Die Quellenlage zur Entstehung des Häftlingsfreikaufs aus der DDR ist nach wie vor schwierig. Im vergangenen Jahr war auf der Grundlage einer Information aus dem Ministerium für Staatssicherheit behauptet worden, der Kreis der Freigekauften sei anfangs nicht auf politische Häftlinge beschränkt gewesen.
Die Freilassung politischer Häftlinge in der DDR gegen materielle Leistungen aus dem Westen stößt weiterhin auf großes Interesse der zeitgeschichtlich interessierten Öffentlichkeit. Ludwig A. Rehlinger, in den 1960er- und 80er-Jahren als Beamter in unterschiedlichen Positionen im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (seit 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, BMB, genannt) für derartige Aktionen zuständig gewesen, hat 1991 eine umfangreiche Monografie zu diesem Komplex veröffentlicht, die auf seinen eigenen Erinnerungen und Erfahrungen beruht. Sie ist noch immer aktuell, zumal die Quellenlage nach wie vor schwierig ist. Westakten sind entweder noch gesperrt oder gar vernichtet. Das auf beiden Seiten bestehende grundsätzliche Interesse an absoluter Geheimhaltung führte dazu, dass die Aktenführung beschränkt wurde. Unklar sind vor allem noch die Anfänge dieser Geschäfte vor 1963, in denen kirchliche Kreise eine Rolle gespielt haben.
Vor diesem Hintergrund ist das Aufsehen zu verstehen, dass Thomas von Lindheim 2010 mit seinem Aufsatz über juristische Probleme beim Freikauf von politischen Häftlingen erregte. Von Lindheim war bis zum Ende der DDR Mitarbeiter des dem BMB nachgeordneten Gesamtdeutschen Instituts und danach in der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) tätig. Das Gesamtdeutsche Institut, eine Bundesanstalt, hatte im Rahmen der sogenannten humanitären Bemühungen gegenüber der DDR-Führung, wozu auch der Häftlingsfreikauf gehörte, keine Zuständigkeiten. Seine Mitarbeiter waren gehalten, einschlägige Vorgänge sofort an das BMB abzugeben.
Von Lindheim behauptet in seinem Aufsatz, gestützt auf eine Operative Information des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vom 16. April 1963, in der Anfangsphase des Freikaufs sei der Personenkreis zunächst nicht auf politische Häftlinge beschränkt gewesen. Die Bundesregierung habe die Personenauswahl zunächst der DDR überlassen wollen. Rehlinger hat dieser Behauptung sofort widersprochen und klargestellt, alle in die Aktion eingeschlossenen Häftlinge seien von der Bundesregierung bestimmt und Kriminelle nach bestem Wissen nicht einbezogen worden. Von Lindheim hat dennoch seine Aussage als "richtig" aufrecht erhalten.
Das Deutschland Archiv ist nunmehr in der Lage, den Wortlaut der fraglichen Information des MfS-Majors Heinz Volpert von der Hauptabteilung V/5 (zuständig für "Untergrund") an seinen Minister zu dokumentieren. Für Volpert war seine damalige Tätigkeit offenbar der Einstieg in seine spätere Sonderaufgabe Devisenbeschaffung/Häftlingsfreikauf im Sekretariat des Ministers. In seinem Vermerk knüpft er an ein "beabsichtigte(s) Geschäft 'Kredit-Häftlinge'" an, über das nichts weiter mitgeteilt wird. Die "zuverlässige Quelle", auf die sich Volpert bezieht, ist zweifellos der Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, der mit dem in West-Berlin für die sogenannte Rechtsschutzstelle – ein privatrechtlich organisiertes Anwaltsbüro – tätigen Rechtsanwalt Jürgen Stange bei der Betreuung von Mandanten über die Grenze hinweg ständig im Gespräch war. Aus diesem Gesprächskontakt brachte Stange etwa Anfang 1963 die Nachricht mit, die DDR sei bereit, in größerem Umfang politische Häftlinge gegen materielle Leistungen freizulassen. Die Anwälte der Rechtsschutzstelle trugen diese Botschaft über den Verleger Axel Springer an den im Dezember 1962 ernannten neuen Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen Rainer Barzel heran, der prinzipiell interessiert war.
Dies ist der Hintergrund für das von Volpert erwähnte Gespräch der Quelle (Vogel) mit dem Rechtsanwalt Stange am 11. April 1963, über das Vogel seinerseits dem MfS-Offizier berichtete. Dass Volpert den Namen des West-Berliner Anwalts nicht ganz korrekt handschriftlich in die Operative Information eintrug, beweist nur, dass er – im Gegensatz zu Vogel – mit diesem offenbar vorher noch nicht dienstlich befasst war. Dass Volpert in der Information auch den angeblichen Mindestbetrag von zuerst wohl 100.000 DM handschriftlich in 100 Millionen änderte, ist ebenfalls zu erklären: Rehlinger berichtet, im Westen habe man die Vorstellung gehabt, etwa 1.000 von insgesamt rund 12.000 der Rechtsschutzstelle bekannten politischen Häftlingen in der DDR freikaufen zu können, was später an der DDR scheiterte, die als ersten Test schließlich nur acht Inhaftierte frei ließ. Entsprechende Bedenken hat offenbar bereits Vogel gegenüber Stange geäußert – siehe den letzten Absatz auf dem ersten Blatt der Information –, worauf dieser auf die Selbstverständlichkeit hinwies, dass gegen den Willen der DDR nichts geschehen könne.
Die Bundesregierung, vertreten durch den Beamten Rehlinger, wollte also anfangs 1.000 politischen Gefangenen zur Freiheit verhelfen und musste sich dann zuletzt mit nur acht Gefangenen begnügen. Dabei musste außerdem noch der Eindruck vermieden werden, die Bundesregierung habe an diesen Menschen ein besonderes Interesse, weil es Vorgänge gebe, die der Staatssicherheitsdienst bei seinen Vernehmungen noch nicht erfahren habe. Somit war die DDR natürlich an der endgültigen Personenauswahl beteiligt. Eine Schlussfolgerung, wie sie Thomas von Lindheim zieht: "In der Anfangsphase der Aktion war der Personenkreis zunächst nicht auf politische Häftlinge beschränkt. Die Bundesregierung wollte die Personenauswahl zunächst der DDR überlassen", ist jedoch nicht berechtigt. Sie kann auch nicht aus seiner jetzt zur Überprüfung freigegebenen Quelle hergeleitet werden.
Publizist, ehemaliger Präsident des Gesamtdeutschen Instituts – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben, Berlin.
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