1. Fragestellung
Die Medizinische Akademie Magdeburg (MAM) war eine mit Promotions- und Habilitationsrecht ausgestattete medizinische Hochschule zur Ausbildung von Ärzten. Sie wurde 1954 gegründet und besaß – im Gegensatz zu den anderen beiden Medizinischen Akademien der DDR, Dresden und Erfurt – seit 1960 auch die Möglichkeit der Ausbildung im sogenannten Vorklinikum.
Mit dieser strukturellen Umgestaltung vollzogen sich innerhalb der MAM bis zum Ende der 1960er-Jahre auch personelle Brüche mit nachhaltiger Wirkung, die ihren Weg zu einer "sozialistischen Hochschule" begleiteten. Der Blick richtet sich hierbei auf die Hochschullehrerschaft. Dabei werden unter dem Begriff "Hochschullehrer" all jene Personen gefasst, die im Untersuchungszeitraum entweder Professoren mit Lehrstuhl, Professoren mit vollem Lehrauftrag, mit Lehrauftrag, Dozenten, Lehrbeauftragte und emeritierte Professoren waren – unter Berücksichtigung dessen, dass sich die Habilitationskriterien im Laufe des Untersuchungszeitraums änderten und unschärfer wurden. Zu diesem Lehrkörper gehörten an der MAM 1958 24, 1961 27 und fünf Jahre später 33 Personen. Die Bedeutung dieser Personengruppe liegt auf der Hand: Es war nicht nur deren Aufgabe, die "hochqualifizierte sozialistische Persönlichkeit zu formen"
Anhand der ausgewerteten Quellen – vornehmlich Personalakten aus dem Universitätsarchiv der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, dem Bundesarchiv sowie Akten des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) – ist es möglich, den groß angelegten, DDR-weiten universitären Elitenwechsel der 1960er-Jahre für das lokale Beispiel Magdeburg nachzuzeichnen.
Die enge Verzahnung zwischen personellen und strukturellen Modifikation vermag im Folgenden zeigen, dass die Haltung der Hochschullehrer auch dazu beitrug, die zweite deutsche Diktatur zu stabilisieren. Gleichzeitig wirft sie Fragen auf, ob ungeachtet einer augenscheinlichen Steuerungsdominanz von Staat und Politik und einem hohen Politisierungsgrad von Hochschule und Wissenschaft in der DDR Bereiche der relativen Autonomie entstehen konnten und wo die Grenzen des Anspruchs einer totalitären Durchdringung und Beherrschung der Gesellschaft lagen.
2. Die 1950er: Die MAM als "konservative Bastion"?
DDR-weit wurden bereits Ende der 1950er-Jahre viele Emeritierungen an den medizinischen Hochschuleinrichtungen damit begründet, dass nur dann "mit Erfolg eine sozialistische Entwicklung" dieser Einrichtungen erreicht werden könne, wenn die "grauen Eminenzen" ihren Einfluss verlören. Diese alten Ordinarien würden die politische Entwicklung hemmen, die "ideologische Auseinandersetzung" verlangsamen und ein "Zentrum für die völlig falsche politische Erziehung der Studenten" und des wissenschaftlichen Nachwuchses bilden.
Blick auf die neu erbaute Landesfrauenklinik, die zur Medizinischen Akademie Magdeburg gehörte. Aufnahme vom 28. Februar 1956. (© Bundesarchiv, Bild 183-36424-0001, Foto: Biscan.)
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Blick auf die neu erbaute Landesfrauenklinik, die zur Medizinischen Akademie Magdeburg gehörte. Aufnahme vom 28. Februar 1956. (© Bundesarchiv, Bild 183-36424-0001, Foto: Biscan.)
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Für die Medizinische Akademie Magdeburg der späten 1950er-Jahre war besonders der damalige Rektor der Parteiführung und dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als unliebsame Erscheinung an der Spitze der Akademie aufgefallen. Karl Ludwig Nißler (Jahrgang 1908) war seit 1933 Mitglied der SA und seit 1937 der NSDAP gewesen. Obgleich formal Mitglied der SED seit 1946, entging dem Staatssicherheitsdienst nicht Nißlers "widerspruchsvolle Haltung" sowie eine "kleinbürgerliche ideologische Position".
Gleicht man diesen Befund über den Rektor mit weiteren schriftlichen Zeugnissen ab, dann lässt sich für die Zeit kurz vor dem Mauerbau wohl nicht von einer "konservative Bastion"
3. Richtungswechsel nach dem Mauerbau
Neubau des Pathologischen Instituts der Medizinischen Akademie Magdeburg, 4. Januar 1960. (© Bundesarchiv: Bild 183-69879-0004/ Fotograf: Biscan)
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Neubau des Pathologischen Instituts der Medizinischen Akademie Magdeburg, 4. Januar 1960. (© Bundesarchiv: Bild 183-69879-0004/ Fotograf: Biscan)
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1962 wurde der erst 37-jährige Pharmakologe Hansjürgen Matthies – SED-Mitglied seit 1946 – vom Senat der Akademie als Rektor zum Nachfolger des lästigen Nißlers gewählt. Unterstützt wurde er bei seiner Wahl nicht nur vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, sondern auch vom MfS.
Der aus einer Stettiner Kaufmannsfamilie stammende Matthies war 1943 der NSDAP beigetreten, sein 1944 begonnenes Medizinstudium durch den Kriegsdienst an der Ostfront unterbrochen worden. Nach der Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft hatte Matthies sich zunächst einige Monate als Maschinenarbeiter verdingt, ehe er sein Medizinstudium wieder aufnehmen konnte. 1946 trat er in die SED ein. Im Folgenden begann sein rasanter wissenschaftlicher Aufstieg: 1953 Promotion, 1957 Habilitation; im selben Jahr erhielt Matthies einen Ruf an die MAM. Die Geschwindigkeit seines Vorankommens brachte ihm das Prädikat "Senkrechtstarter"
Matthies profitierte bei seinem Aufstieg mit Sicherheit nicht zuletzt vom Personalmangel in der DDR-Medizin. Seit Juli 1957 war er Dozent und kommissarischer Direktor des neu gegründeten Pharmakologie-Instituts, umgehend wurde er zum Prorektor für Studienangelegenheiten ernannt – was offenbar gegen den Willen der "bürgerlichen Professoren" an der Akademie geschah. Es lassen sich Unstimmigkeiten im Senat nachweisen, weil er diesen Posten bereits so kurz nach seiner Arbeitsaufnahme an der MAM bekam. Der Senat hatte ursprünglich einen anderen Prorektor vorgeschlagen, der aber vom Staatssekretariat für Hochschulwesen abgelehnt worden war.
Mit diesem "ministeriellem Rückenwind" versehen konnte Hansjürgen Matthies somit 1962 die Leitung einer medizinischen Hochschule übernehmen, womit deren "sozialistische Umgestaltung" weiter beschleunigt werden konnte. In seiner ersten Amtszeit als Rektor führte Matthies "eine straffe Ordnung in die staatliche Leitung der MAM ein", wie es von Seiten des Staatssekretariats für Hoch- und Fachschulwesen hieß.
Eine weitere Beschleunigung der Umgestaltung zur "sozialistischen Hochschule" wurde im Mai 1965 in die Wege geleitet. Damals wurde vom – von Matthies geführten – Senat der MAM eine Erweiterung des Lehrkörpers durch Einrichtung neuer Lehrstühle und Extraordinariate beschlossen. Ziel dieser Maßnahme war es nicht nur, die "Verantwortung für zu große organisatorische und administrative Belange zu mindern" und einen "engeren Kontakt der Dozenten mit den Studenten" zu erreichen. Zuvörderst sollte dadurch vielmehr erreicht werden, dass "eine breite Schicht wissenschaftlich aktiver, selbständiger Spitzenkader" entwickelt würden, die "ihre besondere Verantwortung für die unmittelbare Ausbildung der Studenten, aber auch für die Erziehung zu sozialistischen Ärztepersönlichkeiten erkannt haben"
4. Der Prototyp 1966: männlich, "bürgerliche" Herkunft, 46 Jahre alt, Parteimitglied
Dies kann empirisch anhand der Sozialprofile skizziert werden: Für die geschlechtliche Zusammensetzung ergibt sich eine absolute Dominanz männlicher Beschäftigter. In jedem Vergleichsjahr war jeweils nur eine Frau als Hochschullehrerin an der MAM angestellt. Auffällig ist im Untersuchungszeitraum eine deutliche Steigerung des Anteils der "Arbeiter- und Bauern-Kader". Stieg dieser bei den Medizinischen Akademien DDR-weit zwischen 1962 und 1969 immerhin von 6,4 auf 15,6 Prozent, so lässt sich für die MAM in dem vergleichbaren Zeitraum 1961–1966 gar eine Erhöhung von 16,7 auf 29,3 Prozent feststellen Die von der SED gewünschte Ersetzung alter Ordinarien durch "neue Kader" schien in Magdeburg also bereits zur Mitte der 1960er-Jahre mehr Früchte zu tragen als in der DDR insgesamt.
Alter und NS-Vergangenheit
Für die altersmäßige Zusammensetzung ergibt sich für die MAM ein leicht sinkendes Durchschnittsalter der Hochschullehrer. Betrug der Altersschnitt 1958 noch 47,9 Jahre, sank dieser 1961 auf zunächst 47,1 und fünf Jahre später auf 46,1 Jahre. Damit lag die MAM deutlich unter dem DDR-weiten Durchschnitt von 54,3 Jahren.
Mehr als vier Fünftel (81,8 Prozent) der Hochschullehrer der MAM (Stand 1961) verfügte über Fronterfahrung im Zweiten Weltkrieg, sei es als Stabs- oder Unterarzt, in Sanitätskompanien oder in Lazaretten. Mindestens fünf von ihnen waren im Zuge dessen mit Verdienstorden wie der "Ostmedaille" oder dem "Eisernen Kreuz" I. und II. Klasse ausgezeichnet worden. Mitglied der NSDAP waren von den Hochschullehrern des Jahres 1958 53,4 Prozent gewesen – davon war die Hälfte (26,7 Prozent) zu diesem Zeitpunkt Mitglied der SED. Dies ist als klarer Kompromiss zwischen politischem Postulat und Unverzichtbarkeit des Einzelnen zu werten. Zwar sagt allein die Feststellung einer formalen NSDAP-Mitgliedschaft noch wenig aus über die tatsächliche politische Gesinnung und den Grad der Identifikation mit den Zielen des NS-Regimes aus; zudem lassen die bloßen Zahlen unberücksichtigt, dass es hier – wie im Fall Nißlers – Dopplungen gegeben hat. Dennoch weisen diese Werte klar in die Richtung, dass eine breite Durchdringung des Lehrstuhls durch SED-Kader ein Ziel der Parteiführung sein musste. Eine vorherige NSDAP-Mitgliedschaft bei mehr als der Hälfte aller Hochschulangehörigen konnte seitens der SED nicht toleriert werden, verwies dies doch auf ein geringes Innovationspotential und auch auf eine gehemmte Anpassungsbereitschaft an die Werte des Sozialismus. Dass die Zahlen aufgrund von Emeritierungen rückläufig waren, nimmt kaum Wunder: 1961 waren nur noch 33,3 und 1966 18 Prozent aller Hochschullehrer Mitglieder der NSDAP gewesen.
SED-Mitgliedschaft
Wie für die NSDAP-, so lässt sich auch für die SED-Mitgliedschaft behaupten: Sie gilt als auch nach außen hin öffentlich bekundete Form machtkonformen Verhaltens. Wie für das "Dritte Reich" galt aber auch für die DDR, dass die Mitgliedschaft in der staatstragenden Partei kaum etwas über die politische Überzeugung und die faktische Identifikation des Einzelnen mit dem jeweiligen System aussagt. Dennoch handelt es sich bei einer Parteimitgliedschaft um ein klar definiertes Merkmal, wenngleich gespeist aus höchst unterschiedlichen Motiven: tatsächlich vorhandene politische Überzeugungen, Karrierismus, Schutz der eigenen Person/Familie, materielle Vorteile etc. Andere denkbare Formen loyalen Verhaltens gegenüber der bestehenden Diktatur – ausgezeichnete und vorbildliche Arbeitsleistungen, (system-) loyales Auftreten in Diskussionen oder besondere Sozialisationsleistungen bei der "Reproduktion", also bei der Erziehung systemtreuer Nachfolgegenerationen – unterliegen in weit größerem Maße subjektiven Bewertungsmaßstäben und sind ohnehin anhand der verfügbaren Quellen nicht mehr aufzuzeigen.
Es scheint unstrittig, dass in den 1960er-Jahren neben der "richtigen" sozialen Herkunft und den jeweiligen Qualifikationen vor allem die politische Loyalität "die Eintrittskarte in die operative und/oder administrative Dienstklasse"
Auch hier lohnt ein Blick auf die Zahlen: War 1958 etwa ein Viertel aller Hochschullehrer Mitglied der SED, so erhöhte sich diese Zahl in den nächsten drei Jahren zunächst auf 29,6 Prozent. Vermutlich widerspiegeln sich in solchen eher niedrigen Zahlen auch die realistischen Karriereaussichten – zumindest der beginnenden 1960er-Jahre –, denn damals galt noch: "Ein sicheres Ticket für die flotte akademische Karriere war das SED-Parteibuch mitnichten."
Einen immensen Mitgliederzuwachs erlebte die SED seitens der MAM-Hochschullehrer dann in den folgenden Jahren: Im "Jahr des Durchbruchs" 1966 gehörten bereits 45,5 Prozent aller Hochschullehrer der Einheitspartei an. Diese Zahlen korrespondieren mit anderen Erhebungen. Zunehmend ab der Mitte der 1960er-Jahre wurde DDR-weit eine langsame "SEDisierung der Sektionen"
Differenziert werden muss bei solchen Zahlen immer nach dem jeweiligen Eintrittszeitpunkt. In den Anfangsjahren der SBZ/DDR unterstrichen viele mit dem Eintritt in die SED ihre Ablehnung gegenüber dem untergegangenen nationalsozialistischen Regime. An der Medizinischen Akademie Magdeburg zählte 1961 die übergroße Mehrheit der SED-Angehörigen (87,5 Prozent) zu jenen Genossen der "ersten Stunde", diese waren der Partei bis zur Gründung der DDR beigetreten. Aber auch ehemalige NSDAP-Mitglieder wurden recht schnell in die Einheitspartei integriert. 57,1 Prozent der SED-Genossen von 1961 hatten eine "braune" Vergangenheit. Nicht zuletzt auch an solchen Zahlen muss sich der "antifaschistische Gründungsmythos" messen lassen.
Aufstieg
Eine solche SED-Mitgliedschaft konnte sich durchaus positiv und beschleunigend auf die Karriere auswirken, wie sich empirisch belegen lässt. So hatten alle Hochschullehrer der MAM des Jahres 1966 im Durchschnitt 15,1 Jahre von der Promotion bis zur Erlangung eines Lehrstuhls benötigt. Die Parteilosen an der Akademie hatten hierfür 19,1 Jahre gebraucht, die SED-Mitglieder dagegen nur 11,9 Jahre.
Überträgt man diese Zahlen auf die einzelnen Geburtsjahrgänge, so fällt besonders bei der Generation derjenigen, die nach 1920 geboren worden waren, auf, dass genau 50 Prozent dieser Hochschullehrer Mitglied der SED waren. Bei den älteren Geburtsjahrgängen liegen diese Zahlen bei 20–30 Prozent. Betrachtet man nur diejenigen, die zwischen 1925 und 1933 geboren worden waren, also die "Antifa-Generation" der desillusionierten HJ-, Flakhelfer- und Volkssturm-Jahrgänge, deren prägende politische Erfahrungen sich mit der Gründung der DDR und den Aufbaujahren verbanden, so beträgt diese Zahl sogar 91 Prozent. Die restlichen neun Prozent waren keineswegs parteilos, sondern Mitglied in einer der Blockparteien. Eine solche Mitgliedschaft galt besonders nach dem Mauerbau als Zeichen einer zumindest bedingt systemloyalen Einstellung und konnte sich ebenfalls positiv auf die Karriere auswirken. Gerade Personen, die nicht unter dem direkten Einfluss der Einheitspartei stehen, aber trotzdem ihre Karriere beschleunigen wollten, bot der Eintritt in eine Blockpartei eine Möglichkeit dazu.
Was eine SED-Mitgliedschaft konkret für den einzelnen Hochschullehrer bedeutete, lässt sich nicht im Einzelfall feststellen; ebenso wenig lässt sich beantworten, wie groß die Diskrepanz zwischen formaler Mitgliedschaft und tatsächlicher innerer Verbundenheit mit dem System jeweils war. Allerdings verpflichtete jeder Genosse nach einjähriger Kandidatenzeit sich dazu, den Beschlüssen der Einheitspartei zu folgen und diese aktiv durchzusetzen. Für jene Hochschullehrer, die gleichzeitig Genossen waren, galt demnach rein formal, dass sie idealiter die Ansichten der SED in ihre Lehre einzubringen und als sozialistisches Vorbild für den Ärztenachwuchs zu wirken hatten. Auch hier sind Schattierungen zu vermuten. Nicht zuletzt spielte die Bedeutung des Einzelnen und dessen Un-/Ersetzbarkeit eine Rolle.
Um dies zu unterstreichen, wurden Einzelverträge mit den Hochschullehrern geschlossen. Im Jahre 1961 kamen nachweislich 21 Hochschullehrer in den "Genuss" eines solchen Vertragswerkes (77,8 Prozent). Diese stellten für den Hochschullehrer ein hohes Einkommen und andere Annehmlichkeiten, wie Reisemöglichkeiten oder Ausbildung der Kinder, sicher – um den Preis, vom Staat gewissermaßen "gekauft" worden zu sein.
Auszeichnungen
Im Zeichen der Fluchtprävention stand neben den Einzelverträgen auch die Vielzahl von Auszeichnungen, mit denen die Hochschullehrer der MAM geradezu "überschüttet" wurden: "Verdienter Arzt des Volkes", Vaterländischer Verdienstorden, Hufeland-Medaille in Gold, Silber und Bronze, Medaillen für ausgezeichnete Leistungen, Rudolf-Virchow-Preis, Clara-Zetkin-Medaille usw. – Nahezu alle Hochschullehrer, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, erhielten mindestens einen dieser Preise (Stand 1966). Nicht nur quantitativ ist Hansjürgen Matthies hier der unangefochtene "Spitzenreiter", auch qualitativ: Neben fünf der genannten Auszeichnungen allein in den 1960er-Jahren erhielt er 1968 sogar den Nationalpreis der DDR.
All diese Preise waren jeweils mit einer Geldprämie verbunden. Allein bis zum Mauerbau wurden insgesamt 20 dieser Auszeichnungen an verschiedene Hochschullehrer der MAM vergeben. Einerseits wollte man durch Zugeständnisse die Mediziner im Lande halten, andererseits soll gerade der Anschein dieser Intention nicht erweckt werden, um nicht die Schwäche der eigenen Position offen einzugestehen. Die dekorierten Personen drückten so – mindestens unfreiwillig – ihre Verbundenheit mit dem System aus.
Massenorganisationen
Ähnlich den Blockparteien dienten auch die Massenorganisationen als Transmissionsriemen sozialistischer Politik. Über diese Organisationen versuchte die SED, große Teile der Bevölkerung zu erreichen. Allerdings darf auch hier bezweifelt werden, dass die politisch-ideologische Erziehung Erfolge zeitigte. Neben den fachlichen Ausschüssen und medizinischen Vereinen waren die Hochschullehrer Mitglieder in diversen Vereinigungen. 1966 waren insgesamt 91,6 Prozent der MAM-Hochschullehrer Mitglied im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), gefolgt von der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF, 62,5 Prozent), dem Kulturbund (33,3), der Freien Deutschen Jugend (FDJ, 29,6) sowie dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB, 12,5 Prozent).
Innerhalb der "Antifa-Generation", also der 1925–1933 Geborenen, fallen diese Zahlen deutlich höher aus: Alle von ihnen gehörten dem FDGB an, gefolgt von der DSF (72,7 Prozent), dem Kulturbund und der FDJ (je 54,5) sowie dem DTSB (18,1 Prozent). Für diese Jahrgänge lässt sich demzufolge eine weit höhere Bereitschaft nachweisen, sich gesellschaftspolitisch – zumindest auf dem Papier – einzubringen.
Eine Pflicht zur Mitgliedschaft in diesen Organisationen bestand zwar nicht, doch gab es stets einen informellen Druck, sich mindestens einem dieser Verbände anzuschließen. Wer nicht in der SED war – und das war 1966 immer noch die Mehrheit der untersuchten Hochschullehrer –, musste sich wenigstens anderweitig gesellschaftlich engagieren. Insbesondere der Kulturbund bot eine Möglichkeit, nicht allzu viel Konformität an den Tag legen zu müssen.
Zudem wurden die Massenorganisationen noch durch andere Maßnahmen attraktiver gestaltet. So vergab der FDGB Urlaubsreisen – auch für Hochschullehrer war dies (trotz ihrer teils erweiterter Reisemöglichkeiten) oft die einzige Möglichkeit, einen Urlaubsplatz zu bekommen.
5. Hochschullehrer als Stabilisatoren der Diktatur?
Anders als von der SED gewünscht, konnte an der Medizinischen Akademie Magdeburg zu Beginn der 1960er-Jahre kein ideologisches Zentrum als Gegengewicht zu den noch relativ konservativ geprägten medizinischen Fakultäten an den Universitäten geschaffen werden. Dies lag unter anderem daran, dass das Lehrpersonal in Anbetracht des recht kurzfristigen Aufbaus der Akademien zu einem erheblichen Teil aus anderen medizinischen Ausbildungseinrichtungen rekrutiert werden musste und es eine "bürgerliche Einstellung" von dort bereits mitbrachte. Auf diesem Wege konnten als weder personelle Kontinuitäten gebrochen noch eine neue Elite installiert werden. Folglich musste die konservativ-bürgerliche Bildungselite als politisch neutralisierte Funktionselite in den neuen sozialistischen Staat integriert werden.
Die sogenannte "neue Intelligenz" aus Arbeiter- und Bauernkreisen konnte bis Anfang der 1960er-Jahre innerhalb der Hochschullehrerschaft der MAM noch keinen prägenden Einfluss erlangen. Dieser Prozess vollzog sich eher schleppend und konnte erst nach der Erweiterung des Lehrkörpers 1965/66 sowie dem Ausscheiden der alten Ordinarien greifen. Die personelle Veränderung in den Folgejahren ist beachtlich: Es gelang der SED-Kaderpolitik, den Anteil der Professoren aus der Arbeiter- und Bauernschaft zwischen 1958 und 1966 – nach einem moderaten Wachstum bis 1961 – nahezu zu verdoppeln. Er lag damit deutlich über dem DDR-Durchschnitt. Dabei ist das Jahr 1965 als "Wendepunkt" anzusehen.
Die Erweiterung und schrittweise Verjüngung des Lehrkörpers führte zudem zu einer Verlagerung der politischen Gesamtausrichtung. Neue DDR-Absolventen wurden schrittweise in den Lehrkörper eingebunden, immer mehr traditionell konservativ geprägte Hochschullehrer schieden mit ihrer Emeritierung aus. Rein quantitativ war die Hochschullehrerschaft der MAM im Untersuchungszeitraum von einer höheren SED-Durchdringung gekennzeichnet als andere medizinische Fakultäten der DDR.
Offenbar wurde die SED-Mitgliedschaft seit den 1960er-Jahren in zunehmendem Maße zu einem entscheidenden Auswahlkriterium für Positionen in der akademischen Lehre und Forschung. Hochschullehrer konnten sich fortan nur schwer dem Einfluss der Partei entziehen. Dies korrespondiert auch mit der überdurchschnittlich hohen Bereitschaft der "Antifa-Generation", der Einheitspartei beizutreten. Diese Zahlen können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass sich eine Mehrheit der Hochschullehrer der MAM offensichtlich auf die Rolle des "politisch indifferenten", also parteilosen "Humanisten" zurückzog, der sich allein auf Lehre und Forschung konzentrierte. Auch gab es mit Sicherheit genügend Ärzte, die Hervorragendes leisteten, ohne sich mit den Vertretern des "entwickelten Sozialismus" zu arrangieren. Dies geschah jedoch im Fall der MAM, ohne aufzubegehren – zumindest dokumentierten die Quellen für den Untersuchungszeitraum keine Handlungen oppositionellen Verhaltens seitens der Hochschullehrer.
"Den" Hochschullehrer der MAM in den 1960er-Jahren hat es nicht gegeben. Vielmehr ergibt sich ein Bild von Dozenten und Ärzten jenseits simpler totalitarismustheoretisch inspirierter Entwürfe, aber auch weit weg von Weichzeichnungen der zweiten deutschen Diktatur. Die Hochschullehrer befanden sich stets im Spannungsgefüge zwischen Anpassung und Repression, das eine Vielzahl von Handlungsoptionen offen hielt. Die Mehrheit hat sich den Spielregeln der sozialistischen Gesellschaft zumindest angepasst; einige diese sicherlich begrüßt, andere in "missmutiger Loyalität" (Alf Lüdtke) hingenommen, allein: in keinen Fällen nachweislich offen aufbegehrt. Die meisten Hochschullehrer der Medizinischen Akademie Magdeburg trugen somit – bewusst oder unbewusst – als "Bindekräfte" (Sabrow) zur relativen Stabilität der DDR nach dem Mauerbau bei.