Sammelrezension zu:
Manuela Glaab, Werner Weidenfeld, Michael Weigl (Hg.): Deutsche Kontraste 1990–2010. Politik-Wirtschaft-Gesellschaft-Kultur, Frankfurt a. M.: Campus 2010, 701 S., € 39,90, ISBN: 9783593392790.
Peter Krause, Ilona Ostner (Hg.): Leben in Ost- und Westdeutschland. Eine sozialwissenschaftliche Bilanz der deutschen Einheit 1990–2010, Frankfurt a. M.: Campus 2010, 796 S., € 58,–, ISBN: 97835933933339.
Robert Grünbaum: Deutsche Einheit. Ein Überblick 1945 bis heute, 2., überarbeitete Aufl., Berlin: Metropol 2010, 206 S., € 19,–, ISBN: 9783940938947.
Andreas H. Apelt, Robert Grünbaum, Martin Gutzeit (Hg.): Der Weg zur Deutschen Einheit. Mythen und Legenden, Berlin: Metropol 2010, 267 S., € 19,–, ISBN: 9783940938916.
Tilman Mayer (Hg.): 20 Jahre Deutsche Einheit. Erfolge, Ambivalenzen, Probleme (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung; 97), Berlin: Duncker & Humblot 2010, 270 S., € 28,–, ISBN: 9783428134168.
Claus Christian Malzahn: Deutschland 2.0. Eine vorläufige Bilanz der Einheit, München: dtv 2010, 139 S., € 12,90, ISBN: 9783423247986.
Erwartungsgemäß zog der 20. Jahrestag der Deutschen Einheit eine Reihe bilanzierender wissenschaftlicher und journalistischer Literatur nach sich, von der hier eine repräsentative Auswahl vorgestellt wird. Der Qualität der besprochenen Beiträge kommt merklich zugute, dass auf einem breiteren Fundament Aussagen und Prognosen getroffen wurden, als dies nach Ablauf des ersten Jahrzehnts der (Wieder-)Vereinigung möglich sein konnte. Auch ist ein gewisser Perspektivenwechsel spürbar: Bei der Betrachtung vergangener und gegenwärtiger Entwicklungen gerät zunehmend die Aufeinanderbezogenheit der ehedem getrennten Teile Deutschlands in den Blick.
"Deutsche Kontraste"
Zwei im direkten und übertragenen Sinne gewichtige wissenschaftliche Publikationen sind zunächst anzuzeigen. Die Herausgeber des Titels "Deutsche Kontraste 1990–2010", Vertreter der Forschungsgruppe Deutschland beim renommierten Münchner Centrum für angewandte Politikforschung (C.A.P.), verstehen ihren "Konzeptband" als publizistische Traditionslinie zu den vorherigen "Hand(wörter)büchern zur deutschen Einheit" (1992, 1996, 1999) bzw. zum 2001 vorgelegten "Deutschland-Trendbuch". Die Ergebnisse seien eine "analytisch dichte und differenzierte Hinterfragung viel diskutierter Kontraste, die Deutschland zwei Jahrzehnte nach der Vereinigung prägen" (11). Innerhalb der vier Bereiche "Politik", "Wirtschaft", "Gesellschaft" und "Kultur" werden jeweils kontrastierende Begriffspaare einer Untersuchung unterzogen – wobei hier expressis verbis keine Dichotomien behauptet werden, jedoch Spannungsverhältnisse, welche Richtungsfragen aufwerfen würden (15). Die Auswahl der Begriffspaare wirkt bisweilen etwas willkürlich; grosso modo bilden sie aber jene Konfliktlinien adäquat ab, die im Zusammenhang mit dem deutschen Einigungsprozess stetig einem Diskurs unterzogen werden.
Manuela Glaab wendet sich unter Zuhilfenahme einer breiten empirischen Datenbasis zunächst der "Relevanz der Politik" in Gestalt des politischen Interesses in Ost und West zu, bevor sie sich Formen politischer Partizipation, klassifiziert in "konventionell-verfasste" und "unkonventionell-unverfasste", widmet. Als Fazit formuliert Glaab, dass im Bereich der elektoralen und parteibezogenen Beteiligung rückläufige Tendenzen festzustellen sind. Dabei weise auch der Trend bei den mehr spontanen, unverfassten Partizipationsformen nicht durchweg nach oben. Eine scharf konturierte Trennlinie zwischen Ost und West sei in diesem Bereich aber nicht erkennbar; vielmehr hätten sich "strukturell sehr ähnliche Beteiligungssysteme herausgebildet" (132).
Michael Weigl kommt in seinem "Erinnerung versus Neuanfang" überschriebenen Beitrag zu dem Ergebnis, dass die Erinnerungskultur des vereinten Deutschland an jene der Bundesrepublik anknüpfe; Nationalsozialismus und Holocaust seien weiterhin "Kern deutscher Selbstbeschreibung" und stünden im Zentrum des Erinnerns. Die Erinnerung an die DDR sei bislang nur bedingt in das Selbstverständnis Gesamtdeutschlands eingeflossen; bis heute fehle ein Narrativ, das beide deutsche Diktaturerfahrungen angemessen miteinander verknüpfe und die zweite Diktatur auch für diejenigen erfahrbar mache, die in der alten Bundesrepublik sozialisiert wurden. Von zwei "Erinnerungskulturen" in Ost und West könne aber nur schwerlich die Rede sein; in keinem Diskurs ständen sich Ost- und Westdeutsche geschlossen gegenüber (682f).
"Leben in Ost und West"
Leben in Ost- und Westdeutschland (© Campus)
Leben in Ost- und Westdeutschland (© Campus)
Nicht weniger, als eine "sozialwissenschaftliche Bilanz der deutschen Einheit 1990–2010" vorzulegen, beanspruchen die Herausgeber des Bandes "Leben in Ost- und Westdeutschland". Das Buch zeichnet sich vor allem durch die Vielzahl der von den Autorinnen und Autoren soziologischer Provenienz verwendeten Daten aus. Das in mehrere (Unter-)Abschnitte gegliederte Hauptkapitel "Stadien im Lebensverlauf" enthält den Lebensphasen (vom "Lebensbeginn" bis zum "Ruhestand") folgend jeweils vergleichende Betrachtungen für die Bevölkerung in Ost und West. Ein weiteres Kapitel beinhaltet – wiederum vergleichend – lebenslaufübergreifende Querschnittsthemen zu den Bereichen "Lebensstandard und soziale Inklusion", "Soziale Integration und politische Beteiligung", "Gesundheit, Wohnen und regionale Differenzierung" sowie "Lebensqualität, Zufriedenheit und Sorgen". Dabei bildet vor allem das seit 1984 zunächst nur im Westen Deutschlands jährlich bei denselben Personen und Haushalten durchgeführte und bereits im Juni 1990 auf die damalige DDR ausgedehnte Sozio-oekonomische Panel (SOEP) das empirische Fundament. Um die Entwicklung der Lebensbedingungen in Deutschland umfassend zu analysieren, standen allerdings noch andere Datenquellen zur Verfügung, die in einem letzten forschungspraktischen Kapitel aufgeführt werden.
Die versammelten Beiträge fördern ein differenziertes Bild zu Tage: Neben einer gewissen Angleichung der Einstellungen und Erwartungen unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche bis heute in ihren individuellen wirtschaftlichen Sorgen. Demgegenüber eint die Sorge bezüglich der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung alle Deutschen. Das durchschnittliche Niveau des subjektiven Wohlbefindens sei im Verlauf der 1990er-Jahre in Ostdeutschland zwar angestiegen, stagniere aber seitdem – wie auch im Westen. Gleichwohl wird konstatiert, dass Ostdeutsche zufriedener seien, als dies angesichts höherer Arbeitslosigkeit und geringeren Durchschnittseinkommens zu erwarten wäre (30f).
Zu weiteren interessanten Erkenntnissen gehört, dass stark fremdenfeindliche Einstellungen in Deutschland insgesamt zurückgegangen seien, dass demokratieskeptische Einstellungen im Osten bis heute nicht abgenommen (aber auch nicht zugenommen) hätten und dass die Deutschen allgemein gegenwärtig "egalitärer orientiert" erscheinen würden. Viele Beiträge des Bandes dokumentieren zudem – früheren Prognosen widersprechend – eine wechselseitige Annäherung von Ost und West im Sinne einer "doppelten Transformation" (32f).
"Deutsche Einheit"
Deutsche Einheit (© Metropol Verlag)
Deutsche Einheit (© Metropol Verlag)
Mit zahlreichen Informationen und prägnanten Daten versehen ist der schmale, von der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin herausgegebene, Band des Politikwissenschaftlers und stellvertretenden Geschäftsführers der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Robert Grünbaum. Dem Untertitel "Ein Überblick 1945 bis heute" wird die mit "Deutsche Einheit" überschriebene Publikation in ihrem ersten skizzierenden Kapitel gerecht; hier wird die "Deutsche Frage" in der (inter)nationalen Politik von der Nachkriegszeit bis in die 1980er-Jahre thematisiert. Auch reflektiert der Autor den Begriff der Friedlichen Revolution, den er aufgrund des Doppelcharakters der historischen Ereignisse für angemessen hält. So sei das politische System durch Massenproteste gestürzt und der Machtwechsel weitgehend friedlich, jedenfalls ohne Todesopfer, vollzogen worden (23f). Sodann beschreibt Grünbaum die äußeren und inneren Faktoren der Krise des SED-Regimes – auch unter Berücksichtigung der offenen nationalen Frage. Die Fixierung auf die demokratische, wohlhabendere und für die Mehrheit der Ostdeutschen "attraktivere Bundesrepublik" habe "gravierende Auswirkungen" auf das Ende der Diktatur und die zügige Herstellung der deutschen Einheit gehabt (41).
Den Abschnitt "Auslöser und Verlauf der friedlichen Revolution" lässt Grünbaum bei den gefälschten Kommunalwahlen im Mai 1989 beginnen und beim Fall der Berliner Mauer enden. Bei diesem historischen Schritt habe es sich um das Ergebnis eines Prozesses gehandelt, "der in einer dramatischen Situation eine Eigendynamik annahm und sich völlig überraschend entwickelte" (76). Das Kapitel über den "Weg zur Vereinigung" nimmt den breitesten Raum ein: Die wesentlichen Schritte von der Institutionalisierung des Zentralen Runden Tisches bis hin zum Einigungsvertrag und der Vollendung der staatlichen Einheit beschreibt Grünbaum anschaulich und faktenreich, ohne sich jedoch in Details zu verlieren.
Im letzten Kapitel über "Das vereinigte Deutschland" nimmt sich der Autor vergleichsweise ausführlich der "inneren Einheit" und – gleichsam in eigener Sache – den verschiedenen Formen und Institutionen der DDR-Aufarbeitung an und konstatiert, dass diese "durch Gesellschaft, Politik und Wissenschaft (...) in Deutschland eine Breite und Intensität erlangt" habe wie wohl in keinem anderen Land mit vergleichbarer Geschichte (195). Der Band wird – zielgruppengerecht – abgerundet durch eingestreute erklärende Stichworte, Tabellen, Statistiken und Zitate beteiligter Protagonisten bzw. thematisch einschlägig bekannter Experten. Schließlich wird auf weitere grundlegende Literatur zum Thema verwiesen.
"Der Weg zur Einheit"
Der Weg zur Deutschen Einheit (© Metropol Verlag)
Der Weg zur Deutschen Einheit (© Metropol Verlag)
Als Herausgeber zeichnet Robert Grünbaum gemeinsam mit Andreas H. Apelt (Deutsche Gesellschaft e. V.) und Martin Gutzeit (Berliner Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen) für den Band "Der Weg zur Deutschen Einheit. Mythen und Legenden" verantwortlich, der auf einer gleichnamigen Tagung im März 2010 in Berlin fußt. Neben dem titelgebenden Thema wurden hier der ökonomische Zusammenbruch der DDR 1989/90 im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungsunion und deren Bedeutung für die Herstellung der deutschen Einheit, "Politische Mythen und Legenden des Einigungsprozesses", die Verfassungsfrage unter dem Aspekt "neue Konstitution oder 'Anschluss'" sowie die internationale Entwicklung und ihre Akteure und Interessen behandelt. Dabei schlossen sich jeweils an ein Hauptreferat eines oder mehrerer Experten Podiumsdiskussionen an, die durch Zeitzeugen, Wissenschaftler und ehemalige politische Akteure bestritten wurden.
Gerhard A. Ritter räumt überzeugend mit einigen "Legenden" auf, wie der, dass die Währungsunion ein Fehler bzw. ökonomisch ein "Desaster" gewesen sei. Auch den Aufbau Ost betrachtet Ritter gerade nicht als gescheitert. Grundsätzlich negative (Vor-)Aussagen übersähen die großen Aufbauleistungen, die im Osten auch mit Hilfe des Westens erbracht worden seien. So entspreche die Infrastruktur in der ehemaligen DDR weitgehend westlichem Niveau und das ehedem völlig vernachlässigte Telekommunikationsnetz sei inzwischen wohl das modernste der Welt (23). Ritter bricht auch eine Lanze für die Abgeordneten der am 18. März 1990 erstmals frei gewählten DDR-Volkskammer, welche nicht selten als "Laienspieler" verspottet werden, die sich von westdeutschen Experten und Politkern hätten über den Tisch ziehen lassen. Dagegen hätten das Parlament und die Regierung de Maizière "ein großes Arbeitsprogramm unter gewaltigem Zeitdruck mit insgesamt großer Kompetenz bewältigt" (20).
Ilko-Sascha Kowalczuk stellt in seinem Beitrag heraus, dass es im Kern der revolutionären Ereignisse und Vorgänge 1989 um Freiheit gegangen sei. Die nationale Frage habe bis zum Mauerfall am 9. November nicht im Vordergrund gestanden, weil es niemand in Ost und West für möglich gehalten habe, dass "Moskau die europäische Jalta-Nachkriegsordnung buchstäblich über Nacht ohne signifikante Gegenwehr und Gegenleistung aus der Hand geben würde" (11ff). Jene "Grüppchen", die auch noch in der Folge einen "diffusen Dritten Weg zwischen Ost und West" propagiert hätten, würden bis heute medial aufgebauscht (116).
"20 Jahre Einheit"
20 Jahre Deutsche Einheit (© Duncker & Humblot)
20 Jahre Deutsche Einheit (© Duncker & Humblot)
Ein von der Gesellschaft für Deutschlandforschung herausgegebener Band versammelt unter dem grundsätzlich gehaltenen Titel "20 Jahre Deutsche Einheit – Erfolge, Ambivalenzen, Probleme" die Beiträge ihrer Tagung im Jubiläumsjahr 2010. Mit den einschlägigen Thematiken langjährig befasste Historiker bzw. Sozial- und Politikwissenschaftler beleuchten sowohl die großen Linien als auch manches interessante Detail innerhalb der – durchaus heterogenen – Abschnitte "Die Kunst der Politik im Gründungs- und Einigungsprozess" (hier richtet sich der Blick auch auf die Reichsgründung 1870/71), "Binnen- und Außenperspektiven", "Verhandlungsstrategien", "Einheit? Diktatur?" sowie "Der Vereinigungsprozess nach 20 Jahren".
Joachim Scholtyseck bilanziert bezüglich der Staatskunst und "Kunst der Diplomatie" 1989/90, dass den Akteuren "das historische Grundverständnis für eine außergewöhnliche geschichtliche Situation offenkundig besonders präsent" gewesen sei (58). Das Bewusstsein des "Exzeptionellen" jener Monate zeige sich auch darin, dass schon vor dem Ende der üblichen Sperrfristen von deutscher und britischer Seite regierungsoffizielles Archivmaterial veröffentlicht wurde (59). Trotz diplomatischer Kunstfehler im Einzelnen wählt Scholtyseck für die Vorgänge von 1990 das Bild vom "Gesamtkunstwerk".
Barbara Zehnpfennig geht der Frage nach, welche "geistige Wirklichkeit" die DDR prägte – gerade vor dem Hintergrund, dass die Dauer des (mentalen) Vereinigungsprozesses von vielen unterschätzt wurde. Dabei habe das System bei den Menschen nicht nur die üblichen Spuren der Diktatur hinterlassen, sondern durch ideologisch begründete Gewaltherrschaft den "Anspruch auf den ganzen Menschen, nicht nur auf die Regulierung seines äußeren Verhaltens" erhoben: "Er soll anders denken, er soll sich innengesteuert anders verhalten, aber eben nicht aufgrund eigener Entscheidung, sondern durch Neuprogrammierung" (203). Das Bild vom menschenfeindlichen Kapitalismus habe als geistiger Fixpunkt gedient, den "der Sozialismus aufgrund seiner offensichtlichen Defizite im Positiven nicht zu liefern vermochte" (204). Nach der Vereinigung ging dann die geforderte Anpassungsleistung für die Ostdeutschen weit über das hinaus, was die Gewöhnung an einen neuen Kulturkreis bedeutet hätte. Die "Ingenieure der Seele" des alten Systems, so die Autorin, hätten letztlich ein sehr simples Weltbild vermittelt; hingegen sei die Wirklichkeit in einem geistig offenen System "komplexer, reicher, anspruchsvoller" (205).
"Deutschland 2.0"
Deutschland 2.0 (© Deutscher Taschenbuch Verlag)
Deutschland 2.0 (© Deutscher Taschenbuch Verlag)
Der ehemals bei "Spiegel Online" leitend tätige Journalist Claus Christian Malzahn hat eine kurzweilige, sehr lesenswerte Reportage über "Deutschland 2.0" vorgelegt (wobei der Titel unzutreffenderweise eine Beschäftigung mit dem Internet nahelegt). Seine "vorläufige Bilanz der Einheit" geht allerdings über eine Schilderung der Gegebenheiten im vereinten Deutschland hinaus; der Autor skizziert plastisch und im besten Sinne objektiv die Bedingungen und Entwicklungen, die zu den historischen Veränderungen der Jahre 1989/90 in Deutschland und Europa führten. Dabei kommt dem Buch sicher zugute, dass Malzahn bereits in den 1980er-Jahren über die und aus der DDR berichtete; seine präzisen Beschreibungen und Analysen sind reflektiert und spürbar "nah am Objekt". Die fließend ineinander übergehenden Kapitel "Freiheit", "Mythen, Fehler, Irrtümer", "Glück, Geld, Erfolg" sowie "Einsichten, Aussichten" zeichnen ein insgesamt positives Bild des (wieder)vereinigten Deutschland ohne die Defizite und – teils unvermeidbaren – Fehler während des Vereinigungsprozesses zu verschweigen.
Zu Recht qualifiziert Malzahn die Ereignisse des Herbstes 1989 als "Sternstunden der deutschen Geschichte", wobei "die wichtigste Erfahrung der friedlichen Revolution" sei, dass "der Einzelne zu Großem beisteuern kann". Daneben stellt der Autor die (er)nüchtern(d)e, aber durchaus realistische Erkenntnis: "Wenn die Ostdeutschen im Herbst 1989 auf die Herrschenden in Bonn und Ost-Berlin gehört hätten, wäre die Mauer vielleicht nie gefallen. Selten wurden Regierungspolitik und Expertenvorlagen so blamiert" (40). Etwas überakzentuiert beschreibt Malzahn die Verfasstheit der SED/DDR kurz vor ihrem Um- und Zusammenbruch. So mag man noch der Beobachtung (ex post) folgen, dass sich damals in Partei und Staat "vorsichtig zwei Strömungen", bestehend aus Hardlinern und jungen Reformern, herausgebildet hätten. Eine regelrechte "Fraktionsbildung", die dem "machtvollen Repressionsapparat" geschadet hätte und zudem dazu führte, dass die Sicherheitsorgane widersprüchlich agierten (32), war jedoch weder zum Ende der Honecker-Ära noch in der anschließenden Übergangsphase zu erkennen.
Schließlich erinnert Malzahn daran, dass die osteuropäischen Nachbarländer die Umwandlung von einer realsozialistischen Plan- in eine Marktwirtschaft selbst organisieren mussten, während in Deutschland "dem Osten der Westen zu Hilfe" kam (82). Gleichwohl hält es der Autor für psychologisch nachvollziehbar, dass in den neuen Ländern nicht jene "Dankbarkeit" herrsche, die man vom Westen aus häufig erwartet(e). Als Fazit der historischen Vorgänge gibt Malzahn zu Protokoll: "Um unsere Zukunft zu meistern, braucht es bei allen Beteiligten jene Courage, die letztlich auch zum Fall der Mauer führte" (128).