stärkung ihrer Position gegenüber der Bundesrepublik, die durch ihre Weigerung, eine zweite deutsche Staatlichkeit anzuerkennen, ihre Isolierung betrieb. Das Angebot des Gewaltverzichts, das Bonn 1966 an Polen, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion gerichtet hat, erregte sofort das Misstrauen Ostberlins, da die DDR nicht miteinbezogen wurde. Man wollte zwar die DDR einbeziehen, aber nicht anerkennen. Kiesinger sprach im Oktober 1967 von einem "Phänomen", mit dem er in Briefkontakt getreten sei. Mitte der 60er Jahre war die DDR praktisch nur von Ländern des sozialistischen Lagers diplomatisch anerkannt.
Nach dem Bau der Mauer versuchte das SED-Regime 1963, mit Hilfe von Wirtschaftsreformen (NÖSPL) die Lage im Land zu konsolidieren. Die neue Ostpolitik Bonns wurde als ein neuer Versuch, alte Ziele durchzusetzen, aufgenommen. Daher drängte die DDR auf eine kollektive Antwort der sozialistischen Länder. Es gelang ihr, zumindest auf der deklaratorischen Ebene in der Abschlusserklärung der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien im März 1967 in Karlsbad ein Junktim zwischen der Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik zu den anderen sozialistischen Staaten an die zur DDR zu binden.
Bereits vor dem Ausbruch des Prager Frühlings war das Verhältnis DDR- ČSSR von Spannungen gekennzeichnet, die mit der Öffnung und Demokratisierung der Tschechoslowakei eine neue Qualität erhielten. Der beanstandete Revisionismus und die Verbürgerlichung der tschechoslowakischen Kultur und Wissenschaft wurde nun zur dominierenden Kraft innerhalb der Partei. Die Abschaffung der Zensur brachte einen neuen Faktor ins Spiel – die Öffentlichkeit. Die bereitwillige Aufnahme der Reformen und der geistigen Gärung in den westdeutschen Massenmedien erschwerte den SED-Versuch, das eigene Land vor der Ansteckungsgefahr abzuschirmen. Anders als die übrigen sozialistischen Staaten hatte die DDR nur eine Perspektive als ein "Systemstaat" – nur so ist der Versuch zu verstehen, das DDR-Staatsvolk in der neuen Verfassung von 1968 als "sozialistische Nation" zu verankern. Neben der fehlenden politischen Legitimität des Ulbricht-Regimes wurde der Mangel einer nationalen Legitimität der DDR sichtbar.
Reformen von 1968 als Konterrevolution aufgefasst
Die Systemveränderung in der Tschechoslowakei bedeutete für die DDR eine existentielle Herausforderung. Nicht der Versuch, einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz aufzubauen, sondern die marxistisch-leninistische Orthodoxie, kein eigenes Antlitz in der Außenpolitik, sondern die Festigung des Blocks versprachen eine Zukunft des SED-Regimes.
Sehr rasch gelangte daher die SED-Führung zu der Erkenntnis, dass der Übergang von Novotný zu Dubček nicht nur ein Kader- oder Kurswechsel, sondern ein Systemwechsel sei. Die Schaffung der Anti-Reformallianz der Warschauer Pakt-Staaten unter Ausschluss von Rumänien im März 1968 in Dresden und die Klassifizierung der Veränderungen in der Tschechoslowakei als eine "Konterrevolution" entsprachen voll den Stabilitätsbedürfnissen des SED-Regimes. Obwohl es 1968 spezifisch nationale Aspekte des Konfliktes zwischen Prag und Ostberlin gab, wusste sich die Ulbricht-Führung in ihrem Kampf gegen den Reform- und Demokratisierungskurs im Nachbarland voll im Einklang mit den sowjetischen, polnischen und bulgarischen Interessen.
Beim "Dresdner Tribunal" im März und bei den Beratungen der späteren Interventionskoalition Anfang Mai in Moskau präsentierte Ulbricht die konterrevolutionäre Entwicklung in der ČSSR als das Ergebnis des letzten Jahrzehnts.
Novum: Propaganda gegen Funktionäre aus der CSSR
Die SED-Führung entfaltete aus Eigeninitiative eine rege Aufklärungsaktivität der "konterrevolutionären Umtriebe" im Nachbarland. Als es bei der internen Beratung der Parteichefs in Moskau zu einem Disput über die 1.Mai-Feier in Prag kam, konnte Ulbricht auf ostdeutsche Filmaufnahmen hinweisen, die seine Spitzel vor Ort anfertigten. Als erstes Land eröffnete die DDR eine Propaganda gegen konkrete Personen aus der KPČ-Führung. Am 25. März griff der Chefideologe der SED, Kurt Hager, den beliebten Reformer Josef Smrkovský an, was zur ersten offiziellen Protestnote der ČSSR im Jahr 1968 führte. Die Polemik in den Massenmedien beider Länder wurde in scharfem Ton geführt und die DDR-Medien übernahmen streckenweise die Rolle des Vorreiters der reformfeindlichen Propaganda im Ostblock.
Die SED-Propaganda setzte gewissermaßen ihre Angriffe aus der Zeit vor dem "Prager Frühling" fort und fühlte sich allein durch die Kontinuität bestimmter Personen wie Šik, Goldstücker, Smrkovský und anderen, die Symbole des neuen Geistes in der Tschechoslowakei waren, in der Richtigkeit ihrer Einschätzung bestätigt. So konnte Ulbricht bei den gemeinsamen Beratungen der Parteichefs auftrumpfen und sich in die Rolle des ideologischen Sittenwächters stilisieren.
Ein besonderer Dorn im Ulbrichts Auge war die revisionistische Wirtschaftsreform, die viel weiter ging als die in der DDR beschlossene. Auch die Thematisierung der kommunistischen Verbrechen und des Massenterrors in den 50er Jahren, die besonders Smrkovský an die tschechoslowakische Öffentlichkeit brachte, war nach der Meinung von Ulbricht "konterrevolutionär".
Das persönliche Verhältnis zwischen dem erst 47 Jahre alten Alexander Dubček und dem 75jährigen Walter Ulbricht konnte nicht schlechter sein. Die ideologische Starre und eifernde Besserwisserei machte Ulbricht zur unbeliebtesten Figur unter den damaligen osteuropäischen Parteiführern. Seine Fistelstimme und äußere Erscheinung verleiteten einige tschechische Zeichner zu spöttischen Karikaturen. Dubček empfand Ulbricht gegenüber eine persönliche Antipathie, und umgekehrt hielt Ulbricht den unerfahrenen Dubček schon Anfang Mai für einen "hoffnungslosen Fall". Allerdings änderte Ulbricht in den Folgemonaten seine Einschätzung. Hielt er ihn und seine Weggenossen zunächst für "Einfaltspinsel", so wurden sie später zu "schlauen Revisionisten" geadelt.
Trotz kleinerer Gesten wie der Verleihung der tschechoslowakischen Auszeichnung "Weißer Löwe" an Ulbricht zu dessen 75. Geburtstag oder der Versuch des Außenministers Hájek im Juni, die gegenseitige Pressepolemik zu reduzieren, konnten nicht über die Tiefe des gegenseitigen Zerwürfnisses hinwegtäuschen. Selbst der gemäßigte Hájek konterte die massiven Vorwürfe Ulbrichts, in der Tschechoslowakei würden die bürgerlichen Traditionen wiederbelebt, mit dem Argument, dass gerade sie die Etablierung des Faschismus in der Tschechoslowakei verhindert hätten.
Existenzangst des DDR-Regimes und Furcht vor "Sozialdemokratisierung"
Hinter der hysterischen SED-Propaganda gab es jedoch einen rationalen Kern an berechtigter Existenzangst. Einmal fürchtete das SED-Regime eine substantielle Schwächung seiner Position gegenüber der Bundesrepublik für den Fall, dass sich die einzelnen sozialistischen Staaten bilateral, ohne Rücksicht auf Ostberlin mit der Bundesrepublik verständigen. Zum anderen stellte die gefürchtete und für den Fall eines Erfolges des tschechoslowakischen Reformprozesses durchaus realistische Perspektive der Auflösung des "eisernen Dreiecks" und der Schaffung einer "weichen Achse" Belgrad, Bukarest, Prag unter einem mittelfristigen Anschluss von Budapest und sogar Sofia eine nachhaltige Änderung der sicherheitspolitischen Landkarte in Europa dar.
Einer kooperativ eingestellten Gruppe von sozialistischen Staaten würde eine ideologisch starre und auf Abgrenzung zur Bundesrepublik hinarbeitende Achse Ostberlin-Warschau-Moskau gegenüberstehen. Diese Gefahr wurde in Propagandaartikeln "Von der Hitleraggression zur Bonner Ostpolitik" und anderen entlarvt. Und schließlich herrschte in der SED-Führung die größte Angst vor einer schleichenden Auflösung des kommunistischen Herrschaftssystems auf dem Wege der Sozialdemokratisierung der Kommunistischen Partei. Dieser Prozess, der in der Tschechoslowakei im Gange war, schien nur die SED-Warnungen vor der Sozialdemokratie und ihrer Ostpolitik zu bestätigen.
Das "Wesen" der sozialdemokratischen Politik sei es, "die DDR von innen aufzurollen", warnte Ulbrich im März 1968 seine Genossen im Zentralkomitee. Erst werde die ideologische Festigkeit der KP erschüttert, dann Wirtschaftsreformen unter dem Slogan einer Modernisierung eingeleitet und durch wirtschaftliche Kooperation mit der BRD die Blockeinheit erschüttert. Der Begriff, der es in der ideologischen Sprache Ostberlins am besten umschrieb, war die "friedliche Konterrevolution".
Ulbricht als Vorreiter bei Forderungen nach Militärpräsenz in der CSSR
In der Konferenz in Warschau, die eine politische Zäsur war, weil der Bruch zwischen der KSČ-Führung und der Fünfer-Gruppe der Antireformallianz öffentlich wurde, spielte Ulbricht die Rolle des ideologischen Vorreiters. Gemeinsam mit Gomulka beschwor er, die kollektive Pflicht aller sozialistischen Staaten, den Sozialismus in der Tschechoslowakei zu retten, die später als "Breschnew-Doktrin" überliefert wurde. Diese spiegelte die Auffassung vom Junktim zwischen der kollektiven Sicherheit und Systemidentität im Warschauer Pakt wider. In seinen Tiraden gegen die "Konterrevolution" griff Ulbricht sogar den ungarischen Parteichef Janos Kádár an, der die Meinung vertrat, sie habe in der ČSSR noch nicht gesiegt.
Zudem versuchte Ulbricht in altbekannten Mustern deutscher Großmachttradition, die "slowakische Karte" zu spielen. Er verlangte zwar nicht so offen wie der bulgarischer Parteichef Todor Živkov eine militärische Niederwerfung der Konterrevolution, aber er hat sich frühzeitig für die Stationierung sowjetischer Truppen in der Tschechoslowakei ausgesprochen. Die Militärübung "Šumava" (Böhmerwald) , die in ihrem Verlauf immer mehr der militärischen Vorbereitung der späteren Okkupation des Landes diente, inspirierte Ulbricht zu der Aussage, die nächste Militärübung sollte vom Gebiet der Slowakei aus geführt werden.
Im Jahre 1990 überraschte Horst Sindermann die Öffentlichkeit und vor allem die westliche Militäraufklärung, die bis dahin ohne Ausnahme genaue Zahlen der NVA-Militäreinheiten, die angeblich in die ČSSR einmarschierten, veröffentlichte, mit der Aussage, die NVA habe die tschechoslowakische Grenze nicht überschritten. Er begründete es mit der kritischen Einsicht der SED-Führung, vor dem historischen Hintergrund keine unnötige Reminiszenzen wecken und Kriegshandlungen provozieren zu wollen. Wenngleich es zutrifft, dass nur einige spezielle Einheiten der Nachrichtenoffiziere der NVA und Operativagenten des MfS nach dem 21. August 1968 auf dem Gebiet der ČSSR operierten, so muss die "Feingefühlthese" der Ulbricht-Führung in Frage gestellt werden.
Nationale Volksarmee in Interventions-Planung eingebunden
Einmal war die NVA voll in die militärische Vorbereitung einbezogen und war marschbereit und marschwillig. Nur ein NVA-Offizier, der Hauptmann Manfred Schmidt, weigerte sich, an der Okkupation des Nachbarlandes teilzunehmen. Er wurde degradiert, aus der Armee entlassen und aus der SED ausgeschlossen. Zum anderen deuten mehrere Hinweise darauf hin, dass die Idee, die NVA nicht in der ersten Okkupationswelle einmarschieren zu lassen, andere Autoren hat. Entschieden wurde sie in Moskau. Und schließlich zeigt der Eifer, mit dem sich das SED-Regime an der "Invasion durch den Äther" beteiligte, dass eine politische Selbstbegrenzung aus Gründen vergangenheitspolitisch motivierter Rücksichtnahme unwahrscheinlich ist. Der aus Dresden operierende Propaganda-Sender "Vltava" (Moldau) betrieb eine Lügenpropaganda der schlimmsten Art, so dass gerade ältere Menschen sich an die Naziokkupation erinnert fühlten.
Nach der Okkupation des Landes erwies sich Ulbricht als dogmatischer Hardliner. Im Kreml war er es, dem das politische Diktat, zu dem sich die gekidnappten tschechoslowakischen Reformer mit ihrer Unterschrift verpflichteten, nicht weit genug ging. Er bemängelte, dass Dubček und die führenden Reformer auch nach der Intervention in ihren Ämtern bleiben durften. Als einziges Land neben der Sowjetunion versuchte die DDR parallel zur Mission des sowjetischen Sonderbeauftragten der Kuznecov, der mit der Aufsicht über die Erfüllung des "Moskauer Protokolls" beauftragt war, eine eigene Einmischung zu institutionalisieren. Dieser Versuch scheiterte und der Sonderbeauftragte wurde von der KPČ-Führung aufgefordert, nach Ostberlin zurückzukehren.
Aus der Sicht des SED-Regimes war die Niederschlagung und anschließende Unterdrückung des tschechoslowakischen Reformversuchs ein großer Beitrag zur inneren wie außenpolitischen Stabilisierung der DDR. Obwohl die Entscheidung, für die militärische Niederschlagung des friedlichen Reformversuchs in letzter Instanz in Moskau lag, hat die SED-Führung maßgeblich an seiner Herbeiführung mitgewirkt. Angesichts der legitimatorischen Defizite, vor denen die sowjetische Eskalationspolitik gegenüber dem gemäßigten Reformkurs bei der Beweisführung einer "Konterrevolution" in der ČSSR stand, war die ideologische Offensive Ostberlins ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Bestandteil in der Gesamtstrategie der gewaltsamen Niederwerfung des "Prager Frühlings".
DDR-Propagandisten steigerten Paranoia im Kreml
In der Kritik des Reformkurses wurden zugleich politische Ziele der angestrebten Restauration formuliert. In allen Konfliktphasen gehörte die Ulbricht-Führung zu den aktivsten und eifrigsten Gegnern des Reformversuchs. Sie trug maßgeblich zur Radikalisierung der Kritik und zur Nötigung der ungarischen Parteiführung auf einen unversöhnlichen Konfrontationskurs mit Prag bei. Es gibt eine Reihe von Hinweisen darauf, dass die SED-Spitze aufgrund ihrer guten Spionage bei der NATO in entscheidenden Momenten des Meinungsbildungsprozesses innerhalb des sowjetischen Politbüros die herrschende Paranoia in Kreml durch frische Dokumente einer vermeintlich aktuellen Bedrohung durch die NATO-Staaten bediente. Durch ihre Agenten in der Bundesrepublik und bei der NATO hatte die DDR innerhalb der Interventionskoalition bei der Einschätzung "imperialistischer" Bedrohungspotentiale aus dem Westen eine exklusive Stellung.
Die Bevölkerung der DDR war offensichtlich anderer Meinung. Für viele Ostdeutsche war die Tschechoslowakei in erster Linie ein wichtiges Reiseland. Prag und Karlsbad waren bevorzugte Begegnungsorte für ein ost-westliches Familientreffen. Zu Hunderttausenden strömten jährlich die Deutschen aus beiden Staaten ins Land. 1968 verband sich dieses Anliegen noch mit einem regen Interesse an den Veränderungen im Nachbarland.
Schockierte DDR-Öffentlichkeit
Für die meisten DDR-Bürger weckte der "Prager Frühling" Hoffnungen auf Verbesserung der Lage im eigenen Land und im ganzen Ostblock. Obwohl es 1968 in der DDR anders als in Polen keine Studentenunruhen oder Proteste gab, wurde unmittelbar nach der Intervention sichtbar, dass sie eine Welle spontaner Empörung im Volk ausgelöst hat. In mehreren Städten wurden Protestflugblätter verteilt. Allein in Berlin wurden laut Stasi-Berichten an 389 Stellen 3.528 Flugblätter verbreitet und an 212 Stellen 272 Graffitis gesprüht. Sie gingen in der Mehrheit auf das Konto von jungen Menschen zwischen 17 und 25 Jahre, von denen 63 Prozent von den zahlreichen Stasispitzeln ermittelt werden konnten.
Es gab besonders in den Betrieben spontane Unmutsäußerungen der Arbeiter über die militärische Okkupation des Nachbarlandes. Unter den spontan Protestierenden gab es viele Kinder hoher Parteifunktionäre wie Thomas Brasch, der Sohn des stellvertretenden Kulturministers, Erika Berthold, die Tochter des Direktors des Institutes für Marxismus-Leninismus, und die beiden Söhne von Prof. Robert Havemann liefen beim Versuch, Protestflugblätter zu verteilen, der Staatssicherheit in die Falle. Einzel- oder Gruppenproteste wurden im ganzen Land registriert. Für viele wurde der Protest gegen die gewaltsame Unterdrückung des Prager Frühlings ein zentrales Sozialisationserlebnis und bei manchen begründete er eine Dissidentenkarriere.